Geschichte der Spätlese

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    Die Entdeckung der späten Lese geht auf das Jahr 1775 zurück. Der Fürstabt von Fulda, damals Eigentümer von Schloss Johannisberg im Rheingau, musste jedes Jahr schriftlich die Erlaubnis für den Beginn der Lese geben. Das entsprechende Dokument überbrachte ein Reiter. Aufgrund verschiedener Umstände verspätete sich der Herbstbote in jenem Jahr. Bei seiner Ankunft war ein Teil der Trauben schon faul. Die Mönche kelterten die faulen Trauben separat. Über den Wein, der aus ihnen gewonnen wurde, berichtete einer von ihnen später dem Abt: »Solche Weine habe ich noch nicht in den Mund gebracht.« Eine Statue des Reiters steht heute im Hof des Schlosses. Allerdings wurde im ungarischen Tokaj schon 1650 aus edelfaulen Trauben Wein erzeugt. Damals verschob der Verwalter auf der Burg von Tokaj die Lese wegen eines bevorstehenden Angriffs der Türken. Nachdem die Gefahr vorüber war, hatte sich die Edelfäule ausgebreitet. Der Legende zufolge entstand so der erste süße Wein aus edelfaulen Trauben. In Frankreich wurde die Edelfäule erstmals 1847 auf Château d’Yquem erwähnt. Marquis Bertrand de Lur-Saluces, der Besitzer, kam verspätet von einer Reise aus Russland zurück, sodass die Trauben in seinen Weinbergen schon Fäule angesetzt hatten. Dennoch wurde gelesen, und der 1847er erwies sich als der größte Jahrgang des 19. Jahrhunderts. Sicher ist allerdings, dass Château d’Yquem und das Sauternais bedeutende Süßweine hervorgebracht hatten. Die Weine der Jahre 1811 und 1825 sind legendär.

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    Jens Priewe
    Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.