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Die Gran Reserva, die im Ausguss landen sollte

Spaniens Superappellation befindet sich im Wandel. Neue Weinstile abseits der Reifestufen Crianza, Reserva und Gran Reserva drängen in den Vordergrund. Thomas Götz hat sich zehn Tage im Gebiet umgesehen.

Eingangsfrage: Wofür steht Rioja? „In Barrique gereifte Rotweine“, dürfte die Antwort vieler Leser und Leserinnen lauten. Tatsächlich haben die 225-Liter-Eichenfässer in der Region am Ebro eine lange Tradition: Auf der Flucht vor der Reblaus zog es Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Händler und Önologen aus Bordeaux in die Rioja. Erstere errichteten Weinlager, während Letztere den Ausbau in den kleinen Gebinden etablierten. Abhängig von der Dauer in Holzfass und Flasche werden die Weine als Crianza, Reserva und Gran Reserva klassifiziert. Zuletzt machten sie 57 Prozent der Produktion aus.

Doch es gibt auch ein Rioja abseits der traditionellen Reifestufen. Eine nachrückende Winzergeneration stellt den Weinberg stärker in den Fokus. „Endlich“, ist man geneigt zu sagen, denn fraglos verfügt die Rioja über eines der großen Wein-Terroirs der Welt: Das Anbaugebiet zieht sich 120 Kilometer den Fluss Ebro entlang und ist nach Norden und Süden von Bergketten eingerahmt. Atlantisches, kontinentales und mediterranes Klima treffen aufeinander. Die sieben Zuflüsse des Ebro bilden wiederum eigene Täler und Mikroklimas. Hinzu kommen die verschiedenen Böden und Höhenlagen, die von 300 bis 900 Meter variieren. Eine derartige Vielfalt verlangt geradezu nach Weinen, die eine spezifische Herkunft artikulieren, sei es eine Ortschaft oder Einzellage.

Frischer Wind aus Rioja Alavesa

„Wir haben jetzt von Terroir geprägte Riojas“, sagt der deutsch-spanische Master of Wine Andreas Kubach vom Weingut Bideona in Rioja Alavesa. Am Fuße der Sierra Cantabria bewirtschaften Kubach und sein Team rund 100 Hektar Weinberge, verteilt auf 320 Parzellen, die sie in Qualitätsstufen A, B und C einteilen. Von dieser Gruppierung abhängig, verwenden sie die Trauben für Zonen-, Orts- und Parzellenweine, die sie in einer Kombination von Edelstahl, Beton und großformatigen Holzfässern ausbauen.

Andreas Kubach MW, Bodegas Bideona © Peninsula Vinicultores

Frische, Eleganz und Trinkbarkeit sind ein Merkmal aller Weine von Bideona. Für die feinen Unterschiede sorgt das Terroir: Als brillant entpuppen sich bei der Verkostung etwa die 2019er Ortsweine aus Laguardia und Villabuena. Beide Rotweine, gekeltert aus Tempranillo, erfuhren dieselbe Weinbereitung, schmecken aber gänzlich anders. Der Ortswein aus Laguardia verfügt über saftige Kirschfrucht und seidig-weiches Tannin.

Nur sieben Kilometer entfernt liegt die Ortschaft Villabuena. Das dortige Klima ist kühler und die Tempranillo-Trauben werden bis zu vier Wochen später gelesen. Auch sind die Schalen der Beeren dicker. Dieser Ortswein fällt im Vergleich kraftvoller und mineralischer aus, das Tannin ist kreidig und die Frucht dunkler. „Rioja Alavesa ist derzeit das dynamischste Weingebiet Spaniens. Was dort an neuen Projekten abgeht, ist genial“, so Andreas Kubach. In der Tat ist die Liste bemerkenswerter Erzeuger lang: Neben Bideona dürfen Altún, Artuke, Bhilar, Pujanza, Sandra Bravo, Tentenublo und einige mehr zur „New Wave“ im baskischen Teil der Rioja gezählt werden.

Starke Weine kommen auch vom biodynamisch arbeitenden Winzer David Sampedro, Bodegas Bhilar (Foto: © Thomas Götz)

Ein Mazuelo aus den Höhenlagen von Rioja Oriental

Doch auch andernorts tut sich etwas, zum Beispiel in der lange Zeit belächelten Zone Rioja Oriental. Aus dem Windschatten von Starwinzer Alvaro Palacios und dessen Weingut Palacios Remondo treten neue Produzenten hervor, zu denen etwa Javier Arizcuren zählt. Der Architekt hat in der Stadt Logroño neben seinem Büro eine Kellerei eingerichtet. Seine Weinberge aus Familienbesitz erstrecken sich in Rioja Oriental, die als wärmste Zone der Rioja gilt. Doch genau genommen gibt es zwei Oriental: Das Warme im Ebrotal und das Kühle in den Bergen. Eben dort, an den Nordhängen der Sierra de Yerga, befinden sich auf 550 bis 800 Metern Höhe die Lagen von Arizcuren.

Aus der Rebsorte Mazuelo gewinnt der Winzer-Architekt einen rotfruchtigen, floralen und erdig-mineralischen Rotwein. Mazuelo ist seit jeher ein Bestandteil der großen Weine der Rioja. Mit reichlich Säure und Tannin ausgestattet, ist die Traube maßgeblich für deren Langlebigkeit verantwortlich. Allerdings wird sie höchstselten sortenrein gekeltert. Als Erfolgsrezept hat Javier Arizcuren zwei Parameter ausgemacht: „Mazuelo ist eine sehr produktive Rebe. Man braucht arme Böden, um die Erträge niedrig zu halten.“ Ferner benötige die reduktive Sorte eine gewisse Sauerstoffzufuhr bei der Weinbereitung. Nicht etwa Eiche, sondern Tonamphoren hat sich Arizcuren für die Reifung ausgesucht. Die Amphore sorge für einen transparenteren Fruchtausdruck als Holzfässer, zeigt er sich überzeugt.

Weinberg in Rioja Oriental (Foto: © Thomas Götz)

Die Renaissance der Garnacha

Übrigens war Mazuelo – dessen Synonyme Cariñena bzw. Carignan sind – bis Mitte des 19. Jahrhunderts die meist angebaute Sorte in der Rioja. Die Rebe ist anfällig gegenüber dem Echten Mehltau, und als dieser in den 1850er-Jahren erstmals auftrat, wurde sie überwiegend mit Garnacha (Grenache) ersetzt.

Die Garnacha blieb ihrerseits bis in die 1970er-Jahre die am häufigsten kultivierte Traube in Rioja. Dann trat die Tempranillo ihren Siegeszug an, in dessen Folge der Anteil der Garnacha an der Rebfläche von 39 Prozent auf heute sieben Prozent zurückging. Im Zuge des Klimawandels erlebt sie ein Revival. Die spätreifende Sorte zeigt sich resistent gegen Trockenheit, Hitze und Rebholzkrankheiten. Folglich sehen viele Winzer in der Garnacha, nicht etwa in Tempranillo, die Zukunft der Rioja.

Einige der besten und interessantesten Garnachas stammen aus den Höhenlagen im abgelegenen Najerilla-Tal in Rioja Alta. Der Winzer Oscar Alegre besitzt dort eine nördlich ausgerichtete Parzelle mit über 100 Jahre alten Reben. Der charaktervolle Rotwein, den er daraus gewinnt, hat eine atlantisch kühle Anmutung, ist griffig und straff, verfügt über feines Tannin und eine saftige blaue Frucht. Die Betonung liegt auf Frische und Eleganz, nicht auf Kraft und Extrakt. „Wir erleben eine Revolution in der Rioja“, sagt Oscar Alegre und meint damit, dass nicht mehr allein die kellergeprägten Reservas und Gran Reservas für Rioja stehen, sondern auch jene Gewächse, die ein spezifisches Terroir – in diesem Fall eine Einzellage – zum Ausdruck bringen.

Foto 4: Oscar Alegre, Weingut Alegre Valgañon (Foto: © Thomas Götz)

Tempranillo-Klone gegen den Klimawandel

Doch auch die etablierten Erzeuger stehen nicht still und treiben Innovationen voran. Beispielsweise hat das Weingut Roda in der Rioja sage und schreibe 552 Tempranillo-Klone identifiziert. In einem Testweinberg kultivieren sie über 400 Klone, von denen sie jeweils Mikrovinifikationen vornehmen. „Einige Klone bewahren einen höheren Säuregehalt, andere sind hitzeresistenter“, erklärt Victor Charcán die Unterschiede.

Neben dem Erhalt von genetischer Diversität im Weinberg, geht es bei dieser Forschung freilich auch darum, die besten Klone gegen den Klimawandel herauszufiltern. Roda hat bereits eine eigene Klonfamilie auf den Markt gebracht. Sie heißt „Roda 107“ und wird für Neupflanzungen in Rioja und Ribera del Duero eingesetzt. Von eben dieser Tempranillo-Familie verkosten wir in der Kellerei den Jahrgang 2007 – erzeugt aus damals drei Jahre alten Reben. Der Rotwein, der nicht im Handel erhältlich ist, hat Länge, Struktur, dunkle Frucht und ist quicklebendig. „Wenn man den richtigen Standort und die richtigen Klone hat, kann man auch mit jungen Reben gute Ergebnisse erzielen“, sagt Victor Charcán.

Die regulären Weine keltert Roda hingegen aus Reben mit einem Mindestalter von dreißig Jahren. Auf Bewässerung, selbst in extremen Jahren wie 2022, verzichtet das Weingut. „Wir wollen in unseren Weinen eine Landschaft und den Jahrgang zeigen“, sagt Charcán. „Ein heißes Jahr ist Teil des Zyklus. Wenn wir bewässern, verfälschen wir den Jahrgang.“ Aus einem solchen heißen Jahr stammt die mächtige Roda I Reserva 2017. Dieser kraftvolle und dicht strukturierte Tempranillo knallt wie eine Eisenfaust auf ein Samtkissen. Ein echter Hammer, mit polierten Tanninen und eleganter Säure, ist der zehn Jahre ältere 2007er-Jahrgang dieses Weins.

Victor Charcán, Bodegas Roda, in Rioja Alta (Foto: © Thomas Götz)

Die wundervolle Wandlung der 1997er Gran Reserva

Roda befindet sich im legendären Eisenbahnviertel von Haro, Seite an Seite mit einigen der ältesten und berühmtesten Kellereien der Rioja. Bei einer gemeinsamen Verkostung mit den dort ansässigen Weingütern Bilbainas, Gómez Cruzado, Muga und La Rioja Alta offenbart das klassische Rioja dann doch noch seine ganze Größe. Jenes Rioja, das für lange Reifezeiten in Barrique und Flasche und für die Kombination aus Rebsorten und Weinbergen steht.

Atemberaubende Komplexität und Finesse zeigt etwa die Gran Reserva Prado Enea von Bodegas Muga des sagenhaften Jahrgangs 2001. Der vielleicht eindrücklichste Wein des Tastings ist die 1997er Gran Reserva 904 von La Rioja Alta. „Einer der schlechtesten Jahrgänge aller Zeiten“, erzählt Weinmacher Julio Sáenz. Während der Ernte habe es ständig geregnet. Trotzdem habe man aus einigen Plots die besten Trauben selektioniert, um eine Gran Reserva zu erzeugen. „Aber die alkoholische Gärung war ein einziges Desaster“, so Julio Sáenz.

Nach fünf Jahren in Barriques ließ er den Wein 2002 abfüllen. Einige Jahre später sei das Ergebnis so schrecklich gewesen, dass sein Boss den Wein entkorken und im Abfluss entsorgen wollte. Doch Sáenz bat um Geduld. Jahr für Jahr probierten sie, bis sich nach zwanzig Jahren Flaschenreife der hässliche Frosch in einen schönen Prinzen verwandelt hatte: Elegant, feinnervig, tiefgründig und lang anhaltend kommt das Gewächs heute daher. „Burgundisch“, nennt es Julio Sáenz. Die Flasche wird für 130 Euro gehandelt. „Wein folgt bei der Reifung keinen Regeln“, lautet das knappe Fazit des Weinmachers zu dieser wundersamen Evolution.

Julio Sáenz und Guillermo de Aranzabal vom Kultweingut La Rioja Alta (Foto: © Thomas Götz)

So war es bei diesem Ortsbesuch faszinierend zu erleben, wie viele unterschiedliche Weinstile und Ansätze es in der Rioja inzwischen gibt. Vom einseitigen Bild der in Barrique gereiften Weine darf man sich verabschieden. Das Gebiet ist in der Realität viel diverser und dynamischer. Es bringt nicht mehr einzig große, sondern auch spannende Weine hervor. Keller oder Terroir? Egal. Hauptsache Rioja.

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Im Report vorgestellte Erzeuger und Weine:

Bideona – L4GD4, 2019. Ortswein aus Laguardia. Bezug: copito.de

Bideona – VlBN4, 2019. Ortswein aus Villabuena. Bezug: copito.de

Bhilar – Phinca Hapa, 2019. Einzellagenwein aus Elvillar. Bezug: pinard-de-picard.de

Arizcuren – Solo Mazuelo Amfora, 2021. Aus Höhenlage am Monte Yerga. Bezug (2018er Jg.): hispavinus.de

Alegre Valgañón – Garnacha Tinta, 2019. Aus 100 Jahre alter Weinparzelle im Najerilla-Tal. Bezug: gute-weine.de

Roda – Roda I Reserva, Jg. 2007 und 2017. Aus alten Tempranillo-Reben. Bezug: vinos.de

Muga – Prado Enea Gran Reserva, 2001. Klassische Cuvée aus Tempranillo (70%), Garnacha, Graciano und Mazuelo. Bezug (neuer Jg.): silkes-weinkeller.de

La Rioja Alta – 904 Gran Reserva, 1997. Blend aus Tempranillo (90%) und Graciano. Bezug (neuer Jg.): gute-weine.de

La Rioja Alta, 904 Gran Reserva, 1997 (Foto: © Thomas Götz)
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1 Kommentar

  1. Rioja-Weine sind für mich einfach unschlagbar. Geschmacklich und preislich im Trend. Vielleicht könnten Sie mal auch über Heras Cordon berichten? Die Academico-Serie von Heras Cordon ist für mich ein echtes Highlight. Der erstaunliche Geschmack und die beeindruckende Qualität machen diese Weine zu einem festen Bestandteil meiner Genussmomente. Dass das Weingut Heras Cordon auch Hoflieferant des Vatikans ist, unterstreicht nur seine herausragende Reputation. Prost auf diese fantastischen Weine, die nicht nur den Gaumen, sondern auch das Herz erfreuen!

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