Über die Champagner von Pol Roger sei, so heißt es, noch nie ein böses Wort geschrieben worden. Nachrecherchiert habe ich diese Aussage nicht. Aber die Frage habe ich mir schon gestellt: Ist dieser Champagner wirklich so gut? Gar unkritisierbar? Oder sind die Kritiker nur zu feige?
Sieben Champagner dieses „kleinen“ Hauses (Produktion: 1,5 Millionen Flaschen) habe ich neulich Abend auf einer Probe des deutschen Importeurs verkosten können. Nicht alle waren dazu angetan, mich himmelhoch jauchzen zu lassen. Aber bescheiden oder mittelmäßig war keiner. Wer allerdings glaubt, dass es schlechte Champagner gäbe, hat entweder beim Discounter von der Palette oder beim falschen Winzer vor Ort gekauft. Beim Champagner wird Qualität vorausgesetzt. Diskutiert wird nur über den Stil – das allerdings ziemlich kontrovers.
Winston Churchill war der glühendste Verehrer
Besonders bei Pol Roger. Manche quittieren den trockenen, stahligen Stil seiner Schaumweine mit ratlosem Schulterzucken. Andere lieben ihn. Der glühendste Verehrer war Winston Churchill (1874 – 1965). Der ehemalige britische Premierminister ließ sich überall, wohin er reiste, einen Karton dieses Champagners vorausschicken. Berühmt geworden ist sein Ausspruch: „Nach Siegen hat man ihn sich verdient, nach Niederlagen braucht man ihn.“ Zu seinem zehnten Todestag nannte Pol Roger seine Spitzencuvée nach ihm „Sir Winston Churchill“. Sie ist einer der exklusivsten (und teuersten) Champagner, die auf dem Markt sind. Ihr Etikett ist marineblau, dem Blazer des berühmten englischen Staatsmanns nachempfunden.
In Deutschland noch wenig bekannt
In Deutschland ist die Marke Pol Roger relativ wenig bekannt, in Großbritannien umso bekannter. Dort ist Pol Roger ein Zeichen gehobenen Geschmacks und Ausweis einer gehobener Liquidität. Das britische Königshaus hat immer eine grössere Partie dieses Champagners im Keller. Gereicht wurde er zuletzt zur Hochzeit von Kate und William – allerdings nicht die Cuvée Sir Winston Churchill, sondern die einfache Brut Reserve.
Der Ruf des Champagnerhauses gründet sich auf den Umstand, dass seine Produkte anders sind als die großen Marken-Champagner – und das Haus natürlich auch. Es ist eines der letzten familieneigenen Betriebe, die es in der Champagne noch gibt. Es besitzt noch 70 Hektar eigene Weinberge. Nur 65 Prozent der Trauben müssen zugekauft werden. Seine Keller sind die tiefsten in Epernay. Sie liegen 30 Meter unter der Erde. Und die Zusammensetzung der Winston Churchill-Cuvée wird nicht verraten – eine Absage an jene Champagnerexperten, die diesem edlen Produkt mit Zahlen beikommen wollen.
Elegance and distinction
Pol Roger ist nicht der billigste Champagner, weshalb der Käufer mehr als nur Qualität erwarten. Klasse zum Beispiel. Nach der Philosophie des Hauses ist Klasse elegance and distinction. Zugegeben, elegant sind auch andere Champagner. Aber distinction bedeutet Anderssein. Und die Champagner dieses Hauses sind anders, zumindest als anderen bekannten Marken.
Liebe auf den zweiten oder dritten Blick
Fünf Erkenntnisse habe ich bei der Verkostung über Pol Roger-Champagner gewonnen. Die erste Erkenntnis: Pol Roger ist keine Partydusche, sondern ein ernsthafter Champagner. Er will nicht nur genossen, sondern auch verstanden werden. Zweite Erkenntnis: Pol Roger ist nicht immer Liebe auf den ersten Blick. Die Liebe kommt manchmal erst beim zweiten oder dritten Glas. Dritte Erkenntnis: Verstehen heißt sich darüber klar zu sein, dass dieser Champagner nicht gefallen will. Er präsentiert sich so, wie der Wein ist, aus dem er hergestellt wurde. Wobei es nützlich ist zu wissen, dass die Qualität der Trauben mit durchschnittlich 95 Prozent auf der Güteskala klassifiziert wird – einer der höchsten Werte, die ein Champagnerhaus erreicht.
Very british und very altmodisch
Vierte Erkenntnis: Pol Roger ist very british. Nicht nur, dass England seit Jahrzehnten der wichtigste Markt ist. Über dem Verwaltungssitz in Epernay weht auch der Union Jack. Und das Innere des Gebäudes ist gepflastert mit Churchill-Portraits und Churchill-Büsten. So wie die Engländer anders sind als die Kontinentaleuropäer, so sind auch die Pol Roger-Champagner anders als die „französischen“ Champagner. Der Wein wird in Stahltanks vergoren. Holz gibt es nicht. Und die 1,5 Millionen Flaschen, die den Keller jährlich verlassen, sind von Hand gerüttelt. Vier fest angestellte Rüttler besorgen diese Arbeit. Ein bisschen altmodisch eben. Aber auch das fällt unter distinction – man will sich als Champagner-Genießer von den Champagner-Trinkern unterscheiden.
Das Gegenstück zu Dom Pérignon
Und die fünfte Erkenntnis: Man kann Pol Roger-Champagner durchaus genießen – auch auf dem europäischen Festland. Sie brillieren mit Purheit und Frische. Stilistisch sind sie das Gegenteil eines Dom Pérignon oder der Grande Dame von Veuve Cliquot: relativ schlank, säurestark, mineralisch und extrem hefebetont. Selbst die einfachste Cuvée, die Brut Reserve („White Foil“), hat 42 Monate auf der Hefe gelegen (von Gesetz wegen hätten 15 Monate gereicht). Ganz zu schweigen von der Cuvée Winston Churchill. Auch nach elf Jahren Hefelager ist sie noch lebhaft und frisch.
Weitere Erkenntnisse vermittelten dann die Champagner selbst, die gereicht wurden. Da zeigte sich dann, dass distinction zwar etwas Feines sein kann, aber nicht unbedingt das Bessere sein muss.
Die Pol Roger-Champagner im Einzelnen
Brut Réserve („White Foil“)
Aus der Jeroboam eingeschenkt (darin auch 42 Monate auf der Hefe gereift): die Basis-Cuvée von Pol Roger ist sehr rassig, hefefrisch mit stahlig-mineralischen Noten, extrem frisch, auch in der Farbe glanzhell, aber geschmacklich etwas monoton, wenig cremig und sehr, sehr schlank.
Bewertung: 90 Punkte
Preis: ab 32 Euro
2004 Vintage Brut
Jahrgangschampagner aus 60 Prozent Pinot Noir und 40 Prozent Chardonnay: reicht zwar nicht ganz an den fabelhaften 2002er Vintage heran, trotzdem aber ein beeindruckender Wein. Florales Bouquet mit viel Zitrus und Brioche in der Nase, am Gaumen sehr rassig mit dem Aroma von salzigen Austern und grünen Algen, vielleicht wenig Charme, aber viel Rasse.
Bewertung: 92 Punkte
Preis: ab 60 Euro
2006 Brut Rosé Zusammengestellt aus 50 Prozent Pinot Noir und 35 Prozent Chardonnay, dazu 15 Prozent Pinot Noir-Rotwein ohne malolaktische Gärung – eine eigenwillige Spezial-Cuvée. So entsteht die lachsrote Tönung dieses Rosé-Champagners. In der Nase feine Himbeer-Noten mit Blütenduft, am Gaumen Praline, dazu druckvoll und cremig.
Bewertung: 92 Punkte
Preis: ab 68 Euro
2004 Blanc de blancs
100 Prozent Chardonnay ausschließlich von Grand Cru-Lagen, dabei sagenhafte neun Jahre auf der Hefe gelegen: Grüner Apfel und Limetten in der Nase, dazu Weißbrotkruste mit Anklängen von Ingwer, Pfirsich und einem Hauch von Honigmelone, kernige, kristalline Säure, cremige Textur, klassisch-elegant.
Bewertung: 93 Punkte
Preis: ab 74 Euro
2002 Sir Winston Churchill Ganz großer Jahrgang: Aus der genauen Zusammensetzung dieses Champagners macht Pol Roger ein Geheimnis, doch dürfte diese Luxus-Cuvée einen hohen Anteil Pinot Noir enthalten (man spricht von mindestens 80 Prozent). Wieder sehr zitruslastig im Bouquet, aber im Hintergrund diesmal Teeblüten, Sahnekaramell, geröstete Pinienkerne, auf der Zunge spielerisch-leicht mit packender Säure, einem Hauch von Apfelstrudel, saftig, körperreich – auch nach elf Jahren Hefelager sehr frisch und noch ziemlich zurück in der Entwicklung.
Bewertung: 96 Punkte
Preis: ab 120 Euro
2000 Sir Winston Churchill
Eine große Überraschung: die augenblicklich eindrucksvollste Churchill-Cuvée, exotisch-voll, reich, gut entwickelt mit kupferrotem Schleier, reifer Apfel, Grapefruit, Gummi, Honigmelone, dazu viel Brioche und eine rassige Säure – lebendig und rassig, abgeklärt auf der anderen Seite. „Ein exzentrisches Vergnügen“ würde Churchill sagen.
Bewertung: 95 Punkte
Preis: ab 150 Euro
1999 Sir Winston Churchill Kühler Jahrgang in der Champagne, entsprechend frisch und knackig dieser Champagner, Kuchenaromen, Ingwer, Hefe, großer Spannungsbogen, viel Finesse, aber mäßig cremig und vielleicht etwas zu schlank geraten.
Bewertung: 94 Punkte
Preis: ab 160 Euro
Bezug: Die Pol Roger-Champagner werden importiert von der CWD Distributionsgesellschaft.