Im Labyrinth des Weins
Die Weingesetze sollen dem Verbraucher Sicherheit über die Herkunft des Weins geben und eine Mindestqualität garantieren. Tatsächlich sind die Weingesetze ein Labyrinth – zumindest in Europa. Ihre Logik erschließt sich nur noch Verwaltungsbeamten und Statistikern.
Wein wird in den Ländern der Europäischen Union (EU) in zwei Kategorien eingeteilt: Tafelwein und Qualitätswein. Qualitätsweine bilden die Spitze der Weinhierarchie. In der Regel sind die besten Anbaugebiete jedes Landes ausersehen, um Qualitätsweine zu produzieren. Damit ein gewisser Standard an Qualität und Typizität gewährleistet ist, hat jede Region für sich mehr oder weniger präzise Vorschriften erlassen. Tafelweine stellen hingegen die untere Stufe der Qualitätspyramide dar. An sie werden nur sehr niedrige Anforderungen gestellt. Ein großer Teil der Tafelweine wird erst gar nicht in Flaschen gefüllt, sondern fassweise gehandelt, um später in Korbflaschen, Großgebinden, Kartonverpackungen oder im Schlauch auf den Markt zu kommen.
Die Qualitätsweine
Sie sind immer an eine bestimmte weinbauliche Region gebunden. Die Trauben müssen aus einem klar definierten Anbaugebiet kommen. Deshalb steht auf ihrem Etikett häufig V.Q.P.R.D.: Vin de Qualité Produit dans les Régions Déterminées. Zu deutsch: Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete. Für Qualitätsweine gelten in der EU bestimmte allgemeine Vorschriften:
- In der Regel beträgt der natürliche Mindestalkoholgehalt 8,5 Vol.%.
- In den meisten Anbaugebieten ist eine Aufbesserung (Chaptalisierung) um maximal 2,5 Vol.% erlaubt.
- Die Entsäuerung des Weins ist ebenso gestattet wie die Säurezugabe (Azidifikation), allerdings nicht bei gleichzeitiger Chaptalisation.
- Die Weinzusatzstoffe sind genau festgelegt (z. B. Schwefel, Bentonit).
- Das Maß an flüchtiger Säure, das ein Wein aufweist, darf 1,2 Gramm pro Liter nicht übersteigen.
- Qualitätsweine dürfen nicht mit Weinen außerhalb der EU verschnitten werden.
Darüber hinaus hat jedes Qualitätswein-Anbaugebiet eigene Bestimmungen erlassen, die nur für seine Weine gelten. Sie enthalten zum Beispiel Vorschriften über
- die zugelassenen Traubensorten,
- die maximale Traubenmenge pro Hektar,
- den Mindestalkoholgehalt,
- den Mindestsäuregehalt,
- die Mindestausbauzeit,
- den frühesten Zeitpunkt der Vermarktung.
Italien und Spanien haben die Qualitätsweine noch einmal in besonders qualifizierte beziehungsweise garantiert kontrollierte unterteilt. Frankreich und die anderen Weinnationen verzichten auf jede Unterteilung.
Die Prädikatsweine
Deutschland und Österreich haben ihre Qualitätsweine noch unterteilt in Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete und in Prädikatsweine. Die Eingruppierung richtet sich ausschließlich nach dem Mostgewicht. Für Prädikatsweine gilt, dass ihr Alkoholgehalt nicht durch Zucker angereichert werden darf. Frankreich und Italien haben die Kategorie der Qualitätsweine statt dessen nach unten erweitert. Weine aus größeren, weniger berühmten Anbaugebieten können in Frankreich den Status V.D.Q.S. (Vin Délimité de Qualité Supérieure) erlangen. Nach diesem Vorbild hat auch Italien 1996 die Kategorie I.G.T. geschaffen (Indicazione Geografica Tipica). Dass diese Weine qualitativ tatsächlich über den Tafel- bzw. Landweinen und unter den Qualitätsweinen anzusiedeln sind, ist damit natürlich noch nicht gesagt.
Die Tafelweine
Sie bilden die unterste Kategorie in der Weinhierarchie der EU. An sie werden die geringsten qualitativen Anforderungen gestellt. Sie stammen meist aus großen Massenanbaugebieten Frankreichs, Italiens und Spaniens, aber auch aus weinbaulich wenig geeigneten Zonen Deutschlands und Österreichs oder aus solchen, die zu gar keinem Qualitätswein-Anbaugebiet gehören. Für Tafelwein gelten folgende Anforderungen:
- Er darf aus allen für den Weinbau geeigneten Zonen der EU stammen.
- Es existieren keine gesetzlichen Mengenbeschränkungen für die Traubenproduktion im Weinberg.
- Das Mindestmostgewicht liegt bei 50 Grad Öchsle.
- Der Mindestsäuregehalt pro Liter liegt bei 4,5 Gramm.
- Die Chaptalisierung ist erlaubt.
- Alle in der EU empfohlenen Traubensorten sind zugelassen.
- Verschnitte zwischen Weinen aus EU-Ländern sind möglich.
- Weder Jahrgang noch Rebsorte(n) müssen auf dem Etikett erscheinen.
Die Landweine
Etwa 65 Prozent der europäischen Weinproduktion bestehen aus Tafelwein. Ein großer Teil davon ist unverkäuflich. Rund ein Viertel des Tafelweins muss darum jedes Jahr aus dem Markt genommen und zu Industriealkohol destilliert werden. Um mehr vermarktungsfähige Tafelweine zu erhalten, hat die EU 1973 eine Zwischenkategorie geschaffen: die Landweine. Sie sollen die Elite der Tafelweine sein. Sie kommen aus festgelegten Großregionen (oder Ländern bzw. Départements), ihre Traubensorten sind genau definiert, sie müssen mindestens 0,5 Vol.% mehr aufweisen als Tafelweine und durchweg trocken ausgebaut sein: süffige, schmackhafte und preiswerte Alltagsweine. Frankreich erzeugt fast 20 Prozent Landweine, bei anderen Nationen hat sich der Landwein nicht durchgesetzt.
Neue Welt
In den Ländern außerhalb Europas ist der Weinbau weniger stark geregelt. Die USA haben seit 1983 über hundert Ursprungsgebiete für ihre Weine definiert (American Viticultural Areas, AVA), aber ohne dass damit Produktionsvorschriften verbunden wären, etwa Mengenbegrenzungen der Traubenproduktion. Ansonsten gibt es nur die Unterscheidung zwischen Table Wine (alle Weine bis 15,9 Vol.%), Dessert Wine (ab 16 Vol.%) und Sparkling Wine (schäumend). Dafür gibt es bestimmte Etikettenvorschriften: 85 Prozent des Weins müssen von der Rebsorte stammen, die auf dem Etikett angegeben ist. Gleiches gilt für Australien, während es in Südafrika und Chile nur 75 Prozent sein müssen. Vorschriften für die Begrenzung der Traubenproduktion existieren nicht. Chaptalisation ist in allen diesen Ländern verboten (in Neuseeland gestattet), die Säurezugabe (Azidifikation) hingegen ist erlaubt.