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GG 2020 und 2019: in Extrakt gebadet

Um es vorweg zu nehmen: 2020 war für die Winzer kein einfaches Jahr. Die Menge der geernteten Trauben lag zum zweiten Mal hintereinander deutlich unter dem Durchschnitt. Für den Wein hingegen war 2020 ein sehr gutes Jahr. Die Lese begann früh und endete relativ früh. Die Trauben waren kerngesund. Im Oktober gab es stellenweise Regen, zum Beispiel an der Mosel. Aber 2020, das steht fest, ist das dritte große Jahr in Folge, auch wenn es hinter vorgehaltener Hand zugegeben wird: 2019 war qualitativ das etwas bessere Jahr. Die 2019er GG  hatten mehr Spannung, mehr Facetten, zeigen mehr Feinheiten, während die 2020er oft etwas „dicker“ sind. So viel zur allgemeinen Jahrgangseinstufung.

Über die Hälfte der GG kommen vom Riesling

Der Riesling dominiert naturgemäß bei den GG. Von den 612 Weinen, die in Wiesbaden präsentiert wurden, waren 353 Riesling GG. Ich habe nicht alle probieren können, sondern mich diesmal auf den Rheingau konzentriert – ein Anbaugebiet, dass nach meinem Eindruck in den letzten zehn, 15 Jahren etwas ins Hintertreffen geraten ist und nicht die Dynamik gezeigt hat, wie sie zum Beispiel Rheinhessen an den Tag gelegt hat. Dazu werde ich in den nächsten Wochen an dieser Stelle einen detaillierten Degustationsbericht veröffentlichen. Außerdem habe ich die GG vom Spätburgunder intensiv verkostet, und zwar die aller Anbaugebiete. Ein ausführlicher Report kommt in Kürze.

Mosel: Clemens Busch und Maximin Grünhaus

Natürlich habe ich auch über die Spätburgunder und die Rheingauer Rieslinge hinaus querbeet verkostet. Mein Fazit: Es gibt keine einzelne Weinregion, die besonders gut oder besonders schlecht abgeschnitten hat. Die (oft beträchtlich großen) Unterschiede zwischen den verschiedenen GG basieren stark auf der Individualität der Winzer beziehungsweise der Weingüter, wobei es in den Ranglisten keine großen Moves gibt. Im Großen und Ganzen gilt: Die Top-Weingüter von gestern sind auch die Top-Weingüter von heute. An der Mosel möchte ich zwei Weingüter herausheben, die eine besondere lobende Erwähnung verdienen. Erstens Clemens Busch aus Pünderich. Seine Weine erfreuen sich seit Jahren hoher Wertschätzung bei Kritikern. Ich habe sie nicht immer verstanden. Sie waren mir zu ungestüm, zu widerborstig, und die Lobgesänge der Kollegen führte ich ein bisschen auch auf Sympathie für Buschs biodynamischen Ansatz zurück. Jetzt weiß ich, dass die Kollegen Recht hatten. Buschs GG vom „Falkenlay“ und vor allem vom „Fahrlay“ gehören unbestreitbar zu den individuellsten, Terroir-treuesten und somit besten Moselweinen (beide 94). Der zweite Betrieb, dessen Weine mich begeistert haben, ist Maximin Grünhaus. Sein „Abtsberg“ brilliert in 2020 nicht nur mit kühler Präzision, sondern strahlt auch Wärme und wartet mit hoher physiologischer Reife auf (94). Ansonsten erweist sich Thomas Haag von Schloß Lieser mit seinem „Niederberg Helden“ wieder einmal als Meister des trockenen Moselweins (95). Ähnlich gut auch Bruder Oliver vom Weingut Fritz Haag, dessen „Juffer Sonnenuhr Im Falkenberg“ allerdings nicht frei verkauft wird, sondern in die VDP-Onlineversteigerung am 13. November geht und dort, so vermute ich, die 100 Euro-Grenze knacken wird.

©VDP

Nahe: Die neuen sind die alten Stars

Nichts Neues an der Nahe. Heißt: sehr gute Qualitäten bei fast allen Winzern, wobei Dönnhoffs GG von der „Brücke“, das mir im letzten Jahr ein paar Kopfschmerzen bereitet hatte, in 2020 bestechend ist. Genießbar ist es freilich noch nicht, aber man spürt den Druck am Gaumen. Middle Palate würden die Amerikaner jubeln. Der Wein geht ebenfalls in die Versteigerung. An der unteren Nahe setzt Caroline Diel ihren schon 2018 und 2019 deutlich erkennbaren Steigflug fort. „Goldloch“ und „Pittermännchen“  sind in 2020 charismatische Weine (94 und 94+), ihr „Burgberg“ wird erst nächstes Jahr freigegeben. Etwas unterschätzt scheint mir der Nachbar Kruger-Rumpf. Sein GG vom „Burgberg“ führt die Phalanx der seiner GG an und notierte bei mir mit 94+.

Rheinhessen: Wittmann bestechend

Franken habe ich diesmal ausgelassen. Die Zeit war einfach zu kurz, um alles zu probieren. Und im letzten Jahr hatte ich mich schon ausführlich mit den GG vom Silvaner befasst. Auch bei der Pfalz musste ich passen. Sie bot mit 121 Weinen die größte Anzahl von GG bei der Wiesbadener Vorpremiere auf. Sie alle zu probieren hätte zwei ganze Tage gekostet. Ging nicht. Dafür habe ich die GG aus Rheinhessen genauer unter die Lupe genommen. Wittmann aus Westhofen hat eine bestechende Kollektion vorgelegt mit dem „Brunnenhäuschen“  an der Spitze (96) und Morstein (95), Kirchspiel (95) und Aulerde (94) knapp dahinter. Alle vier GG sind weder überladen noch fett, sondern sehnig mit wenig Frucht, viel Hefe-Reduktion und feinster Textur. Sie zeichnet alle Wittmann-Weine aus und macht, dass man sie notfalls auch in diesem (viel zu jungen) Stadium schon genießen kann. Wer allerdings aus langjähriger Trinkerfahrung weiß, wie diese Weine nach 10 oder 15 Jahren schmecken, dem fällt es leicht, sich diesbezüglich zu bremsen. Wittmans exklusivster Wein, der 2020er „La Borne“ von alten Reben aus den beiden obersten Terrassen vom „Morstein“, ist spektakulär (97). Die Maischestandzeit wurde verkürzt, um den Wein filigran zu halten. Außerdem fällt dem aufmerksamen Weintrinker auf, dass der „La Borne“ in seiner Aromatik sowohl gelbe als auch grüne Elemente aufweist, was die Spannung verstärkt (gilt im Übrigen auch für die anderen GG, wenngleich nicht so ausgeprägt).

Atemberaubend: Battenfeld-Spanier und Keller

Nochmal eine Schippe draufgelegt hat Battenfeld-Spanier, dessen GG in 2020 viel schnörkelloser sind als in früheren Jahren, kompromisslos trocken und so leicht, als hätten sie Flügel. Das „Kirchenstück“ und der „Zellerweg am Schwarzen Herrgott“ liegen für mich gleichauf (beide 95), wobei ich den „Zellerweg“ wegen seiner markanten, ja fast bizarren schmauchig-salzigen Aromatik persönlich vorziehe. Aber das ist Geschmackssache. Wagner-Stempel kommt mit seinem Heerkretz-GG meiner Meinung nicht ganz an den 2019er heran: wärmere Gelbfrucht-Aromen überlagern die Mineralik, die Säure ist nicht so stramm wie im Vorjahr. Ergo: weniger Spannung (93). Aber vielleicht ist es für ein Urteil noch zu früh. Der Wein ist derzeit völlig verschlossen. Klaus-Peter Keller hat diesmal keine GG vom Riesling angestellt, weil ihm der Zeitpunkt der Präsentation zu früh erschien. Aber seine 2020er sind schon auf der Flasche, und ich hatte Gelegenheit sie außerhalb der Vorpremiere zu verkosten. Die Erkenntnis: derselbe (hohe) Level wie 2019, wobei Kellers Stilistik atemberaubend ist. Dass man mit 12 bis 12,5 Vol.%, die seine GG aufweisen, solch komplexe Weine erzeugen kann, ist für mich ein kleines Wunder: das „Kirchspiel“ geschmeidig und ungeheuer aromentief mit viel dunkler Mineralität (96), Hubacker mit den typischen Feuersteinnoten und, wie ich mir einbilde, einer etwas stärker ausgeprägter Frucht als im Vorjahr (96). Den Vogel schießt in 2020 der Abts E ab: ein extrem filigranes GG, fast schwerelos mit hellen Zitrusnoten und flintig-rauchigem Unterton – ein 1000 Volt-Wein, für den ich tief in die Punktekiste greife (98). Übrigens: Der normale Rieslingliebhaber wird mit diesen Weinen wenig anfangen können. Sie sind für Extremweintrinker gemacht, die den ultimativen Riesling-Kick suchen.

Roter Hang: Kühling-Gillot und Gunderloch

Exzellente Qualitäten gibt es am Roten Hang, aber ebenfalls keine Überraschungen. Schätzel, Gunderloch, St. Antony, Kühling-Gillot, Gunderloch und auch der Rappenhof – sie alle haben in 2020 sehr gute Weine abgeliefert. Allerdings mussten, wie zu erfahren war, die Reben gegen die Trockenheit kämpfen. Entsprechend gering waren die Erträge. Überragend sind hier zwei Weine: ein dramatischer „Pettenthal“ von Kühling-Gillot (95) und der „Fenchelberg“ von Gunderloch, der förmlich in Extrakt badet (95). Die Trauben für letzteren kommen aus der obersten Terrasse des „Rothenbergs“, Gunderlochs Spitzenlage, und wurden bis zu drei Wochen später gelesen als das reguläre GG vom „Rothenberg“ (94), das mit nur 11,5 Vol.% das leichteste GG vom Roten Hang, vielleicht in ganz Deutschland ist. So gesehen, ist der „Fenchelberg“ mit seinen 13 Vol.% der „altmodischere“ Riesling. Ich finde allerdings, dass „altmodisch“ keine Kategorie ist. Einen Montrachet lässt man ja auch nicht stehen, nur weil er 13 oder 14 Vol.% hat. Übrigens ist die Menge des „Fenchelberg“ so gering, dass auch dieser Wein nicht frei verkauft wird, sondern ebenfalls in die VDP-Versteigerung geht. Nicht in der Vorpremiere angestellt waren Kühling-Gillots „Rothenberg Alte Reben“ sowie Kellers „Hipping“ und „Pettenthal“. Letzteren konnte ich dennoch verkosten: exotische Fruchtnoten, dominierende Schiefermineralik, extreme Finesse bei einem Ertrag von 15 Hektliter/Hektar (98).

Weißburgunder querbeet

Verlassen wir die Riesling-Welt. Deutschland hat auch andere meisterliche Weißweine. Für Weißburgunder, Grauburgunder und Chardonnay sind – regionsabhängig – ebenfalls Große Lagen definiert worden. Damit ist der Boden für Große Gewächse gelegt. Beim Weißburgunder sehe ich Bergdold aus der Pfalz mit seinem 2019er GG vom „Mandelberg“ vorn: ein Wein wie ein Sixpack, so muskulös und sehnig (94). Der 2020er „Mandelberg“ liegt einen Punkt darunter. Es folgen die Kaiserstühler Friedrich Keller mit seiner 2019er „Bassgeige Leh“, Dr. Heger mit seinem 2019er „Winklerberg Hinter Winklen Gras im Ofen“ und Konrad Salwey mit zwei bemerkenswerten 2018er GG vom „Steingrubenberg“ und vom „Kirchberg“ (alle 93). Eine sichere Weißburgunder-Bank waren und sind in 2020 wieder die Pfälzer Dr. Wehrheim und Rebholz mit ihren GG vom „Mandelberg“ sowie Boris Kranz („Kalmit“), alle 93.

Baden: Grauburgunder aus der Langweiler-Ecke rausgeholt

Beim Grauburgunder trauten sich nur sechs Betriebe aus der Deckung, was insofern schade ist, als die Sorte fast nur noch für mehr oder minder banale Alltagsweine benutzt wird und dann meist auch noch wie ein Riesling vinifiziert wird. So kann der Grauburgunder nicht zeigen, was seine Besonderheit ausmacht: Power auf der einen Seite und Feinheit bei moderater Säure auf der anderen (ein Phänomen, das noch häufiger im Elsass zu beobachten ist, wo trockene Pinot Gris aus Grands Crus inzwischen eine Rarität sind). Den überzeugendsten Grauburgunder zeigte in Wiesbaden Konrad Salwey mit seinen beiden GG vom „Eichberg“ und vom „Henkenberg“: beide, wie es sich gehört, mit kupferfarbenem Schimmer und stoffig-mineralisch mit zarten Bratbirnentouch, wobei der „Eichberg“ wilder (95), der “Henkenberg“ disziplinierter ist (94). Es gäbe in Baden noch weitere Grauburgunder auf diesem Niveau. Aber die entsprechenden Weingüter sind nicht Mitglied im VDP oder stellen, wie das Lahrer Weingut Wöhrle, nicht an. Schade. Wöhrles 2019er GG von der „Kirchgasse“ (95), das ich außerhalb der Vorpremiere verkostet habe, hat wahrhaftig das Zeug, den Grauburgunder aus der Langweiler-Ecke herauszuholen.

Der neue deutsche Chardonnay-Approach

Bleibt noch Chardonnay. Die Sorte erfreut sich mit steigenden Temperaturen bei den Winzern in fast allen Anbaugebieten Deutschlands wachsender Beliebtheit. GG-Status hat die Sorte aber nur in Baden, was meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß ist. Der aufregendste Chardonnay kommt derzeit von Aldinger aus Württemberg, wo der Wein nur eine Erste Lage sein darf. Auch aus der Pfalz und aus Rheinhessen kommen Chardonnays, die an Bedeutung und Gewicht durchaus GG-Charakter haben. Mehr noch: die spezifisch „nordische“ Stilistik der deutschen Chardonnays (mit Teil-Malo, Bâtonage-Verzicht und moderatem Holzeinsatz) bietet einen scharfen Kontrast zu den Chardonnays aus wärmeren Gefilden der Welt, was sie für ein internationales Publikum interessant machen könnte (Vergleiche mit Meursault & Co. sind daher völlig unangebracht). Baden ist als wärmstes Anbaugebiet deutlich privilegiert für die Sorte. Die Messlatte dort legt Julian Huber. Er besitzt die ältesten Chardonnay-Reben, und sie stehen bei ihm in allerbesten Lagen. Sein 2019er Chardonnay aus der Terrassenlage „Schloßberg“ besitzt, bei aller Struktur, eine vibrierende Frische, die verhindert, dass der Wein behäbig oder schwerfällig wird (95). Sein „Bienenberg“ ist etwas ungestümer, wartet aber mit ähnlicher Stilistik auf (94). Nachbar Friedrich Kellers „Kirchberg“ tendiert in die gleiche Richtung, besitzt aber nicht ganz die Substanz der Huber-Gewächse (93). Hegers 2019er Chardonnay „Winklerberg Hinterer Winklen Gras im Ofen“ besitzt weniger Hefe-Reduktion und weniger Neuholz, ist aber sehr homogen und beeindruckt mit ausgeprägter Cremigkeit (93).

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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