Dienstag, Dezember 10, 2024
0.6 C
München
spot_img

Guardiola, der Wein: hängende Spitze

Der Fußballtrainer des FC Bayern München heißt mit Vornamen Pep und ist ein Katalane. Der Wein heißt zwar auch Guardiola, hat aber keinen Vornamen und kommt auch nicht aus Katalonien. Guardiola ist der Name einer Lage hoch oben am Vulkan Ätna auf Sizilien. Bis vor zwölf Jahren hielten sich dort oben nur Hirten mit ihren Schafen und Ziegen auf, bis plötzlich ein Fremder kam und Reben pflanzte. Erst rote, ab 2002 auch Chardonnay. Der Fremde hatte eine Vision: in dieser Lavawüste große Weine zu erzeugen.

Von seinem Chardonnay sind bisher fünf Jahrgänge erschienen. Kürzlich ist ist der sechste freigegeben worden: der 2011er Guardiola. Was für ein Wein! Üppig und reich, dabei hochmineralisch, rauchig, von feinen Zitrusaromen durchzogen und kristalliner Säure geädert. Ein Chardonnay der ganz anderen Art, nicht holzbetont, nicht röstig-schokoladig, sondern pur. Er wurde nicht im Fass, sondern in großen Zementzisternen vergoren und ausgebaut.

Sizilianischer Montrachet? Quatsch!

Der Vulkan ÄtnaDie engliche Weinzeitschaft Decanter nannte ihn den „sizilianischen Montrachet“. Das ist natürlich Quatsch. Auf Sizilien wächst kein Wein, der den großen Burgundern Konkurrenz macht – auch wenn es Journalisten in Italien gibt, die davon träumen. Und manchmal auch davon schreiben, unter anderem für englischsprachige Weinzeitschriften. Die wenigsten von ihnen haben je einen Montrachet getrunken.

Sei’s drum: Der 2011er Guardiola hat das Zeug zu einem großen Wein. Groß in dem Sinne, dass er vielschichtig, komplex und charakterstark ist. Kurz: unverwechselbar. Dass er normalen Weißweintrinkern schmeckt, bezweifle ich. Die vermissen an ihm die knackige Frucht und die Rasierwasserfrische. Mit erdig-rauchiger Mineralität können die wenigsten etwas anfangen. Und 26,50 Euro würden sie für einen Wein sowieso nicht ausgeben.

Ein Wein für Liebhaber von besonderen Terroirs

LavagesteinDer Guardiola ist ein ganz eigener Typ. Das hat er mit dem gleichnamigen Fußballtrainer gemein. Sein Potenzial hat er noch nicht ausgespielt, bleibt also hinter seinen Möglichkeiten zurück. Hängende Spitze könnte man sagen, um im Fußballjargon zu bleiben. Aber der Guardiola lässt bereits ahnen, was in ihm steckt. Leute, die gerne Chassagne-Montrachet, Coulée de Serrant oder große deutsche Terroir-Rieslinge wie die von Battenfeld-Spanier oder Emrich-Schönleber trinken, werden ihn zu schätzen wissen. Sie wissen aus Erfahrung, dass man Geduld haben muss, um zum ganz großen Genuss zu kommen.

Die Lage Guardiola liegt in rund 1.000 Metern Höhe nahe der Vegetationsgrenze. Der Untergrund besteht aus schwarz-grauem Vulkangestein. Erstarrte Lava. Die natürliche Vegetation, das sind Brombeeren, Kakteen, Ilex und andere Stachelsträucher. Vereinzelt wächst ein wilder Feigenbaum in dieser apokalyptischen Landschaft, in der es fast immer ein bisschen nach Rauch und Schwefel riecht. Der Ätna ist ein hochaktiver Vulkan. Selbst wenn er kein Feuer speit, steht über seinem Krater oft eine feine Rauchschwade.

Solche Weine kann nur ein Quereinsteiger produzieren

Andrea Franchetti
Andrea Franchetti

Der Fremde, der dort oben Reben pflanzte, heißt Andrea Franchetti. Ein Quereinsteiger und Außenseiter, der mit der italienischen Weinszene nicht viel zu tun hat. Er ist heute 65, lebt in Rom oder zurückgezogen auf seinem Weingut Tenuta di Trinoro in der einsamen südlichen Toskana. Eine förmliche Ausbildung in Önologie besitzt er nicht, was allerdings nicht verhinderte, dass er auch schon als Berater in Bordeaux angeheuert wurde. Mit Jean Luc Thunevin von Valandraud verbindet ihn zum Beispiel eine enge Freundschaft.

Dabei war ihm der Wein nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater kommt aus dem Trentino und hat sein Leben nichts anderes getan als Bergsteigen. Seine Mutter ist Amerikanerin. Nach dem Abitur war Andrea mit dem Fahrrad durch Afghanistan gefahren und hatte sich seinen Lebensunterhalt damit verdient, dass er Reiseberichte für italienische Zeitungen schrieb. Später arbeitete er als Filmkritiker. In New York versuchte er sich zeitweise als Weinverkäufer. Doch am Ende, erzählte er mir einmal, waren seine Restaurantrechnungen höher als seine Provisionen.

Name des Ätna-Weinguts: Passopisciaro

Irgendwann erbte Franchetti ein Bild des berühmten amerikanischen Künstlers Cy Twombly. Er verkaufte es und baute mit dem Erlös die Tenuta di Trinoro auf. Sie liegt in einem der verlassensten Winkel der Toskana, in dem noch nie in den letzten 2.000 Jahren Reben gestanden haben. Heute erzeugt er dort aus Cabernet franc-Trauben einen der besten (und teuersten) Rotweine Italiens.

Rebenlandschaft bei Passopisciaro2000 hatte Franchetti die Vision, Wein am Ätna zu produzieren. Er gründete ein zweites Weingut an der kühlen Nordflanke des Vulkans. Der Name: Passopisciaro. Sieben Parzellen erwarb er dort und bepflanzte sie mit Nerello Mascalese, einer lokalen Rebsorte. Sie ergibt mittelgewichtige, expressiv fruchtige Rotweine, die durchaus einzigartig sein können, wie das Beispiel seiner Weine zeigt. Ob die Nerello Mascalese deswegen die Pinot Noir Italiens ist, wie die schreibende Weinzunft des Landes beschwört, ist eine andere Sache.

Kühlster Fleck in einer warmen Gegend

2004 pflanzte Franchetti in einer achten Parzelle zusätzlich Chardonnay. Er wusste nicht, was für ein Wein dort entstehen würde. Niemand vor ihm hatte diese Sorte je am Ätna gepflanzt. Er war jedoch fest überzeugt, dass, wenn irgendwo in Italien ein interessanter, spannender Weißwein erzeugt werden könne, es am Ätna sein müsse: am kühlsten Fleck einer sehr warmen Gegend.

Das Resultat ist der Guardiola. Auch der ernst zu nehmende Teil der internationalen Weinkritik zollt ihm Respekt. Antonio Galloni, der (bis vor Kurzem) die italienischen Weine für Parker begutachtete, nennt den 2011er „grandios“ und gibt ihm 91 Punkte, andere bescheinigen ihm, dass noch reichlich Luft nach oben ist.

Der Wein


Etikett 2011 Guardiola Bianco Sicilia2011 Guardiola Bianco Sicilia | Passopisciaro
Bewertung: 91/100 Punkte
Preis: 26,50 Euro
Bezug: Superiore.de


- Anzeige -spot_img

2 Kommentare

- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img