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GG Spätburgunder 2013: Pfalz, Rheingau, Rheinhessen, Mittelrhein

Mit einer Selbstverständlichkeit wird in Deutschland inzwischen Rotwein gemacht, wie es sie vor fünf oder zehn Jahren noch nicht gab. Die zweite Generation der Winzer bringt ebenso viel, teilweise noch mehr Leidenschaft mit, als ihre Väter sie besaßen.

Nie wurde so viel getüftelt, so viel querprobiert wie heute. Und immer ausgeklügelter sind die Verfahren, mit denen sie die kapriziöse Sorte Pinot Noir in einen guten Spätburgunder verwandeln. Das ist zumindest mein Eindruck, den ich nach der Verkostung der Großen Gewächse 2013 gewonnen habe (viele haben jetzt erst ihre 2012er, einige sogar 2011er und 2010er freigeben).

Weniger Holz, mehr Eiche

Erfreulich ist es auch zu sehen, wie viel Vertrauen die Winzer in die Frucht dieser Sorte setzen. Sie stützen sich nicht mehr blind auf die Krücke der Eiche, also den Barrique-Ausbau. Sie fahren den Holz-Ausbau eher wieder zurück, um die Frucht zu erhalten. Ausnahmen gibt es, sicherlich, aber diese bestätigen die Regel.

Im September und im November letzten Jahres habe ich mich mit den Spätburgundern aus Württemberg und Baden sowie von der Ahr auseinandergesetzt. Jetzt geht es um die Großen Gewächse von Pfalz, Rheingau, Mittelrhein und Rheinhessen. Dass unter ihnen Weine von Weltklasse sind, steht für mich außer Zweifel – aber wie kommuniziert man das den Konsumenten, vor allem im Ausland?

Individualität gestatten – das ist der Schlüssel

Rotschiefer am Niersteiner Hang
Rotschiefer am Niersteiner Hang

Die Vielfalt der Stile ist atemberaubend, die Vielfalt der Herkünfte hundertfach: Der Spätburgunder in Deutschland zieht sich über vier Breitengrade hin und über jede erdenkliche geologische Formation – dazu kommen noch Jahrgangsvariation, Klone, Unterlagsreben, Bodenbeschaffenheit und Winzerhandschrift – wie kann es da eine stilistische Einheit geben? Man kann den deutschen Pinot ebenso wenig wie den deutschen Riesling in eine Schublade stecken. Im Gegenteil, es geht darum, diese Vielfalt, diese Individualität in jeder ihrer Nuancen zu feiern. Befreien wir uns von dem Zwang alles zuordnen zu müssen, leben und trinken wir mit pluralistischem Herzen.

 

Große Gewächse Spätburgunder Pfalz


Ort Lage Jahrgang Weingut Beschreibung Punkte
Königsbach Idig 2012 2012 A. Christmann Wunderbar aromatische Frucht vom immensem Charme. So duftend mit floralen Tönen über Johannis- und Preiselbeere. Bezaubernd, poetisch – wenn nicht alles so elegant wäre, könnte man sagen, die Frucht schlägt Purzelbäume. Die Reintönigkeit und Ausgewogenheit sind ein seltener Triumph. 94+
Laumersheim Steinbuckel 2012 2012 Philipp Kuhn Neue Eiche gibt den Ton an, aber die Frucht, die darunter liegt, erinnert unheimlich an Holunderbeere, rote Kirschen und rote Johannisbeeren. Der Wein befriedigt und stillt, er wirkt vollkommen, abgerundet und elegant, irgendwie ist alles im Einklang. 94+
Siebeldingen Im Sonnenschein 2010 2010 Ökonomierat Rebholz Ganz sanftes Parfüm, Kirsch- und Eichennoten vereinen sich. Der Gaumen ist weich und geschmeidig, Alkohol ist spürbar, aber eingestrickt. Hohe Töne sind vernehmbar – der 2010er Jahrgang ist zu einer eleganten Schönheit gereift. (NB: Diese Flasche war bezaubernd – am Folgetag mussten Kollegen zweimal wegen Oxidation neue Flaschen öffnen lassen). 94+
Duttweiler Kalkberg 2013 Bergdolt – St. Lamprecht Wunderbar reine Frucht, alles in einer Harmonie aus schwarzen Johannisbeeren, die ganz sacht nur die roten Johannisbeeren und herben Preiselbeeren berühren. Die Frucht ist nicht von der Eiche getrübt, sehr ausdrucksstark, wenn auch der Alkohol spürbar ist. 94
Birkweiler Kastanienbusch „Köppel“ 2012 2012 Dr. Wehrheim Reine Frucht, rein aromatisch von Holunderbeeren gezeichnet. Subtil und zurückhaltend, ehrlich und ungezwungen elegant. Präzision und Schönheit. 94
Laumersheim Kirschgarten 2011 2011 Knipser Straff und ausgewogen, nicht gezwungen oder gedrungen, sondern voller Reife und Kraft – aber auf eleganteste Art und Weise. Auch wenn die Eiche derzeit noch laut zu hören ist, so wird sich dieser Wein noch lange entfalten. 94
Großkarlbach Im Grossen Garten 2011 2011 Knipser Wunderbar reine Frucht, schon beschwichtigt und erwachsen, nicht mehr wild, sondern jetzt sanft und üppig, nahezu international im Stil, aber bezaubernd. 94
Dirmstein Mandelpfad 2011 2011 Knipser Straff und schlank – momentan wohl in einer geschlossenen Phase, aber mit eleganter Struktur. Der Alkohol ist spürbar, der Wein aber ist noch nicht trinkreif. 93
Schweigen Sonnenberg „Rädling“ 2013 Bernhart Neue Eiche in der Nase, aber am Gaumen freudige, pfeffrige, ehrliche Frucht. Alkohol ist eher warm, aber der Wein selbst am Gaumen ist schlank und voller Freude. 92
Godramstein Münzberg „Schlangenpfiff“ 2012 2012 Münzberg – Lothar Keßler & Söhne Fleischige, wenig definierte Frucht ohne Fokus. 88

Große Gewächse Spätburgunder Rheinhessen


Ort Lage Jahrgang Weingut Beschreibung Punkte
Westhofen Brunnenhäuschen 2012 2012 Gutzler Noten von neuem Holz schweben in die Nase – aber der erdige Rebcharakter scheint hindurch. Die Gutzlers lassen einfach die Trauben sprechen: Die Reintönigkeit der Frucht singt, da ist Poesie und Eleganz, aber auch etwas ganz Tiefgründiges, Seriöses und Länge. Alles ist am Platze bei dieser schlanken, eleganten Figur. Wundervoll. 94+
Nierstein Paterberg 2013 St. Antony Aromatischer Auftakt von Holunderbeere und roter Kirsche. Nichts ist erzwungen oder überarbeitet. Die würzige Frucht spielt schön um die straffe, lineare Säure. Holunderfrucht steht im Rampenlicht. Hier ist Understatement und auch ein Augenzwinkern frecher Frucht. Äußerst animierend. 94
Oppenheim Kreuz 2013 Kühling-Gillot Reine rote Johannisbeerfrucht, ungezwungene Eleganz und wunderbare Leichtigkeit, der es nicht an Tiefe fehlt. Frucht spricht laut und klar und stützt sich auf grazile Struktur. Bravo. 94
Hohen-Sülzen Kirchenstück 2013 Battenfeld-Spanier Neue Eiche ist wahrnehmbar, bezwingt aber keinesfalls die überbordende Frucht. Weißer Pfeffer bringt Pfiff und Würze. Der Wein ist schlank und definiert, frisch und außerordentlich elegant. 94
Westhofen Morstein 2012 2012 Gutzler Zu Anfang dominiert noch Eichenduft, die Frucht setzt sich aber bald durch. Ein Kern immens reiner Frucht mit der herben Frische von Preiselbeeren und roten Johannisbeeren hellt alles auf. Schlank und elegant. 94
Westhofen Morstein 2012 2012 Keller Ungewöhnliche Noten von Lakritz tanzen über der Kirschfrucht. Da ist auch etwas Rauch. Absolut geschliffene Eiche trifft auf ebenso geschliffene Frucht – das Resultat erinnert nahezu an die neue Welt und der Wein braucht Zeit, um sich zu legen. Dass in seinem Inneren tiefe Frucht schlummert, ist zweifellos. Momentan steht aber Struktur (zu) eindrucksvoll im Vordergrund. 93
Ingelheim Schloss Westerhaus 2013 Schloss Westerhaus Eher dunkel im Anblick. Der Gaumen ist zurückhaltend und fein, straff und zart – und trotzdem eher maskulin. Aber viel eher Ballett als Heptathlon. Schöne Struktur auf dem Weg zu werdender Eleganz. 91
Ingelheim Pares 2013 J. Neus Der sauberen Frucht fehlt es an Definition. Nicht als GG überzeugend. 88

Große Gewächse Spätburgunder Rheingau


Ort Lage Weingut Beschreibung Punkte
Hochheim Stein Künstler Dunkle, rote Kirschen und reife Schwarzkirschen, aromatische, schöne Frucht. Am Gaumen sind die Kirschen von aromatischen Holunderbeeren durchwirkt – hinreißend. Holz ist eingebunden, Frucht ist rein und leuchtet, der Gaumen ist ganz ausgewogen, kein Alkohol sticht hervor – unheimlich charmant und auch sehr ehrlich. 94
Aßmannshausen Höllenberg Fritz Allendorf Ganz subtile, sanfte Aromatik mit einer Spur Holunderbeere, wunderbar balanciert auf einer aromatischen Hochebene mit schlanken Hüften und Schultern. Ein zarter Ausdruck von Spätburgunder – mutig weil die poetische Frucht so präsentiert ist wie sie ist. Resonant und aromatisch mit präziser Säure und wunderbarer Reintönigkeit. 94
Aßmannshausen Höllenberg Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach Leicht verwirrt an der Nase, es fehlt Fokus und Präzision. 87
Hattenheim Hassel Georg Müller Stiftung Viel zu extrahiert, viel zu undefiniert. 85
Rüdesheim Berg Schlossberg Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach Rauchig, aber nicht ausgewogen. 85
Martinsthal Wildsau Diefenhardt’sches Weingut Die Nase erinnert eher an eine Schreinerei als an Frucht. Es fehlt Definition. 80

Große Gewächse Spätburgunder Mittelrhein


Ort Lage Weingut Beschreibung Punkte
Bacharach Hahn Toni Jost – Hahnenhof Dunkel und üppig in Aspekt und Nase. Der Gaumen ist schlanker und hält das Versprechen der Nase nicht, aber zumindest ist er ehrlich. Alkohol am Abgang stört ein wenig. 88
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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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