Trotz der malerischen Mainschleife, der barocken Würzburger Residenz und der auf dem gegenüber liegendem Flussufer thronenden Marienburg – von Franken geht nicht ganz der Glanz aus wie von anderen deutschen Weinanbaugebieten. Doch weinbaumäßig haben die traditionell etwas betulichen Franken in den letzten zehn Jahren riesige Schritte nach vorn gemacht. Das Niveau von Silvaner und Riesling ist nicht nur bei den Spitzenproduzenten gestiegen. Auch Winzer aus der zweiten Reihe, die keine VDP-Mitglieder sind, warten teilweise mit außerordentlich guten und – besser noch – spannenden Weinen auf.
Nur die Hälfte der VDP-Güter in Wiesbaden dabei
Frankens VDP-Elite hat ihre Großen Gewächse vom Silvaner und Riesling des Jahrgangs 2019 und teilweise 2018 im letzten Sommer im Rahmen einer „Vorpremiere“ in Wiesbaden präsentiert – leider nicht alle. Johann Arnold, Wilhelm Arnold, Glaser-Himmelstoß, Zur Schwane, Schloß Sommerhausen haben gar nicht angestellt. Fürst Löwenstein war nicht dabei, weil seine 2019er und 2018er GG noch im Keller schlummern. Die Fürstin hat eben erst ihre 2016er GG freigegeben. Fürst Ferdinand Castell-Castell ist sogar noch bei den 2015ern. Die bürgerlichen Weingüter Rudolf Fürst in Bürgstadt und Höfler in Michelstadt erzeugen GG nur vom Riesling, nicht vom Silvaner, das Weingut Steintal nur vom Spätburgunder.
Franken ist ein Coup gelungen
Um es vorweg zu nehmen: Selten habe ich so gute Weine vom Main getrunken wie von den Jahrgängen 2018 und speziell 2019. Bei allem Respekt für das, was andere Weinbaugebiete in diesem Jahr geleistet haben: Nach meiner Meinung ist Franken 2019 ein Coup gelungen. Die Silvaner sind brillant, die Rieslinge waren noch nie so gut wie in diesen Jahren. Die außergewöhnliche Qualität des Jahrgangs lässt sich bis auf die Gutsweine herunterbrechen. Ich hoffe nur, dass die Frankenwein-Liebhaber sich mit diesem Jahrgang reichlich eingedeckt haben.
Im Vergleich zu dem bereits hoch gelobten Vorgängerjahrgang 2018 waren die klimatischen Voraussetzungen in 2019 mindestens ebenso günstig. Die Hitzeperiode im Sommer hat bei den Trauben zwar zu einigen Sonnenbrandschäden geführt. Doch es gab zwischendurch immer wieder kleinere oder auch größere Regenfälle, die die Wasserreservoirs im Boden auffüllten. Kühle Nächte im August und September haben für pikante Frucht und feine Aromen gesorgt. Während 2018 durch satte Frucht, erhöhte Alkoholgehalte und eine etwas niedrigere Säure charakterisiert ist, war 2019 balancierter. Ein weiteres wichtiges Qualitätsindiz sind auch die geringeren Erntemengen, die zwischen 20 und 35 Prozent unter denen des Vorjahres liegen. Dies schlägt sich in größerer Aromentiefe nieder. Die 2019er sind vertikale GG, denen eine große Zukunft attestiert werden kann. Sicher, auch die letzten fünf Jahrgänge haben hervorragende Qualitäten geliefert. Aber ob man so schnell nochmal Silvaner und Rieslinge dieser Klasse bekommt, ist fraglich.
Die Zeit der erdigen, plumpen Silvaner ist vorbei
Ich habe mich hier allein auf die GG vom Silvaner konzentriert, obwohl die Rieslinge genauso gut ausgefallen sind. Aber der Silvaner ist nun einmal die fränkische Traditionssorte, die in keinem anderen Anbaugebiet Deutschlands so charaktervolle, ja feine Weine liefert. Die plumpen, erdigen Silvaner findet man nur noch bei Gestrigen und Dilettanten. Auch ist es nicht mehr das Ziel der führenden Betriebe, Wuchtbrummen zu produzieren, die durch übermäßige Stoffigkeit imponieren. Der Silvaner von heute ist ein moderat voller, von seiner Säure und sauberen Frucht getragener Wein, der fränkisch-trocken ist (max. 4 Gramm Restzucker), im Idealfall einen schönen Spannungsbogen hat und so weder langweilig noch sättigend ist. Auch im Rang eines GG versuchen gute Erzeuger, den Silvaner nicht breit werden zu lassen, sondern ihn geschmeidig und elegant zu halten, ihn vertikal aufzubauen, also auf Langlebigkeit hin zu konzipieren, und die mineralischen Noten möglichst klar zum Ausdruck zu bringen. Einen maßgeblichen Anteil an der neuen Stilistik hat übrigens er Weinbauberater Hermann Mengeler, der viele Winzer ermuntert hat, es mal mit Maischestandzeit und Spontangärung zu versuchen. Äußerliches Zeichen des neuen Silvaners ist die Schlegelflasche, die den Bocksbeutel gerade im GG-Segment immer stärker verdrängt. Der vor einigen Jahren lancierte „moderne“ Bocksbeutel hat sich nicht durchgesetzt, auch wegen technischer Probleme.
On Top: Zehnthof Luckert, Rainer Sauer, Bürgerspital
Den einen herausragenden Silvaner habe ich bei meinen Proben nicht gefunden. Aber drei Silvaner haben mich besonders beeindruckt. Das GG vom Sulzfelder Maustal vom Zehnthof Luckert ist ein Kraftpaket, aber nicht von der behäbigen, sondern von der lebendigen Art. Zwar ist er noch stark von Spontinoten geprägt und liegt unter einem dichten Hefeschleier, doch zeigt er eine symphonische symphonische Aromenfülle (94+). Der zweite herausragende Silvaner kommt von Rainer Sauer aus Escherndorf. Sein GG aus der Lage Am Lumpen von 1655 ist nicht der üppigste, aber der gewagteste, der am deutlichsten demonstriert, wie Muschelkalk schmeckt, wenn man ein herausragendes Terroir besitzt und den Wein entsprechend vinfiziert. So viele Facetten einschließlich Kreide, Bodenkrume, Brothefe findet man in keinem anderen Silvaner des Anbaugebiets (94+). Schließlich die Stein-Harfe vom Bürgerspital, ein Klassiker, der auch in 2019 wieder zum Spitzen-Trio gehört – wie in 2018 und den meisten Jahren davor auch. Bei diesem Silvaner ist es nicht die schiere Qualität, die fesselt, sondern seine Spezialität: die Interpretation des Würzburger Terroirs. Da sind die floreal-fruchtigen Noten unterlegt mit zarten Earl Grey-Aromen und Pastinaken-Würze, was diesem Silvaner eine ganz eigene, für traditionelle Frankenliebhaber vielleicht ungewohnte Prägung gibt. Sie wirkt nicht aufgesetzt, sondern ist das Resultat einer behutsamen Vinifikation, zu der eine mehrtätige Kaltmazeration mit anschliessender (nicht zu kühler) Vergärung und langem Feinhefelager im Holzfass gehört (94+).
Von Thüngersheim nach Frickenhausen: Rudolf May, Gregor Schwab, Bickel-Stumpf
Aber auch für die anderen GG vom Silvaner gilt, was Jakob Strobel y Serra in der FAZ kürzlich so beschrieb: „Die Herrschaft der Monster ist vorbei.“ Die GG von Rudolf May aus Retzstadt sind stoffig, aber beileibe keine Wuchtbrummen. Ich finde die Lage Himmelspfad etwas eleganter als den Rothlauf aus Thüngersheim: zupackend mit fein ziseliertem Aromenmuster und zarter Flintsteinwürze (94). Wie viele fränkischen GG ist auch er nach einer kurzen Maischestandzeit spontan im 1200 Liter Holzfaß aus Spessarteiche vergoren und volle 9 Monate darin auf der Feinhefe ausgebaut worden. Dagegen wirkt Mays Rothlauf GG, zumindest im jungen Stadium, etwas rustikaler (93). Gleichwohl besitzt auch dieses GG Temperament und wirkt, auch weil es knochentrocken ist, in keiner Weise anbiedernd – was ich persönlich sehr schätze (übrigens: über die Hälfte des Rothlaufs wurde im Betonei ausgebaut). Gut gelungen ist auch Gregor Schwabs GG vom Rothlauf (Parzelle aus dem Thüngerheimer Johannisberg): ein kraftvoller, geschmeidiger Wein mit zarten Frucht- und Gemüsearomen, unterlegt von nassem Kieselstein und Hefenoten: für mich eine große Überraschung (93). Ganz anders Bickel-Stumpfs Rothlauf: einerseits leicht speckig, andererseits lebendig, fruchtig und sehr, sehr charmant – für meinen Geschmack etwas zu charmant für ein GG (92). Noch mehr gilt diese Feststellung für Bickel-Stumpfs zweites GG, den Silvaner vom Mönchshof in Frickenhausen (92). Wozu braucht, frage ich mich, ein Silvaner mit 14% Vol. 8 Gramm Restzucker? Ich muß hinzufügen: Beide Weine kamen aus dem Hitzejahrgang 2018, bei dem besondere Verhältnisse herrschten. Vielleicht ist die Gärung ungewollt stehengeblieben, was bei spontan vergorenen Weinen ja häufiger mal vorkommt. Normalerweise sind die Weine von Bickel-Stumpf balancierter.
Die glorreichen Vier aus Escherndorf: Fröhlich, Schäffer und zweimal Sauer
Die vier Escherndorfer Winzer Rainer Sauer, Horst Sauer, Egon Schäffer und Michael Fröhlich haben dagegen schon ihre 2019er freigegeben. Am animierensten ist mal wieder das GG von Horst und Sandra Sauer aus der Paradelage Am Lumpen von 1655: viel delikate Würze, noch mehr Apfel- und Birnenschmelz, nicht zu viel und nicht zu wenig Säure. Um einen (schiefen) Vergleich zu bemühen: ein Wein so perfekt wie das Gesicht von Claudia Schiffer. Wenn man wollte, könnte man diesen Wein schon jetzt hemmungslos vernaschen. Man könnte aber auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um GG, also um einen Terroir-Wein, handelt, auch die Kante, die Überraschung, den kleinen Schnörkel vermissen, der macht, dass dieser Silvaner mehr ist als nur ein sehr, sehr leckerer Wein (93).
Der Namensvetter Rainer Sauer und sein Sohn Daniel sind da risikofreudiger und belohnen den Genießer mit mehr Thrill, mehr Spektakel. Siehe oben. Das Silvaner GG des dritten Escherndorfer Lumpen-Winzers Michael Fröhlich ist etwas braver als die GG der Sauers, überzeugt aber mit seiner facettenreichen Frucht, die von einer feiner Mineralität getragen wird (92). Für 19 Euro, die der Wein kostet, ein Schnäppchen. Das vierte GG vom Lumpen, das ich verkosten konnte, kam wieder aus dem Jahrgang 2018 und beweist, dass man das Weingut Egon Schäffer nicht unterschätzen sollte, nur weil es klein und wenig bekannt ist: ein wuchtiger Silvaner, stoffig und muskulös, aber mit einer beachtlichen Säure, was in 2018 nicht selbstverständlich ist. Es hat zwei Jahre im großen Holzfass auf der Hefe gelegen und verbindet Cremigkeit mit Rasse (93).
Zwei Steigerwald-Winzer und ihre 2019er Silvaner: Weltner und Ruck
Paul Weltners GG von der Rödelseer Hoheleite, das vom Gipskeuper kommt, bringt viel Substanz mit, wirkt aber schlank dank des für Weltner-Weine typischen Säurenervs. Für einen Sylvaner (Weltner benutzt die traditionelle Schreibweise) besitzt der Wein viel Spiel, ohne jedoch verspielt zu sein oder sich in Arabresken zu verlieren. Er ist straff, dicht, landet ziemlich punktgenau dort auf der Zunge, wo er hingehört: in der Mitte. Allerdings muss man auch hier sagen: Seine Zeit ist noch nicht gekommen (94). Hansi Ruck aus Iphofen, seit über zehn Jahren auch offiziell der Inhaber des Weinguts am Marktplatz des mittelalterlichen Weinstädtchens, hat in 2019 ebenfalls ein sehr erfreuliches GG vom Silvaner aus dem Julius-Echter-Berg auf die Flasche gebracht. Es ist muskulös, aber nicht protzig, überzeugt mit viel Frucht und einigen pikanten vegetabil-mineralischen Noten (92). Sein Vater hat, seit er nicht mehr in der vordersten Linie steht, mehr Zeit, mit seiner “Ruck’n Roll-Band” aufzutreten gegen gegen die ausufernde Weinbürokratie zu protestieren.
Schmitt’s Kinder und die Knolls vom Weingut Am Stein
Das Randersackerer Weingut Schmitt’s Kinder macht es den Verkostern schwer, sein Silvaner GG vom Pfülben degustatorisch genau zu vermessen. In diesem frühen Stadium wirkt der Wein sperrig, was auch der kompromisslos trockenen Ausbauart geschuldet ist. Doch man sollte sich vom ersten Eindruck nicht täuschen lassen: Der Wein macht ordentlich Druck und deutet an, dass er mit seiner Sellerie- und Petersilienwürze mehr zu bieten hat als das allgegenwärtige Pfirsich- und Birnen-Potpourri (93). Im Übrigen bin ich gespannt, wann das Weingut endlich auf das Apostroph in seinem Namen verzichtet. In England und den USA wäre das Häkchen korrekt. In Deutschland kämpfen die Rechtschreibpäpste seit ewigen Zeiten schon gegen solche „Idioten-Apostrophs“, wie sie in der Fachsprache heißen.
Schließlich das Würzburger Weingut am Stein, wo Ludwig und Sandra Knoll schon seit Jahren auf sehr hohem Niveau arbeiten und in 2019 eine überragende Kollektion abgeliefert haben, bei der sich die Frage stellt, ob man wirklich ein GG braucht, wenn man so überzeugende Ortsweine und so geniale Erste Lagen im Sortiment hat wie sie…zumal diese nur halb so viel oder weniger kosten. Doch Knolls GG vom Stettener Stein bietet dann doch noch einen Tick mehr als die anderen Weine. Es ist stämmig und leichtfüßig zugleich, prunkt mit seidigen Texturen und erfüllt in puncto Dichte, Purheit und Reifepotenzial so ziemlich alles, was von einem Premiumwein der 40 Euro-Klasse erwartet werden kann (94).
Die drei großen Würzburger Güter
Und was ist mit den drei Würzburger Großgütern? Das Silvaner GG vom Würzburger Stein aus dem Staatlichen Hofkeller ist ein präziser, sauberer Wein, der aber, pardon, ein wenig unterstrukturiert ist (91). Das Bürgerspital liefert, wie oben schon beschrieben, mit seinem GG von der Stein-Harfe einen der überragenden Silvaner des 2019er Jahrgangs. Die anderen Bürgerspital-Silvaner von der Abtsleite, der Inneren Leiste, vom Pfaffenberg und vom „restlichen“ Stein sind keine GG, sondern „nur“ Erste Lagen. Das Juliusspital bringt seine gesamten 2019er GG erst im Sommer 2021 heraus. Jetzt sind die 2018er im Verkauf. Beide Silvaner GG, das vom Würzburger Stein und das vom Iphöfer Julius-Echter-Berg, sind begeisternd, aber sehr unterschiedlich – nicht in der Qualität, aber im Charakter. Der Stein-Silvaner ist der finessereichere Wein (94), der Iphöfer der üppigere (94). Letzterer entwickelt sich normalerweise langsamer, wartet aber jetzt schon mit Noten von Zitronenmelisse, Quitte und Honigmelone auf, während der schlankere Stein-Silvaner mehr Mineralität zeigt und in der Entwicklung weiter zurück ist. Der persönliche Geschmack entscheidet, wer der „bessere“ ist.
Wirsching in Iphofen
Um in Iphofen zu bleiben: Die Wirschings sind ebenfalls erst mit ihren 2018er GG auf dem Markt. Im Kronsberg sind jetzt nur knapp 19 Hektar als Große Lage klassifiziert, der Rest ist Erste Lage. Die Große Lage heißt „Kammer“. Dort hat Wirsching in 2018 ein elegantes, dicht gewobenes GG geerntet, das weit ausholt, aber im Inneren feinstrukturiert ist, auch im säurearmen Jahr 2018 Nerv hat und straff gewirkt ist (93). Noch einen Tick interessanter finde ich allerdings das Silvaner GG vom Julius-Echter-Berg mit seiner schmauchigen Frucht, der jodigen Würze und dem salzig-süßen Schmelz (94). Beide Silvaner kann man jetzt schon antrinken, aber nicht wirklich genießen. Ab 2030 könnte man, glaube ich, die ersten Flaschen mal vorsichtig öffnen. Einen Anlaß gäbe es: Dann sollen nach der UN-Agenda Männer und Frauen in der ganzen Welt gleichberechtigt sein – ein Zustand, der bei den Wirschings jetzt schon erreicht ist. Überhaupt erweisen sich die auf Keuper und Ton gewachsenen Weine, wie sie an den Hängen des Steigerwalds zu finden sind, häufig als langlebiger als die Würzburger Muschelkalk-Weine, was freilich den Nachteil hat, dass sie im jungen Stadium, weil lange verschlossen, unterschätzt werden.