Donnerstag, Oktober 10, 2024
13.2 C
München
spot_img

2019 Riesling GG von der Nahe: Mehr Terroir gewagt

Die Ausgangsbedingungen waren in 2019 in allen deutschen Weinanbaugebieten nicht einfach – besonders an der Nahe nicht. Dort beginnt die Lese erst, wenn sie in der Pfalz und in Rheinhessen fast schon beendet ist. Nach dem heissen, sehr trockenen Sommer begann es ausgerechnet Ende September zu regnen, also just zum Beginn der Hauptlese. Die Trauben mussten in den kurzen Regenpausen eingebracht werden. Wer das geschafft hat und dabei auch noch die faulen Trauben auslesen konnte, hat in 2019 allerdings exzellente Weine erzeugt – Weine, die den Vergleich mit 2018 nicht scheuen müssen. Nach meinen ersten Eindrücken, die ich bei den Verkostungen im Rahmen der „Vorpremiere“ Ende August in Wiesbaden gewinnen konnte, liegen sie auf dem Niveau des viel gefeierten Vorgängerjahrgangs, teilweise sogar darüber. Denn die Mengen waren, weil es in 2019 im Frühjahr während der Blüte geregnet hatte und viele Trauben durchrieselten, um etwa 25 Prozent geringer.  „Ode an die Freude“ titelte Stephan Reinhardt in der FAZ.

Herausragend: Schäfer-Fröhlich

Die Großen Gewächse (GG) aller acht VDP-Güter an der Nahe, die ich verkosten konnte, liegen denn auch auf hohem Niveau. Lagenbedingt und auch stilistisch fallen sie allerdings sehr unterschiedlich aus. Der herausragende Wein in 2019 ist für mich Schäfer-Fröhlichs Stromberg. Er kommt aus einer steilen, extrem felsigen Parzelle mit 86-jährigen Rebstöcken aus einem Seitental der Nahe und ist nicht der komplexeste, aber der mineralischste Riesling im Sortiment dieses Winzers. Die Fokussierung auf das Thema Mineralität gibt diesem Wein Kante, und zwar so deutlich, dass die Rebsorte kaum noch zu schmecken ist. Leute, die Riesling wegen ihrer Frucht und Würze trinken, werden von diesem GG enttäuscht sein. Zu karg ist er, zu wenig schmelzig, vielleicht könnte man auch sagen: zu monothematisch. Für mich aber stellt der Stromberg das dar, was nur große Lagen hervorbringen können: einen schlanken, aber sehr dicht gewobenen Wein mit schmauchiger Aromatik und giftiger Säure, langlebig, herausfordernd, eindrücklich (97). Tim Fröhlichs GG vom Felseneck – normalerweise die Rose im Knopfloch dieses Weinguts – ist insgesamt komplexer. Geprägt von reifen gelben Früchten mit Akzenten von Algen, Kurkuma und Earl Grey, ist das Felseneck immer ein Wein von magischer Eleganz. 2019 macht da keine Ausnahme (96). Ob dieser Wein oder Stromberg den Konsumenten mehr Erlebnis bietet, hängst vom persönlichen Geschmack ab. Und auch die anderen GG von Schäfer-Fröhlich begeistern. Das Frühlingsplätzchen ist von wilder Hefe und Granitstaub durchzogen (94). Der Halenberg ist strukturell powerful und gleichzeitig filigran im Inneren (95), die Kupfergrube zartwürzig, grünblättrig, mitreißend (93), der Felsenberg salzig wie Seewasser, staubig, wenig fruchtig – ein ganz eigener Approach (93).

Etwas braver: Die Weine von Dr. Crusius

Die Kühnheit, die die Weine von Schäfer-Fröhlich auszeichnet, findet man in den GG von Dr. Crusius nicht, auch wenn sie teilweise von denselben Lagen kommen (die jüngste Tochter Rebecca, Geisenheim-gestählt, ist inzwischen voll in die Produktion eingestiegen). Die Weine dieses Gutes sind – wie immer – gefälliger, konventioneller, ja: braver. Der monumentalste Riesling ist immer die Bastei, eine warme Südlage, die mit hohen Mostgewichten und entsprechender Extraktsüße prunkt. Crusius’ GG aus dieser Lage ist kräftig, körperreich und gut balanciert – kein Gaumenschmeichler wie in manch anderem Jahr – aber als spektakulär empfinde ich ihn nicht (91). Einem Vergleich mit der Bastei von Gut Hermannsberg hält dieses GG nicht stand. Besser gefallen haben mir die vier anderen GG: der moderatere, mineralisch-würzige Mühlberg „Im Rotenfels“ (92), der zitrusfruchtige Steinberg mit seinem leicht exotischen Einschlag (92),  die feingliedrige Kupfergrube (91) und der fast süffige Felsenberg  (91). Generell geht man bei Crusius mit der Säure vorsichtig um, was dazu führt, dass die Weine nicht den Spannungsbogen anderer GG haben. Das breite Publikum wird es möglicherweise schätzen, die Puristen unter den Weintrinkern weniger.

Schlossböckelheimer Felsenberg

Emrich-Schönleber: Zuverlässige Spitzenqualität

Emrich-Schönleber besitzt mit dem Frühlingsplätzchen und dem Halenberg zwei Lagen, in denen auch Schäfer-Fröhlich begütert ist. Ja, man muss sogar sagen, dass Emrich-Schönleber nach Größe des Rebenbesitzes und Anciennität als Rebenbesitzer der Lokalmatador ist. Das GG vom Frühlingsplätzchen hat mich trotz des Ernstes der Verkostungssituation in den Wiesbadener Kurhaus Colonnaden begeistert, und wenn Freudenschreie erlaubt wären, hätten die Scheiben geklirrt: ein großer Wein mit herrlicher, grapefruitartiger Frucht, eingebettet in süßen Schmelz mit sublimen erdig-mineralischen Noten, deutlich temperamentvoller als der Halenberg. Das Ruhegebot hat den Gefühlsausbruch verhindert (94). Ich wage die These, dass das 2019er Frühlingsplätzchen noch einen Gang mehr drauf hat als der 2018er. Das ändert aber nichts daran, dass der Halenberg das gewichtigere der beiden GG ist. Er ist breiter angelegt als das Frühlingsplätzchen, besitzt mehr Tiefe, ist weniger nervös, ruht mehr in sich, auch wenn er im Glas derzeit nicht sonderlich spektakulär wirkt (95). Im jungen Stadium wird der Halenberg leicht unterschätzt. Namentlich mir ist das mehrfach passiert. Erst wenn man mal Gelegenheit hat, die 2014er, 2013er, 2010er oder – besser noch – den 2004er zu trinken, zeigt sich, welche Fülle dieser auf blauem Schiefer gewachsene, ganz langsam reifende Wein birgt. In Kalifornien definiert man einen Grand Cru so: die wärmste Lage in der kühlsten Gegend. Auf den Halenberg träfe das zu.

Gut Hermannsberg: An der Spitze etabliert

Auch noch recht kühl ist es an der mittleren Nahe, wo Dönnhoff und Gut Hermannsberg ihre Weinberge haben. Fangen wir mit Gut Hermannsberg an. Die augenblicklich eindrucksvollste Wein der 2019er Kollektion ist der Rotenberg: kompakt und noch ein bisschen in sich gekehrt, aber spürbar elegant und wie aus einem Guß (92). Mit weniger als 30 Euro gehört er zu den preiswertesten GG der Nahe. Wer unbedingt jetzt schon den Korken ziehen will, kann auch zum GG vom Steinberg greifen: ein eleganter Riesling, leicht und doch dicht gewoben, sehr puristisch, hochfein (92). Ganz grosse Klasse der Felsenberg, aus einer sehr warme Lage kommend. Der Wein ist stark von reifer gelber Frucht geprägt, aber auch von einer pikanten Säure durchzogen (93).  Wer ganz furchtlos ist, was die Säure betrifft, greift zum GG von der Bastei: ein packender Wein von dramatischer Fülle mit Anklängen an reife tropische Früchte und Bodenkrume (94). Allerdings kam dieses Riesling GG aus dem Jahrgang 2018.  Kellermeister Karsten Peter geht dazu über, seine hochwertigsten Weine erst später auf den Markt zu bringen (in diesem Zusammenhang eine Empfehlung: Peter hat gerade die letzten Reserven der 2015er Bastei freigegeben, der bis dahin besten Bastei, die auf Gut Hermannsberg produziert wurde. In ihr spiegelt sich die warme Reife der Trauben wider und – im Kontrast dazu – die kühle, kristalline Rieslingsäure). Auch von der Monopollage Hermannsberg ist im Moment erst der 2018er im Verkauf, ein Riesling, der beinahe schwerelos über den Gaumen gleitet, aber unheimlich viel Tiefe besitzt und mit seiner kräuterwürzigen Pikanz wohl am besten von allen GG den Stil von Gut Hermannsberg repräsentiert (94). Bei der besten Lage des Weinguts, der Kupfergrube, ist die Praxis des Zurückhaltens schon seit dem Jahrgang 2017 üblich. Das heißt: Es gibt derzeit keine 2019er Kupfergrube, auch keine 2018er. Die gesamte Produktion dieser Jahrgänge wandert in die Schatzkammer und wird erst nach fünf Jahren (also 2024) als „Reserve“ auf den Markt kommen.

Dönnhoff: Sechs meisterhafte Lagenweine

Dagegen hat Nachbar Dönnhof bereits alle sechs GG vom Jahrgang 2019 freigegeben. Am besten gefallen hat mir sein kleinstes GG vom Krötenpfuhl in Bad Kreuznach: trotz der Spannung, die dieser Riesling aufgebaut hat, ist er ein erkennbar stimmiger Wein mit reifem Pfirsich, aber auch Limette und einem Hauch Orangenschale, dazu eine erdig-staubige Komponente, die macht, dass der Wein nicht ins beliebig-fruchtige Fahrwasser abdriftet (93). Vielleicht gefällt mir der Krötenpfuhl auch deshalb so gut, weil er so unanstrengend ist im Vergleich zu Dönnhoffs anderen GG.

Aber hier soll nicht von persönlichen Vorlieben die Rede sein. Die Hermanshöhle ist sicherlich das anstrengendste GG des Weinguts (und mit Emrich-Schönlebers Halenberg der gesamten Anbauregion), aber auch Dönnhoffs größter Wein. Den jungen 2019er jetzt zu beschreiben, ist wie Locken auf der Glatze drehen. Der Wein gibt wenig her außer floreale Düfte und ein paar Primäraromen. Man spürt aber die Kraft, die er hat, ahnt die Tiefe, nimmt die Cremigkeit wahr. Wer ältere Jahrgänge kennt, weiß was das bedeutet (95). „Viel gut verpackte Power“ habe ich auf meinen Probenzettel geschrieben. Die Betonung liegt auf „verpackt“, also noch verschlossen. Nicht verpackt, aber packend ist der Felsenberg, das mineralischste GG der Dönnhoffschen Kollektion, wobei die hochfeinen Flintstein- und Zündplättchen-Noten im Moment noch gar nicht einmal sehr präsent sind. Vielmehr dominieren reifer Apfel, Pfirsich, Nashi-Birne, unterlegt mit würzigem Zitronengras. Grosses Kino (94). Ein Ausbund an Eleganz ist Dönnhoffs Dellchen: gut fundiert auf der einen Seite, mit filigranen Facetten auf der anderen, dabei leicht schiefrig, pur, finessereich (95). In meinen Notizen steht „routiniert auf hohem Niveau“. Das stimmt nicht. Es gibt keine Routine auf dem Niveau, auf dem Dönnhoff arbeitet. Wenig angefixt hat mich dagegen das GG von der Brücke. Füllig, saftig, pikant – das ja. Aber spektakulär? Eher nicht (92). Schwer zu beschreiben ist Dönnhoffs sechstes GG vom Höllenpfad „Im Mühlenberg“. Es ist nur wenige hundert Meter vom Krötenpfuhl entfernt gewachsen und doch ganz anders: sperriger, ruppiger in der Säure, gleichzeitig aber mit herrlich reifer Frucht, die in süßen Schmelz gehüllt ist. Eine „echte Challenge“ habe ich in bestem Verkoster-Deutsch notiert (93).

Die 2019er Erste Lagen sind von den Grossen Lagen nicht weit entfernt

Bei aller Reverenz, die man Dönnhoffs GG entgegen bringt: In einem Jahr wie 2019 ist das Höllenpfad GG nicht Lichtjahre entfernt vom Höllenpfad Erste Lage, der nur halb so viel kostet. Oder auch der Riesling Kahlenberg Erste Lage. Diese Weine sind schon gut antrinkbar und trotzdem erwiesenermaßen langlebig. Und wer sie mit Freunden trinken will: bella figura machen auch sie. Ausserdem muss man die Händler nicht anbetteln, um ein paar Flaschen der raren GG zu bekommen. Gleiches gilt übrigens auch für andere Erzeuger. Will sagen: Ich würde mich in einem Jahr wie 2019 mit Ortsweinen und Ersten Lagen bevorraten. Und noch etwas: Der VDP gilt als deutsche Winzerelite. Es gibt an der Nahe aber ein halbes Dutzend Nicht-VDPler, die mit gleicher Sorgfalt und demselben Ehrgeiz arbeiten, um mit ähnlich spannenden Resultaten aufzuwarten.

Kruger-Rumpf und Joh. Bapt. Schäfer mit Mut und Können

Kommen wir zur unteren Nahe. Dort sind vier VDP-Winzer ansässig: Kruger-Rumpf, Joh. Bapt. Schäfer, Schlossgut Diel und Prinz Salm. Letzterer hat gerade seine 2016er freigegeben, die in Wiesbaden nicht angestellt waren. Die drei anderen Güter präsentierten ihre 2019er. Kruger-Rumpf hat vier brillante GG auf die Flasche gebracht, wobei eines, der Scharlachberg, aus Rheinhessen stammt. Der kühnste der anderen drei ist der Dautenpflänzer, der beweist, dass Georg und Philipp Rumpf keine Angst vor Säure haben. Ihr GG mag im Moment etwas kantig wirken, ist aber sehr präzise gearbeitet und besitzt ein riesiges Potenzial (93). Im Pitterberg, das zweite GG, ist die weichere Variante (92). Aber was heißt schon weich, wenn die Säure bei knapp 8 gr liegt und der Wein quasi durchgegoren ist? Das dritte GG, der auf Quarzit gewachsene Burgberg, ist der verschlossenste der drei, aber auch der begeisterndste: dicht gewoben, kompakt, mit Kafirblättern, Seetang, reifem Gravensteiner-Apfel und Granitstaub im Bouquet (94). Der gewöhnlich gut informierte VINUM-Weinführer hatte Kruger-Rumpf bereits 2019 zum „Aufsteiger des Jahres“ an der Nahe gekürt. Vollauf gerechtfertigt aus meiner Sicht. Im neuen VINUM Weinführer 2021 wird diese Auszeichnung Sebastian Schäfer vom Weingut Joh. Bapt. Schäfer zuteil. Zumindest eines seiner beiden 2019er GG ist bemerkenswert: ein geschliffener, sehr präziser Wein mit (noch) viel Reduktion in der Nase, dazu Rauchtee, Eisenkraut, Minze und nahezu frei von Frucht – Beweis dafür, wie gut Schäfer das Terroir herausgearbeitet hat. Die Rede ist von seinem Pittermännchen (93). Vergleichsweise brav ist dagegen Schäfers Goldloch (90).

Carolin Diel

Schlossgut Diel mit einer der schönsten Kollektionen

Eine der schönsten Überraschungen an der Nahe ist die 2019er Kollektion vom Schloßgut Diel. Nicht dass die Weine von Caroline Diel (und früher von ihrem Vater Armin) nicht auch hochklassig waren. Aber so gut wie in 2019 habe ich sie noch nie erlebt. Diels Pittermännchen – das ist nicht einfach nur Riesling in seiner bezauberndsten Form, sondern flüssiger Schiefer, nasse Kreide, rauchige Mineralität. So ausgeprägt habe ich Terroir nicht oft geschmeckt (94). Das GG vom Goldloch ist saftiger mit Pfirsich, Aprikosen, Orangenschale und einer feinen Earl Grey-Note (93). Den Vogel schiesst der Burgberg ab, der allerdings vom Jahrgang 2018 war und Füllschock, Schwefelung etc. längst hinter sich hat. Bei diesem Wein-Monument spürt man bereits die Tiefe: also neben der Frucht die erdige Würze, wobei die Reifearomen einerseits und die durchaus vorhandenen grünen Noten andererseits  eine knisternde Spannung erzeugen (95).

Wird sich die Spreu vom Weizen trennen?

Insgesamt lässt sich von den GG von der Nahe sagen, dass sie fokussierter auf Terroir sind als früher, weniger auf oberflächliche Noten setzen (auch wenn diese von den Kritikern immer hoch geschätzt und bewertet werden), weniger geschminkt auftreten. Wenn das eine Tendenz ist, dann wird sich auch bei den Konsumenten bald die Spreu vom Weizen trennen. Terroir-Weine sind selten massenkompatibel. Lifestyler und Fun-Sucher werden sich abwenden. Verdursten werden sie deshalb nicht. Alternativen gibt es genug.

- Anzeige -spot_img
- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img