Nirgendwo ist der Anteil der Großen Lagen so hoch wie im kleinen Rheingau. Gemessen daran gibt es leider nur wenige Große Gewächse, die dieses Namens würdig sind. Sicher, ein persönliches Urteil. Aber eines, das nicht auf purer Phantasie oder irgendwelchen Vorurteilen basiert, sondern auf der Kenntnis dessen, was in anderen deutschen Anbaugebieten, etwa der Nahe oder Teilen Rheinhessens, als Großes Gewächs angeboten wird.
Deutliche Qualitätsverbesserung? Selten.
Dabei haben dieses Jahr viele Kritiker die Rheingauer Spitzengewächse gelobt – gerade die 2014er. Es sei eine deutliche Qualitätsverbesserung gegenüber den Vorjahren zu erkennen. Außerdem gäbe es hoffnungsvolle Ansätze von Winzern in der zweiten Reihe. Letzteres mag sein. Aber diese Winzer sind nicht im VDP und erzeugen keine Großen Gewächse. Über diese Winzer kann und will ich hier nichts sagen. Was die auffällige Qualitätsverbesserung angeht, so muss ich ernüchtert feststellen, dass diese nur bei wenigen Winzern erkennbar ist. Auffällige Qualitätsverbesserungen habe ich nur bei Achim von Oetinger, den Brüdern Bernd und Ralf Schönleber sowie bei Schloss Johannisberg feststellen können. Die Künstler, Kesseler, Weil, Wegeler, Leitz & Co. haben schon immer Weine gemacht, die höchsten Ansprüchen genügen konnten.
Weine von Weltklasse sind rar
Wilhelm WeilMein Urteil soll auch nur für die Großen Gewächse gelten. Sie habe ich Ende August auf der sogenannten Vorpremiere in Wiesbaden probiert. Bei den einfacheren Rieslingen mag der Rheingau auf Augenhöhe sein mit anderen Anbaugebieten. Aber für Weine, die Weltklasse für sich beanspruchen, muss die Messlatte hoch liegen. Das tut sie auch. Es scheint nur, dass viele Weine bequem darunter durchgehen können. Gut sind diese Weine natürlich trotzdem. Aber Große Gewächse? Weine, die Terroir abbilden? Für die Kenner im In- und Ausland 30, 40 oder mehr Euro pro Flasche zu zahlen bereit sind? Wenn der Preis ein Indikator ist, dann erreichen nur wenige Große Gewächse aus dem Rheingau diese Marke, und das sind immer die gleichen Namen. Zufall ist das nicht. Für biedere, behäbige Rieslinge zahlt keiner hohe Preise, auch wenn diese von weltberühmten Lagen kommen.
Die Hälfte der Rheingauer Winzer fehlte
Leider hatte nur etwa die Hälfte der Rheingauer VDP-Mitglieder ihre GG bei der Vorpremiere angestellt. Für Peter-Jakob Kühn, der zu den führenden Rheingauer Winzern gehört, lag der Zeitpunkt der Präsentation zu früh. Sein Sankt Nikolaus GG wird erst nächstes Jahr auf den Markt kommen. August Kesselers GG vom Rüdesheim Berg Schlossberg hat zwar die Prüfung bestanden, wird aber nicht als GG abgefüllt werden. Kesseler legt für sich strengere Kriterien an, als die VDP-Statuten sie vorsehen. Und 2014 war nach seiner Einschätzung kein Jahrgang, der ein grosses Gewächs rechtfertigt. Kanitz, Eser, Langwerth von Simmern, Fürst Löwenstein und ein halbes Dutzend anderer VDPler waren der Präsentation ebenfalls ferngeblieben. Eigentlich schade. Für eine objektive Bestandsaufnahme war das Feld der Rheingauer GG-Winzer nicht wirklich repräsentativ.
2014 Große Gewächse Rheingau
Region | Ort | Weingut | Beschreibung | Punkte |
---|---|---|---|---|
Rüdesheim | Berg Rottland | Künstler | Packender, hochmineralischer Wein, der zeigt, was wirklich in dieser Spitzenlage steckt: das wohl beste GG des Jahrgangs aus dem Rheingau. | 94 |
Kiedrich | Gräfenberg | Robert Weil | Auch in 2014 wieder einer der größten Rieslinge des Rheingau: vielfältige, Frucht, cremiger Schmelz, kräftige Säure, enorme Aromentiefe und jetzt schon durchscheinende Terroirnoten wie Steinmehl und Austernschale. Die Lage schwächelt offenbar nie, die Weils auch nicht. | 94 |
Winkel | Jesuitengarten | Geheimrat J. Wegeler | Toller Wein mit viel Dramatik und Leben, reife, saftige Frucht, Grapefruit vorherrschend, mineralische Säure, gute Balance: stattlicher, ja: begeisternder Wein. | 93 |
Rüdesheim | Berg Rottland | Leitz | Feingliedrig und zart mit unendlich vielen Facetten, bis in die Fasern durchgearbeitet: nicht das opulenteste, aber eines der feinsten GG. | 93 |
Hochheim | Hölle | Künstler | Einer der wenigen GG im Rheingau, bei dem man Terroir wirklich schmeckt: viel Muschel und nasse Kiesel, etwas grünes Laub, ansonsten feingliedrig zart, mit gestochen klarer Säure. | 92 |
Hochheim | Kirchenstück | Künstler | Moderat üppig, aber zupackend und saftig mit leichten Anklängen an tropische Früchte: gut balancierter, in sich ruhender Wein, große Zukunft. | 92 |
Oestrich | Rosengarten | Geheimrat J. Wegeler | Sehr präzis mit viel innerer Feinheit, körperreich, lang, mit großem Reifepotenzial: sehr erfreulicher Wein, echtes GG. | 92 |
Winkel | Jesuitengarten | F.B. Schönleber | Viel Biss und Spannung, freche Säure, feine Grapefruit- und Birnennoten: macht nicht nur Spaß, sondern bietet gehobenen Genuss. | 92 |
Rüdesheim | Berg Schlossberg | Leitz | Fein gegliederter, hochmineralischer Riesling mit packender Säure und vielen Höhepunkten: der Jahrgangsbeste von Leitz. | 92 |
Johannisberg | Schloss Johannisberger | Domäne Schloss Johannisberg | Viel Mineralität, zurückhaltende Frucht, mitreissende Säure: echter Spitzenwein und der wohl beste Johannisberger seit Langem. | 92 |
Kostheim | Weiß Erd | Künstler | Noch sehr verhalten, aber mit großem Spannungsbogen: Investition in die Zukunft. | 91 |
Erbach | Marcobrunn | Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach | Eindrucksvoller und sehr eigenständiger Wein, breit angelegt, aromentief, cremig mit reifer (aber nicht überreifer) Beere. | 91 |
Erbach | Marcobrunn | Achim von Oetinger | Gut gewachsener, ausdrucksstarker Wein, nicht ausladend, sondern von eher moderater Fülle, dabei hochkomplex mit gleichermassen grünen wie gelben Früchten: spannender Wein, der beste Oetinger seit Langem. | 91 |
Schloss Vollrads | Schlossberg | Schloss Vollrads | Gut balancierter, durchaus spannender Wein, vielleicht kein Überflieger, aber eines GG würdig | 91 |
Rüdesheim | Berg Roseneck | Friedrich Fendel | Stiller, noch zurückhaltender Riesling, aber mit besten Anlagen ausgestattet: elegantester Wein aus dem Roseneck. | 91 |
Rüdesheim | Berg Schlossberg | Geheimrat J. Wegeler | Eleganter, zartfruchtiger Wein, aromentief, präzise, fast genauso bezwingend wie der Jesuitengarten. | 91 |
Geisenheim | Rothenberg | Geheimrat J. Wegeler | Starker, absolut eigenständiger Riesling, erdig-mineralisch mit vielen Zitrus- und Klee-/Kräuternoten: urwüchsiges GG. | 91 |
Walluf | Walkenberg | Toni Jost – Hahnenhof | Homogen, saftig, zarte Frucht, haftet lange am Gaumen. | 90 |
Hallgarten | Schönhell | Barth | Mittelgewichtig, sauber mit präziser Frucht und guter Balance: wohltemperierter Wein, aber noch keiner der ganz Großen. | 90 |
Erbach | Hohenrain | Jakob Jung | Sauber, klar, ausdrucksvoll, mitreißende Säure, kühle Mineralität. | 90 |
Erbach | Siegelsberg | Jakob Jung | Packender Wein mit viel Substanz, zartgliedriger Frucht und rassiger Säure: die mineralische Komponente scheint bereits durch. | 90 |
Oestrich | Rosengarten | Josef Spreitzer | Sauber proportionierter, sehr ausgewogener Wein mit mehr gelber als grüner Frucht, dicht an der halbtrocken-Grenze, insgesamt aber doch etwas brav. | 90 |
Rüdesheim | Berg Rottland | Balthasar Ress | Schlankes, ausdrucksstarkes GG mit pointierter Säure, etwas unrund vielleicht, aber spannend, jedenfalls nicht harmonietrunken. | 90 |
Rüdesheim | Berg Rottland | Johannishof | Guter Körper, ordentliche Länge, Mut zur herben Frucht und frechen Säure: Respekt! | 90 |
Rüdesheim | Berg Rottland | G. H. von Mumm’sches Weingut | Respektabler Wein des VDP-Newcomers mit saftiger Frucht und schöner Säure, allerdings noch ohne die hohe Trinkeleganz des großen Bruders vom Schloss Johannisberg. | 90 |
Rüdesheim | Berg Roseneck | Fritz Allendorf | Bissiger, nachhaltiger Wein mit mutiger Säure und großem Spannungsbogen: größter Wurf dieses Weinguts in 2014. | 90 |
Hallgarten | Schönhell | Prinz | Respektabler Wein mit klarer Frucht, strahlender Säure, vorsichtig anklingenden Terroirnoten: etwas zu zaghaftes GG. | 90 |
Hochheim | Domdechaney | Domdechant Werner’sches Weingut | Gut strukturierter, aber sehr braver Wein, wenig Schliff, grobfruchtig. | 89 |
Martinsthal | Wildsau „Schlenzenberg“ | Diefenhardt’sches Weingut | Relativ schlank, aber saftig mit Aprikosennoten und zarter Kräuterwürze, gut durchgearbeitet: macht Spaß, wenngleich man von einem GG mehr erwarten darf. | 89 |
Martinsthal | Langenberg | Diefenhardt’sches Weingut | Kernig, saftig, dickköpfig: Charakterwein, kein Gaumenschmeichler. | 89 |
Mittelheim | St. Nikolaus | Josef Spreitzer | Spielerisch-leicht mit vielen Facetten und hochmineralischer Säure: ohne Fehl und Tadel, aber reicht das für ein GG? | 89 |
Hattenheim | Wisselbrunnen | Barth | Gehaltvoll, lang mit herzhafter Säure und feiner Hintergrundmineralität, wirkt (noch) etwas ungeordnet und wild, abwarten. | 89 |
Hattenheim | Wisselbrunnen | Josef Spreitzer | Feingliedrig, zartfruchtig, nachhaltig, leicht restsüß bei ansonsten disziplinierter Fülle: ein Wein, der everybody’s darling sein will. | 89 |
Johannisberg | Klaus | Prinz von Hessen | Gute Substanz, wenig Schliff: gehobene Durchschnittsqualität. | 89 |
Johannisberg | Hölle | Johannishof | Vanillig-fruchtiges Bouquet, leicht parfümiert, am Gaumen lieb und brav: insgesamt viel Harmonie, wenig Kanten. | 89 |
Hallgarten | Jungfer | Prinz | Viel zu parfümiert in der Nase, auch schon merkwürdig goldene Reflexe: herzhafter, aber doch recht biederer Wein. Enttäuscht die Erwartungen. | 88 |
Winkel | Hasensprung | Fritz Allendorf | Gefälliger Wein, gut gemacht, druckvoll und mundfüllend, aber insgesamt doch recht bieder. | 88 |
Winkel | Hasensprung | Prinz von Hessen | Kräfftig mit angedeuteten Terroirnoten, aber wenig Schliff, rohe Säure, kleiner Spannungsbogen. | 88 |
Winkel | Jesuitengarten | Fritz Allendorf | Körperreich, saftig, opulent, aber wenig spektakulär angesichts der Möglichkeiten, die dieses große Terroir bietet. | 88 |
Rüdesheim | Berg Schlossberg | Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach | Körperbetontes, etwas behäbiges GG, reife Beere und milde Säure: wenig Spannung, wenig Spaß. | 88 |
Hattenheim | Hassel | Barth | Gespaltener Wein: auf der einen Seite fast herb, auf der anderen ein zarter Edelbeerenton – passt irgendwie nicht zusammen. | 88 |