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Winzersekt aus Deutschland

Fast 300 deutsche Winzersekte standen unlängst bei einer Verkostung vor mir auf dem Tisch, und ich fühlte mich fast in die nuller Jahre versetzt angesichts des krassen Aufs und Abs der Qualitäten. Damals kamen die ersten ambitionierten Spätburgunder aus Deutschland auf den Markt. Als junge Sommelière hatte ich sie alle zu probieren. Die wenigen, die mich elektrisierten, mußte ich aus einem Meer von fürchterlich Mißglücktem herausverkosten.

Winzersekt aus Deutschland: Ein paar Pioniere und zahllose Dilettanten

So ähnlich verhält es sich heute mit dem deutschen Sekt. Da gibt es einige wenige Pioniere, die eine klare Idee haben, wie man Wein zum Schäumen bringt. Sie erzeugen mit sicherer Hand Spitzenerzeugnisse. Dann gibt viele Bemühte, die den Trend zum schäumenden Wein mitmachen wollen, denen es aber an Know How und an der sicheren Hand fehlt. Und es gibt die zahllosen Dilettanten, die zwar den Startschuss gehört haben und losrennen, denen aber jegliche Orientierung fehlt. Zeit also, den Zustand des deutschen Sektes einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Deutscher Markensekt: solide, aber wenig aufregend

Dazu muss man wissen, dass die Schaumweinwelt immer schon ihren eigenen Gesetzen folgte. Schließlich gibt es kaum ein anderes Produkt, an dem technisch so viel manipuliert werden kann wie bei flaschenvergorenem Schaumwein. Er entsteht durch eine erste und eine zweite Gärung, durch Verschneiden, dem zweimaligen Zusatz von Zucker, durch ein mehr oder minder langes Hefelager und vieles mehr. Das Manipulieren erlaubt es industriellen Erzeugern wie Henkell oder Rotkäppchen,  jedes Jahr gleichbleibend schmeckende Prickler zu erzeugen – teilweise in durchaus solider Qualität. Geschmacklich sind diese Sekte in Ordnung, aber wenig aufregend. Für die vielen Verbraucher, für die Schaumwein eher Getränk als Wein ist, reicht das. Für sie ist der niedrige Preis das wichtigste Kaufkriterium.

Flasche Rötkäppchen Sekt liegend
Bekanntes Bild: Rotkäppchen Sekt

Doch für immer mehr Weintrinker rücken Qualität und Vielfalt in den Fokus – auch bei Schaumweinen. Das stimmt hoffnungsfroh. Vielleicht erwartet uns in Zukunft ein breiter Aufschwung breiter den Qualitäten, so dass sich immer mehr Winzersekte mit der internationalen Konkurrenz von Champagner bis Franciacorta messen lassen können.

Erster Fehler: Sekt als Resteverwertung ansehen

Dafür sind allerdings noch einige Hürden aus dem Weg zu räumen. Für viele deutsche Winzer ist Sekterzeugung nur eine Nebensache: Ein Prickler gehört halt ins Sortiment. Weil es sich für ein paar Flaschen nicht lohnt, in das dafür nötige Equipment zu investieren, bringen sie ihre eigenen Grundweine zu einem gewerblichen Versekter. Einige Winzer scheinen immer noch zu meinen, dass Sekt ein ideales Mittel zur Resteverwertung ist und bringen ihr fiesestes Fass zum Lohnversekter.

Zweiter Fehler: falsche Grundweine

Unter den oben erwähnten 300 Proben fanden sich nicht selten Sekte mit über 14 Vol.% Alkohol auf dem Tisch – ein untrügliches Zeichen, dass der Grundwein eigentlich nicht für die Sektherstellung gedacht war. Denn mit der zweiten Gärung entsteht nicht nur Kohlensäure, sondern in der Regel auch 1,5 Vol.% zusätzlicher Alkohol. Wer will sowas trinken? Ein zur Sektherstellung geeigneter Grundwein sollte 11 Vol.% Alkohol nicht überschreiten. Schaumwein muss animieren und prickeln. Ein brandiger Eindruck in Nase und Mund passt nicht, von Mufftönen, unreifer Säure und phenolischen Bitterstoffen, die für ein aggressives aufbäumen der Kohlensäure sorgen, gar nicht zu sprechen. Das bedeutet: Schaumweinbereitung beginnt im Weinberg. Schon beim Rebschnitt muss der Winzer die Intention „Grundwein für Sekt“ im Kopf haben. Diese Überzeugung ist in Deutschland leider noch nicht in der Breite angekommen.

Dritter Fehler: mangelndes Detailwissen bei der Versektung

Ebenso wenig verbreitet sind die Feinheiten der Weinbereitung, auf die es bei der Flaschengärung ankommt. Das erinnert ein bißchen an die ersten Versuche mit neuen Barriquefässern zu arbeiten. Auch hier galt lange das Motto „viel hilft viel!“. Zu viel Hefe in der Tirage oder zu langes Hefelager machen die Sekte breit und brotig. Zu viel Schwefel sorgt für stechenden Geruch, und mit zu viel süßer Dosage kann man einen geübten Gaumen auch nicht über Mängel hinwegtäuschen.

Vierter Fehler: Falsche Behandlung der Rieslingtrauben

Ein weiteres Mienenfeld stellt die Verarbeitung von Riesling dar. Eigentlich eine Rebsorte die perfekt für die Versektung geeignet ist. Schließlich verfügt Riesling selbst bei einer frühen Lese über eine wunderbar reife Säure. Doch wer die Trauben mit zu viel Druck auspresst und nicht, wie in der Champagne, zwischen Vorlaufmost „Cuvée“, dem Vorlaufmost, und der „Taille“, dem Pressmost, unterscheidet, hat nicht nur ein Problem mit Phenolen, sondern auch mit Petrolgeschmack. Aromen von Petrol mögen beim gereiften Lagenriesling noch ganz adrett wirken. Doch Kohlensäure schleudert einem den Kerosinduft regelrecht auf die Nasenschleimhäute. Hat der Sekt dann noch zu viel Dosage und sprudelt plump vor sich hin, kann man sich auch gleich eine Cola an der Tankstelle trinken. Genusstechnisch hat das ungefähr den gleichen Effekt.

Bei der Versektung von Riesling sind Könner gefragt

Dabei gibt es großartige Riesling-Sekte in verschiedenen Stilrichtungen. Stefan Braunewell zeigt mit seinem saftigen, fruchtbetonten Riesling Brut, wie Trinkfreude und Anspruch miteinander versöhnt werden können. Frank John vom Hirschhorner Hof in Königsbach will eher die sogenannten Autolysearomen im Vordergrund sehen, die bei einem langen Hefelager entstehen. Die Grundweine vergärt er dafür in großen Stückfässern und lässt sie spontan einen biologischen Säureabbau durchlaufen. Das nimmt dem Riesling die Primärfrucht und schafft Platz für Hefearomen. Der Lagenriesling von Schloß Vaux aus dem Erbacher Marcobrunn versteht sich als dunkler, gehaltvoller Burgundertyp unter den Riesling-Sekten.

Beim Pfälzer Sektwinzer Frank John im Keller

Nicht zu vergessen: Sekte aus Burgundersorten

Neben Riesling eignen sich Burgundersorten hervorragend für die Sekterzeugung. Übrigens sind viele deutsche Spätburgunder-Klone die in den 1950er Jahren auf Ertrag gezüchtet wurden, mit ihren großen Beeren und frischer Säure, wunderbar für Sektgrundwein geeignet. Wer es eingängig, cremig und blumig möchte, der versucht am besten einen Weißburgunder Sekt, etwa vom Wilhelmshof in der Pfalz. Es gibt auch manch großartigen Sekt aus Chardonnay, Spätburgunder und Schwarzriesling – Rebsorten, die als Pinot Noir und Pinot Meunier auch in der Champagne verwendet werden. Volker Raumland aus dem rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim zeigt mit seinem Top-Produkt Triumvirat, wie guter deutscher Burgundersekt geht. Ebenso die Aldingers aus Württemberg mit ihrem Brut Nature oder Caroline Diel von der Nahe mit ihrem Spitzensekt Cuvée MO. Sehr überzeugend auch Niko Brandner vom Sekthaus Griesel in Bensheim an der Hessischen Bergstrasse mit seinem betont trockenen Blanc de Noir Zero Dosage. Neben den Sekten aus Burgundertrauben hat mich auch der Silvaner-Sekt vom fränkischen Weingut Castell überrascht: richtig schön zu trinken. Und unlängst konnte ich von Teresa Deufel vom Bodensee einen fantastischen Sekt aus der PIWI-Sorte Johanniter verkosten.

Fünfter Fehler: das deutsche Weingesetz

Doch alle Spitzenerzeuger kämpfen damit, dass die Bezeichnung „Sekt“ hinsichtlich Image und Preis für viele Konsumenten im unteren Segment angesiedelt ist. Das deutsche Weingesetz mit seinen Regeln und Begrifflichkeiten ist den ambitionierten Erzeugern wenig nützlich, um sich von der Massenware abzugrenzen. So kann der Begriff „Sekt“ für Erzeugnisse aus Flaschengärung sowie Tankgärung verwendet werden. Ausserdem dürfen Grundweine aus ganz Europa in den Verschnitt wandern.

Winzersekt gilt als vermeintlich höchste Qualitätsstufe. Die verwendeten Weine dürfen nur von eigenen Flächen und aus einer Region stammen. Klingt gut. Doch viele Spitzenerzeuger nutzen zum Beispiel für ihren Rieslingsekt Weine von verschiedenen Bodentypen, um die Komplexität zu erhöhen. Das können dann auch zugekaufte Trauben oder Grundweine aus verschiedenen Regionen sein – was der Qualität nicht unbedingt schadet. Selbst wenn das Weingut dann selbst versektet, darf das Erzeugnis in diesem Fall nicht als „Winzersekt“, sondern nur als „Deutscher Sekt“ auf den Markt kommen, während der Schaumwein vom Lohnversekter als „Winzersekt“ verkauft werden kann. Der Verbraucher kann also anhand der verwendeten Begrifflichkeiten nicht auf die Herstellungsqualität schließen.

Sektklassifikation des VDP: Auch hier gibt es Fragezeichen

Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) hat kürzlich Sekt in seine Klassifizierung aufgenommen – ein Schritt in die richtige Richtung. Wobei es auch hier noch große Fragenzeichen gibt: So gilt als höchste Stufe der Lagensekt aus Grossen Lagen. Doch sind die großen Lagen in der Regel besonders begünstigte Wärmeinseln. Für Sektgrundwein ist aber nicht hohe Reife entscheidend, sondern reife Säure bei niedrigen Zuckergehalten. Es gibt großartige Lagensekte wie zum Beispiel vom Schloss Vaux. Doch ist die Frage, ob wirklich alle Grosse Lagen auch große Sekte hervorbringen, durchaus berechtigt. Man wird in Zukunft sehen, wie das in der Praxis gehandhabt wird. Es bleibt also spannend.

Bei der oben erwähnten Probe konnte man auf jeden Fall einen Aufbruch bemerken. Die deutschen Sekt-Spitzen können sich in Zukunft locker mit den Top-Schaumweinen wie Trento DOC, Franciacorta, Cava und gutem Champagner messen lassen. Ob es irgendwann einen Sekt vom Kaliber eines Champagners Krug, Salon oder einer Cuvée Sir Winston Churchill geben wird, bezweifle ich allerdings. Da hat die Champagne einfach das bessere Terroir, und ihre Winzer viel mehr Erfahrung und Know How als ihre deutsche Kollegen.

Trotzdem machen geniale Riesling- und Burgunder-Sekte Lust, die Branche im Auge zu behalten. Jetzt braucht es nur noch kritische Konsumenten, die auch beim Sekt noblen Schaum von blosser Schaumschlägerei unterscheiden können. Dann wird Sekt tatsächlich „the next big thing“ aus good old Germany werden.


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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