Donnerstag, Oktober 10, 2024
14.4 C
München
spot_img

Weinlegende Hans-Günter Schwarz über Gummi arabicum

Gummi arabicum – das ist der Saft einer afrikanischen Akazienart. Er dient als Emulgator, der unter der Bezeichnung E 414 in vielen Lebensmitteln enthalten ist. Genau genommen ist er ein geschmacklich neutraler Klebestoff, der Flüssigkeiten dicker und Schäume stabiler macht. Gesundheitlich ist Gummi arabicum unbedenklich. Jeder kennt die Substanz von der Rückseite der Briefmarken: durch Anfeuchten werden diese klebefest gemacht.

Auch als Weinbehandlungsmittel ist Gummi arabicum offiziell zugelassen. Es dient als Stabilisator und Schönungsmittel für Farbe, Säure und gegebenenfalls auch für den Gerbstoff des Weins. Den meisten, die es benutzen, dient es allerdings als Weichmacher. Weist ihr Wein zu viele Bittertöne oder unerwünschte Gerbstoffe auf, kann er durch Zugabe von Gummi arabicum „weich“ gemacht werden. Nach dem Weinverständnis der obersten deutschen (und internationalen) Weinfunktionäre und EU-Bürokraten ist die Verwendung von Gummi arabicum (als flüssige Lösung in einer Dosierung von maximal 500 Milliliter auf einen Hektoliter Wein) eine „geschmacksfördernde Maßnahme“, die die sensorischen Eigenschaften des Weins verbessere. Es macht die Weine fülliger, verbessert das mouthfeeling.

Wie häufig Gummi arabicum in der Kellerwirtschaft eingesetzt wird, ist unbekannt. Dass es eingesetzt wird, beweisen zahlreiche Produkte, die sich im Handel befinden, und man geht nicht falsch in der Annahme, dass sowohl die Weinindustrie als auch kleine Winzer von der Substanz regen Gebrauch machen. Davon ist jedenfalls Hans Günter Schwarz überzeugt, der von 1961 bis 2002 Betriebsleiter des bekannten Weinguts Müller-Catoir in der Pfalz war und schon in den siebziger Jahren, als die Technologiegläubigkeit im deutschen Weinbau noch weitaus größer war als heute, als leidenschaftlicher Verteidiger einer Kellerwirtschaft der minimalen Eingriffe auftrat. Von ihm kommt die Devise des “kontrollierten Nichtstuns”: also der Überzeugung, dass optimale Weinqualitäten nur dann entstehen, wenn man den Wein im Keller sich weitgehend selbst überlässt.

Schwarz, der seit seinem Ruhestand zahlreiche Weinbaubetriebe berät, genießt bis heute und weit über die Pfalz hinaus einen exzellenten Ruf als Weinfachmann. Mit ihm sprach Ulrich Sautter.

weinkenner.de: Derzeit steht ein Schönungsmittel im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, nämlich Gummi arabicum. Manche Kommentatoren halten die Debatte für überflüssig, weil Gummi arabicum nicht gesundheitsgefährdend sei.

Schwarz: Alle zugelassenen Schönungsmittel sind nicht gesundheitsschädlich. Aber darum geht es gar nicht. Das Harmonisieren auf ein bestimmtes Geschmacksprofil hin – mollig, rund – lässt es nicht zu, Weine mit eigenem Fingerabdruck zu bekommen. Daher wende ich mich aus einer puristischen Einstellung heraus gegen solche Verfahren.

weinkenner.de: Nun sagen Kellerwirte, sie dienten ja nur den Bedürfnissen des Markts, wenn sie einem Wein Gummi arabicum zusetzen.

Schwarz: Ja, das ist so. Leider. Grade größere Betriebe können heute oft die naturgegebenen Bedingungen nicht mehr akzeptieren. Das Geschmacksbild des Weins soll möglichst gleich bleiben, unabhängig vom Jahrgang. Da nützt Gummi arabicum, weil es Unebenheiten glättet. Ich habe neulich gelesen, man könne Gummi arabicum auch als “Botox für den Wein” bezeichnen.

weinkenner.de: …was die Schönung in ein geradezu vulgäres Licht stellt.

Schwarz: Es geht um einen Mangel an Charakter. In so behandelten Weinen wird keine Geisteshaltung des Winzers mehr erkennbar. Wer seine Reben sorgfältig pflegt und seine  Trauben schonend verarbeitet, bekommt einen Wein, der keiner Geschmackskorrektur bedarf.

weinkenner.de: Ist Gummi arabicum eigentlich sensorisch erkennbar?

Schwarz: Ich denke, wenn man gleiche Grundweine oder Moste gleichen Ursprungs heranzieht – einmal behandelt, einmal unbehandelt, dann ist der Unterschied deutlich schmeckbar. Wenn man einen Wein aber einfach so ohne Begleitinformation ins Glas bekommt, glaube ich das nicht, dass einem eine eventuell vorangegangene Schönung mit Gummi arabicum auffällt. Gummi arabicum verleiht schlanken, grünen, etwas einfachen Weinen mehr Fülle. Das ist der Effekt. Wobei sehr fraglich ist, ob dieser Effekt lange anhält. Ich glaube nicht, dass die so behandelten Weine gut reifen.

weinkenner.de: Wo wird Gummi arabicum stärker eingesetzt, bei Weißweinen oder bei Rotweinen?

Schwarz: Meiner Einschätzung nach ist es ein Weißweinthema. Bei Rotwein spielen Mittel wie Gelatine eine größere Rolle, um die Tanninstruktur zu reduzieren.

weinkenner.de: Und ist es eher ein Thema für Italien und andere südeuropäische Länder, oder auch ein deutsches Thema?

Schwarz: Das ist ein riesiges Thema im Süden, wie man an den dortigen Absatzzahlen für Gummi arabicum festmachen kann. Bei uns ist es ein Nischenthema, es wird nicht groß darüber gesprochen. Doch wenn man sich die Behandlungsempfehlungen aus den Weinlaboren ansieht, dann ist man schon erstaunt, wie oft auch hierzulande Gummi arabicum empfohlen wird.

weinkenner.de: Das heißt, die Labore, die die üblichen chemischen Analysen durchführen, schicken mit dem Laborbefund gleich auch Schönungsempfehlungen mit?

Schwarz: Genau. Das finde ich auch da in Ordnung, wo es um einfachste Weine geht, die nicht ohne Korrektur auskommen. Andererseits gebietet der Respekt vor dem Naturprodukt Wein, einem makellosen Tropfen zu attestieren, dass er keiner geschmackskorrigierenden Behandlung bedarf – und so tun das auch die Labore, die ich persönlich kenne.

weinkenner.de: Trotzdem scheint der Handel mit Schönungsmitteln ein willkommener Nebenerwerb zu sein.

Schwarz: Ich möchte die Labore da etwas in Schutz nehmen. Denn es sind ja oft die Winzer, die einen solchen Ratschlag erwarten. Ein allgemeingültiges Rezept zur erfolgreichen Weinbereitung – diese Wunschvorstellung ist meines Erachtens innerhalb der Winzerschaft noch immer weit verbreitet.

weinkenner.de: Aber solch ein Rezept kann es natürlich nicht geben, zumindest nicht für hochwertigen Wein.

Schwarz: Und die hochwertigen Weine sind am Markt leider in der Minderheit. In den Laboren stehen reihenweise Weine zur analytischen und sensorischen Begutachtung an, die in ihrem Ausgangszustand dem Konsumenten nur bedingt oder gar nicht zumutbar sind. Erst durch den Einsatz zulässiger Schönungsmittel werden sie halbwegs marktgerecht – eben beispielsweise durch Gummi arabicum, wenn der Wein klein und grün ist. Man muss sich vor Augen führen: Manches auf dem Massenweinmarkt ist so bescheiden, dass es nicht einmal die Gestehungskosten rechtfertigt. Und solche Weine, die eigentlich niemand braucht und die auch keinen Genuss vermitteln, werden durch solche Schönungen dann noch konsumfähig gemacht.

weinkenner.de: Was sind die Alternativen?

Schwarz: Das hoch sensible innere Gefüge des Weines kann nur durch naturbezogenes, puristisches Denken und Handeln vor Beschädigung bewahrt bleiben. Das Handeln gemäß dem Grundsatz “Aktionismus am Rebstock” und “Minimalismus im Keller” (also sozusagen kontrolliertes Nichtstun) sollte die Maxime sein. Und wir reden hier ja über Wein, nicht über ein beliebiges Grundnahrungsmittel. Für mich bedeutet guter Wein gesteigerte Lebensqualität. Er ist ein Kulturgut, nicht nur ein Genussmittel. Wer sich ernsthaft damit beschäftigt, wird über den reinen Trinkgenuss hinaus zusätzlich in seinem Leben bereichert. Daher auch die Redeweise vom “Wein mit Fingerabdruck”. Individuelle Weine, die die Geisteshaltung des Winzers zeigen, und die ebenso die Lage, den Boden, die Mineralität zum Ausdruck bringen: Wenn ich so etwas im Glas habe, könnte ich ausflippen vor Freude.

- Anzeige -spot_img
- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img