Wein ist nicht nur das schönste Genussmittel der Welt, sondern auch das Objekt der Begierde von Menschen, die nie ein Glas Alkohol trinken. Sie spekulieren auf die Wertsteigerung edler Tropfen, um diese dann gewinnbringend zu verkaufen. In Zeiten, da die Zinsen niedrig sind, hat das Thema „Wein als Kapitalanlage“ Hochkonjunktur.
Welt, Welt am Sonntag, Wirtschaftswoche, Focus, Manager Magazin, selbst der Spiegel werden nicht müde, ihren Lesern den Mund wässrig zu machen mit Renditen, die der herkömmliche Kapitalmarkt nicht hergibt. Doch wieviele sie wirklich erwirtschaftet haben und warum so viele nicht – dem ist keiner der schlauen Autoren nachgegangen.
Zehn Lektionen für Anfänger
Die Vorstellung, auf einem Berg von Kisten im Keller zu sitzen und dabei zuzusehen, wie deren Inhalt reift und immer wertvoller wird, ist sicher attraktiv. Leider ist das Geldverdienen nicht so einfach. Denn der Weinmarkt ist voller Fallen und Fußfesseln. Wer kein ausgebuffter Profi ist, wird bei der Spekulation mit Wein viel Geld verlieren.
Die erste Lektion, die es zu lernen gilt: Weine, speziell Rotweine, werden mit dem Alter zwar besser, steigen aber deswegen nicht automatisch an Wert. Zweite Lektion: Ob ein Wein gut schmeckt, ist für die Preisentwicklung völlig unerheblich.
99,9 Prozent der Weine sind völlig ungeeignet für die Spekulation
Dritte Lektion: Von den geschätzt 20 Millionen verschiedenen Sorten Wein, die auf der Welt produziert werden, eignen sich höchstens 500 zur Spekulation. Das heißt: Für 99,9 Prozent der Weine gibt es keinen Sekundärmarkt. Man kann sie mangels Nachfrage nicht gewinnbringend weiterverkaufen. Vierte Lektion: Von den 500 Weinen bleiben letztlich nur 100 übrig, die eine realistische Chance haben, Renditen abzuwerfen.
Fünfte Lektion: Auf diese 100 Weine stürzen sich Weinfonds, Weinbroker, Weinhändler und private Anleger in aller Welt. Welche Weine das sind, kann man im Liv Ex 100 nachlesen. Dieser in London aufgelegte Fine Wine Index wertet alle Käufe und Verkäufe auf Auktionen in England aus. London ist die Welthauptstadt des Weinhandels.
Die meisten Profis rechnen sich reich
Sechste Lektion: Die einzige Chance, mit Weinspekulation Geld zu verdienen, besteht darin, sich einem Profi anzuvertrauen. Wer auf eigene Faust Wein kauft und einlagert, den ereilt das Schicksal fast aller Amateur-Investoren: Er muss seine Weine am Ende selber trinken, was zwar nicht schlimm ist, aber enttäuschend und auch teuer sein kann, wenn man den Wein auf Kredit gekauft hat. Siebte Lektion: Von denen, die sich Profi nennen, sind komischerweise nur wenige reich geworden. Die meisten haben sich (und ihre Kunden) nur reich gerechnet. Das sollte Anlegern zu denken geben.
Parker „macht“ den Markt – und kein anderer
Achte Lektion: Ob die Liv-Ex-100-Weine im Wert steigen oder sinken, hängt entscheidend von den Beurteilungen des amerikanischen Weintesters Robert Parker ab. Er und kein anderer „macht“ den Markt (auch wenn Parker selbst sich inzwischen weitgehend aus dem Weingeschäft zurückgezogen hat und es mittlerweile zuverlässigere Verkoster gibt als seine Mitarbeiter).
Neunte Lektion: Parker veröffentlicht seine Bewertungen regelmäßig. Aber sie sind schwer vorhersehbar. Ein Wein, der von ihm 100 Punkte bekommt (das Maximum), verdoppelt seinen Wert binnen Tagesfrist. Wer ihn dann nicht schon im Keller hat, muss ihn teuer nachkaufen.
Oft ist die Rendite nur ein schöner Buchwert
Zehnte Lektion: Nach einigen Jahren verkostet Parker, auch das „Orakel von Philadelphia“ genannt (nach seinem Wohnort), die Weine nach. Wenn der 100-Punkte-Wein sich nicht so wie vorgesehen entwickelt hat und von ihm auf 98 Punkte reduziert wird, bricht dessen Preis sofort ein. Die Rendite, von der der Anleger geträumt hat, war dann nur ein schöner Buchwert.
Knapp 80 Prozent der Weine im Liv Ex 100 kommen aus Bordeaux. Der Rest verteilt sich auf ein paar Gewächse aus Burgund, Spanien, Italien, der Rhône und der Champagne. Die Zusammensetzung des Index wechselt zwar alle paar Monate. Aber die Relationen ändern sich sich kaum. Bordeaux bleibt führend. Deutsche Weine sind in dem Index nicht enthalten.
Spekulanten jonglieren mit verführerischen Zahlen
Alle, die andere zur Spekulation mit Wein überreden wollen, jonglieren mit verführerischen Zahlen. Etwa dem berühmten Wein von Pétrus. Eine Flasche 2005er Pétrus kostete, als der Wein freigegeben wurde, etwa 2.800 Dollar. Innerhalb von einem Jahr stieg der Preis auf fast 6.000 Dollar – nicht etwa weil er in so kurzer Zeit besser geworden wäre, sondern weil Parker ihn von 96-100 Punkte auf 98-100 Punkte heraufgestuft hatte. Das reichte, um neue Nachfrage zu generieren. Wer den Wein im Keller hatte, konnte sich also rühmen, Dow Jones, Nasdaq und Dax geschlagen zu haben.
Aber wer hatte ihn im Keller? Einen Pétrus kann man nicht einfach kaufen wie einen Kasten Bier. Der Wein ist kontingentiert. Wer eine 12er Kiste haben möchte, muss zehn oder 20 Kisten anderer Weine erwerben („Koppelgeschäfte“) – oder er zahlt schon zum Einstand einen Mondpreis. Wenn er Glück hat und einen gnädigen Weinhändler findet, füttert dieser ihn vielleicht mit einer Flasche an. Mit der kann der Amateur-Investor dann gegen den Dax spekulieren.
Blue Chip Romanée-Conti – aber wo kriegt man ihn?
Bei anderen Wein-Blue-Chips ist die Situation noch vertrackter. Die Weine der berühmten Domaine de la Romanée-Conti aus dem Burgund werden zwar in jedem Zeitschriftenartikel zitiert. Doch nirgendwo wird erklärt, wie und wo man sie bekommt. Das Weingut hat eine feste Kundenliste. Neuaufnahmen gibt es extrem selten. Ein Fachhändler belohnt mit den wenigen Flaschen, die er von diesen Weinen zugeteilt bekommt, seine besten Kunden – wenn er die edlen Tropfen nicht selber trinkt.
Emails und Faxe an das Weingut direkt bleiben unbeantwortet. Ganz Schlaue, die sich persönlich auf den Weg ins Burgund machen, finden sich vor einem verschlossenen schmiedeeisernen Tor wieder. Sollten sie den Besitzer zufällig auf der Straße treffen und ansprechen, können sie sich auf eine Gardinenpredigt gefasst machen. Aubert de Villaine hasst Menschen, die seinen Wein als Spekulationsobjekt benutzen.
Wie schmeckt eigentlich ein Romanée-Conti?
Hauptproblem Beschaffung
Nach dem „Orakel von Philadelphia“ ist also die Beschaffung das Hauptproblem für Spekulanten. Findige Anlageberater waren vor einigen Jahren deshalb auf die Idee gekommen, auf weniger berühmte Etiketten auszuweichen. Also auf Weine, die leichter und in größerer Menge verfügbar sind: zum Beispiel die Zweitweine der großen Bordeaux-Châteaux. Der Versuch endete mit einem Destaster. Der Preis des Carruades von Château Lafite ist nach anfänglichem Steigflug um 40 Prozent eingebrochen, der des Pavillon Rouge von Château Margaux um ein Drittel.
Übrigens: Auch der 2005er Pétrus ist von 6.000 Dollar wieder auf etwa 3.000 Dollar gesunken. Parker gibt ihm jetzt nur noch 96+ Punkte. Die beste Performance aller Liv-Ex-100-Weine hat im letzten Jahr ein Merlot aus der Toskana hingelegt. Er heißt Masseto und gilt als Pétrus-Rivale. Ihn hatte bis vor wenigen Jahren niemand auf dem Zettel. Inzwischen hat sich sein Preis auf 450 Euro pro Flasche fast verdoppelt, und die Beschaffung ist ebenso schwierig wie beim Pétrus selbst geworden. Gelegentlich findet man bei Auktionen eine Flasche dieses Weins. Wer sie ersteigert, sichert erstmal nur dem Einlieferer die Rendite. Auf die eigene muss er noch warten.
Dies ist eine leicht veränderte Fassung eines Artikels, der in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift ARTINVESTOR erschienen ist.
Hallo Herr Priewe, das ist ein toller Artikel. Ganz kleine Anmerkung: Parker lebt eigentlich in Maryland und wird das “Orakel von Maryland” genannt. 😉