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Verdicchio aus den Marken (ausgesprochen: werdik-jo) steht in jeder italienischen Vorstadtpizzeria auf der Weinkarte. Aber auch der gute Verdicchio? Oder nur der billige, der aus den Stahltanks großer Weinkellereien fernab seines angestammten Anbaugebiets in der Region Marken kommt? Beide. Das ist schon ein Fortschritt. Denn vor 25 Jahren tauchten da nur wässrige, nahezu farblose Industrieweine auf, die wie Rasierwasser mit Kohlensäure schmeckten und oft in einer folkloristischen Amphorenflasche abgefüllt waren.
Industrie-Verdicchios und Bauern-Verdicchios
Zwar gab es auch damals bereits viele kleine Winzer in den Marken, die sich mit Fleiß und Leidenschaft der gleichnamigen Rebsorte widmeten, aber meistens ohne viel Können. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, existierten neben den Industrie-Verdicchios zu jener Zeit nur fette, nicht selten unfrische, tiefgelbe Verdicchios, die in Dorftrattorien an Einheimische ausgeschenkt wurden. Ins Ausland gelangten diese Weine selten.
Anbaugebiet Verdicchio Castelli di JesiDie Industrie-Verdicchios gibt es noch immer. Sie blockieren nach wie vor die Regale der Supermärkte und Duty Free Shops. Aber sie sind nicht mehr repräsentativ für das Anbaugebiet um die Hafenstadt Ancona. Aus den vielen kleinen Winzerbetrieben sind inzwischen respektable Weingüter geworden, in denen eine neue, gut ausgebildete Generation von Winzern arbeitet, die Ehrgeiz hat und von der Aufgabe beseelt ist, aus der alten Rebsorte Verdicchio einen hochqualitativen, unverwechselbaren Wein zu erzeugen.
Wein für Spießer und Langweiler?
Die Zeiten, in den der Verdicchio ein Wein für Spießer und Langweiler war, sind also vorbei. Die guten Verdicchio von heute sind stoffige, feinstrahlige Weißweine, die gern jung getrunken werden, wenn sie noch frisch und knackig sind. Sie sind gehaltvolle, unkompliziert zu trinkende, aber nie simple Weine, die durch salzige Mineralität, ausgeprägte Kräuteraromen und eine elegante Bitternote glänzen. Und sie kosten kein Vermögen. Die Preise für die Basisqualitäten liegen um 6 Euro, für die gehobenen Qualitäten um 10 Euro.
Überraschung: Ein Verdicchio kann reifen
Mehr noch: Ein Verdicchio kann durchaus ein paar Jahre auf der Flasche reifen, die gehobenen Qualitäten jedenfalls. Die Rede ist von fünf Jahren, manchmal auch zehn oder mehr Jahren. Das habe ich auf einem Kurztrip in die Marken erfahren können. Konkret: in das Anbaugebiet des Verdicchio Castelli di Jesi und tiefer im Landesinneren gelegene Gebiet Verdicchio di Matelica. Wer ab und zu Lust auf gereifte Weißweine hat, der sollte sich eine Kiste in den Keller legen und für ein paar Jahre vergessen. Dann ist der Wein reif, komplex und ein wunderbarer Speisenbegleiter – und das nicht nur zu Fisch. Lesen Sie dazu die Statements von vier Weinerzeugern, die ich auf meinem Trip getroffen habe.
Stefano Antonucci
Inhaber des Weinguts Santa Barbara
„Dieser Wein hier“, sagt Stefano Antonucci, und zeigt auf eine Flasche seines Basisweins Le Vaglie, „kostet im Supermarkt neun Euro – und der kann altern.“ Antonucci selbst trinkt seinen Verdicchio zwar lieber jung und frisch, beobachtet aber einen Trend zu gereiften Sachen.
Immer mehr gute Restaurants in der Region würden entweder nach älteren Jahrgängen suchen oder sich ein paar Kisten vom aktuellen in den Keller legen. Antonucci bewahrt grundsätzlich 200 Flaschen von jedem Wein auf und kann den Gastronomen meist weiterhelfen.
Auch wenn er selber Verdicchio gern im ersten Jahr nach der Lese trinkt, so kann er sich doch der Faszination seiner eigenen, gereiften Weine nicht entziehen. „Riech doch mal, schmeck doch mal“, sagt er. „Der 2007er geht für mich schon in Richtung Burgund, dem ersten Eindruck nach ist das kein Verdicchio. Die Säure ist nur noch unterschwellig zu spüren, aber der Wein ist noch total fit!“
Giovanni Marotti Campi
Inhaber des Weinguts Giovanni e Francesca Marotti
Giovanni Marotti Campi„Ich mag Verdicchio, denn er ist in meinen Augen eine der wenigen Sorten, die gut reifen können. Und zwar nicht wegen der Säure, sondern wegen ihrer Struktur“, sagt Giovanni Marotti Campi. Aber Vorsicht:
“Soll sie altern, ist die Rebsorte manchmal ein bisschen zickig.”
Marotti Campi hat mit seinen Weinen die Erfahrung gemacht, dass sie sich nach ihrer jugendlichen Sturm-und-Drang-Phase erst einmal verschließen. Das dauert etwa drei bis vier Jahre, dann beginnen sie wieder Spaß zu machen und erste Reifenoten zu zeigen.
Dem Winzer gefällt an seinen gereiften Weinen, wie gut sie zu den Speisen der Region passen. „Ein Verdicchio überdeckt nicht den Geschmack des Essens sondern unterstützt ihn. Seine Salzigkeit passt außerdem gut mit anspruchsvolleren Gerichten“, sagt er, etwa Seeteufel (Lotte) mit Oliven und Tomaten.
Giuliano D’Ignazi
Direktor der Cantina Moncaro
Giuliano D’Ignazi schnuppert am Glas einer Verdicchio-Riserva aus dem Jahr 2013 und schüttelt den Kopf. „Dieser Wein ist noch nicht fertig. Das ist er vielleicht in zwei oder drei Jahren“, sagt der technische Direktor der Cooperative Moncaro. D’Ignazi weiß, wovon er spricht.
„Gereift ist ein Verdicchio einfach komplexer.”
Er oxydiert dabei aber nicht, sondern bleibt frisch. Er bekommt balsamische Noten, Gewürze wie Anis werden stärker, dazu getrocknete Würzkräuter und getrocknete Zitronenschalen. Dazu passt dann wunderbar gedünsteter Fenchel mit Fisch. Nach acht bis zehn Jahren tauchen dann Petrolnoten auf, wie man sie von gereiftem Riesling kennt“, sagt er und entkorkt eine Flasche des Jahrgangs 2001.
Er lächelt: „Das ist mein Lieblingsjahrgang, ein sehr besonderer und eleganter Wein. Ich habe Noten von Petrol, Ahornsirup, Kräutern und gelben Früchten in der Nase. Am Gaumen finde ich wieder Ahornsirup und Kräuter, dazu Orangen- und Zitronenschalen. Außerdem ist die Säure noch schön präsent. Dazu hätte ich jetzt gerne gereiften Hartkäse oder eine Trüffelpasta.“
Roberto Potentini
Önologe der Cantine Belisario
Roberto PotentiniEin paar Kilometer landeinwärts ändert sich die Landschaft. Es wird bergiger. Auf bis zu 1500 Meter Höhe über dem Meer erstrecken sich die Gipfel das Apennin. Das Klima ist nicht mehr mediterran sondern kontinental. Auch dort wird Verdicchio angebaut, zum Beispiel von der Genossenschaft Belisario.
Der Önologe Roberto Potentini erklärt, wie sich der Wein aus Matelica von dem aus Jesi unterscheidet: „Zum einen sind bei uns die Dimensionen viel kleiner. Jesi ist zehn Mal größer als wir. Zum anderen liegen die Weinberge hier viel höher. Bei uns wachsen die Reben zwischen 420 und 900 Metern, in Jesi bis maximal 300 Metern.
Das bedeutet natürlich eine ganz andere Sensorik des Weins, frischere und präsentere Säure.“ Sein Lieblingswein ist derzeit der Jahrgang 2009, „die Harmonie, die Intensität der Aromen, die kräftige Nase, am Gaumen…hach! Je weiter man zurückgeht, desto salziger wirkt die Säure, die Tertiäraromen werden immer mehr. Kamille, Tee, Honig und ganz deutlich Salbei“, sagt Potentini. „Beim Verdicchio ist das so: zu Anfang haben wir einen hohen Zuckerwert, eine hohe Säure und einen niedrigen Ph-Wert. Das alles sind wunderbare Instrumente fürs Altern eines Weins, das sollten die Leute viel öfter mal probieren.“