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Hidden Champion: die schäumenden Weine der Tenuta Travaglino

Es gibt Gegenden in Italien, die zwar bekannt, aber merkwürdig unentdeckt geblieben sind. Auf eines dieser Gebiete bin ich neulich gestossen. Es liegt im Norden Italiens, zwischen Mailand und Genua und heisst Oltrepò Pavese. Es ist das grösste Rebenanbaugebiet der Lombardei – nur keiner weiss es.

Eine Hügellandschaft, mal sanft gewellt, mal schroff und steil mit pittoresken Dörfchen, prächtigen Villen und schlossartigen Weingütern. Ein kleines Paradies. Die Mailänder haben es längst für sich entdeckt, ausländische Touristen noch nicht.

Qualität, die es in Italien nicht oft gibt

Ich kenne das Oltrepò Pavese schon lange, habe es vor vielen Jahren sogar einmal bereist, doch dann schnell wieder vergessen – bis ich neulich im Münchener Restaurant „Pageou“ einen aussergewöhnlichen Wein von dort trank: ein Metodo Classico, also ein flaschenvergorener Schaumwein von einer Qualität, wie es nicht viele in Italien gibt. Hätte er mich nicht so elektrisiert, hätte ich vielleicht gar nicht aufs Etikett geschaut. Denn ich war eingeladen, und als Gast vertraut man dem Gastgeber, dass er etwas Ordentliches einschenkt.

Ein Schaumwein zum Essen, nicht zum Aperitiv

Der schäumende Wein hiess „Vincenzo Comi“ und wirkte extrem finessig auf mich. Ein Jahrgang-Schaumwein, überwiegend aus Pinot Nero gewonnen (wie die Sorte Pinot Noir in Italien heisst) mit 15prozentigem Anteil Chardonnay, fünf Jahre auf der Hefe gelegen, trotzdem ausserordentlich frisch und sehr, sehr cremig. Er prunkt mit Brioche, Teeblüten, Apfeltarte im Bouquet, auf der Zunge mit buttriger Fülle. Wir tranken ihn nicht zum Aperitiv, sondern zum Hauptgericht, und zwar einem geschmorten Wagyu Beef. Knickte er ein ob dieses kräftigen Gerichts? Mitnichten. Eher wäre er als Aperitiv deplatziert.

Pinot Nero Trauben

Der Ruf der meisten Weingüter reicht nur bis Mailand

Plötzlich war das Oltrepò Pavese wieder auf meinem Radar (man spricht den Namen des Gebiets übrigens mit einem kurzen, abgehackten o aus). Dieses landschaftlich schöne, aber unentdeckte Gebiet, weist die grössten Pinot Nero-Rebflächen in Italien auf, bringt aber weder Still- noch Schaumweine von Ruf aus dieser Sorte hervor. Daneben werden Pinot Grigio, Pinot Bianco, Chardonnay, sogar wenig Riesling angebaut, Weissweinsorten, die durchaus gute  Weine hervorbringen können, die in der Realität aber meist ziemlich bieder ausfallen und irgendwo in der norditalienischen Weinindustrie versickern. Barbera und Bonarda, die beiden traditionellen Rotweine, krallen sich die Mailänder, bevor sie exportiert werden können. Entsprechend reicht der Bekanntheitsgrad der meisten Weingüter aus dem Oltrepò Pavese nur bis zu der lombardischen Metropole. Schade.

Der Export beginnt gerade erst

Der schäumende „Vincenzo Comi“ kommt aus einem der prächtigsten Anwesen des Gebiets, der Tenuta Travaglino. Ein historisches Gut mit Herrenhaus, Gesindewohnungen und riesigem Innenhof, über den früher das Vieh getrieben, Heu und Getreide eingebracht wurden und die Ochsengespanne fuhren mit Karren voller Trauben. Die alten Gemäuer sind geblieben. Aber Travaglino ist heute ein modernes Weingut mit 80 Hektar Rebflächen und vielen ausgezeichneten Weinen, die leider zum allergrössten Teil des Land nicht verlassen – Schicksal des Oltrepò Pavese. Seit geraumer Zeit wird immerhin ein kleiner Teil in die weite Welt exportiert, etwa nach England und nach Amerika. Auch in Berlin gibt es mittlerweile eine kleine Weinhandlung, die einige der Travaglino-Weine führt: das Weing’schäft in Kreuzberg.

Cristina Cerri, der Schlüssel des Erfolgs

All das hat mit Cristina Cerri zu tun. Die Mittdreissigerin, studierte Betriebswirtin mit internationaler Management-Ausbildung, hat sich vor fünf Jahren entschlossen, in das Weingut einzusteigen statt die vorgesehene Bankenkarriere zu machen. Die Tenuta Travaglino gehört seit 150 Jahren ihrer Familie, den Comi. Vincenzo war der Grossvater, er hat sie überzeugt, Mailand zu verlassen und sich samt Familie auf dem Gut niederzulassen. Sie hat das Gut renoviert, neue Berater mit landesweiter Reputation eingestellt, die die Qualitätsschraube angezogen haben. Mittlerweile bekommt ihr Brut von amerikanischen und englischen Kritikern Punkte wie ein guter Jahrgangschampagner. Das hat die Aufmerksamkeit auch auf die anderen Weine gelenkt, insbesondere die stillen Pinot Nero und den Riesling, auf den sie besonders stolz ist. Und natürlich auf die anderen Schaumweine, die aus dem Travaglino-Keller kommen.

Cristina Cerri

Drei weitere feine Metodo Classico

Die Tenuta Travaglino ist ein Weingut, das sich auf Schaumweine spezialisiert hat. Der „Vincenzo Comi“ ist die Spitzencuvée. Von ihr werden im Moment nur wenige tausend Flaschen abgefüllt. Er ist rar und der Preis relativ hoch, obwohl er eigentlich spottbillig ist verglichen mit dem Preis durchschnittlicher Jahrgangs-Champagner. Aber aus den Travaglino-Kellern kommen weitere Metodo Classico, die ebenfalls sehr nobel sind: etwa eine „Gran Cuvée“ und ein feiner, roséfarbener Schäumer namens „Montecérésino“. Beide sind reinsortig aus Pinot Nero gewonnen und haben 42 beziehungsweise 24 Monate auf der Hefe gelegen – so wie es im Oltrepò Pavese Tradition ist. Dazu ein wunderbar cremiger Pinot Nero-/Chardonnay-Schaumwein. Sie alle kosten um die 20 Euro und stehen in den besten Restaurants zwischen Mailand und Rom auf der Karte. In Deutschland sind sie derzeit nicht erhältlich.

Es gibt auch einfache, alltagstaugliche Prickler

Natürlich, auch die perlensüchtigsten Italiener benötigen alltagstaugliche Alternativen, deren Preis Einkommens-kompatibel ist. Für diesen Zweck produziert Travaglino zwei einfache Prickler. Der Ausdruck „Prickler“ passt in diesem Fall, weil es sich nicht um flaschenvergorene Weine, sondern tankvergorene Frizzante handelt – also leicht schäumende Weine. Der „Pajss“ ist weiss und wird aus Pinot Nero, der „Moranda“ rot und aus Bonarda-Trauben gewonnen – genau das Richtige für einen Teller Spaghetti Bolognese beziehungsweise für Spaghetti alle Vongole. Da für Frizzante in Deutschland keine Schaumweinsteuer erhoben wird, braucht der Kunde für sie sein Portemonnaie nicht so furchtbar weit aufmachen.

Warum die Weine des Oltrepò Pavese so preiswert sind

Bleibt die Frage, warum das Oltrepò Pavese so preiswert ist. Antwort: weil das Gebiet relativ unbekannt ist. Da es nirgendwo in Italien so guten Grundwein aus dieser Sorte in solch grossen Mengen gibt wie dort, kaufen multinationale Kellereien wie Martini & Rossi, Cinzano, Gancia den grössten Teil des Pinot Nero aus dem OItrepò Pavese auf, um ihn mit Chardonnay aus anderen Teilen Italiens zu verschneiden und unter verschiedenen Handelsmarken anzubieten. Der Name des Herkunftsgebiets taucht in diesem Fall gar nicht auf dem Etikett auf.

Das Oltrepò Pavese besitzt zwar eine eigene D.O.C.G., aber nur wenige benutzen sie

Dabei besitzt das Oltrepò Pavese eine eigene D.O.C.G.-Herkunftsbezeichnung, Jahrelang hatten die Weinproduzenten gekämpft, dass ihr Schaumwein nach der Metodo Classico (der Flaschengärmethode) den Status eines D.O.C.G.-Weins bekommt. 2007 war es endlich soweit. Die Korken knallten, der Durchbruch schien geschafft. Schien. Inzwischen ist Ernüchterung eingetreten. Nur wenige Metodo classico-Produzenten bringen ihre Erzeugnisse als D.O.C.G.-Schaumwein auf den Markt. Die gesetzlichen Anforderungen sind hoch. Sie zu erfüllen ist kostspielig. Billiger ist es, die Schäumer wie bisher als D.O.C.-Weine oder als einfache IGT-Weine zu deklarieren (Landwein-Status). Folge: Im Gegensatz zur Franciacorta und zum Trentino, den beiden berühmtesten Metodo Classico-Produzenten Italiens, fehlt es dem Oltrepò Pavese an internationaler Reputation als hochklassige Schaumwein-Appellation.

Potenzial für grosse Schaumweine

Die Tenuta Travaglino ist einer der wenigen verbliebenen qualitätsorientierten Erzeuger im Anbaugebiet, der die strengen gesetzlichen Anforderungen an eine Metodo Classico akzeptiert und erfüllt. Alle ihre flaschenvergorenen Schaumweine sind D.O.C.G.-Weine. „Wir stehen aus Überzeugung hinter dem Statut“, sagt Cristina Cerri. „Das Oltrepò Pavese hat das Potenzial, sehr gute und grosse Schaumweine hervorzubringen.“ Übrigens: Ihr jüngerer Bruder ist mittlerweile auch ins Weingut eingestiegen. Er baut einen Teil des Gutes zu Ferienwohnungen aus. Sie werden an Touristen vermietet. „Wir hoffen, dass unser Anbaugebiet so bekannter wird“, versprüht die Schwester Optimismus.

Weine aus diesem Artikel:

Travaglino Vincenzo Comi

Travaglino Gran Cuvée

Travaglino Cuvée 59

Travaglino Montecérésino

Die Oltrepò Pavese Riserva „Vincenzo Comi“ (Preis: 39,90 Euro) sowie der Frizzante Pajss und der Frizzante Moranda (beide 8,50 Euro)  sind erhältich im Weing’schäft, Bergmannstrasse 16, 10961 Berlin: www.weingschaeft.de

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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