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Streitfrage: Überfordern Große Gewächse den deutschen Gaumen?

Manfred Klimek alias Captain Cork wundert sich. Er hat bei einem Weinversender einen Wein gefunden, der nach seiner Meinung längst ausverkauft sein sollte: Schloßböckelheimer Kupfergrube Riesling Großes Gewächs aus dem Weingut Schäfer-Fröhlich, Jahrgang 2008. Er findet es bedenklich, dass einer der besten deutschen Weine auch nach fünf Jahren immer noch im Handel ist. „Wo sind die Sammler und Trinker?“ fragt er. Und: „Was lässt Deutsche so gering nach deutschen Weinen greifen?“

Stimmt etwas in Deutschland nicht? Der Blogger Dirk Würtz glaubt zum Beispiel, dass das gesamte Konstrukt Großes Gewächs auf den Prüfstand gehört. Auch die Facebook-Community „Hauptsache Wein“ treibt das Thema um, wobei der Tenor der zahlreichen Postings ist, dass der für „Normalos“ hohe Preis der Großen Gewächse die Ursache für das schwierige Geschäft mit deutschem Spitzenwein ist.

Sind die Deutschen nicht stolz auf ihre Winzer?

Sind die Großen Gewächse also überflüssig? Überfordern sie Geschmack und Geldbeutel der Deutschen? Oder fehlt es den Deutschen einfach an Stolz, Stolz auf ihre genialen Weine und Winzer? Mit dieser Erklärung hatte Captain Cork am letzten Sonntag das Fass aufgemacht: „Deutschland und der deutsche Weintrinker sind nicht stolz auf ihre Winzer“ – im Gegensatz etwa zu den Österreichern. Captain Cork ist Österreicher.

Ich finde alle diese Fragen spannend. Sie treiben auch mich schon lange um, wobei  mein Fokus nicht nur auf den Großen Gewächsen liegt. Mir fällt seit Jahren auf, dass die Topweine in anderen Ländern wesentlich höher geschätzt werden als im kaufkraftstarken Deutschland. Die Bereitschaft, für sie ein paar Euro mehr auszugeben, ist bei uns merkwürdig schwach ausgeprägt. Andere Nationen lassen sich Genuss mehr kosten.

Große Gewächse auf den Weingütern ausverkauft

Die Großen Gewächse sind für diesen Trend eher ein schlechtes Beispiel. Sie sind bei den Weingütern längst ausverkauft, auch die jüngeren Jahrgänge. Und die Käufer sind zum weit überwiegenden Teil Deutsche. Wenn der eine oder andere Wein noch in der Liste eines Händlers auftaucht, kann ich darin kein Problem erkennen. Besser gesagt: kein Indiz für mangelnden Stolz, gar Ignoranz. Bei Preisen um 30 Euro pro Flasche ist die Luft nun einmal dünn.

Was speziell den 2008er angeht: Dieser Jahrgang wurde seinerzeit von den Journalisten ziemlich lustlos kommentiert. Das hat sich in den Köpfen vieler Weintrinker festgesetzt. Nur ganz wenige Kritiker haben erkannt, dass der 2008er vermutlich der beste Riesling-Jahrgang im neuen Jahrtausend ist.

Im Übrigen sind von den teuren ausländischen Spitzenweinen noch sehr viel mehr Flaschen älterer Jahrgänge im Handel als von deutschen Weinen: Chambertin, Sassicaia, Pingus, Margaux, Singerriedel. Darüber regt sich niemand auf. Mit Recht nicht. Allerdings sind die Mengen, in denen diese Weine auf den deutschen Markt kommen, meistens größer als die der Großen Gewächse, die Preise noch höher. Logisch, dass die Läger noch nicht sofort geräumt sind.

Das Problem sind die 8- bis 20-Euro-Weine

Mainzer Weinbörse 2011 | © VDPWas mich ratlos macht, ist die große Zahl der 8- bis 20-Euro-Weine, die sich so zäh verkaufen und nicht selten jahrelang die Listen der Winzer oder Händler zieren. Also nicht die Kultweine, aber die gehobenen Qualitäten. Am Preis kann es nicht liegen. Von den geschätzten 25 Millionen Weintrinkern in Deutschland leben nicht alle in prekären Verhältnissen. 20 Euro für eine Chianti classico Riserva müsste eigentlich im Budget eines Menschen, der Armani Jeans trägt und ein iPad besitzt, drin sein, wenigstens gelegentlich. Oder 15 Euro für einen besonderen spanischen Rotwein.

Von den 8 bis 9 Euro ganz zu schweigen, die eine trockene Silvaner Spätlese aus Franken kostet (wenn der Winzer nicht gerade ein VDPler ist). Tatsache aber ist, dass sich Spätlesen vergleichsweise schleppend verkaufen, während die Einstiegsweine ratzefatz weg sind. Winzerkollegen aus der Pfalz, aus Rheinhessen, von der Nahe können das bestätigen. Und Weinhändler für spanische und italienische Weine auch. Alles was ein bisschen anspruchsvoller ist, braucht Jahre, um losgeschlagen zu werden.

Am besten schmecken ihnen die einfachen Gutsweine

Woran liegt das? Vor ein paar Wochen organisierte ich für eine Gruppe von Rechtswälten eine Weinprobe mit deutschen Rieslingen. Die Herren gaben zu, noch wenig von Wein zu verstehen. Aber sie waren bereit zu lernen. Ich setzte ihnen also blind acht Weine vor: zwei Gutsweine, zwei Ortsweine, zwei Terroirweine, zwei Große Gewächse. Alles Jahrgang 2011 und von renommierten VDP-Erzeugern. Was schmeckte den Herren am besten? Die Gutsweine. Was am wenigsten? Die Großen Gewächse.

Verkostungen auf der Weinbörse | © VDPNatürlich war die Runde leicht verstört, als die Weine aufgedeckt wurden. Wie kann es sein, fragten sie sich, dass ihnen, die sie die teuersten Krawatten und Anzüge tragen, die billigsten Weine am Besten schmeckten? Und die teuersten am wenigsten gut?

Die Erklärung dafür ist ziemlich simpel: Die Herren haben einen einfachen Geschmack. Sie lieben die Frische, den Wohlgeruch, die schöne Frucht. Kurz: die Primäraromen. Komplexe Geschmacksprofile erschließen sich ihnen dagegen schwer. Das ist nichts Verwerfliches. Gutsweine können köstlich sein. Wer sie mit Genuss trinkt, hat auf jeden Fall seinen Quali in Wein sicher. Wer allerdings meint, auf Harvard-Niveau zu sein, und sich dann mit dem Gutswein im Glas bei einem Großen Gewächs wähnt, für den war die Weinprobe sicher eine Lektion in Demut.

Für mich stehen die Herren Rechtsanwälte für den klassischen Durchschnittskonsumenten in Deutschland. Dieser „Normalo“, wie er bei Facebook heißt, trinkt gerne Wein, ist neugierig, kommt aber kaum über Gutweinniveau hinaus. Auch bei ausländischen Erzeugnissen zieht er die Basisweine den gehobenen Qualitäten vor. Dabei ist er nicht geizig. Für Autos, Urlaubsreisen, Handy, Spielkonsolen macht er ganz andere Beträge locker. Aber er fragt sich, warum er mehr Geld für einen Wein ausgeben soll, wenn seine Ansprüche auch mit weniger Geld befriedigt werden können. Möglicherweise sogar noch besser.

Es fehlt an der Genuss-DNA

Sicher, ein bisschen holzschnittartig, dieses Bild des Durchschnittsweintrinkers. Aber die Zahl der Menschen, die die gehobene Qualitäten beim Wein schätzen können, ist in unserem Land gering. Dirk Wütz hat diese Meinung in seinem Wein-Blog vom Montag dieser Woche sehr viel derber formuliert als ich: „Der deutsche Weintrinker hat keinerlei Bewusstsein für diese Art von Wein“, schreibt er über dessen Verhältnis zu den Großen Gewächsen. „Der ‚Normalo’ ist in Deutschland mit gut gemachten, einfachen und schön zu trinkenden Weinen bestens bedient.“

So ähnlich sehe ich das auch. Die Deutschen sind tüchtige Manager, Doktoren, Facharbeiter, Bankangestellte, IT-Experten, Verkäufer. Sie verdienen gut. Sie sind gebildet. Doch im Gegensatz zu ihren europäischen Nachbarn ist die zum Genießen befähigende DNA bei ihnen unterentwickelt. Es fehlt die Kennerschaft der Schweizer, der Stolz der Österreicher, die laszive Genusssucht der Franzosen. Bei ihnen ist eigentlich immer eine Flasche Champagner in Griffnähe.

Geniessen ja – aber nur das Auto

Deutscher Wein | Foto: © Bernward Bertram, VDP
Deutscher Wein | © B. Bertram, VDP

Vielleicht steckt in den Deutschen noch etwas von der „protestantischen Ethik“ des 19. Jahrhunderts, als Askese gepredigt wurde. Oder waren es die unsäglichen Mosel-Spätlesen vom Typ Kröver Nackarsch, die in den sechziger Jahren durchs die Regale geisterten und die Geschmacksnerven der Deutschen auf mittlere Sicht getötet haben? Möglicherweise liegt es aber auch nur daran, dass Deutschland eine Nation von Ingenieuren, Technikern und kühlen Kalkulierern geworden ist, die die 8-Stufen-Automatik ihres SUVs geniessen können und die interegrierte Tassenspülung ihrer Kaffeeautomats, aber mit so einem unheimlichen Ding wie Wein dann doch irgendwie fremdeln.

Captain Cork ist der Meinung, die Deutschen haben ein Sinnlichkeitsproblem. Sie lassen den Wein nicht in ihre Seele rein. Das könnte man, glaube ich, so ausdrücken. Allerdings gelte das, diagnostiziert er, speziell für deutsche Weine: „Italienischer und französischer, selbst spanischer, portugiesischer und auch österreichischer Wein dringen immer noch tiefer in deutsche Weintrinkerseelen vor als deutscher Wein.“

Viele suchen nur den Spaßfaktor

Das wiederum glaube ich nicht. Bei aller Italien-Sehnsucht – auch bei den Weinen von südlich der Alpen verschließt sich die deutsche Seele schnell, wenn dieser eine gewisse Anspruchsschwelle übersteigt. Fruchtig, saftig, nicht zu schwer – das reicht, um glücklich zu sein. Die Deutschen mögen den festen Willen haben zu genießen – ihre Fähigkeiten sind limitiert. Das liegt nicht unbedingt an den Geschmacksnerven. Häufig ist es ein Kopfproblem. Die Ehrlichen geben zwar zu, den Unterschied zwischen einem 5-Euro-Wein und einem 15 Euro-Wein nicht herausschmecken zu können. Aber die Superschlauen behaupten, es gäbe gar keinen Unterschied. Die Ahnungslosen denken, sie würden abgezockt, wenn sie für eine Flasche Wein 12 Euro zahlen sollen. Die Zeitgeistigen suchen im Wein sowieso nur den „Spaßfaktor“. In einem Land mit solchen Weintrinkern fallen hochklassige Weine schnell durchs Raster.

Braucht es keine Großen Gewächse?

Dirk Würtz zieht aus dieser Situation den Schluss: „Am Ende ist es aber vielleicht doch so, dass wir diesen ganzen Zinnober gar nicht brauchen… ein ‚Grosses Gewächs’ oder wie es auch immer heißt.“  Das ist zynisch. Selbstverständlich brauchen wir ein Großes Gewächs, auch wenn es derzeit nur eine Minderheit ist, die mit ihm etwas anfangen kann.

Schon morgen können Minderheiten zu Mehrheiten werden. Mir fällt da gerade jene Frau ein, die mir jeden Monat die Haare schneidet. Sie ist abends zu Mövenpick zu einer Degustation Großer Gewächse gegangen. 15 Euro kostete der Eintritt. Eine Flasche hat sie sich gekauft. Chapeau!

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8 Kommentare

  1. Bin der Meinung, man darf es sich nicht so einfach machen und die deutschen Weintrinker so abwatschen. Wer nicht bereits als Weinfreak auf die Welt gekommen ist, muss es lernen Weine zu verstehen. Bin 20 Jahre hauptberuflicher Weinhändler und kann behaupten, dass Verbraucher sehrwohl den Unterschied zwischen einem 5€ und einem 15€ Wein erkennen. Allerdings benötigen sie dafür am Anfang eine professionelle Hilfe, die ihnen bewusst macht, was der Kick an „echten“ hochwertigen Weinen ausmacht. (Trotzdem kann ihnen ein süffiger Kab. besser schmecken.) Nur, … heute werden ca. 80% der Weine über LEH und Discounter verkauft. Wie sollen die Leute es lernen, dass die primäre Frucht nicht das ist, was den Wein so besonders macht! Die Kollegen passen sich häufig auch an und bieten dem Kunden das an, was er überall bekommmt ..
    Kurz noch zu den Großen Gewächsen: Wenn jene die Charakterzüge und soviel Alkohol wie eine WW aus dem Friaul, Trentino oder Südtirol haben .. aber zum Teil wesentlich mehr kosten, darf man sich nicht wundern, wenn es Weine für Sammler sind und bleiben.

  2. Ich gratuliere zu dieser brillanten und wohltuend unpolemisch geschriebenen Analyse!
    Und ja, wir brauchen Große Gewächse, wenn diese dem Anspruch an einen echten „Grand Cru“ gerecht werden. So wie der Morstein 2009 von Wittmann, den ich gestern im (Zalto)-Glas hatte. Das ist richtig großes Kino, Genuss und Lebensfreude, die jeden Cent ihres Preises wert ist.

  3. Aus meiner Sicht eine sehr richtige einschätzung, was die DNA angeht. allerdings ist das Problem nicht weinspezifisch: Ganz ähnliche Diskussionen gibts bei Slow Food, Food Watch etc., Stichwort Bio oder Massentierhaltung.

    Den meisten Menschen hierzulande sind eben Urlaub, Auto, Handy und TV wichtiger als Essen und Trinken. as wird sich – wenn überhaupt – nur langsam ändern…

  4. Wir haben eine sehr, sehr große Anzahl von genialen Winzern und fantastischen Weinen und darauf sollten wir auch sehr Stolz sein. Genau das ist auch ein Grund, warum in Hamburg die „REBEN Weinbar und mehr“ entstehen wird und auch nur deutsche Weine ihr zuhause finden werden. Allerdings ist auch bei manchen Winzern die Bereitschaft nicht sehr hoch, mein Projekt zu unterstützen, was sich dann doch widerspricht.
    Tina Koch

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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