Rudolf May: Silvaner für Fortgeschrittene

Benedikt und Rudolf May. © Andreas Durst
Rudolf und Benedikt May gehören mit ihrem Weingut in Retzstadt zur Spitze Frankens. Was macht ihre Weine so besonders?

Aus­ser­halb Fran­kens kennt nie­mand Retz­stadt. Das 1500 Seelen-Dorf nörd­lich von Würz­burg liegt in einem abge­schie­de­nen, engen Sei­ten­tal des Mains. Der Retz­bach, der durch das Tal fließt, ist nur ein Rinn­sal. Zwar blickt Retz­stadt als länd­li­che Gemein­de auf eine lan­ge Tra­di­ti­on als Bau­ern­dorf zurück, in dem schon seit jeher Reben kul­ti­viert wur­den. Doch galt Retz­stadt jah­re­lang eher als Hei­mat für Misch­be­trie­be, Genos­sen­schafts­win­zer, Acker­bau­ern und Vieh­wir­te als für ambi­tio­nier­te Win­zer. Bis Rudolf May kam und sich und sei­ne Sil­va­ner an die Spit­ze Fran­kens kata­pul­tier­te.

Der Wandel der Seitentäler

Erst in den spä­ten 1980er Jah­ren begann der in Retz­stadt ver­wur­zel­te Sohn einer Land­wirts­fa­mi­lie sei­nen eige­nen Wein zu kel­tern. Anfäng­lich auf den paar Hekt­ar der Fami­lie, spä­ter auf zuge­kauf­ten Lagen in ganz Retz­stadt. 1998 errich­te­te er dann das Wein­gut am Orts­ein­gang. Dass die Sei­ten­tä­ler des Mains frü­her – im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes – im Schat­ten der pres­ti­ge­träch­ti­gen, zum Fluss hin gerich­te­ten Lagen (wie der Würz­bur­ger Stein oder der Eschern­dor­fer Lump) stan­den, liegt am dama­li­gen Kli­ma. Im nass­kal­ten Wet­ter hat­ten die son­nen­ex­po­nier­ten Trau­ben in Fluß­nä­he mehr Chan­cen, rich­tig reif zu wer­den, als im ver­win­kel­ten Retz­stadt. In Zei­ten hei­ßer, tro­cke­ner Som­mer schwin­det die­ser Vor­teil. Heu­te kom­men aus dem Sei­ten­tal des Mains Sil­va­ner, so fili­gran und reich­hal­tig wie nie zuvor.

Blick auf Retz­stadt.

Mitt­ler­wei­le lei­tet Rudolf May das Wein­gut gemein­sam mit sei­nem Sohn Bene­dikt. Neben der frän­ki­schen Leit­sor­te Sil­va­ner kel­tert die Fami­lie auch Spät­bur­gun­der und ein klein wenig Weiß­bur­gun­der, Grau­bur­gun­der, Ries­ling und Ries­la­ner. Jüngst kam auch noch ein Chardonnay-Weinberg hin­zu, für den die Scheu­re­be wei­chen muss­te.

Nichts für Anfänger

May-Silvaner, das sagen Vater und Sohn bei­de, sind kei­ne ein­fa­chen Wei­ne. Sie leben nicht von ihrer Frucht, son­dern von ihrer Struk­tur, ihrer puris­ti­schen, nach­hal­ti­gen Art. Alle Wei­ne sind qua­si zucker­frei mit Wer­ten zwi­schen null und einem Gramm pro Liter. „Nichts für Anfän­ger“ ist als Mot­to in das Logo des Wein­guts ein­ge­ar­bei­tet.

Rudolf May ist mit den Jah­ren immer mini­ma­lis­ti­scher gewor­den. „Wir haben uns ste­tig gefragt: Was kann man als nächs­tes weg­las­sen?“ Heu­te ver­zich­tet er auf fast alles, was das Win­zer­lehr­buch her­gibt, setzt wenig Schwe­fel ein, fil­triert nur grob oder gar nicht, ver­zich­tet auf Enzy­me und Rein­zucht­he­fen. Das war nicht immer so. „Frü­her waren die Wei­ne schon offe­ner“ gibt er zu, „damals habe ich noch mit Süß­re­ser­ven geglät­tet. Das kennt mein Sohn gar nicht mehr“, sagt May lachend. Auch sei­ne Wei­ne schmeck­ten vor zehn Jah­ren noch viel fruch­ti­ger sals heu­te.

Silvaner im Trend der Zeit

Obwohl Rudolf May kein jun­ger Wil­der mehr ist, son­dern ein gestan­de­ner Win­zer, liegt er mit der sti­lis­ti­schen Wei­ter­ent­wick­lung im Trend der Zeit. Über­all sind die Weiß­wei­ne kar­ger gewor­den. Im Bur­gund hat sich nach Jah­ren zahl­rei­cher über­mä­ßig brei­ter, but­t­ri­ger und viel zu früh oxi­die­ren­der Char­don­nays – Stich­wort Premox – ein Wan­del voll­zo­gen: jun­ge Win­zer set­zen auf Säu­re und kom­pak­te Sil­hou­et­ten. In der Stei­er­mark sind Win­zer wie Armin Tement oder Andre­as Satt­ler drauf und dran, die Fruch­tig­keit ihrer Sau­vi­gnon Blanc zu zäh­men. Und in Deutsch­land set­zen auf­stre­ben­de Wein­gü­ter wie Huber oder Kne­witz eher auf reduk­ti­ve Feu­er­stein­no­ten als auf expres­si­ve Fruch­tig­keit.

Aromatisch zurückgenommen

Sil­va­ner, das gro­ße Aus­hän­ge­schild Fran­kens, erscheint da als Reb­sor­te der Stun­de. Mit sei­ner aro­ma­tisch zurück­ge­nom­me­nen, fast neu­tra­len Art passt er per­fekt zum kar­gen Stil der Mays. Anders als Riesling- oder Sauvignon- Win­zer, müs­sen sie ihrer Reb­sor­te die Fruch­tig­keit nicht erst abge­wöh­nen. Dass solch hin­ter­grün­di­ge Wei­ne die aktu­el­le Nach­fra­ge nach Spit­zen­wein tref­fen, merkt auch Rudolf May: „Unse­re Gro­ßen Gewäch­se kom­men im Sep­tem­ber auf den Markt und sind im Dezem­ber aus­ver­kauft“. In Fran­ken fin­det sich heu­te fast kein May-freies Sterne-Restaurant mehr.

Fehden mit der Winzergenossenschaft

Dabei war es nicht immer so rosig. „In den 90ern war es ein Kampf, an gute Lagen zu kom­men“, erin­nert sich Rudolf May. Sein Allein­gang sorg­te für ver­brann­te Erde im Ort, der damals zu 100 Pro­zent in Hand der Win­zer­ge­nos­sen­schaft war. Die Genos­sen­schafts­win­zer spra­chen sich ab: Nie­mand soll­te der Fami­lie May Wein­ber­ge ver­kau­fen oder ver­pach­ten. „Das hat mir schlaf­lo­se Näch­te berei­tet.“

Heu­te ist alles ein­fa­cher. „Wir ver­ste­hen uns wie­der gut“, sagt May und manö­vriert sein Auto über die schma­len Wein­bergs­we­ge von Retz­stadt in den Nach­bar­ort Thün­gers­heim. Zwi­schen­durch unter­bricht er sei­ne Sät­ze immer mal wie­der, um auf einen sei­ner Wein­ber­ge am Weg­rand zu deu­ten. Über die Jah­re ist das Gut dann doch gewach­sen. „Teil­wei­se kom­men heu­te die­sel­ben Leu­te, die mir damals nichts geben woll­ten und bie­ten mir ihre Wein­ber­ge an“, sagt May. Oft hat er zuge­schla­gen, vor allem in span­nen­den Steil­la­gen. Und so bewirt­schaf­tet die Fami­lie May mehr als 30 ganz ver­streu­te Par­zel­len, in Retz­stadt sowie in den Main-zugewandten Nach­bar­or­ten Retz­bach und Thün­gers­heim.

Aus Bacchus wird Silvaner

Ein Stück weit sind Rudolf und Bene­dikt May Pro­fi­teu­re des Struk­tur­wan­dels. Vie­len Genos­sen­schafts­win­zern im Neben­er­werb feh­len Erben, die gewillt sind, nach Fei­er­abend die Fami­li­en­wein­ber­ge für einen schma­len Gro­schen im Dienst der Genos­sen­schaft zu bewirt­schaf­ten. Zie­hen die Kin­der von Genos­sen­schaft­lern in die Groß­städ­te, wer­den – das­sel­be pas­siert gera­de am Kai­ser­stuhl oder in Würt­tem­berg – gute Lagen frei.

Weinberge wurden umveredelt

Nur brin­gen die­se guten Lagen nicht immer die Reb­sor­ten mit, die Rudolf und Bene­dikt May suchen. Die Wein­ber­ge Fran­kens wim­meln nach wie vor von Alt­las­ten der 80er und 90er Jah­re, als quan­ti­ta­tiv statt qua­li­ta­tiv den­ken­de Win­zer Bac­chus, Domi­na oder Müller-Thurgau anpflanz­ten. Weil Rudolf Mays Win­zer­herz blu­te­te, müss­te er 50 Jah­re alte Reben roden, set­zen Mays auf das immer häu­fi­ger ange­wand­te soge­nann­te „Umver­edeln“. Dafür sägt man die Rebe etwa einen hal­ben Meter über der Erde ab und belässt die Wur­zeln im Boden. Anschlie­ßend pfrop­fen die Win­zer Edel­rei­ser, also jun­ge Trie­be der gewünsch­ten Reb­sor­te, auf den abge­säg­ten Stamm.

Ein gro­ßer Vor­teil in Zei­ten des Kli­ma­wan­dels: das intak­te Wur­zel­werk alter Reben kommt mit extre­men Wet­ter­la­gen viel bes­ser klar als jun­ge Pflan­zen mit ihren noch kur­zen Wur­zeln. In tro­cke­nen Jah­ren wie 2003, 2018 oder 2022 waren es vor allem die alten Wein­ber­ge, die die Win­zer gut durch die Dür­re brach­ten.

Silvaner passt am besten zum Stil des Hauses

„Man muss sich fokus­sie­ren“, sagt Rudolf May, als er durch einen jüngst umver­edel­ten Wein­berg im Retz­ba­cher Bene­di­kus­berg geht. Frü­her wuchs hier Müller-Thurgau, jetzt trei­ben zar­te Sil­va­ner­ran­ken aus den dicken, alten Stäm­men. Die Reb­sor­te passt nicht nur bes­ser zum Stil des Hau­ses, sie ver­spricht auch mehr Hit­ze­be­stän­dig­keit, ist anders als Müller-Thurgau kaum son­nen­brand­an­fäl­lig und bil­det im Gegen­satz zu Ries­ling in der Hit­ze kei­ne Petrol­no­ten. Mit­tel­fris­tig will sich das Wein­gut May des­we­gen auf Sil­va­ner und Spät­bur­gun­der beschrän­ken. „Viel­leicht noch ein klein biss­chen Char­don­nay…“, über­legt May.

Mit Technik zum Erfolg

Die Mög­lich­keit neue Lagen zu über­neh­men, hat sich vor allem durch Bene­dikt May auf­ge­tan, der nach sei­ner Win­zer­leh­re in der Pfalz, in Aus­tra­li­en, an der Mosel und im Beau­jo­lais arbei­te­te. „Sti­lis­tisch sind wir uns eigent­lich immer einig“, sagen bei­de, Vater und Sohn. „Aber Bene­dikt ist ein Tech­nik­freak“, schiebt der sicht­lich stol­ze Vater hin­ter­her.

Das schafft bei­den die Frei­heit, ihre Ide­en punkt­ge­nau­er umzu­set­zen. Frü­her, als Rudolf May die für den Trak­tor unpas­sa­blen Wein­ber­ge mit der Pum­pe auf dem Buckel und dem Schlauch in der Hand sprit­zen muss­te, war kaum dar­an zu den­ken, noch mehr Steil­la­gen zu über­neh­men. Seit Bene­dikt Rau­pen im Betrieb ein­ge­führt hat, die per Seil­zug selbst die steils­te und engs­te Par­zel­le erklim­men kön­nen, ist der Anteil an Steil­la­gen ste­tig gewach­sen. „Wir wol­len nicht mehr viel grö­ßer wer­den, über­neh­men aber immer mal wie­der neue Lagen und geben ande­re ab“, erklärt Rudolf May.

Lese in kleinen Kisten

Auch die Hand­le­se in klei­nen Kis­ten hat sich ver­ein­facht. Der Vor­teil klei­ner Kis­ten gegen­über gro­ßen Büt­ten ist, dass die Trau­ben nicht zer­mat­schen, weni­ger oxi­die­ren und so mit viel weni­ger Schwe­fel rein­tö­ni­ge Mos­te her­vor­brin­gen. Der Nach­teil: Es ist eine Hei­den­ar­beit. „Frü­her sind wir oft nicht hin­ter­her gekom­men, weil man die Kis­ten zwi­schen­durch aus­wa­schen muss“, berich­tet Rudolf May, „dann hat Bene­dikt für 50 Euro eine defek­te Hoch­leis­tungs­spül­ma­schi­ne für die Indus­trie bei Ebay gekauft und repa­riert.“

Letzter Feinschliff

Und so hat sich der grund­le­gen­de Stil unter Bene­dikt Mays Mit­ar­beit kaum geän­dert. Den­noch konn­ten die Wei­ne in den ver­gan­ge­nen Jah­ren noch­mal zule­gen. Im Wein­berg ist der Anteil an stei­len Lagen gewach­sen, im Kel­ler ste­hen heu­te mehr Stück­fäs­ser aus Eichen­holz, im Glas prä­sen­tie­ren sich die Sil­va­ner puris­ti­scher, prä­zi­ser und lang­le­bi­ger.

Der Schäfer-Silvaner

Am bes­ten lässt sich die Ent­wick­lung des Wein­guts am Schäfer-Silvaner able­sen. Weil Bene­dikt und Rudolf May Stück für Stück ihren Fass­be­stand erwei­tern möch­ten, kau­fen sie jedes Jahr ein neu­es 1200-Liter Stück­fass. Da die Natur neu­er Fäs­ser in ihren Augen aber nicht so recht zur Ruh­se­lig­keit ihrer Gro­ßen Gewäch­se passt, ist das neue Fass stets für den Schä­fer reser­viert: ein Sil­va­ner, dem die sub­ti­le Rauch­aro­ma­tik der Eiche gut steht und der als ein­zi­ger in einer bau­chi­gen Bur­gun­der­fla­sche abge­füllt wird.

In der zwei­ten und drit­ten Bele­gung kom­men die Gro­ßen Gewäch­se ins Holz­fass, das sei­ne expres­si­ve Aro­ma­tik dann schon abge­ge­ben hat. Das hält die Wein karg und fili­gran. Freun­de aus­la­den­der Aro­men wer­den hier ent­täuscht. Dafür sind die Wei­ne kom­pakt, kraft­voll und hal­len lang nach. Nichts für Anfän­ger eben.

Die Weine

2021 Retzstädter Silvaner

Der Orts­wein kommt aus den Retz­städ­ter Lagen vor den Türen des Wein­guts und punk­tet mit grü­nem und gel­bem Apfel, ist druck­voll, aber gleich­zei­tig ver­spielt mit zar­ten wei­ßen Blü­ten und süf­fi­ger Frucht­kom­po­nen­te, die ganz ohne Süße aus­kommt. 12 Euro.

2021 Silvaner Benediktusberg Erste Lage

Ein Sil­va­ner aus dem Nach­bar­ort Thün­gers­heim, direkt am Main, der mehr Karg­heit mit­bringt als der Orts­wein und an rei­fe Scha­len gel­ber Äpfel erin­nert. Mit sei­ner kna­cki­gen kom­pak­ten Säu­re ver­kör­pert er den May-Stil per­fekt. 24 Euro.

2021 Silvaner Schäfer Erste Lage

Der Sil­va­ner aus dem neu­en Stück­fass ist wun­der­bar cre­mig, mit sanft vanil­li­gen Aro­men, rös­chem Weiß­brot und der sil­va­ner­ty­pi­schen ske­let­tier­ten Sil­hou­et­te. Seit Jah­ren ein Klas­si­ker. 30 Euro.

2021 Silvaner Himmelspfad Großes Gewächs

Das Retz­städ­ter Top-Gewann schöpf­te Rudolf May aus der Groß­la­ge Lan­gen­berg her­aus und ließ es als Gro­ßes Gewächs regis­trie­ren. Der Wein ist am Anfang ver­na­gelt und braucht viel Luft, gibt dann aber Aro­men von Stei­nen, Sesam und Sal­zi­tro­ne preis. 46 Euro.

2017 Silvaner Himmelspfad Großes Gewächs

Der 2017er ähnelt dem 2021er in sei­ner sal­zi­gen Sesama­ro­ma­tik, prä­sen­tiert sich aber offe­ner und ein­ge­pen­del­ter, ohne sei­ne Fri­sche zu ver­lie­ren. Ein nach wie vor jun­gend­lich anmu­ten­der Wein, der ver­deut­licht wie gut May-Silvaner rei­fen kön­nen. Auf Anfra­ge.

2019 Pinot Noir Benediktusberg Erste Lage

Für die Spät­bur­gun­der set­zen Rudolf und Bene­dikt May auf Bar­ri­ques und klein­bee­ri­ge fran­zö­si­sche Klo­ne. Der Benedit­kus­berg ver­eint fri­sche Frucht, pro­non­cier­tes Holz und eine stram­me kräu­t­ri­ge Säu­re. 
36 Euro.

Alle Wei­ne sind über den Wein­shop www.weingut-may.de/shop erhält­lich

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