Primitivo, wie er besser nicht geht: toller Roter von alten Reben

2009 Primitivo di Manduria „Sessantanni“
2009 Primitivo di Manduria „Sessantanni“
Dieser Wein wird nicht jedem schmecken. Die, denen er nicht schmeckt, werden sich am hohen Alkoholgehalt und an dem süßen Konfitürearoma stören. Die anderen werden ihn gerade deswegen lieben. Für Leute, die in diesen lichtlosen Wintertagen depressiv werden und die keine Angst vor schweren Weinen haben, ist dieser rare Primitivo genau die richtige Medizin.

Es gibt Wei­ne, über die man medi­tie­ren und phi­lo­so­phie­ren kann. Über die­sen nicht. Er gibt – anders als vie­le Bor­deaux, Rio­ja oder Baro­lo – dem Wein­trin­ker kei­ne Rät­sel auf. Er ver­birgt nichts. Er ist vom ers­ten Moment an prä­sent mit allem, was in ihm steckt. Typisch Pri­mi­tivo. Auch der Pri­mi­tivo „Ses­san­tan­ni“ ist unkom­pli­ziert und leicht ver­ständ­lich. Man muss kein aus­ge­fuchs­ter Ken­ner sein, um ihn zu mögen.

Und es steckt viel in ihm. Das beginnt mit sei­ner extrem dunk­len, fast schwarz­ro­ten Far­be, die an einen jun­gen Vin­ta­ge Port erin­nert. Dann das Bou­quet, das dem Glas ent­strömt: reich, üppig, an fri­sche Kir­schen, aber auch an Pflau­men und an Bit­ter­scho­ko­la­de erin­nernd. Auf der Zun­ge kon­zen­triert, weich, fruch­tig mit leich­ten Konfitüre- und Scho­ko­la­den­no­ten, zar­ter Kräu­ter­wür­ze und einem Hauch Lakrit­ze. Mit rund 17 Euro ist er auf den ers­ten Blick teu­er. Ande­re Pri­mi­tivo kos­ten zwi­schen 5 und 9 Euro. Doch die­se Wei­ne kön­nen sich nicht mit dem „Ses­san­tan­ni“ messen.

Restsüße gehört zum Primitivo dazu

Primitivo-Traube
Primitivo-Traube

Im Gegen­satz zur Mas­se der Pri­mi­tivo wird der „Ses­san­tan­ni“ von einem fei­nen, aber kräf­ti­gen Tann­in­strang zusam­men­ge­hal­ten. So ist der Wein trotz sei­ner Fül­le nicht erschla­gend. Und er macht nicht schon nach einem Glas satt. Im Gegen­teil, man könn­te von ihm die gan­ze Fla­sche lee­ren, so deli­kat ist er (was frei­lich bei einem Alko­hol­ge­halt von fast 15 Vol.% nicht zu emp­feh­len ist).

Aller­dings fällt gleich beim ers­ten Schluck auf, dass er rest­süß ist. Er weist genau 9 Gramm unver­go­re­nen Rest­zu­cker auf. Nicht jeder Wein­trin­ker mag das. Akzep­tiert. Aber Rest­sü­ße gehört zu einem Pri­mi­tivo dazu. Sie ist je nach Jahr­gang und Wein­typ mal höher, mal nied­ri­ger. Das Pro­duk­ti­ons­sta­tut des Pri­mi­tivo di Man­du­ria legt 10 Gramm als Höchst­gren­ze fest. Und anders als bei lieb­li­chen Dorn­fel­dern oder Por­tu­gie­sern aus Deutsch­land ist die Rest­sü­ße bei die­sem Rot­wein weder zuge­setzt noch künst­lich her­bei­ge­führt. Auf­grund des hohen Alko­hol­ge­hal­tes ist der Wein in der Gärung ein­fach steckengeblieben.

Ungeschminkter, authentischer Wein

Junger Primitivo-Weinberg
Jun­ger Primitivo-Weinberg

So gese­hen, ist der „Ses­san­tan­ni“ (sprich: sessant-anni)  ein völ­lig unge­schmink­ter, authen­ti­scher Wein. In die­ser Qua­li­tät gibt es ihn nur sehr sel­ten im Süden Ita­li­ens. Die Reb­stö­cke, von denen er kommt, sind im Durch­schnitt 60 Jah­re alt (daher der Name „Ses­san­tan­ni“). Eini­ge sind sogar deut­lich älter.

Dabei ist die Primitivo-Traube in der Regi­on Apu­li­en weit ver­brei­tet. Auf­grund ihrer voll­mun­di­gen, unkom­pli­zier­ten Art haben sich die Wei­ne aus ihr in den letz­ten Jah­ren vie­le Freun­de gemacht – viel­leicht auch wegen der leich­ten Rest­sü­ße. Der ita­lie­ni­sche Wein­kri­ti­ker Luca Maro­ni hat die­sen Pri­mi­tivo sogar mit 97/100 Punk­te bewer­tet – viel­leicht hat­te er gera­de ein biss­chen zu viel von ihm getrun­ken. Aber das, was man ange­sichts des Namens den­ken könn­te, ist die­ser Wein mit Sicher­heit nicht.

Hitze und Trockenheit in Manduria

Häuser in Manduria
Häu­ser in Manduria

Der „Ses­san­tan­ni“ stammt aus der Gegend um die Stadt Man­du­ria. Das Land dort ist flach. Die Son­ne brennt unbarm­her­zig auf die Erde nie­der. Nur Oli­ven­bäu­me und Reben hal­ten die­ses Kli­ma und die damit ver­bun­de­ne Tro­cken­heit aus. Ver­stärkt wird die Hit­ze noch dadurch, dass die Böden extrem fel­sig sind. Die rost­ro­te Decker­de, die die Land­schaft mor­gens und abends in ein far­bi­ges, fast magi­sches Licht taucht, ist nur weni­ge Zen­ti­me­ter dick. Dar­un­ter ist nack­ter, wei­ßer Kalk­stein. An vie­len Stel­len schaut er aus dem Boden her­aus und reflek­tiert die Hitze.

Um an Feuch­tig­keit zu kom­men, müs­sen die Reben ihre Wur­zeln in die­sen Böden extrem tief nach unten trei­ben. Nur star­ke Reben kön­nen das. Die Primitivo-Rebe ist stark. Sie hat sich in Jahr­hun­der­ten an Kli­ma und Boden ange­passt und trägt seit Jahr­hun­der­ten auch ohne künst­li­che Bewäs­se­rung Früchte.

Traditionelle alberello-Erziehung

Primitivo-Lese
Primitivo-Lese

Sie wird dort meist im tra­di­tio­nel­len albe­r­el­lo-Sys­tem gezo­gen. Zu Deutsch: Bäum­chen­er­zie­hung. Die Reben ran­ken weder an Draht noch an Pfäh­len. Ihre Trie­be sind kurz und tra­gen nur zwei oder drei klei­ne Trau­ben. Vier Trie­be hat ein Bäum­chen: macht am Ende also weni­ger als ein Kilo­gramm Trau­ben pro Pflan­ze. Bei 5.000 Stö­cken pro Hekt­ar ent­spricht das einem Ertrag von unge­fähr 35 Hek­to­li­tern. Daher der erhöh­te Preis.

Übri­gens: Der Name Pri­mi­tivo geht auf das latei­ni­sche Wort pri­mi­ti­vus zurück: „der ers­te, der kommt“. Die Trau­ben die­ser Reb­sor­te sind näm­lich die ers­ten unter den roten Sor­ten Apu­li­ens, die gele­sen wer­den. Im Übri­gen gehört die Pri­mi­tivo zu den weni­gen ita­lie­ni­schen Reb­sor­ten, die nicht aus Grie­chen­land impor­tiert wor­den sind. Sie stammt aus Dal­ma­ti­en. DNA-Untersuchungen haben zu Tage geför­dert, dass sie gene­tisch eng mit der Zinfandel-Rebe ver­wandt ist. Aus ihr wer­den in Kali­for­ni­en ähn­lich dunk­le, voll­mun­di­ge und alko­hol­rei­che Wei­ne gekel­tert. Nicht sel­ten wei­sen sie eben­falls eine leich­te Rest­sü­ße auf.

5 Kommentare

  • sehr geehr­ter herr priewe
    klar, dass der ses­san­tan­ni einem brei­ten publi­kum gefällt. dass er aber von fach­leu­ten so hoch­ge­ju­belt wird, kann wohl nur an der effi­zi­en­ten mar­ke­ting­ab­te­lung der feu­di di san mar­za­no liegen.
    ich fin­de ihn nicht nur nicht authen­tisch, son­dern auch unharmonisch.
    im gegen­satz zum bul­li­gen auf­takt hat einen schwa­chen mit­tel­teil. kommt wohl von der kur­zen mai­sche­stand­zeit. stö­rend fin­de ich auch die grün­no­ten, die auf hete­ro­ge­nes trau­ben­ma­te­ri­al schlies­sen las­sen. und die far­be ist abso­lut unty­pisch. mit nor­ma­ler mai­sche­gä­rung nicht zu errei­chen. da hilft nur gross­zü­gi­ger ein­satz von gerb­stoff­pul­ver aus dem sack.
    und wis­sen möch­te ich, wo die über 100 ha 60-jähriger stö­cke ste­hen, bei den men­gen, die mitt­ler­wei­le pro­du­ziert wer­den. und der preis ist abso­lut nicht mit dem klei­nen ertrag zu erklä­ren. das kilo pprimitivo-trauben aus anla­gen, die 600g/m2 her­ge­ben, kos­ten um die 50 cents.
    ein 3-faches pfui. für den wein, für sei­ne hoch­in­dus­tri­el­le pro­duk­ti­ons­art und noch eins für die marketinglügen.
    prosit

  • Hal­lo,
    klingt nach einem super Des­sert­wein. Haben Sie da auch Bezugs­quel­len dazu? Kann man den im gän­gi­gen Lebensmittel- und Geträn­ke­han­del kau­fen? Dan­ke für Tipps!

    • Hal­lo Petra, du kannst unter http://www.grapefood.de den dal­ma­ti­ni­schen Urva­ter des Pri­mi­tivo (Crl­jen­jak) bestel­len. Emp­feh­len kann ich dir eben­falls die Kreu­zung von Crl­jen­jak + Dobri­cic emp­feh­len: Pla­vac Mali. Von der Insel Hvar und der Halb­in­sel Pel­je­sac kom­men die bes­ten Wei­ne die­ser Rebe.

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