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Primitivo, wie er besser nicht geht: toller Roter von alten Reben

Es gibt Weine, über die man meditieren und philosophieren kann. Über diesen nicht. Er gibt – anders als viele Bordeaux, Rioja oder Barolo – dem Weintrinker keine Rätsel auf. Er verbirgt nichts. Er ist vom ersten Moment an präsent mit allem, was in ihm steckt. Typisch Primitivo. Auch der Primitivo „Sessantanni“ ist unkompliziert und leicht verständlich. Man muss kein ausgefuchster Kenner sein, um ihn zu mögen.

Und es steckt viel in ihm. Das beginnt mit seiner extrem dunklen, fast schwarzroten Farbe, die an einen jungen Vintage Port erinnert. Dann das Bouquet, das dem Glas entströmt: reich, üppig, an frische Kirschen, aber auch an Pflaumen und an Bitterschokolade erinnernd. Auf der Zunge konzentriert, weich, fruchtig mit leichten Konfitüre- und Schokoladennoten, zarter Kräuterwürze und einem Hauch Lakritze. Mit rund 17 Euro ist er auf den ersten Blick teuer. Andere Primitivo kosten zwischen 5 und 9 Euro. Doch diese Weine können sich nicht mit dem „Sessantanni“ messen.

Restsüße gehört zum Primitivo dazu

Primitivo-Traube
Primitivo-Traube

Im Gegensatz zur Masse der Primitivo wird der „Sessantanni“ von einem feinen, aber kräftigen Tanninstrang zusammengehalten. So ist der Wein trotz seiner Fülle nicht erschlagend. Und er macht nicht schon nach einem Glas satt. Im Gegenteil, man könnte von ihm die ganze Flasche leeren, so delikat ist er (was freilich bei einem Alkoholgehalt von fast 15 Vol.% nicht zu empfehlen ist).

Allerdings fällt gleich beim ersten Schluck auf, dass er restsüß ist. Er weist genau 9 Gramm unvergorenen Restzucker auf. Nicht jeder Weintrinker mag das. Akzeptiert. Aber Restsüße gehört zu einem Primitivo dazu. Sie ist je nach Jahrgang und Weintyp mal höher, mal niedriger. Das Produktionsstatut des Primitivo di Manduria legt 10 Gramm als Höchstgrenze fest. Und anders als bei lieblichen Dornfeldern oder Portugiesern aus Deutschland ist die Restsüße bei diesem Rotwein weder zugesetzt noch künstlich herbeigeführt. Aufgrund des hohen Alkoholgehaltes ist der Wein in der Gärung einfach steckengeblieben.

Ungeschminkter, authentischer Wein

Junger Primitivo-Weinberg
Junger Primitivo-Weinberg

So gesehen, ist der „Sessantanni“ (sprich: sessant-anni)  ein völlig ungeschminkter, authentischer Wein. In dieser Qualität gibt es ihn nur sehr selten im Süden Italiens. Die Rebstöcke, von denen er kommt, sind im Durchschnitt 60 Jahre alt (daher der Name „Sessantanni“). Einige sind sogar deutlich älter.

Dabei ist die Primitivo-Traube in der Region Apulien weit verbreitet. Aufgrund ihrer vollmundigen, unkomplizierten Art haben sich die Weine aus ihr in den letzten Jahren viele Freunde gemacht – vielleicht auch wegen der leichten Restsüße. Der italienische Weinkritiker Luca Maroni hat diesen Primitivo sogar mit 97/100 Punkte bewertet – vielleicht hatte er gerade ein bisschen zu viel von ihm getrunken. Aber das, was man angesichts des Namens denken könnte, ist dieser Wein mit Sicherheit nicht.

Hitze und Trockenheit in Manduria

Häuser in Manduria
Häuser in Manduria

Der „Sessantanni“ stammt aus der Gegend um die Stadt Manduria. Das Land dort ist flach. Die Sonne brennt unbarmherzig auf die Erde nieder. Nur Olivenbäume und Reben halten dieses Klima und die damit verbundene Trockenheit aus. Verstärkt wird die Hitze noch dadurch, dass die Böden extrem felsig sind. Die rostrote Deckerde, die die Landschaft morgens und abends in ein farbiges, fast magisches Licht taucht, ist nur wenige Zentimeter dick. Darunter ist nackter, weißer Kalkstein. An vielen Stellen schaut er aus dem Boden heraus und reflektiert die Hitze.

Um an Feuchtigkeit zu kommen, müssen die Reben ihre Wurzeln in diesen Böden extrem tief nach unten treiben. Nur starke Reben können das. Die Primitivo-Rebe ist stark. Sie hat sich in Jahrhunderten an Klima und Boden angepasst und trägt seit Jahrhunderten auch ohne künstliche Bewässerung Früchte.

Traditionelle alberello-Erziehung

Primitivo-Lese
Primitivo-Lese

Sie wird dort meist im traditionellen alberello-System gezogen. Zu Deutsch: Bäumchenerziehung. Die Reben ranken weder an Draht noch an Pfählen. Ihre Triebe sind kurz und tragen nur zwei oder drei kleine Trauben. Vier Triebe hat ein Bäumchen: macht am Ende also weniger als ein Kilogramm Trauben pro Pflanze. Bei 5.000 Stöcken pro Hektar entspricht das einem Ertrag von ungefähr 35 Hektolitern. Daher der erhöhte Preis.

Übrigens: Der Name Primitivo geht auf das lateinische Wort primitivus zurück: „der erste, der kommt“. Die Trauben dieser Rebsorte sind nämlich die ersten unter den roten Sorten Apuliens, die gelesen werden. Im Übrigen gehört die Primitivo zu den wenigen italienischen Rebsorten, die nicht aus Griechenland importiert worden sind. Sie stammt aus Dalmatien. DNA-Untersuchungen haben zu Tage gefördert, dass sie genetisch eng mit der Zinfandel-Rebe verwandt ist. Aus ihr werden in Kalifornien ähnlich dunkle, vollmundige und alkoholreiche Weine gekeltert. Nicht selten weisen sie ebenfalls eine leichte Restsüße auf.

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5 Kommentare

  1. sehr geehrter herr priewe
    klar, dass der sessantanni einem breiten publikum gefällt. dass er aber von fachleuten so hochgejubelt wird, kann wohl nur an der effizienten marketingabtelung der feudi di san marzano liegen.
    ich finde ihn nicht nur nicht authentisch, sondern auch unharmonisch.
    im gegensatz zum bulligen auftakt hat einen schwachen mittelteil. kommt wohl von der kurzen maischestandzeit. störend finde ich auch die grünnoten, die auf heterogenes traubenmaterial schliessen lassen. und die farbe ist absolut untypisch. mit normaler maischegärung nicht zu erreichen. da hilft nur grosszügiger einsatz von gerbstoffpulver aus dem sack.
    und wissen möchte ich, wo die über 100 ha 60-jähriger stöcke stehen, bei den mengen, die mittlerweile produziert werden. und der preis ist absolut nicht mit dem kleinen ertrag zu erklären. das kilo pprimitivo-trauben aus anlagen, die 600g/m2 hergeben, kosten um die 50 cents.
    ein 3-faches pfui. für den wein, für seine hochindustrielle produktionsart und noch eins für die marketinglügen.
    prosit

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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