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Primitivo-Revival: We don’t need another hero …

Der Primitivo ist einer jener Weine, die ihr Schicksal mit heiterem Gleichmut tragen. Sein Schicksal ist, dass er jahrzehntelang nur ein Verschnittwein war und seine Bestimmung darin fand, alkoholschwachen Valpolicellas, Bardolinos, Chiantis auf die Beine zu helfen.  Diese Zeiten sind zwar längst passé. Aber das Stigma eines Weins, der seine Existenzberechtigung nur aus dem Alkoholgehalt zieht, hängt ihm immer noch an.

Mit heiterem Gleichmut trägt er sein Schicksal, weil er gegenwärtig einer der erfolgreichsten italienischen Weine ist. Von Weinkritikern verkannt, von Snobs ignoriert, von Weinhändlern unterschätzt, hat ihn eine ständig wachsende Gemeinde von Rotweintrinkern entdeckt und genießt ihn mit größtem Vergnügen. Der Wein besitzt Power. Er hat Frucht. Und trotz seiner Fülle fehlt es ihm nicht an Frische.

Reben im SandDer Erfolg kommt nicht von ungefähr. Die Qualität des Primitivo hat sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert. Ein guter Primitivo ist, bei aller Fülle, die er mitbringt, nie überladen. Seine Frucht  ist sauber und wird von einer milden Säure unterstützt. Von den oft marmeladigen Nero d’Avola aus Sizilien hebt er sich wohltuend ab. Und die Alkoholgehalte sind mit durchschnittlich 13,5 Vol.% auch nicht exzessiv hoch.

Zugegeben: Der Primitivo ist nichts für Filigrantrinker. Aber er sprengt auch nicht das Glas, wie mancher australische Shiraz, mancher Spanier und – pardon – auch mancher Bordeaux vom Rechten Ufer es mittlerweile tun. Er ist ein Wein von disziplinierter Fülle, der leicht zu verstehen und unkompliziert zu trinken ist. Schon für unter sechs Euro gibt es im Weinhandel sehr ordentliche Qualitäten. Wer ein oder zwei Euro drauflegt, erhält richtig gute Weine – vorausgesetzt er mag den Stil des Weins.

Primitivo heißt die Rebsorte, aus der er zu hundert Prozent gekeltert wird. Sie ist mit der Zinfandel verwandt, aber nicht identisch. Wie sie zu dem Namen Primitivo gekommen ist, können auch die Apulier nicht genau angeben. Mit primitiv haben weder Rebsorte noch Wein etwas zu tun. Wahrscheinlich hieß sie ursprünglich Prima-tivo, weil sie schon so früh gelesen wird: ab Mitte August.

Rebe in terra rossaApulien ist die Region, in der sie angebaut wird. Eine Region mit wenig Industrie, viel Landwirtschaft und sehr bescheidenem Wohlstand. Der Reichtum Apuliens sind die Oliven und der Wein. Beides gibt es im Überfluss. Auch Hartweizen wird viel angebaut. Aus ihm wird Pasta hergestellt. Die zahlreichen kleinen Pastaerzeuger sind einer der wirtschaftlichen Aktivposten der Region. Dazu kommt natürlich der Tourismus. Mit seinen langen Stränden ist Apulien ein beliebtes Ferienziel, vor allem der Süden Apuliens, also die Gegend direkt am Stiefelabsatz, wo das Land relativ flach, die Temperaturen hoch und Niederschläge gering sind.

Dort befindet sich auch der größte Teil der 9000 Hektar, die mit Primitivo-Reben bestockt sind. Boden und das Klima zwischen den Städten Brindisi, Lecce und Taranto sind maßgeschneidert für die Sorte. Mit relativ wenig Aufwand lassen sich in diesem Dreieck sehr gute Qualitäten erzielen.

„Der Primitivo ist ein Wein der Hitze“, sagt Gregori Perrucci, einer der Winzer, dessen Wein ich empfehle. „Wenn man nicht aufpasst, erreicht er schnell 16 Vol.%. Zu Zeiten des Verschnittweins war das auch okay. Heute dagegen müssen wir kämpfen, um die Trauben physiologisch reif zu kriegen und trotzdem nur 13,5 Vol.% zu bekommen.“

Reben in terra neraSeit mindestens 200 Jahren ist die Rebe im Süden heimisch. Und noch heute wird sie so gezogen wie damals: Bäumchen-Erziehung (italienisch: alberello), zumeist ohne Stützpfahl und ohne Drahtrahmen. In Manduria, einem Städtchen unweit von Taranto und einem Zentrum des Primitivo-Anbaus, wächst sie in rostroter Erde. Doch schon wenige Zentimeter unter der Oberfläche blitzt harter, weißer Kalkstein auf. Ein karger Boden also, der wenig Feuchtigkeit speichert und die Rebstöcke zwingt, tief zu wurzeln. Dort können nicht mehr als 6000 Kilogramm Trauben pro Hektar geerntet werden.

Für Perrucci, der Terroir-Weine anstrebt, sind terra-rossa-Böden ein idealer Untergrund für den Wein. Sein Primitivo „Felline“ wächst auf rotem, eisenhaltigen Boden. Sie geben den Weinen besonders ausdrucksvolle Noten von Pflaumen und Amarenakirsche.

Andere Weine seines Weingutes Accademia dei Rascemi sind auf sandigen Böden gewachsen. Dort schrumpfen die Erträge teilweise sogar auf die Hälfte zusammen: auf 3000 Kilogramm pro Hektar. Diese Böden findet man südlich von Taranto nahe den Stränden des Jonischen Meeres. Sie liefern die dichtesten, komplexesten Weine – aber auch diejenigen, die leicht 14 Vol.% und mehr Alkohol bilden.

Am fruchtbarsten sind die terra-nera-Böden, die man ebenfalls in Manduria, aber auch anderswo im Salento findet: grau-braune Deckerde über alluvionalem Flussgestein. Dort können auch 10.000 Kilogramm Trauben geerntet werden. Der Primitivo der beiden Schwestern Annamaria und Francesca Bruni, die das herrlich gelegene, ehrwürdige Gut Vetrere leiten, stammt von 60jährigen Rebstöcken und ist überwiegend auf terra nera gewachsen. Er ist würzig und balsamisch und hat viel schwarzen Pfeffer in der Nase.

Der Primitivo der Cantine Due Palme kommt dagegen von allen drei Terroirs. Die Genossenschaftskellerei in dem Städtchen Cellino San Marco, zwischen Brinsisi und Lecce gelegen, verarbeitet Trauben von rund 2200 Hektar Reben – ein Weingigant also. Doch es gibt keine andere Kellerei in Apulien, die zuverlässig so gute Weine hervorbringt wie sie – die besten haben schon mehrfach die berühmten 3 Gläser im Gambero Rosso erhalten, dem wichtigsten italienischen Weinführer. Und ihr Primitivo strotzt nur so vor Kraft, auch wenn er kein Mono-Terroirwein ist.

Getrunken werden sollten die Primitivo übrigens eher kühl. 16 bis 18°C wären genau die richtige Temperatur. Und bitte nicht aus großen Gläsern! Der Wein braucht nicht viel Luft zum Atmen. Er gibt seinen Duft und seine Aromen auch in normalen Rotweingläsern sofort preis.

Noch ein Wort zum Stil des Primitivo allgemein: Die Weine sind praktisch durchgegoren, auch wenn sie bei der ersten Berührung auf der Zunge manchmal einen süßen Eindruck hinterlassen. Was süß schmeckt, ist der Alkohol und sind die reifen Früchte, die der Wein reichlich bietet. Im Nachgeschmack dominiert dann der trockene Geschmackseindruck.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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