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Parker unter Spanien-Verdacht: überbewertete Weine im Discounter

Das Wein-Angebot, das Aldi Süd am 12. Dezember 2011 inseriert hatte, war nach Recherchen der Fachzeitschrift „Weinwirtschaft“ schon nach wenigen Tagen in den meisten Filialen ausverkauft: der 2010 Azumbre Verdejo, ein blassgelber Weißwein aus der spanischen DO Rueda.

Ursache für den schnellen Abverkauf war nicht allein der niedrige Preis von 4,99 Euro, sondern die Tatsache, dass der Wein im Wine Advocate, dem Newsletter des amerikanischen Kritikers Robert Parker, 90 (von maximal 100) Punkten erhalten hatte – ein unglaubliches Schnäppchen also.

„Weinwirtschaft“ gesteht 90-Parker-Punkte-Weine maximal 79 Punkte zu

90 Punkte – das bedeutet in der Nomenklatur dieses weltweit meist zitierten Newsletters „outstandig“. Dieses Prädikat hat Parker reserviert für „Weine von außergewöhnlicher Komplexität und Charakter. Kurz: tolle Weine.“

„Weinwirtschaft“-Chefredakteur Hermann Pilz hat den Azumbre Verdeja probiert. Er schreibt: „Ein mittelprächtiger Wein, der mit 78 bis 79 Punkten gut bedient ist. Schon ein bisschen müde, alt und vor allem mit Säure aufgepeppt, nahezu aggressiv. Da waren Önologen dran, die aus schwachem Material noch das Beste herausgeholt haben. Aber 90 Punkte? …Nie und nimmer… Für 4,99 Euro gibt es Besseres, viel Besseres …“

Wahrscheinlich hat Parker diesen Wein und die anderen spanischen Weine, die in seinem Newsletter besprochen und bewertet wurden, persönlich nie probiert. Das liegt daran, dass er einen eigenen Verkoster für Spanien hat: Dr. Jay Miller. Von Beruf Kinder- und Familientherapeut, entdeckte dieser irgendwann sein Faible für Wein, wechselte in den Weinhandel und heuerte 1985 bei Parker an.

„Pancho Campo“ fordert 20.000 Euro

Francisco Armando Campo Carrasco, genannt "Pancho Campo"Da Miller, der wie Parker in Baltimore lebt, kein Spanisch spricht und kein besonderes Organisationstalent ist, gab Parker ihm 2010 einen Mitarbeiter zur Seite. Dieser Mitarbeiter, ein gebürtiger Chilene namens Francisco Armando Campo Carrasco, lebt seit langem in Spanien, hat dort das Master-of-Wine-Diplom erworben und ist ein überaus smarter, quirliger Geschäftsmann. Er ist in der spanischen Weinwelt bestens vernetzt und wird dort nur „Pancho Campo“ genannt wird. Er soll dafür gesorgt haben, dass Millers Besuche in Spanien mit Tagessätzen von 15.000 bis 20.000 Euro honoriert wurden.

Entsprechende Gerüchte kursierten schon seit geraumer Zeit. Aufgedeckt wurden die Machenschaften aber erst im November 2011 von dem englischen Blogger Jim Budd, der als Experte für die Weine der Loire gilt, sich aber gleichzeitig einen Namen als Undercover-Journalist für dubiose Weininvestment-Firmen gemacht hat (www.investdrinks.org). Anlass war die Ankündigung von Miller, sich aus dem Engagement bei Parkers Wine Advocate zurückzuziehen.

Smarter, quirliger Geschäftsmann mit einem Riecher fürs Geschäft

Budd veröffentlichte eine Serie von Emails zwischen spanischen Consejos Reguladores und Mitarbeitern der Spanish Wine Academy, einer Organisation, die „Pancho Campo“ gegründet hatte. Über sie organisierte er hochkarätige Wein-Events wie etwa die im November in Hongkong über die Bühne gegangene Veranstaltung WineFuture, auf der Parker, Jancis Robinson und andere internationale Weinexperten zu Wort kamen.

Geplant war ein solches Event auch in Madrid, auf dem Dr. Miller auftreten sollte. In diesem Zusammenhang veröffentlichte Budd eine Email, die „Pancho Campo“ am 4. Juni 2011 an seine Mitarbeiter der Wine Academy geschickte hatte, die die Veranstaltung vorbereiten und darüber hinaus offenbar Besuche Millers in einzelnen Weinanbaugebieten beziehungsweise Tastings organisieren sollten:

„Private Besuche außerhalb des offiziellen Programms, wie sie hier vorliegen, sind selten und können nur zu einem Preis von nicht unter 40.000 Euro erfolgen. Die Tatsache, dass Jay zugestimmt hat, zur Hälfte dieses Preises zwei Tage länger zu bleiben, ist ein Wunder und eine Gelegenheit für Madrid, die nicht so leicht wiederkommt …“

Parker steht hinter seinem Spanien-Verkoster Dr. Jay Miller

Dr. Jay MillerMiller bestreitet jede Vorteilsnahme, „Pancho Campo“ auch. Gegen letzteren lässt Parker allerdings durch seine Anwälte ermitteln, während er seinen langjährigen Mitarbeiter Dr. Jay Miller vehement in Schutz nimmt.

Der Fall ist juristisch noch nicht ausgestanden. Doch die unerklärlich hohen Parker-Bewertungen für mittelmäßige spanische Weine bleiben ein Verdachtsmoment. Tatsächlich müsste, wenn Parkers Bewertungen zuträfen, ein großer Teil der spanischen Weine deutlich über dem Niveau klassifizierter Bordeaux-Gewächse liegen – Billigweine eingeschlossen, die über Discounter vertrieben und massenhaft von der Palette abverkauft werden.

Auch deutsche Discounter werben mit Parker-Punkten

Auch bei deutschen Discountern – und keineswegs nur bei Aldi Süd, wie der Weinblogger Michael W. Pleitgen eruiert hat (www.weinakademie-berlin.de). Bei Lidl stehen zum Beispiel der 2009 Rioja Saxa Loquuntur Uno für 6,99 Euro und der 2008 Rioja Saxa Loquuntur Dos für 8,99 im Programm, versehen mit dem Hinweis auf 88 beziehungsweise 89 Parker-Punkte.

Norma offeriert derzeit einen 2007 Selección Las Collinas del Ebro für 6,99 Euro, der bei Parker mit 90 Punkten geadelt wurde. Penny bietet zum Fest sogar einen 91- Parker-Punkte-Wein für 6,99 Euro an, den Menguante Garnacha Carinena Selección für 6,99 Euro.

Sicher: Den Discountern kann man nicht übelnehmen, dass sie die Chance ergreifen, auf die von vermeintlich höchster Stelle testierte Top-Qualität ihrer Weine hinzuweisen.

Mythos Parker bekommt Kratzer

Ihren Kunden mag man Naivität vorwerfen zu glauben, für 6,99 Euro echte outstanding-Qualitäten zu bekommen. Aber nicht jeder, der gerne Wein trinkt, ist ein ausgebuffter Weinprofi, der solche Dinge einzuschätzen weiß.

Den größten Schaden aber hat die Institution Parker genommen, egal zu welchen Ergebnissen seine Anwälte bei ihren Recherchen kommen werden. Der Nimbus des amerikanischen Super-Kritikers hat schon jetzt gelitten (nachdem er vor acht Jahren einen erbitterten Medienkrieg mit Hanna Agostini, seiner Statthalterin in Bordeaux, geführt hatte, der vorgeworfen wurde, ebenfalls auf eigene Rechnung gearbeitet zu haben und die sich 2007 dann in ihrem Buch „Robert Parker – Anatomie eines Mythos“ übel rächte).

Imperium Parker – zuletzt schnell gewachsen

Parkers Imperium ist in den letzten Jahren immer stärker gewachsen. Vielleicht ist es inzwischen zu groß geworden, um es noch mit sicherer Hand zu führen: sieben Tester neben ihm, zwei Publikationen (The Wine Advocate, www.erobertparker.com), dazu weltweite Preisrecherchen, umfangreiche Weinhändler-Datenbanken, Apps, Jahrgangstabellen, Weinseminare und zu guter Letzt auch noch Restaurantkritiken. Ohne zuverlässige, ihre Privilegien nicht ausnutzende und den Verlockungen des Geldes widerstehende Mitarbeiter ist eine solche Mammutaufgabe nicht zu bewältigen.

Außerdem läuft Parkers Uhr ab – einmal altersbedingt (er wird nächstes Jahr 65), zum anderen, weil sein Erfolg längst zahlreiche andere Weinfachleute auf den Plan gerufen hat, die teilweise präziser und zuverlässiger verkosten als seine Mitarbeiter. Doch das wissen nur Insider. Wenn die Weinhändler Parker nicht groß gemacht hätten, indem sie seine Benotungen bei jeder Gelegenheit publizieren, würde sein Einfluss auf jene gut 100.000 Abonnenten beschränkt bleiben, die seine beiden Publikationen regelmäßig erhalten.

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4 Kommentare

  1. Der Saxa Loquuntur Uno 2009 ist m. E. über jeden Zweifel erhaben und entspricht mindestens der hohen Parker-Bewertung. Vor einigen Wochen habe ich mich selbst davon überzeugen können. Zum Preis von zur Zeit € 5,99 ein wahres Schnäppchen und sicher einer der besten Supermarktweine. Der Uno betätigt damit die hohe Qualität des Saxa Loquuntur Tres 2005, den ich im Jahr 2010 sehr genossen habe.

    • Saxa Loquun­tur Tres 2010 ist dagegen ein einfach Wein der keine 80 Punkte wert ist, typisch Lidel eben. Ich habe bisher bei Lidel noch nicht bekommen, das den Preis wert war. 90 Parker Punkte für so einen Wein wären ein Witz. dem 2010 würde ich 76 Punkte gegben, alles unter 85 Punkte ist es nicht wert zu trinken.

  2. Parker did not make himself a favor to give support to Jay Miller, as done on his last announcement letter. If Miller accepted money from Pancho then he need to be put in front of a judge! Watching the 2009 Bordeaux retasting in HK on http://www.winefuture.hk one come quickly to the conclusion that Pancho Sancho must have been still drunk form the night before or is a complete idiot. A little bit of Menschenkenntnis should have told Mr Parker to stay away from this guy. He did even make many mistakes in the booklet for the tasting. Excuse ‘was fuer ein Arsch’, or maybe he does not care to much as he caters to Asians that do not have any clue anyway as he might think. My advice to RP is stay away from Pancho. And one can only hope that someone files charges against Pancho. Meanwhile I recommend to read the reviews of the second 2009 tasting by Neal Martin who likes the terroir based wine most. There are only a few highlights on the left bank. They are much too expensive compared to 2008, 2006 and 2204. So look for older bargains! V Braun/BKK

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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