November im Piemont: Die Tage sind lichtlos und grau, die Weinberge kahl. Die Sonne hat sich längst abgemeldet. Es nieselt. In den Dörfern ist es still geworden. Die Touristen sind fort, seit der Trüffelmarkt in Alba Ende Oktober seine Tore geschlossen hat. Nebelschwaden wabern um die Häuser. Ein Hauch von Melancholie liegt über der der Langhe. So heißt die Welt um die Stadt Alba.
Paradies für Feinschmecker
Für mich ist November der Zeitpunkt, die Koffer zu packen und sich aufzumachen ins Land des Barolos und der weißen Trüffel, des Carne Cruda (Kalbstatar), des Taleggio (Käse), der Agnolotti (Knopfravioli) und der vielen anderen Rotweine, die die Hügel um die Städte Alba hervorbringen (die Langhe wurden gerade zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt). Ein Pardies für Weinliebhaber und Feinschmecker. So ungemütlich es draussen auch sein mag, so heimelig ist es drinnen, in den Gaststuben, in den Weingütern, auch in den engen Gassen der Dörfer, durch die der Duft von geschmortem Fleisch und gärendem Wein wabert.
Das Leben im Paradies ist allerdings anstrengend. Erstens: Die Weine sind schwer, alkoholreich, tanninhart und mitunter ziemlich kompliziert. Sie zu verkosten und zu verstehen, ist keine leichte Aufgabe. Zweitens: Nach dem Verkosten werden sie getrunken, und da man nicht nur einen Wein verkostet, trinkt man auch viele. Das Schlimmste aber ist: Zum Trinken gehört immer feste Nahrung. Aus drei Gängen werden dann schnell fünf, und wenn man die zahlreichen Vorspeisen mitzählt, die unaufgefordert an den Tisch gebracht werden, auch acht. Aber wer hat gesagt, dass das Leben im Paradies leicht ist?
Massolino: grandioser Jahrgang 2010
Der Jahrgang 2010 ist im Piemont laut Presse ein großer Jahrgang. Stimmt uneingeschränkt. So ausdrucksvolle, tiefgründige Barolo gibt es nicht jedes Jahr (zuletzt vielleicht 2004). Grandios die drei Lagen-Barolo von Massolino (Margheria, Parafada, Parussi), die ich ausgiebig verkosten konnte. Massolinos Spitzen-Barolo Vigna Rionda wird leider erst in zwei Jahren freigegeben. Er ist schon jetzt ausreserviert.
Probieren konnte ich den 2008er aus der Lage. „Dieser Wein hat Eier“, beschreibt ihn die junge Pädagogik-Studentin aus Berlin, die gerade auf Barolo-Trip ist und zufällig auch probiert (erhältlich bei Vinothek Nick).
Elio Grasso und sein neuer Keller
Der Tunnelkeller von Elio GrassoGanz große Klasse auch die Lagen-Barolo Chiniera und Casa Matè von Elio Grasso (der längst an seinen Sohn Gianluca übergeben hat). Ob es an dem gigantischen, unterirdischen Keller liegt, den sie in den Berg getrieben haben, um ihre Weine bei gleichbleibender Temperatur zu reifen, glaube ich eher nicht. Die niedrigen Erträge, die vielen alten Reben, die kalk- und lehmhaltigen Böden – sie dürften eine größere Rolle spielen. Jedenfalls könnte man fast glauben, dass der Gotthard-Tunnel das Vorbild für diesen hufeisenförmigen Keller gewesen ist (erhältlich bei Lobenbergs Gute Weine).
Giacomo Conterno: kein Tanninmonster
Roberto ConternoHinreißend der neue Barolo Ceretta von Giacomo Conterno, zumindest im Bouquet: Veilchen, Granatapfel, schwarze Johannisbeeren, Teer, Eisen, Herbstlaub. Da kriegen auch gefühlsreduzierte Männer plötzlich glänzende Augen. Roberto Conterno, der diese Lage 2008 hinzugekauft hatte, verliert sogar die Kontrolle über seine Sprache: „Ein Wahnsinns-Bouquet.“ Die Besucher geben sich bei ihm die Klinke im Stundentakt in die Hand. November-Business. Ich hatte spontan angerufen und bekam immerhin eine halbe Stunde zugestanden. Von seinem größten Wein, der raren Barolo Riserva Monfortino, kann ich den 2008er kosten. Kein Tanninmonster (wie 2006), aber ein packender, perfekt balancierter Wein mit unendlich vielen Facetten und seidiger Textur. Sechs Jahre lang reifte er im großen Holzfass (ein Jahr weniger als normal). Wenn er von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt würde, ich hätte nichts dagegen (erhältlich bei Kierdorf Wein).
„Alba Airport“ bei Domenico Clerico
Bei Clerico wird der 2010er noch gar nicht ausgeschenkt. „Zu hart“, sagt Oscar Arrivabene, der Önologe. Er serviert 2009, 2008 und den 2007. Domenico Clerico ist auch da. Zwei schwere Operationen am Kopf hat er hinter sich. Jetzt ist er wieder genesen. Vielleicht ist er ein bisschen stiller als vorher. Aber sonst ist er der Alte: dickschädelig, manchmal auch aufbrausend, aber herzensgut und immer verschmitzt. Der neue Keller, den der Architekt ihm hingestellt hat, löst teils Kopfschütteln, teils Staunen bei den Besuchern aus. „Hangar“ nennen ihn die einen. Andere verlaufen sich in ihm wie in einer Pariser Metrostation nach Mitternacht. Clerico selbst sagt: „ Alba Airport“. Uns serviert er nach der schweren Barolo-Probe erstmal einen Champagner. „Ich dachte, ich würde dich nie mehr wiedersehen“, flüstert er mir ins Ohr und umarmt mich. Berührend (die Weine sind erhältich bei Superiore).
Auf Trüffelsuche mit Ezio Costa
Carne Cruda mit weißen TrüffelnMit Ezio Costa anderthalb Stunden unter Eichen, Pappeln und Haselnusssträuchern auf Trüffelsuche. Jolly, sein Hündchen, fand in dieser kurzen Zeit drei Knollen. Zusammen 100 Gramm. So viel Trüffel hat er noch nie in so kurzer Zeit aus der kalten Erde geholt. „Nach dem ersten Neumond im November beginnt die eigentliche Trüffelsaison“, erklärt er. Kein Hokuspokus. Dann wird es kalt, und die Trüffel entwickeln ihren Duft. In diesem Jahr bewahrheitete sich auch der Satz: kleines Weinjahr = großes Trüffeljahr. Nach der Trüffelsuche hobelte Costa die Luxusknöllchen in seinem kleinen Restaurant Tra Arte e Querce (das er zusammen mit seiner Frau in Monchiero betreibt) über Carne Cruda und Fonduta mit einem Porreeflan. Man hat schon schlechter gegessen. Und getrunken: 1997er Arte von Clerico aus der Magnumflasche. Wegen der großen Menge ist der Preis der weißen Trüffel in diesem Jahr übrigens stark gefallen. Leider geben Gastronomie und Handel den verbilligten Einkauf nicht weiter. In Deutschland kosten 100 Gramm zwischen 500 und 700 Euro – mehr als dreimal so viel wie vor Ort.
Weinprobe bei Angelo Gaja
Weinprobe bei GajaDiesmal nicht persönlich angetroffen, aber seine Weine probiert. Der 2011er Barbaresco überraschend tanninhart für einen eher warmen Jahrgang. Kommt an die Klasse des Vorgängerjahrgangs nicht heran. Trotzdem sehr gut (erhältlich bei Ludwig von Kapff).
Wer vorgelassen wird, bekommt bei Gaja aber immer auch ältere Jahrgänge zum Verkosten gereicht. 2004 Barolo Conteisa aus der Magnumflasche zum Beispiel: klassisch-elegant ohne großes Imponiergehabe. Oder 2004 Costa Russi: dicht, dunkel, elegant. Am besten jedoch der 1999er Sperss: eine Aromentiefe, wie man sie nur bei ganz wenigen Weinen der Welt findet, bei großen Burgundern vielleicht und manchmal Bordeaux. Und noch sehr frisch.
All’Enoteca
Raviolo aus Johannisbrot mit BirnenSo heißt das Restaurant von Davide Palluda in Canale. Ich besuche es regelmäßig, im November besonders gern. Dieser Koch hat seinen Stern mit Kreativität und Können, nicht mit Tellerdekoration verdient. Sein Risotto vom Gockel mit Eis von Weihnachtsgewürzen ersetzt mir jedes Jahr den Adventskranz zu Hause. Diesmal war das Gericht leider nicht auf der Karte. Dafür bekam ich Ravioli aus Teig vom Johannisbrot gefüllt mit Blauschimmelkäse und Birne. Klingt gestelzt, ist aber herrlich einfach. Auch das Kalbsbries mit Aal vom Grill ist ein Gericht, das man nicht so leicht vergisst. Dazu tranken wir 2010 Gaia & Rey – Angelo Gajas Antwort auf Puligny-Montrachet & Co. aus dem Burgund.
Persönlich schätze ich diesen piemontesischen Chardonnay im Burgunderstil sehr, wenngleich ich des Preises wegen mich zügeln muss (ca. 150 Euro). Ich muss aber zugeben, dass der 2008er Meursault von Louis Jadot, den wir parallel dazu tranken und der auch nicht viel billiger ist, genauso fasziniert: schlanker, säurebetonter, leichter als Gajas Wein, dabei extrem finessereich und hochmineralisch.
Teil 2 des Piemont-Tagebuchs erscheint nächste Woche.
Ein Barolo ist ein absoluter lieblings Wein. Tolle Geschichte.