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Nacht der Proms: Vega Sicilia feiert Geburtstag

Über 200 Leute waren an jenem heißen Julitag ins einsame Hochland von Castilla y Leon gepilgert, um einen historischen Geburtstag zu begehen: den des international wohl berühmtesten spanischen Weinguts Vega Sicilia. Die Bodegas wurden 1864 gegründet. Ihre Weine waren schon zu einem Zeitpunkt berühmt und teuer, da Spanien noch ein weißer Fleck auf der Weinlandkarte war. Heute sind sie Ikonen und Objekte der Begierde einer kleinen, ausgewählten Schar von Sammlern und Genießern in aller Welt.

Standesgemäßer Empfang

Schinken-Maitre
Schinken-Maitre

Klar, dass viel Prominenz zur Gratulationscour angetreten war, von der stellvertretenden spanischen Regierungschefin über den Landwirtwirtschaftsminister bis hin zu Hollywood-Stars wie Goldie Hawn und Kurt Russell. Zum Warm Up im Garten der Bodegas gab es Appetizer von gleich zwei spanischen 3-Sterne-Köchen, Juan Mari Arzak aus San Sebastian („Arzak“) und Joan Roca aus Girona („El Celler de Can Roca“). Dazu wurde 2002 Bollinger R.D. und 1996 Winston Churchill von Pol Roger gereicht: zwei der besten Champagner der Welt.

Ein standesgemäßer Start. Schade nur, die beiden Champagner im Smokinghemd mit engem Vatermörder-Kragen trinken zu müssen. Doch in diesem Fall quälte man sich gerne. Und der 5 Jotas von Carvajal beziehungsweise der Gran Reserva von Joselito musste auch noch hinunter, wenigstens eine Scheibe. Joselito und Carvajal sind die beiden Rolls Royce unter den iberischen Belota-Schinken, fünf Jahre gereift und von freilaufenden Schweinen mit hundertprozentiger Eichelmast kommend.

In bester Gesellschaft

Einfahrt Bodegas Vega SiciliaDie inoffizielle, ja intimere Gratulationsparty hatte jedoch schon einen Tag vorher stattgefunden. Und sie war nicht weniger spektakulär. Da waren Winzer und Weingutsbesitzer aus ganz Europa gekommen, um Pablo Alvarez, dem Direktor und Repräsentanten der Besitzerfamilie der Bodegas Vega Sicilia, zu gratulieren. Vega Sicilia gehört der Vereinigung Primum Familae Vini an, ein handverlesener Zusammenschluss von Spitzenweingütern, die sich in Privathand befinden und zu den besten ihrer jeweiligen Region gehören. Als Vertreter dieser Güter machten Robert Drouhin (Maison Drouhin), Jean-Pierre Perrin (Château de Beaucastel), Jean Hugel (Hugel & Fils), Patrice Noyelle (Pol Roger) und Egon Müller (Scharzhof), das einzige deutsche Mitglied der Vereinigung, den Spaniern ihre Aufwartung.

Dazu waren Weinsammler aus aller Welt, Importeure und Kollegen befreundeter Weingüter gekommen. Unter den Gästen zum Beispiel Olivier Bernard (Domaine de Chevalier), Etienne Guigal, Dalmau Cerbrian (Marquès de Murrieta), Marie-France Manoncourt (Château Figeac), Pierre Lurton (Château Cheval Blanc), Laurent Ponsot (Domaine Ponsot), Bill Harlan (Harlan Estate, Napa), Angelo Gaja, Katharina Prüm (J.J.Prüm). Und der berühmteste Vega Sicilia-Sammler der Welt, Dr. Yong aus Singapore, war ebenfalls eingeflogen. Wer gerne guten Wein trinkt, befand sich also in bester Gesellschaft. Selbstverständlich waren auch die beiden Sterne-Köche mit von der Partie.

Pablo Alvarez: „Evolution ist keine Revoultion“

Pablo Alvarez mit Jens Priewe„Wir haben eine helle Zukunft vor uns“, begrüßte der ansonsten bedächtige Pablo Alvarez die Anwesenden. Höflicher Applaus. Schließlich denken alle privaten Weingutsbesitzer intensiv darüber nach, wie sie ihre Betriebe an die nächste Generation weiterreichen können, ohne von der Erbschaftssteuer stranguliert zu werden. Fehlen durfte in Alvarez Begrüßungsrede auch nicht der Satz: „Wir versuchen das Beste zu machen, was Boden und Klima uns hier erlauben.“ Am meisten Beifall erhielt er freilich für den Satz, der auch auf jeder Jahresversammlung der deutschen Mittelstandsunion fällt: „Wir wollen Evolution, keine Revolution.“

Zwei 3-Sterne-Köche legen sich ins Zeug

Anchovis mit Erdbeeren von Juan ArzakDann das Dinner: Das erste Gericht war zumindest optisch revolutionär: eine wasserhelle Gemüse-Consommé von Joan Roca, darin jodierte Jakobsmuscheln und Blumenbüten. Hübsch anzuschauen und wohlschmeckend. Dazu zwei Montrachets der Domaine de la Romanée-Conti: schlank, fast rassig der 2011er, füllig, leicht röstig und hochmineralisch der 2009er – zwei ganz unterschiedliche Weine, beide von lautloser, unaufdringlicher Eleganz. Danach wurde die 2010er Reserva Valbuena 5° ausgeschenkt, als feste Nahrung gab es ein Schälchen Babytintenfisch in seiner eigenen Tinte geschmort. Sehr köstlich. Juan Mari Arzak ist allerdings für schrägere Gerichte bekannt: Ich möchte nur den berühmten „Seeteufel bei Ebbe“ erinnern, serviert auf einem eigens von Grundig entwickelten Fernsehteller, auf dem Meereswellen zu sehen sind und das Meeresrauschen zu hören ist.

Valbuena 5° wie ein moderner Bordeaux

Etikett Valbuena„Valbuena 5° ist nicht der Zweitwein von Vega Sicilia“, stellte Alvarez für alle klar, die es noch nicht wussten. Der Wein sei eine völlig eigenständige Cuvée aus Tempranillo mit 20 Prozent Merlot und Malbec. Das 5° bedeutet, dass er grundsätzlich erst nach fünf Jahren im Keller freigegeben wird. Der 2010er, den wir im Glas hatten, war extrem dunkel in der Farbe, hochkonzentriert mit Brombeer-, Veilchen- und Kirscharomen, viel Neuholz, viel Graphit, ein Hauch von Eukalyptus. Ein Ribera del Duero im modernen Gewand.

Man könnte auch sagen: in einer Stilistik, die an erfolgreiche Bordeauxweine der letzten Jahre erinnert. Er strotzt vor Fülle, ist aber trotzdem schon jung zu trinken. Der Herr, der mir gegenüber am Tisch sitzt, nickt erfreut und nimmt die Komplimente gern entgegen. Es heißt Pascal Chatonnet und ist Chateaubesitzer in Saint-Emilion. Im Nebenberuf berät er seit 2007 die Bodegas Vega Sicilia in önologischen Fragen.

Der Tischnachbar ist weniger begeistert

Mein Tischnachbar zur Rechten ist weniger begeistert. Er flüstert mir zu: „Sehr konventionell, dieser Wein.“ Didier Depond, Präsident der Champagnerhäuser Salon und Delamotte, lässt dieser Valbuena 5° ziemlich kalt. Hohes Niveau ja, aber zu standardisiert, zu international. Irgendwie hat er Recht. Die glatten Texturen, mit denen dieser Wein aufwartet, sind nicht nur das Resultat von Boden und Klima, sondern auch eines Önologen, der weiß, was modernen Weintrinkern und -kritikern schmeckt. Mir übrigens auch. Manchmal hat mir der Valbuena 5°, ehrlich gesagt, bisweilen besser geschmeckt als mancher Único, der Spitzenweins des Hauses. Aber das ist von der persönlichen Tagesform eines Weintrinkers abhängig. Und vom Único, der kein Wein ist, den man mal eben aus dem Keller holt und wegschlabbert. Einen Único muss man verstehen, um ihn genießen zu können.

Altspanisches Weinverständnis

Bodegas Vega SiciliaVega Sicilia gilt als Bodega mit „altspanischem“ Weinverständnis. Soll heißen, dass Weine erst auf den Markt gebracht werden, wenn sie reif sind. Einen Wein, der auf der Flasche noch nachreifen muss, kauften und tranken vornehme Spanier früher nicht. So kam es, dass der Único, eine Reserva Especial und der Spitzenwein der Bodegas Vega Sicilia, manchmal erst 20 Jahre nach der Lese in den Handel kam. Ob die Zahl der vornehmen Spanier inzwischen zurückgegangen ist oder sich ihre Trinkgewohnheiten geändert haben, ist schwer zu sagen. Jedenfalls kommt der Único heute bereits nach zehn Jahren in den Verkauf. Zwei Jahre reift er in neuen französischen Barriques, fünf Jahre in gebrauchten Holzfässern, drei Jahre auf der Flasche.

Mindestens 10 Jahre Kellerreife

Zehn Jahre – das ist kürzer als früher, aber immer noch eine lange Zeit. Kein anderer europäischer Spitzen-Rotwein wird so lange unter Verschluss gehalten. Die Alvarez haben also, seit sie 1982 die ehrwürdige Weininstitution Vega Sicilia erwarben, keinen Verrat am „altspanischen“ Weinverständnis begangen. Sie dürfen sich durchaus als Bewahrer spanischer Werte verstehen – auch wenn dies nicht mehr ganz so kompromisslos geschieht wie früher. „Ja“, gibt Chatonnet zu, „wir haben die Ausbauzeit des Único moderat zurückgefahren.“ Und: „Ja, der Wein ist jetzt reduktiver als früher und besitzt mehr Struktur.“

Der 1994er Único – man lässt sich fallen…

Am jüngsten auf den Markt befindlichen Jahrgang, dem 2004er, ließen sich Chatonnets Aussagen verifizieren. Doch einen so „jungen“ Wein wollten die Alvares den erlauchten Gästen nicht zumuten. Stattdessen ließen sie den 1994er Único servieren. Serena Sutcliffe, die Chefin der Weinabteilung von Sotheby’s, beschrieb ihn mit blumigen Worten so: „Gewürzbasar und Zigarrenholz zugleich, dazu Lakritz und schwarze Johannisbeeren und die typischen Único-Ingredienzien wie Minze, Anis, Orangenschale. Irre reich, irre opulent mit Super-Körper und Tiefe. Man lässt sich fallen in diesen Wein…“

1981er Único: „flüssiges Paradies“

Klingt toll. Aber leider war der folgende 1981er Único aus der Magnumflasche noch besser. Ein Wein, der eher an einen Chambertin als an einen Ribera del Duero erinnerte: granatrot in der Farbe, himmlisch weiches, süßes Tannin, reife Frucht mit Aromen von kandierter Blutorange und Veilchen. „Liquid paradise“ hörte ich einen Anwesenden sagen. In 1981 waren der Cuvée 20 Prozent Cabernet Sauvignon und 15 Prozent Merlot und Malbec hinzugefügt worden. Didier Depond neben mir raunte: „Den mag ich.“

Festlich gedeckte TischeAllerdings heißt es, dass ein Único zu keinem Gericht so gut schmeckt wie zu einem Milchlamm, und das, was der Meisterkochs Joan Roca aus dem Ofenrohr zog, war superb. Parallel dazu wurde ein weiterer Rotwein blind ausgeschenkt. Richtig ärmlich wirkte er gegen den 1981er Único.

Als das Geheimnis dieses Mystery-Weins gelüftet wurde, war die Überrschung groß: Es handelte sich um einen 2000er Mouton-Rothschild. „Enttäuschend“ fand Didier Depond neben mir, während er sich den Único nachschenken ließ: „Den mag ich.“

1953er Único: neigt sich dem Ende entgegen

Gänse-Confit von Joan RocaDer letzte Único des Abends war der 1953er, ein legendärer Jahrgang in der Ribeira. Diesem Wein (jedenfalls der Flasche, die wir erwischten) merkte man dann aber doch an, dass er schon über ein halbes Jahrhundert alt ist: eine leichte Firne lag über ihm, ein Hauch von flüchtiger Säure stieg aus dem Glas. Dennoch war er immer noch sehr würzig mit Noten von Backpflaumen, malzigem Unterton und feiner „Todessüße“ als delikater Beigabe – ein großartiges Geschmackserlebnis. Joan Roca ließ dazu ein herrlich altmodisches, weil viel zu schweres Gänsekonfit mit Sommertrüffel  auftragen. Zum Wein passte es. Aber für viele Gäste war der Abend damit beendet. Sie schleppten sich mit letzter Kraft fort. Die alten Tokaj, der Armagnac, die feinen Zigarren, die angeboten wurden, erreichten sie nicht mehr.


Die Weine

  • Die Reserva Especial Único kostet zwischen 250 und 300 Euro pro Flasche, jüngster Jahrgang.
  • Die Reserva Valbuena 5° kostet zwischen 100 und 130 Euro pro Flasche, jüngster Jahrgang.

Bezug: Moevenpick, Wein Wolf, Vinos, Vinexus Weinversand, Silkes Weinkeller, Cielo del Vino, Hanseatisches Wein und Sekt Kontor, Weinwelt.at


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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