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Moderner Weinsprech: Kommunizieren im Nonsens-Modus

von weinkenner
Moderner Weinsprech: Kommunizieren im Nonsens-Modus

Vor drei Tagen erhielt ich eine als dringlich markierte Mail: „Viel Wumms für wenig Kohle.“ Kein Einladung zum Boxkampf zu ermäßigten Preisen, auch keine Reklame für die blaue Ertüchtigungspille für Männer. Es handelte sich vielmehr um eine besonders prollige Offerte zum Kauf eines Weins, eines namenslosen Roten aus den Tiefen des Languedoc.

„Viel Wumms für wenig Kohle.“

Am Tag vorher fand ich auf meinem Server eine Mail, in der der beste Rotwein Italiens annonciert wurde: „Dieser Italiener schlägt aller Rekorde.“ Welche, wurde nicht ganz klar. Preisrekorde können es jedenfalls nicht gewesen sein. Mit schlappen 16,50 Euro war der süditalienische Aglianico weder billig noch teuer. Aber der Anbieter dieses Tropfens hatte einen Tester gefunden, der bereit war, 99 Punkte für diesen Wald- und Wiesenwein zu riskieren, was zwar auch kein Rekord ist, aber doch eine recht ansehnliche Note – wenn sie denn gerechtfertigt wäre. Die Bewertung dieses Weins durch andere Tester liegt bei durchschnittlich 88 Punkten. Das stand natürlich nicht in der Mail.

Ohne verbales Pathos geht es nicht

Punkte kann man nicht trinken, Worte dagegen auf der Zunge zergehen lassen. „Zaubertrank“, „Weltklasse“, „Gänsehautwein“ – derlei verbales Pathos ist inzwischen Gemeingut geworden in Mails, Flyern, Prospekten, auch in journalistischen Artikeln oder Video-Streams, die durch das Netz geistern. Das Ziel ist fast immer das gleiche: Allerweltsweine aufzuhübschen, zu Hochgewächsen zu stilisieren. Die Täter sind durchweg Fachleute. Das erste Zitat oben stammt von Parker-Tester Jeb Dunnuck, das zweite von dem italienischen Weinkritiker Luca Maroni, einem in seiner Heimat belächelten Paradiesvogel. Doch wer von den Adressaten der Mail weiß das schon?

„Wie ein Schluck kühles Gletscherwasser“

Dass sich Verkaufs-Rhetorik anders anhört als die akademische Weinsprache, ist klar. Aber wenn Verkäufer nur noch im Nonsens-Modus kommunizieren, stellt sich irgendwann die Frage: Sollen die Konsumenten systematisch getäuscht werden? Über den Tisch gezogen werden? Zumindest irregeleitet werden? Werden hier Mäuschen zu Elefanten aufgeblasen, indem man ihnen falsche Etiketten anhaftet? Sicher, jeder hat die Freiheit, einen langweiligen Müller-Thurgau als „Geheimtipp“, als „Schnäppchen“, als Wein mit einem „riesigen Spannungsbogen“ zu bezeichnen, der schmeckt wie „ein Schluck aus einem kühlen Gletscherbach“. Heikel wird es erst, wenn der animierte Käufer in Erwartung eines tollen Weins feststellen muss, dass der Spannungsbogen in sich zusammengefallen ist wie ein Soufflé, das zu spät aus dem Ofen geholt wurde – wenn er überhaupt je einen Spannungsbogen gehabt hat.

Arschkriecherei statt kritischer Weinberichterstattung

Weinakademiker und andere diplomierte Rebensaftexperten leisten dieser Entwicklung nicht selten Vorschub. Statt zu versuchen, einen Wein richtig einzuordnen, sehen sie es als ihre vornehmste Aufgabe an, ihn mit blumigen Worten zu beschreiben. Ein schlichter Landwein schmeckt dann plötzlich wie ein nobler Tropfen, ein kleiner Bordeaux wie ein Premier Cru. „Gehobener Unsinn“ hat die Süddeutsche Zeitung einmal geschrieben. Zu Recht, finde ich.

„Keller, die Weinikone, vinifiziert die heiß begehrtesten Weine Deutschlands.“

Und die Journalisten? Sie verstehen sich als Kritiker, doch Kritisches liest man selten von ihnen. Lobpreisungen, Komplimente, Ehrerbietung – das können sie besser. Über den deutschen Winzer Klaus-Peter Keller schrieb die angesehene amerikanische Weinfachzeitschrift Wine Enthusiast: „Keller, die Weinikone, vinifiziert die heiß begehrtesten Weine Deutschlands.“ Keine Ahnung, welch umfangreiche Recherchen der amerikanische Autor angestellt hat, um zu diesem Urteil zu gelangen. Wahrscheinlich hat er nur sein Bauchgefühl befragt. Borderline-Journalismus nennt man sowas. Oder Arschkriecherei.

Einfach nur so rumgeschwafelt

Der deutsche Gault Millau ist etwas dichter am Geschehen. Und was schreibt er über Keller? „Der Konsument tankt in seinen Weinen vitales Feingefühl und elegante Kühle, quasi beschwingte Lebenslust.“ Grammatisch etwas holprig und bildlich schief. Meinetwegen. Aber dann kommt’s: „Er ist Deutschlands Meister aller Klassen.“ Finaler Knockout aller anderen Spitzenwinzer des Landes? Oder einfach so rumgeschwafelt?

Natürlich gibt es auch Kollegen, die seriös über Wein schreiben. Der erste Satz eines langen Artikels über den Kaiserstuhl in VINUM, Europas führendem Magazin für Weinkultur, lautete letztes Jahr: „Alles begann mit den Sumerern, Ägyptern, Griechen, Germanen und Römern vor 2000 Jahren…“ Korrekt. Aber wer schließt ein Abo ab, um Schüleraufsätze zu lesen?

„Ich wittere tiefdunkle Töne voller rassiger Frucht“

Ein anderes Beispiel, im Internet gefunden: „Ich wittere tiefdunkle Töne voller rassiger Frucht. Schwarzkirsche und Wiesenblume. Und jener betörende Duft nach Süßlichkeit, obwohl man ‚süß’ ja gar nicht riechen kann. Am Gaumen wieder tolle Frucht, vor allem Pflaume. Schmeichelnd und weich. Also keine Fleischigkeit, sondern Eleganz mit zartem Süß-Säure-Spiel, noblem Tannin und feinen Noten von Lavendel, die sich in den herrlichen Abgang ziehen.“ Kommen Sie, liebe Leser, auf die Idee, dass es sich bei dieser wie im Drogenrausch verfassten Beschreibung um einen simplen Dolcetto aus dem Piemont handelt? Dabei kann Captain Cork so lustig sein!

Beim Lesen perlt der Schweiß von der Stirn

Dann gibt es noch jene Journalisten, die zeigen wollen, dass sie außer Wein noch mehr drauf haben. Das klingt beispielsweise so: „Dieser Wein ist so klar gegliedert wie eine Fuge von Bach, so leichtfüßig wie ein Sonett von Mozart, so perfekt orchestriert wie eine Aufführung von Herbert von Karajan…“ Oha, da perlt einem schon beim Lesen der Schweiß von der Stirn. Die Beschreibung ist schon ein paar Jahre alt. Sie galt einem Chambertin Clos de Bèze. Das Schlimme ist: Sie stammt von mir. Bis heute schäme ich mich für diesen gedrechselten Blödsinn.

„Der Wein ist so klar gegliedert wie eine Fuge von Bach…“

Sie merken, liebe Leser: Ich finde die Art, wie Wein in Deutschland kommuniziert wird, ziemlich beschissen. Nicht alles, aber ein großer Teil dessen, was Händler, Journalisten, Weinprofis und sonstige Berufsweintrinker schriftlich von sich geben, ist leidenschaftsloser Routinesprech, sinnfreies Geschwafel, romantisierende Betrachtungsprosa, gefühlige Bewertungsarithmetik. Mitreißen können solche Texte auf Dauer keinen Weintrinker (was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass sich Weinzeitschriften in Deutschland so schwer tun, obwohl das Weininteresse im Lande boomt).

Durchschnittsqualitäten zu World-Class-Weinen hochjazzen

Irgendwann merkt auch der Ahnungsloseste, dass ein 12-Euro-Wein nicht 94 Punkte bekommen kann, ohne dass der Autor die Skala verbiegt. Dass nicht jeder Wein groß, majestätisch, sensationell oder der beste sein kann, ohne dass die Wahrheit gebeugt wird. Dass man nicht biedere Durchschnittsqualitäten zu „World-Class-Weinen“ hochjazzen kann, ohne sich als Schönfärber oder – schlimmer noch – Ahnungsloser zu outen. Apropos sensationell: Auf mich wirkt der inflationäre Gebrauch dieses Adjektivs inzwischen so einschläfernd wie die Verwendung des Wortes „skandalös“ bei Politikern.

„Danke an unsere Weinstöck“

Ich weiß natürlich, dass ich im Glashaus sitze, wenn ich sowas schreibe. Das einzige, was mich schützt, ist der Umstand, dass ich selbst ziemlich ratlos bin, wie man es besser machen könnte. Immerhin finde ich, dass englische und amerikanische Weinzeitschriften mehr recherchieren, weniger fabulieren. Häufiger andere Leute statt sich selbst zitieren. Fakten nicht beamtenhaft widerkäuen, sondern zu einer Aussage verdichten. Nicht dass Sie jetzt denken, ich fände alles toll, was im Decanter, im Wine Spectator oder auf den einschlägigen englischsprachigen Webseiten zu lesen ist. Aber dass diese Publikationen Auflagen (beziehungsweise Klickzahlen) aufweisen, von denen man in Deutschland nur träumen kann, ist vielleicht doch kein Zufall.

Wie Ingenieure über den Otto-Motor reden

Eine Zeitlang hatte ich gedacht, dass man vielleicht mehr die Winzer selbst sprechen lassen sollte. Davon bin ich runter. Wenn Winzer, nicht nur deutsche, über ihren Wein reden, dann klingt das meist, wie wenn ein Ingenieur den Otto-Motor erklärt. Und ganz heikel wird es, wenn Winzer Gefühl demonstrieren wollen. „Danke an unsere Rebstöcke“ stand neulich auf einem Flyer des südsteirischen Weinguts Polz.

Ein österreichischer Philosoph hat vor knapp hundert Jahren mal geschrieben: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“  Ich sage nicht, wer der Mann war. Sonst denken Sie, ich wolle schon wieder zeigen, was ich sonst noch drauf habe. Aber Recht hatte der Mann.

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