Dienstag, September 17, 2024
15.9 C
München
spot_img

Das neue Gespür der Chinesen für feinen Wein

Wo die Skyline von Hongkong Island am atemberaubendsten ist, da rumpeln alte, doppelstöckige Straßenbahnen (in Süddeutschland Trams genannt) durch die Hochhausschluchten. Sie bringen Hunderttausende von Menschen täglich zur Arbeit, zum Einkaufen, zurück zu ihren Wohnsilos. Außen an den Trams prangt großflächig Werbung. Auf einer dieser Straßenbahnen ist eine Flasche Pétrus und das Etikett eines Romanée-Conti zu sehen. Ich stutze: Kennen die Hongkong-Chinesen etwa diese Wein-Ikonen? Haben deren Erzeuger es plötzlich nötig, Reklame für sich zu machen?  Natürlich nicht. Die chinesische Niederlassung des Auktionshauses Sotheby’s weist nur darauf hin, dass bald Weinauktion in Hongkong ist.

In London fährt kein Doppeldecker-Bus Wein-Reklame

Tram mit Wein-Reklame in HongkongSotheby’s hat seinen Hauptsitz in London. Die roten Doppeldecker-Busse der englischen Hauptstadt könnten ebenfalls Pétrus- und Romanée-Conti-Werbung fahren. Tun sie aber nicht, obwohl es in London viel häufiger Weinauktionen gibt als in Hongkong. In Paris findet man auch keine rollende Reklame für Wein, noch weniger im reichen Hamburg oder im mondänen Zürich. Da prangt an den Straßenbahnen Reklame für Joghurt und Rheumamittel.

Vielleicht liegt es daran, dass Wein in China anders wahrgenommen wird als in Europa. Wein ist – ähnlich wie teure Chronometer, Designermode, moderne Kunst – etwas höchst Werthaltiges, aber nicht (oder nicht nur) im materiellen Sinne. Die rasant wachsende urbane Mittelschicht Chinas hat den Wein für sich entdeckt. Anfangs war er Statussymbol, inzwischen ist er Genussmittel. Und er wird mit einem Respekt und einer Begeisterung genossen, wie sie in Europa höchstens in kleinen Weinzirkeln beobachtet werden kann. Das heißt: Chinesen spekulieren nicht vorrangig mit Wein, sie trinken ihn. Nicht unbedingt Romanée-Conti und Pétrus, zugegeben. Dazu sind die beiden Superweine zu rar und zu teuer. Aber Pétrus und Romanée-Conti sind für Chinesen Symbole der Faszination, die von feinem Wein allgemein ausgeht.

Weinschrott für 2,99 Euro findet man in Hongkong nicht

Supermarkt für feine Weine
Supermarkt für feine Weine

Der Pro-Kopf-Konsum ist in China zwar noch niedrig. Er liegt statistisch bei etwa einem Liter pro Jahr. Doch in den großen Metropolregionen hat er längst mitteleuropäisches Niveau erreicht – besonders in Hongkong. Genau bezifferbar ist er nicht. Aber wer durch die Gassen und Gässchen des Ausgehviertels Sheun Wan läuft, findet überall kleine Restaurants und schicke Weinbars, in denen ein buntes Völkchen mit einem Glas Wein in der Hand abhängt und sich vergnügt.

Auf den Shopping Malls um Causeway Bay und in Kowloon auf der Festlandseite der Stadt finden sich an jeder zweiten Ecke Supermärkte mit hochrespektabler Weinabteilung für den häuslichen Konsum. 100 Hongkong-Dollar legt bedenkenlos an, wer seinen Spaß haben will – umgerechnet 11,50 Euro pro Flasche. Weinschrott für 2,99 Euro sucht man dort jedenfalls vergebens.


 

38 Millionen Wein-Connaisseure in China

Weinregal im Supermarkt
Weinregal im Supermarkt

Neben den Freizeit- und Gelegenheitsweintrinkern hat sich in China aber mittlerweile auch eine Gruppe von Wein-Connaisseuren herausgebildet. Sie gehören meist der gehobenen Mittelschicht an, sind also nicht reich, aber wohlhabend. Sie nehmen an Weinproben teil, die veranstaltet werden, kaufen auf Auktionen, haben teilweise schon Weingüter in Europa besucht und konsumieren regelmäßig. Sie bewundern die Harmonie und den Wohlgeschmack des Weins. Sie interessieren sich für dessen verschiedene Herkünfte, sind extrem wissbegierig.

Dieser Tage kam mir eine neue Studie des Wine Intelligence-Forschungsinstitut aus London in die Hand. Sie typisiert die neuen chinesischen Weinkonsumenten auf der Basis von über 2.000 Interviews, die in mehreren Großstädten gemacht wurden. Danach muss die Zahl der  Connaisseure, die sich von den Freizeit- und Gelegenheitsweintrinkern abheben, bereits auf 38 Millionen geschätzt werden: „Sie sind weinkundiger als jede Generation vor ihnen, engagierter und interessieren sich auch für technische Aspekte des Weinerzeugung“, heißt es im Untersuchungsreport.

Die Mär von den chinesischen Weinbanausen

Begeisterung für feine WeineDie obszönen Weinorgien wild gewordener Neureicher und das Banausentum der Superreichen, die edle Weine mit Coca Cola mischen – solche Geschichten mag man sich an europäischen Weinstammtischen erzählen. Das moderne China repräsentieren sie schon lange nicht mehr. 38 Millionen Menschen kriegt man vermutlich auch dann nicht zusammen, wenn man die Connaisseure aller europäischen Weintrinker-Nationen zusammen in einen Topf schmeißen würde. Und verglichen mit der Wissbegier und der Lernlust der Chinesen sind selbst die regelmäßigen Konsumenten in der Alten Welt dem Wein gegenüber gleichgültig. Zumal in Deutschland, wo die höchste Stufe der Weinbegeisterung der Ausruf „lecker“ ist.


Die nächsten Weinauktionen in Deutschland und der Schweiz, auf denen Pétrus, Romanée-Conti und andere feine Weine angeboten werden:

23. Mai 2015 in Hamburg: Koppe & Partner
13. Juni 2015 in München: Munich Wine Company
13. Juni 2015 in Zürich: Steinfels Weinauktionen
28. November 2015 in Zürich: Weinbörse


- Anzeige -spot_img
- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img