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Kleine Freuden in Zeiten der Pandemie: Jens Priewe und seine 6 Top-Österreicher

Inzwischen haben die Restaurants und Gasthäuser wieder geöffnet. Man darf sogar mit seinem Kumpel wieder essen und trinken gehen, und der Kumpel darf seinen Kumpel mitbringen, und der wiederum seinen Kumpel – wie der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger die Situation ungewollt komisch beschrieben hat (Stoiber lässt grüßen). Immerhin, die Lage hat sich entspannt. Aber die Erinnerung an den April und an die erste Maihälfte ist immer noch irritierend.  Ich denke an all die Mütter, die nicht kochen können, aber plötzlich kochen mussten; an all die Männer, die hochbezahlte Jobs haben, aber sich dann auf einmal mit ihrem Laptop am Couchtisch wiederfanden und die bittere Erfahrung machen mussten, dass sie im Gegensatz zu den Regalauffüllern im Supermarkt nicht „systemrelevant“ sind. Das hieß:  Sie durften ihre Kinder nicht in die Kita bringen, sondern mussten sie selbst bespaßen.

Ich denke natürlich auch an all die Weintrinker, die sich notgedrungen selber zuprosten mussten, weil keine Freunde ins Haus durften. Okay, dafür sind die meisten gesund durch die Pandemie gekommen. Das ist das Wichtigste. Und kleine Freuden konnte sich durchaus gönnen, wer wollte. Ich wollte und habe ein paar tolle Weine aufgemacht, alle aus Österreich und alle weiß. Von diesen Weinen berichte ich Ihnen, liebe Leser, hier.

2017 „Ried Steiner Schreck“ Riesling Kremstal DAC Reserve, Lesehof Stagård

Wie Seide, geschmeidig und dicht gewoben – so würde ich diesen mega-eleganten Riesling eines Weinguts beschreiben, das in Deutschland viel zu wenig bekannt ist. Er hat mich vor allem mit seiner ausgeprägten Mineralität begeistert. Wie flüssiger Schiefer durchzieht ihn eine mineralisch-rauchige Note, macht ihn, zusammen mit dem langen Ausbau auf der Hefe, extrem cremig und verhindert, dass er ins Gefällige abgleitet – ein Wein für Kenner, nicht für Laien, die lediglich nach etwas Leckerem suchen. Für mich ist dieser Riesling vom Steiner Schreck der beste österreichische Weißwein gewesen, den ich im Monat Mai getrunken habe. Er hat nicht die durchbohrende Säure, die viele deutsche Rieslinge besitzen, kommt dafür aber ohne Restsüße aus und ist als trockener Wein perfekt balanciert. Hinzu kommt, dass er relativ schlank und damit auch nicht so alkoholreich ist (13,3 Vol.%) wie viele Wachauer Smaragde, die gleich um die Ecke wachsen. Die Lage Schreck liegt hoch über der Donau bei Stein, einem Ortsteil von Krems. Sie ist terrassiert und gehört zu den steilsten des gesamten Kremstals. Dort bestehen die Böden zu hundert Prozent aus Urgestein: wie gemacht für den Riesling. Die Reben sind über 50 Jahre alt, die Erträge niedrig. Als Erste Lage ist der Steiner Schreck nur deshalb nicht klassifiziert, weil der Lesehof Stagård nicht Mitglied der Traditionsweingüter Österreich (ÖTW) ist. Der Winzer heisst Urban Tore Stagård und ist trotz seines Namens ein hundertprozentiger Österreicher. Sein Vater, ein Schwede, hatte in das Weingut eingeheiratet und diesem den Namensstempel aufgedrückt. Urban und seine Frau Dominique lassen den Wein 36 Stunden auf der Maische stehen, bevor er (spontan) vergoren wird. Neben dem „Steiner Schreck“ erzeugen sie sechs weitere Lagenweine vom Riesling sowie ausgezeichnete Grüne Veltliner vom Löß. Leider ist der 2017er „Steiner Schreck“ am Markt nicht mehr zu finden. Den 2018er habe ich noch nicht probiert, ist aber, wenn man die Bewertungen von Peter Moser (Falstaff) und Stephan Reinhardt (Parker) anschaut, genauso gut.

Preis: 24,90 Euro (2018er)
Bezug: www.weingrube.com

2019 „Ried Fumberg“ Wagram Roter Veltliner DAC, Weingut Leth

Vorweg zur Info für alle, die sich mit österreichischem Wein nicht so gut auskennen: Dieser Wein ist weiß, auch wenn er Roter Veltliner heißt. Und: Die Sorte hat nichts mit dem Grünen Veltliner zu tun. Sie ist völlig eigenständig, man weiß nicht einmal genau, ob sie aus Österreich stammt. Tatsächlich aber wächst sie praktisch nur in Österreich, speziell am Wagram, wie die löß- und sandhaltige Hochebene im Hinterland der Donau zwischen Klosterneuburg und Grafenwörth heißt. Ich halte den Roten Veltliner für einen der interessantesten, ja zukunftsträchtigsten Weißweine des Landes, obwohl die Sorte ein Massenträger ist und nur funktioniert, wenn die Erträge rigoros herunterfahren werden. Die Beeren haben eine dicke Schale und enthalten viel Poliphenol, was dazu führt, dass potenziell langlebige Weine entstehen – vorausgesetzt, der Winzer legt es darauf an. Franz Leth tut es. Von seinem „Ried Fumberg“ sagte er, dieser besitze „das Potenzial für zehn und mehr Jahre“. Angesichts der Flut von banalen Tuttifrutti-Weinen aus allen Teilen Europas gehört die Zukunft jenen Weißweinen, die reifen können und dabei Aromatiken entwickeln, die man in jungen Weinen nie findet. Zumindest gilt das für Anspruchstrinker. Ich habe zuerst den Basis-Roten Veltliner der Leths getrunken und durchaus genossen. Den Unterschied aber macht der Riedenwein aus, der zwar noch jung ist, aber schon andeutet, dass er mehr als Marille, Mango, Birne zu bieten hat. Er zeigt pikante, salzig-hefige Noten, ist fülliger und wartet mit kaschmirweichen Texturen auf. Leth hat die Trauben relativ früh gelesen und keine Maischestandzeit vorgeschaltet, weil der Most schon gerbstoffhaltig genug ist. Das Resultat: ein exzellenter, erkennbar charakterstarker Wein, den man am besten aus einem Glas mit großem Kelch trinkt. Meine Mittrinker haben ihn seiner Struktur und Feinwürzigkeit wegen für einen Chardonnay gehalten, einen exzellenten.

Preis: 15,95 Euro (2018er)
Bezug: www.bauer-vinothek.de

2018 Weißer Schiefer Welschriesling, Weinbau Schiefer & Domaines Kilger

Welschriesling trinke ich gefühlt einmal im Jahr. Diesen Welsch könnte ich jede Woche trinken. Ein richtig guter, saftiger Wein mit viel Fruchtschmelz, moderater Säure, im Bouquet eher weißer Pfirsich als reife Marille, extraktreich und druckvoll trotz 11,5 Vol.% Alkohol nur. Käme er aus der Wachau, würde „Steinfeder“ auf seinem Etikett stehen – die leichteste Wein-Variante von dort. Doch er kommt aus dem südlichen Burgenland, das für seine kraftvollen Blaufränkisch-Weine (Eisenberg DAC) berühmt ist. Auch Uwe Schiefer (der früher als Sommelier, unter anderem im berühmten Restaurant Steirereck in Wien, gearbeitet hat) steuert einige der besten Exemplare Blaufränkisch bei. Aber der Welschriesling war im Burgenland immer zu Hause, auch wenn er im Schatten der Rotweine stand. Heute wird er wiederentdeckt. Viele Winzer, vor allem junge, haben sich seiner in den letzten Jahren angenommen und aus der Allerweltssorte Weine gekeltert, bei denen sich erfahrene Weintrinker verwundert die Augen reiben – auch Schiefer, obwohl er nicht mehr zu den ganz Jungen zählt. Sein Welschriesling von 60jährigen Rebstöcken ist – pardon für das undifferenzierte Pathos – ein toller Wein. Wer den Weißen Schiefer, wie der Wein korrekt heißt, trinkt, schmeckt überdeutlich jenen Schiefer, den die Böden um Eisenberg und Königsberg enthalten. Dabei ist er völlig ungeschminkt, pur und sehr cremig (er hat acht Monate im großen Holzfass auf der Hefe gelegen, ist ungeschönt und unfiltriert auf die Flasche gekommen). Der österreichische Sommelier und (Berliner/Holsteiner) Gastronom Gerhard Retter hat es in einem Webinar, das die Österreichische Weinmarketing Gesellschaft kürzlich organisiert hatte, auf den Punkt gebracht, als er sagte: der Welschriesling ist zwar eine bekannte Rebsorte, aber ihr Potenzial ist noch weitgehend unbekannt. Der Weiße Schiefer ist ein Beweis dafür: neue österreichische Weißweinschule.

Preis: 12,90 Euro
Bezug: www.weinhalle.de

2018 Sauvignon blanc „Ried Hochsteinriegl“, Weingut Wohlmuth

Der Höhepunkt der Corona-Pandemie fiel genau in die Spargelzeit. Nicht schlimm. Wein wurde ja verschickt oder konnte überall gekauft werden, da der Lockdown nicht für Weinhandlungen und Lebensmittelgeschäfte galt. Zu grünem Spargel gibt es für mich nicht Besseres als Sauvignon blanc. Die Südsteiermark ist Österreichs beste Sauvignon-Anbauregion, und aus dem Sausal, dem höchstgelegenen Teil dieser Zone, kommt dieser kühle Sauvignon blanc, den ich seit Jahren kenne und sehr gerne trinke: ein Wein, der nichts mit den aggressiven Sauvignons aus Neuseeland, den Gaumenschmeichlern aus Südafrika und schon gar nichts mit den zahllosen Sauvignons aus Rheinhessen oder der Pfalz zu tun hat, die wie ein Smoothie aus grüner Paprika mit einem Topping von frisch gemähtem Gras schmecken. Der „Ried Hochsteinriegl“ ist dicht gewoben und verbindet grüne Aromen mit warmen gelben. Sprich: Ananas und Mango auf der einen mit Basilikum und Fenchel auf der anderen Seite. Allein dadurch entsteht ein Spannungsbogen, der den Wein besonders macht. Unterlegt sind diese Aromen mit einer feinen Schieferwürze, die er von dem Boden der Riede mitbekommt und die ihn von vorn bis hinten durchzieht. Sie verleiht ihm eine pikante Note und macht, dass er sich von Tausenden von Allerwelts-Sauvignons unterscheidet, die die Supermärkte überschwemmen. Ich mag Weine, die eine Uraufführung sind und nicht die hundertste Wiederholung desselben Films. Dieser Sauvignon blanc ist so einer: Er fordert mehr Aufmerksamkeit vom Weintrinker und schmeckt besser. Sicher, wenn man die Weinberge der Familie Wohlmuth kennt und gesehen hat, wie steinig und steil sie sind; wer weiß, dass man das Schiefergestein mit dem Hammer zerkleinern muss, bevor man einen Rebstock setzen kann; und wer registriert hat, wie gering die Erträge sind, die im Herbst geerntet werden – der hat mehr Respekt vor dem Wein als einer, der ihn aus dem Regal nimmt und einfach drauflos trinkt. Dabei bildet dieser Sauvignon nicht einmal die Spitze des Wohlmuth-Sortiments. Dort steht der Sauvignon von der Riede „Edelschuh“, dessen Boden noch karger und die Erträge noch geringer sind. Aber das Erlebnis eines großartigen Terroir-Wein hat man bereits beim „Hochsteinriegl“.

Preis: 33,95 Euro
Bezug: www.weinco.at

2019 Grüner Veltliner Federspiel „Ried Kaiserberg“, Domäne Wachau

Die Wachauer Weine haben immer zu meinen persönlichen Weißweinfavoriten gehört. Aber wenn ich eine Flasche öffnete, war es fast immer ein Smaragd. Die leichteren Federspiele (gesetzliche Anforderung: nicht über 12,5 Vol.%) habe ich meist verschmäht. Seit Corona weiß ich: Das ist ungerecht und snobistisch. Sicher, Smaragde sind die extreme Zuspitzung eines Grüner Veltliner und eines Riesling in der Wachau. Aber irgendwie schmecken sie nicht, solange die Polizei Kinderspielplätze kontrolliert und man seinen Mitmenschen nicht näher als anderthalb Meter kommen darf. In diesen deprimierenden Zeiten ist ein Federspiel passender. So hat mir Roman Horvath MW, der Gutsleiter der Domäne Wachau in Dürnstein, drei Federspiele vom Grünen Veltliner aus dem Jahrgang 2019 zugeschickt, die geeignet sind, ein Lichtlein im Tunnel anzuzünden, damit es dort nicht gar so gruselig ist und wir ein wenig Lebensfreude zurück bekommen. Das Terrassen-Federspiel – der Gebietswein der Domäne – ist der Wein, der am schnellsten den Blues vertreibt, weil er so direkt und schnörkellos ist. Das Weissenkirchen-Federspiel ist komplexer, verspielter, hat aber trotzdem viel Zug. Heißt: Das Glas ist schnell geleert. Am besten gefallen hat mir das Federspiel von der „Ried Kaiserberg“, was insofern keine Überraschung ist, als es auch in der Betriebshierarchie der Domäne der hochwertigste Wein der drei Federspiele ist. Dieser Grüne Veltliner besitzt Substanz, Finesse, Mineralität, obwohl auch er die 12,5 Vol.%-Grenze nicht überschreitet: ein präziser, glasklarer Wein mit feinen Birnen- und Zitrusaromen, der nicht nur halb so teuer, sondern auch besser ist als mancher gequälte Smaragd anderer Erzeuger. Wenn ich mir die Bewertungen der internationalen Weinkritiker anschaue, so zählt der „Ried Kaiserberg“ zu den besten Federspielen des Jahrgangs. Mir fehlt der aktuelle Vergleich, aber wenn ich an frühere Federspiel-Erfahrungen denke, könnten die Kollegen Kritiker Recht haben. Diesen Wein würde ich auch dann noch trinken, wenn die Zeit wieder reif für Smaragde ist.

Preis: 11,61 Euro
Bezug: www.weinober.de

2018 „Ried Grub“ Kamptal Grüner Veltliner DAC, Weingut Hirsch

Schon im letzten Jahr – also lange vor Corona – hatte mir Johannes Hirsch Muster seiner sechs Riedenweine vom Jahrgang 2018 zur Probe geschickt. Im Mai habe ich endlich die letzten beiden Flaschen geköpft (genau genommen: aufgedreht, sie haben nämlich einen Schraubverschluß). Wenn Corona, wie der SPIEGEL schrieb, „auf das Lebensglück drückt“, dann legte sich die Bedrückung bei diesen Weinen wenigstens für einen kleinen Moment. Beide, der Grüne Veltliner „Ried Lamm“ und vor allem der Grüne Veltliner „Ried Grub“, sind Weine, die man nicht so leicht vergisst. Ich habe sie getrunken, nicht nur probiert. Den Rest der Flasche nach einem Probierglas in den Ausguss zu kippen, sträubte sich etwas in mir. Erstens stellen die sechs Riedenweine  die Spitze der Hirsch’schen Qualitätspyramide dar. Zweitens sind sie äußerst limitiert und nur in den besten Kellern Österreichs zu finden. Drittens gehört Hirsch seit einigen Jahren zur absoluten Spitze der österreichischen Weinerzeuger, im Kamptal auf Augenhöhe mit Bründlmayer. Und viertens sind große Weißweine rar auf dem Erdball – im Gegensatz zu großen Rotweinen. Wenn man einen Lafite oder einen Soldera-Brunello nicht während der Probe ausspucken darf, dann schüttet man auch einen Hirsch nach der Probe nicht in den Ausguss. Finde ich. Zum „Ried Grub“: Dieser Grüne Veltliner prunkt nicht mit ausladender Fülle, sondern beeindruckt mit straffer Struktur, filigraner Steinobst-Frucht, cremiger Hefenote und ausgeprägter Flintstein-Mineralik. Ein streng vertikaler Wein aus einer Ersten Lage, der noch stark von seinen Primär- und Sekundäraromen geprägt ist und beim ersten Schluck noch in sich gekehrt wirkt. Aber er entwickelt sich schnell im Glas und deutet mit seiner Extrasüße und seiner Tiefe an, dass er einer der ganz Großen in Österreich ist. Man könnte ihn in epischer Länge beschreiben, muss es aber nicht. Worte kann man nicht trinken. Das Geheimnis der Weine von Johannes Hirsch sind die Lagen und die Art, wie der Winzer sie bewirtschaftet: respektvoll, biodynamisch, sanfter Rebschnitt und mit dem Willen, das Beste herauszuholen, was die Reben hergeben. Das Ergebnis begeistert.

Preis: 31,50 Euro
Bezug: www.pinard.de

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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