Noch vor 10 Jahren wäre ein Jahrgang wie 2009 an der Mosel einstimmig zum „großen“ Jahrgang erklärt worden. Die Temperaturen waren ab Spätsommer konstant hoch. Die Feuchtigkeit reichte aus, um Trockenstress zu vermeiden. Die Trauben konnten auch in weniger guten Lagen voll ausreifen. Folge: viele Spät- und Auslesen, wenig einfache Qualitätsweine. Die BILD-Zeitung, in Sachen Wein eigentlich keine Autorität, titelte zu Recht: „2009 ist ein Knüller.“
Doch es gab auch Leute, die die Stirn in Falten legten (ich meine damit nicht die Winzer, die wegen der geringen Erntemenge – minus 20 Prozent – Grund zum Klagen hatten). Sommeliers und Journalisten bemängelten bei der Vorpremiere der Großen Gewächse, zu der der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) am 23./24. August 2010 nach Wiesbaden eingeladen hatte, immer wieder, dass vor allem die trockenen Weine zu schwer, zu üppig, zu untypisch seien. Die Kritik richtete sich zum Beispiel gegen viele Moselweine.
Tatsächlich kann man bei vielen Moselweinen des Jahrgangs 2009 von untypischen Weinen reden – aber untypisch im positiven Sinne. Die Frucht ist in weichem Schmelz verpackt, die Säuren sind weinig und reif, die Alkoholpegel nicht übertrieben hoch. Sicher, es gibt Weine wie Clemens Buschs Marienburg Rothenpfad, der 13,5 Vol.% aufweist. Aber solche Alkoholgehalte (sogar höhere!) wiesen auch die 2007er und 2006er auf. Wenn Spitzenweine durchgären, kommt man – auch an der Mosel – schnell auf „Drehzahlen“ wie bei Wachauer oder Elsässer Rieslingen.
Untypisch mögen diese Weine für diejenigen sein, die gewohnt sind Kabinett zu trinken. Sie sollten besser von Großen Gewächsen Abstand nehmen. Große Gewächse sind konzipiert als rare Spitzenweine: in der Regel hochkarätige Spätlesen, wie sie an Mosel, Saar, Ruwer traditionell eigentlich nicht erzeugt werden. Und es lässt sich trefflich darüber streiten, ob die Rieslingtraube in diesen, mit nur maximal neun Gramm Restzucker ausgestatteten Weinen tatsächlich zu ihrem höchsten Ausdruck gelangt.
Gerade in 2009 zeigt sich jedoch, dass die Reife, die Fülle und der Extraktreichtum der Weine diese für die trockene Ausbauweise besonders prädestiniert. Sie sind stoffig, besitzen Struktur und eine natürliche Balance. Die mitunter rohe Säure, die manche 2008er auszeichnete, findet man in 2009 überhaupt nicht. Fazit: Die Mosel ist 2009 der Gewinner unter den deutschen Anbaugebieten – typisch hin und her.
Übrigens: Keineswegs alle Weine von den Ersten Lagen weisen in 2009 hohe Alkoholwerte auf. Für Roman Niewodniczanski von Van Volxem besteht die Besonderheit dieses Jahrgangs gerade darin, dass er Weine mit reifer Frucht und Säure, aber niedrigen Alkoholwerten hervorgebracht hat. Die 12 Vol.%, die seine Spitzenweine aufweisen, sind allerdings durch erhöhte Restsüße erkauft. Sie liegt in seinem Fall sogar über der für Große Gewächse liegenden Grenze. Die Van Volxem-Spitzen können in 2009 deshalb nicht als Große Gewächse, sondern nur als Erste Lagen auf den Markt gebracht werden. Gleiches gilt für Heymann-Löwenstein und eine Reihe anderer Weingüter.
Unterwertig gegenüber den Großen Gewächsen sind die Ersten Lagen deswegen nicht. Im Gegenteil: Sie besitzen ein ausgeprägteres Süße-Säure-Spiel, sind langlebiger und – vielleicht – „typischer“ im traditionellen Sinne. Gastronomisch sind sie trotzdem genauso gut einsetzbar wie die trockenen Weine: „Sie passen besser zu würzigen, auch scharfen Speisen, selbst zu Kalbfleisch-Gerichten“, sagt Hans-Joachim Zilliken aus Saarburg.
Leider hat es in 2009 an der Mosel nur wenige Weingüter gegeben, die trockene Große Gewächse produziert haben. Viele Winzer haben es vorgezogen, aus den Spitzenlagen halbtrockene oder feinherbe Weine zu keltern – oder gleich in Richtung Auslese zu gehen (ab Auslese dürfen Große Gewächse auch süß sein). So sind am Ende nur zwei Dutzend trockene Weine zusammengekommen, auf die sich die Weinfreunde in aller Welt nun stürzen werden.
2009 Mosel Großes Gewächs
Weingut | Gemeinde und Erste Lage | Charakteristik | Punkte | ca. Preis |
---|---|---|---|---|
St. Urbans-Hof | Leiwen, Laurentiuslay |
Reife Beere mit Aprikosen- und Orangennoten, reich, fast opulent, getragen von süßem Schmelz und pikanter Frucht: großer, für viele sicher untypischer Riesling. Restsüße an der oberen Grenze | 93 | € 24,00 |
Schloss Lieser | Brauneberg, Juffer-Sonnenuhr |
Strahlende Säure, aber gleichzeitig reife Beere und üppiger Körper, dazu feinste mineralische Noten: filigraner, vibrierender Wein | 93 | € 23,00 |
Fritz Haag | Brauneberg, Juffer-Sonnenuhr |
Sehr sauberer, gradliniger Wein mit reifer Beerenfrucht, gut eingebettete Säure, klare Frucht: jetzt noch verhalten und fast banal wirkend, aber mit riesigem Potenzial | 93 | € 24,95 |
Forstmeister Geltz-Zilliken | Saarburg, Rausch |
Schmelzig, rassig, rund, Säure gut verpackt in viel Extrakt: seltene Fülle, große Klasse | 92 | € 24,00 |
Reinhold Haart | Piesport, Goldtröpfchen |
Viel Mineralik in der Nase, satte, fast buttrig-schmelzige Frucht am Gaumen: hochfeiner, mitreißender Wein | 92 | € 23,00 |
Dr. Loosen | Wehlen, Wehlener Sonnenuhr |
Üppiger, schiefriger Duft, fein ziselierte Frucht, reiche Struktur: grandioser Wein | 92 | € 16,00 |
Dr. Loosen | Erden, Prälat |
Herb-fruchtig mit vielen Bodennoten: stoffiger, ungemein reifer Wein mit Noten von Mango und Orangen, feines Säurespiel, praktisch eine trockene Auslese | 92 | € 49,00 |
von Othegraven | Kanzem, Altenberg |
Viel Pfirsich, feinste Mineralik, sehr reife Säure: runder und fülliger als sonst | 91 | € 27.90 |
Schloss Lieser | Lieser, Niederberg Helden |
Traubig-reif mit kühler Mineralik, tiefgründig, eigenwillige Lagenprägung: überzeugender, spannungsgeladener Wein | 91 | € 21,50 |
Reichsgraf von Kesselstatt | Kanzem, Scharzhofberger |
Kühle Schiefercharakteristik, Zitrus, hohe kristallin-klare Säure: eher geschmeidig denn voll. Ein Klassiker für Fans ausgeprägter Mineralik | 91 | € 20,00 |
Karthäuserhof | Eitelsbach, Karthäuserhofberg |
Traubig, saftig, schön abgerundet, perfekte Balance, | 91 | € 26,50 |
Reichsgraf von Kesselstatt | Kasel, Nies’chen |
Schnörkellos, mineralisch-herb, sehr trocken, Riesling pur | 90 | € 21,90 |
Dr. Loosen | Ürzig, Würzgarten |
Relativ voller, fast pikanter Wein mit Apfel-/Holundernote: eigenwillig, aber gut gelungen | 90 | € 23,00 |
Clemens Busch | Pünderich, Marienburg „Rothenpfad“ | Urtümlich-kraftvoller Wein, reife Beere, saftiger Kern, ganz eigener Stil | 90 | € 23,00 |
S. A. Prüm | Graach Domprobst |
Karger, fast sehniger Wein, der von seiner feinen Mineralik lebt: anspruchsvoller Riesling | 89 | € 28,50 |
Grans-Fassian | Leiwen, Laurentiuslay |
Kerniger Wein mit schöner Frucht und herzhafter Säure, nicht elegant, aber charaktervoll | 89 | € 21,00 |
Dr. Loosen | Erden, Treppchen |
Mineralisch schlanker Wein, mehr Zitrus als Pfirsich, elegant, brave Säure | 89 | € 23,00 |
Clemens Busch | Pünderich, Marienburg |
Rustikal- saftiger Wein mit leicht stieliger Komponente, toller Duft, durch weiche Säure runder als gewöhnlich | 89 | € 22,00 |
S. A. Prüm | Wehlen, Sonnenuhr |
Solider, gut gebauter Wein, durchaus mit Spannung | 88 | € 21,50 |
S. A. Prüm | Bernkastel, Lay |
Reife Pfirsichfrucht mit zitrigen Noten und milder Säure, etwas brav | 88 | € 21,50 |
Reichsgraf von Kesselstatt | Wehlen, Wehlener Sonnenuhr |
Weich, rund, saftig, eingebettet in viel süßen Schmelz, fast ein bisschen zu gefällig | 88 | € 21,50 |
Reichsgraf von Kesselstatt | Graach, Josephshöfer |
Kräftiger, würziger Wein mit viel Saft, reifer Säure, guter Balance | 88 | € 21.90 |
Reichsgraf von Kesselstatt | Piesport, Goldtröpfchen |
Saftiger, komplex-fruchtiger Riesling mit schönem Spiel und viel Schmelz, hinten etwas stark abgerundet | 87 | € 19,50 |
Grans-Fassian | Dhron, Hofberg |
Reife Frucht, kraftvolle Säure, etwas auseinanderstrebend | 87 | € 25,00 |
2009 Mosel Erste Lage
Weingut | Gemeinde und Erste Lage | Charakteristik | Punkte | ca. Preis |
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Forstmeister Geltz-Zilliken | Saarburg, Rausch „diabas“ |
Relativ üppiger Wein mit reifer Beere, (noch) etwas bonbonhafter, aufgesetzt wirkender Süße, aber strahlender, durchdringender Säure: toller, spannungsreicher Wein zum späteren Genuß | 93 | € 30,00 |
van Volxem | Wawern, Scharzhofberger „Pergensknopp“ | Vollmundig und gleichzeitig hochelegant: Aromensprektrum von Apfel über Aprikosen bis Orangen reichend, zarte Blauschiefernoten, stramme Säure: ein nahezu perfekter Wein | 93 | € 32,00 |
Heymann-Löwenstein | Winningen, Uhlen „Laubach“ | Exotisch-voller Wein mit Fruchtnoten, die von Grapefruit bis Passionsfrucht reichen, trotz seiner Fülle zupackend, mit reifer Säure kühner Mineralität | 93 | € 28,00 |
Heymann-Löwenstein | Winningen, Röttgen |
Opulenter Wein mit vielen exotischen Anklängen, Birne, Lychees, Teeblüten: majestätisch und doch finessereich, allerdings außerhalb der üblichen Stilistik | 92 | € 20,00 |
Heymann-Löwenstein | Winningen, Uhlen „Blaufüßer Lay“ | Hochfeiner Riesling mit Traminer- und Sauvignon-Anklängen, barocke Fülle mit frecher, pikanter Frucht: großartig, aber sehr in die Breite gehend | 92 | € 24,00 |
van Volxem | Kanzem, Altenberg |
Feinste Beere, hohe Reife, großer Saft: schlank mit strammer Säure, fast trocken schmeckend | 91 | € 32,00 |
van Volxem | Wiltingen, Braunfels „Volz“ | Rauchig-mineralisch mit exotischen Untertönen: eigenwilliger Wein, der aus der Spannung von reifer Frucht und seiner Mineralität lebt. | 91 | € 24,50 |
Heymann-Löwenstein | Hatzenport, Kirchberg |
Wild, saftig, reif und doch nervig: sehr stoffiger, gleichwohl mitreißender Wein | 90 | € 21,00 |
Heymann-Löwenstein | Hatzenport, Stolzenberg |
Wie der Kirchberg, nur kerniger, bissiger und noch substanzreicher | 90 | € 21,00 |
van Volxem | Wawern, Goldberg |
Schlanker, mineralisch-saftiger Wein mit viel Innenleben: spielerisch-leicht und doch mit satter Frucht | 90 | € 17,00 |