Samstag, September 21, 2024
8.6 C
München
spot_img

Gault Millau WeinGuide: Ist deutscher Wein wirklich so langweilig?

Insgesamt wird der Jahrgang 2010 vom Gault Millau korrekt eingestuft. „In der Spitze eine Fülle von edelsüßen Rieslingen, die ihresgleichen suchen“, schreibt Herausgeber Joel Payne im Vorwort. Richtig. Geniale Weine, vielleicht die besten edelsüßen des vergangenen Jahrzehnts. 100 Punkte in der Spitze – warum nicht? Auf der anderen Seite gibt es laut Payne auch richtig „schlechte Weine“ Jawohl. Weine nicht nur mit (zu) hoher, sondern auch schmerzhaft unreifer Säure. Oder unsauber, weil die Trauben im Herbst schlecht verlesen wurden.

Auch beim Blick in die deutschen Weinprovinzen spiegelt der Gault Millau die Realität durchaus wider. Bei den trockenen Rieslingen liegen die Pfalz und Rheinhessen vorn, bei den restsüßen die Mosel, der Mittelrhein, die Nahe. Aber das war schon lange klar und ist in Zeitschriften, Zeitungen und im Internet ausgiebig beschrieben worden.

Die Langeweile beginnt mit der „Kollektion des Jahres“

Die Langeweile kommt vorn im Buch auf. Da, wo eigentlich Veränderungen sichtbar werden sollten. Egon Müller bekommt die Trophäe für die „Kollektion des Jahres“. Sicher, ein Jahr wie 2010 spielt einem Winzer mit Schwerpunkt edelsüße Weine in die Karten. Doch kommen aus dem Keller von Egon Müller nicht schon seit einem halben Jahrhundert großartige Kollektionen? Auch in kleinen Jahren? Die ganze Welt weiß das. Einen Erkenntniswert hat diese Auszeichnung nicht. Es sei denn die Erkenntnis, dass dem Gault Millau nichts mehr einfällt.

Die Auszeichnung für die „Weinkarte des Jahres“ geht an die Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach. Wie aufregend! Deutschlands wohl bestes 3-Sterne-Restaurant mit tollem Weinkeller – wer hätte das gedacht? Der „Sommelier des Jahres“ ist diesmal eine Sommelière: Magdalena Brandstätter. Eine verdiente Auszeichnung, aber auch keine sehr orignelle Wahl. Denn die junge Österreicherin arbeitet im Waldhotel Sonora. Jedes 3-Sterne-Restaurant ist ein Treibhaus für Talente.

Klaus Keller: Abonnement auf den besten Riesling

Kein Risiko auch auch bei den prämierten Weinen. Der beste Winzersekt kommt 2010 wieder mal aus dem Weingut von Volker Raumland – zum fünften Mal in den letzten zehn Jahren. Wenn der Gault Millau so weiter macht, braucht ihn bald keiner mehr zu kaufen. Besonders spektakulär ist auch die Wahl des besten Weißburgunders nicht. Sie fiel zum wiederholten Male auf das Südpfälzer Weingut Dr. Wehrheim.

Die Ehre des besten trockenen Rieslings des Jahres 2010 geht abermals an Klaus Keller nach Flörsheim-Dalsheim. Mit fünf Prämierungen in den letzten acht Jahren scheint er ebenfalls ein Abonnement auf den Titel zu haben. Nicht dass die Entscheidungen der Gault-Millau-Jury anzuzweifeln wären – aber einen Weinführer, der jedes Jahr feststellt, dass die neuen Champions auch die alten sind, braucht man eigentlich nicht.

Mutig ist dagegen die Entscheidung, Matthias Müller zum „Winzer des Jahres“ zu küren. Ein tüchtiger, aber relativ unbekannter Winzer, dessen Weine nie in den Top 10 auftauchen, der aber eine heroische Leistung im schwierigen Anbaugebiet Mittelrhein erbringt. Und dass die Weingärtner Cleebronn-Güglingen aus Württemberg zum „Aufsteiger des Jahres“ avancierten, hat ebenfalls einen gewissen Überraschungswert. Genossenschaften sind nicht unbedingt der Darling der Weinjournalisten. Außerdem ist die Konkurrenz in dieser Kategorie ist groß.

Die neuen Talente gehen unter

Denn auf dem Weg nach oben sind mehr, als der Gault Millau glauben macht. Um mal schnell zehn Namen zu nennen: aus Württemberg Wolf-Peter Leiss, aus Rheinhessen Johannes Thörle, Axel Köhler und Jürgen Hofmann, aus Franken Paul Weltner, von der Saar Max von Kunow, von der Mosel Thomas Haag (Schloss Lieser) und Bernhard Kirsten, aus der Pfalz Markus Hinterbichler, an der Nahe Sebastian Schäfer (Joh. Baptist Schäfer). Vielleicht sind noch nicht alle Genannten reif für eine Kandidatur zum „Aufsteiger des Jahres“. Doch in ihren Kellern gärt es gewaltig, ohne dass der Leser des Gault Millau es merkt.

Überraschend, wenn auch im negativen Sinne, ist die Herabstufung des rheinhessischen Parade-Weinguts von Daniel Wagner-Stempel auf 3-Trauben-Niveau. Die Begründung, in der Spitze fehle es seinen Weinen „am letzten Kick und der letzten Brillanz“, können ich und viele andere nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach lassen eher die Basisqualitäten zu wünschen übrig – aber das gilt für zahlreiche Betriebe in 2010.

Spätburgunder auf Romanée Conti-Niveau?

Eine besondere Schwäche scheinen die Gault Millau-Tester diesmal für Rotweine gehabt zu haben. Bei den Spätburgundern des Jahrgangs 2009 haben sie ganz tief in die Punktekiste gegriffen. Drei Weine mit 95 und drei Weine mit 94 Punkten (jeweils vom Trio Friedrich Becker, Knipser, Huber) – das ist fast Romanée Conti-Niveau. Ein Versuch, deutsche Rotweine wenigstens vor dem eigenen (Leser-)Publikum in die Weltklasse zu hieven? Möglicherweise. So schön es wäre, wenn Deutschland da oben wirklich mitspielen könnte – erfahrene Weintrinker werden auf die Top-Benotungen kaum hereinfallen.

Außerdem darf man sich auch hier wieder über den Tunnelblick der Gault-Millau-Tester wundern, die seit Jahren immer mit denselben Namen jonglieren, so als gäbe es keinen Martin Wassmer mit seinem Spätburgunder vom Schlatter Maltesergarten, der ihnen nahe kommen könnte. Keinen Pinot Noir von Chat Noir oder keine Lagen-Spätburgunder von August Kesseler.

Besserwisserei? Die gehört dazu, wenn man sich zu einem neuen Weinführer äußert. Am Ende hat der Weinführer ja doch immer Recht – auch wenn sich manch Leser die Augen reibt.

Gault Millau WeinGuide Deutschland 2012
914 Seiten
29,95 Euro
ISBN 978-3-86244-077-1
Christian Verlag

- Anzeige -spot_img

3 Kommentare

  1. […] Der Weinkenner meint: Die Lan­ge­weile kommt vorn im Buch auf. Da, wo eigent­lich Ver­än­de­run­gen sicht­bar wer­den soll­ten. Egon Mül­ler bekommt die Tro­phäe für die „Kol­lek­tion des Jah­res“. Sicher, ein Jahr wie 2010 spielt einem Win­zer mit Schwer­punkt edel­süße Weine in die Kar­ten. Doch kom­men aus dem Kel­ler von Egon Mül­ler nicht schon seit einem hal­ben Jahr­hun­dert groß­ar­tige Kol­lek­tio­nen? Auch in klei­nen Jah­ren? Die ganze Welt weiß das. Einen Erkennt­nis­wert hat diese Aus­zeich­nung nicht. Es sei denn die Erkennt­nis, dass dem Gault Mil­lau nichts mehr einfällt. […]

- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img