Flavescence dorée – die neue Reblauskatastophe? Der Fall Giboulot

Emmanuel Giboulot
Emmanuel Giboulot
Eine neue Rebkrankheit ist auf dem Vormarsch. Sie heißt Flavescence dorée. In Frankreich wurde ein Bio-Winzer verurteilt, der sich weigert, gegen den Überträger zu spritzen. Stefan Krimm hat mit Emmanuel Giboulot gesprochen.

Emma­nu­el Gibou­lot, bio­dy­na­misch arbei­ten­der Win­zer aus Beau­ne, der sich gegen eine Anord­nung der Prä­fek­tur wei­gert, sei­ne 10 Hekt­ar umfas­sen­den Wein­ber­ge gegen die Ame­ri­ka­ni­sche Reb­zi­ka­de, den gefähr­li­chen Über­trä­ger der Fla­ve­s­cence dorée (Gold­gel­be Ver­gil­bung) zu sprit­zen, macht nicht den Ein­druck eines Micha­el Kohl­haas. Am 24. Febru­ar stand der 51-Jährige in Dijon vor Gericht. Die Stra­fe, die ihm droht – 1.000 Euro, davon die Hälf­te aus­ge­setzt – wird ihn nicht rui­nie­ren (zumal bis zu 30.000 Euro Straf­geld und sechs Mona­te Haft mög­lich gewe­sen wären). Der Hin­ter­grund ist aber kniff­lig. Das Behar­ren des Win­zers auf sei­ne bio­lo­gi­schen bezie­hungs­wei­se bio­dy­na­mi­schen Prin­zi­pi­en scheint auf den ers­ten Blick gera­de­wegs in die Kata­stro­phe zu führen.

Aus Frankreichs Süden bis an die Loire vorgedrungen

Wie auf weinkenner.de bereits berich­tet, brei­tet sich die Fla­ve­s­cence dorée, eine aus Ame­ri­ka ein­ge­schlepp­te, nach dem Mus­ter der Mala­ria von einem Insekt durch Sti­che über­tra­ge­ne, für die Rebe töd­li­che bak­te­ri­el­le Infek­ti­on, bereits seit 1949 im fran­zö­si­schen Süd­wes­ten und Süden aus und hat mitt­ler­wei­le Nord­ita­li­en, die Schweiz, die Stei­er­mark und die Loire erreicht. Wo sie auf­tritt, wer­den die Blät­ter der Reb­stö­cke fahl­gelb, die Trau­ben ver­trock­nen und die Pflan­zen ster­ben ab. Auch die anfangs des 20. Jahr­hun­derts aus Ame­ri­ka zur Bekämp­fung der Reb­laus ein­ge­führ­ten resis­ten­ten Unter­lags­re­ben bie­ten kei­nen Schutz. Mehr als die Hälf­te der fran­zö­si­schen Reb­flä­che ist in unter­schied­li­chem Aus­maß von der Kala­mi­tät betroffen.

Eine neue Reblauskatastrophe?

Befallene Rebstöcke
Befal­le­ne Rebstöcke

Fach­leu­te ver­glei­chen die von der Fla­ve­s­cence dorée aus­ge­hen­de Gefahr schon mit der Reb­laus­ka­ta­stro­phe. Da es gegen die Krank­heit selbst kein Gegen­mit­tel gibt, bleibt nur die indi­rekt wirk­sa­me Bekämp­fung des Über­trä­gers, einer eigent­lich recht hübsch aus­se­hen­den klei­nen Heu­schre­cke. Nach­dem bereits 20 Hekt­ar Reb­land im Depar­te­ment Saône-et-Loire gero­det wer­den muss­ten, reagier­te die Prä­fek­tur in Beau­ne im Juni letz­ten Jah­res mit der Anwei­sung, die Wein­ber­ge vor­sorg­lich mit einem Insek­ti­zid zu sprit­zen, das die Popu­la­ti­on so weit wie mög­lich ver­nich­ten, wenigs­tens aber im Zaum hal­ten soll. Gelingt dies nicht, bleibt nur noch das Aus­rei­ßen der Stö­cke. Die jähr­li­che Aus­brei­tungs­quo­te in einer befal­le­nen Par­zel­le wird mit dem Fak­tor 10 ange­ge­ben – und halb Bur­gund lebt vom Wein. Eine Kata­stro­phe, die sich da am Hori­zont abzeichnet.

Frankreichs Winzer spritzen am meisten

Der Win­zer Gibou­lot hat nun mit sei­ner Wei­ge­rung zu sprit­zen einen Tsu­na­mi aus­ge­löst. Zwi­schen 500 und 1.000 Anhän­ger hat­ten sich vor dem Tri­bu­nal in Dijon ver­sam­melt, das sei­nen Fall ver­han­del­te. Eine Internet-Petition zu sei­nen Guns­ten fand bis zum Pro­zess­tag mehr als 470.000 Unter­stüt­zer. Die Men­schen sind sensibilisiert.

Das Gefühl einer zuneh­men­den Gefähr­dung durch den Ein­satz der Agrar-Chemie hat mas­siv zuge­nom­men, und  Frank­reich liegt inter­na­tio­nal beim Ein­satz von Pes­ti­zi­den mit mehr als 110.000 Ton­nen jähr­lich in Euro­pa an ers­ter Stel­le, welt­weit nach den USA und Japan auf Platz 3. Erst 2010 wur­de ein Gesetz erlas­sen, das den Ein­satz bis 2018 auf die Hälf­te redu­zie­ren soll.

Die Ame­ri­ka­ni­sche Reb­zi­ka­de­Ver­kom­pli­ziert wird die Situa­ti­on noch durch den Umstand, dass zur Bekämp­fung der Insek­ten mit dem Wirk­stoff Pyré­vert ein bio­lo­gisch zuge­las­se­nes Mit­tel zur Ver­fü­gung steht. Es wird durch eine Fir­ma in Isle-sur-la-Sorgue aus Chry­san­the­men her­ge­stellt und gilt als sehr wirk­sam. Gibou­lot wei­gert sich jedoch, es ein­zu­set­zen. Zum einen ist es unspe­zi­fisch. Das heißt, es schä­digt auch ande­re Insek­ten, etwa Bie­nen. Dadurch wür­de das bei ihm in 30jähriger, mühe­vol­ler Arbeit her­ge­stell­te bio­lo­gi­sche Gleich­ge­wicht im Wein­berg durch­ein­an­der gebracht. Schäd­lin­ge wie die Rote Spinn­mil­be, die bis­her bio­lo­gisch durch Raub­mil­ben nie­der­ge­hal­ten wur­de, hät­ten dann im Wein­berg kei­ne natür­li­chen Fein­de mehr, was eine Ket­te wei­te­rer Maß­nah­men aus­lö­sen würde.

Angst, das biologische Gleichgewicht zu zerstören

Wein­ber­ge von Emma­nu­el GiboulotZ­um andern aber weist Gibou­lot dar­auf hin, dass es in sei­ner Regi­on weit und breit kei­ne Nach­wei­se für die Fla­ve­s­cence dorée gebe. Er sähe folg­lich kei­nen Anlass, der­art mas­siv in die Natur einzugreifen.

Bestärkt kann er sich füh­len durch ein Dos­sier des INRA, des Natio­na­len Insti­tuts für Agrar­for­schung. Es wies im Mai 2013 dar­auf hin, dass der Kampf gegen die Über­trä­ger der Krank­heit „umwelt­be­las­tend, teu­er und den Kampf gegen die Reduk­ti­on der Pes­ti­zi­de kon­ter­ka­rie­rend“ sei, und „dass alle obli­ga­to­ri­schen Bekämp­fungs­maß­nah­men die Bio-Winzer mit enor­men Pro­ble­men kon­fron­tie­ren“ wür­den. Denis Thiery, Direk­tor der INRA in Bor­deaux und der­je­ni­ge, der die von der Fla­ve­s­cence dorée aus­ge­hen­de Gefahr mit der Reb­laus­ka­ta­stro­phe ver­gli­chen hat­te, stellt klar: „Pyre­vert, selbst wenn es natür­li­chen Ursprungs ist, ist für die Umwelt schäd­lich. Es ist ein Ner­ven­gift, das Insek­ten schä­di­gen kann, aber auch Vögel, ande­re Tie­re und, je nach den gebrauch­ten Dosen, sogar die Winzer.“

Das Ausland beobachtet den Fall genau

Inzwi­schen haben sich auch in Über­see die Kri­ti­ker gerührt. Die New York Times wies im Vor­feld des Pro­zes­ses im Janu­ar dar­auf hin, dass einer aktu­el­len Stu­die zufol­ge 90 Pro­zent der fran­zö­si­schen Wei­ne durch Pes­ti­zi­de belas­tet sei­en. Und dann der Wink mit dem Zaun­pfahl: „The law requi­ring such use in Bur­gun­dy is not only bad poli­cy, it is ter­ri­ble publi­ci­ty for French wine.“ Da geht es nun auch ums Geld, denn Image­fra­gen sind immer auch Fra­gen der Posi­ti­on auf den Absatzmärkten.

Die­se Kri­tik hat die bur­gun­di­schen Win­zer alar­miert, denen immer wie­der vor­ge­wor­fen wird, die che­mi­sche Keu­le all­zu unbe­denk­lich zu schwen­ken. Die 1988 nach ein­ge­hen­den Boden­ana­ly­sen getrof­fe­ne Ein­schät­zung des ange­se­he­nen Mikro­bio­lo­gen Clau­de Bour­gi­gnon aus Dijon, dass ein Kubik­me­ter Boden der Saha­ra mehr Boden­le­ben auf­wei­se als ein Kubik­me­ter Boden an der Côte d’Or, hat für Nach­denk­lich­keit gesorgt und schmerzt immer noch sehr, zumal Bour­gi­gnon kein Leicht­ge­wicht ist. Er berät Pro­du­zen­ten in Spa­ni­en, der Schweiz, Ita­li­en und Frank­reich, dar­un­ter Wei­ni­ko­nen wie die Domaine de la Roma­née Con­ti, die Leflai­ve und Ange­lo Gaja.

Giboulot: Notfalls würde auch ich spritzen

Emma­nu­el Gibou­lot­Clau­de Che­va­lier, Prä­si­dent der Wein­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on BIVB, stell­te daher im Zusam­men­hang mit dem Hoch­ko­chen der „Affä­re Gibou­lot“ mar­kig fest: „Bur­gund ver­schmutzt nicht die Umwelt. Wir ver­su­chen uns gegen eine schwe­re Reben­krank­heit zu schüt­zen.“ Er möch­te Gibou­lot nicht als „Mär­ty­rer“ sehen. Aber auch er hält die sys­te­ma­ti­sche Kon­trol­le der Par­zel­len und die sofor­ti­ge geziel­te Reak­ti­on für das wirk­sams­te Gegen­mit­tel gegen die Fla­ve­s­cence dorée – aber offen­bar nicht die groß­flä­chi­ge Anwen­dung von Pes­ti­zi­den. Und er fügt hin­zu:  „Die BIVB enga­giert sich bereits seit 5 Jah­ren auf dem Feld der nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung, und wir wer­den in die­ser Rich­tung wei­ter­ar­bei­ten, denn das ist die Rich­tung der Natur.“

Die Wor­te schei­nen eine Brü­cke zu bau­en, denn auch Gibou­lot ließ – zuletzt im Gespräch mit weinkenner.de – ver­lau­ten, dass er sei­ne Reben gespritzt hät­te, wenn die Krank­heit wirk­lich in der Nähe sei­ner Reb­flä­chen auf­ge­tre­ten wäre. Noch aber ist er nicht bereit, die Arbeit meh­re­rer Jahr­zehn­te – er  hat 1985 umge­stellt – aufs Spiel zu set­zen. Es bleibt span­nend in Bur­gund. Am 7. April soll in Dijon das end­gül­ti­ge Urteil ergehen.

In Deutschland noch nicht angekommen

Die deut­schen Bio-Winzer kön­nen in die­ser Situa­ti­on nur die Luft anhal­ten. Zwar ist nach Aus­kunft des Spe­zia­lis­ten Peter Schwapp­ach von der Baye­ri­schen Lan­des­an­stalt für Wein­bau und Gar­ten­bau in Deutsch­land weder die ame­ri­ka­ni­sche Reb­zi­ka­de noch die Fla­ve­s­cence dorée auf­ge­tre­ten, und Pflanz­gut aus Befalls­ge­bie­ten unter­liegt stren­gen Auf­la­gen. Aber die Behör­den sind alar­miert, denn die Gold­gel­be Ver­gil­bung gilt als Qua­ran­tä­ne­krank­heit, und das mög­li­che Auf­tre­ten der Zika­de wird mit einem Über­wa­chungs­pro­gramm kon­trol­liert. Die Schweiz und Öster­reich sind ja auch nicht wirk­lich weit ent­fernt, und der Kli­ma­wan­del hat schon mehr­fach zu Ein­wan­de­run­gen geführt, die man frü­her nicht für mög­lich gehal­ten hätte.

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