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Flavescence dorée – die neue Reblauskatastophe? Der Fall Giboulot

Emmanuel Giboulot, biodynamisch arbeitender Winzer aus Beaune, der sich gegen eine Anordnung der Präfektur weigert, seine 10 Hektar umfassenden Weinberge gegen die Amerikanische Rebzikade, den gefährlichen Überträger der Flavescence dorée (Goldgelbe Vergilbung) zu spritzen, macht nicht den Eindruck eines Michael Kohlhaas. Am 24. Februar stand der 51-Jährige in Dijon vor Gericht. Die Strafe, die ihm droht – 1.000 Euro, davon die Hälfte ausgesetzt – wird ihn nicht ruinieren (zumal bis zu 30.000 Euro Strafgeld und sechs Monate Haft möglich gewesen wären). Der Hintergrund ist aber knifflig. Das Beharren des Winzers auf seine biologischen beziehungsweise biodynamischen Prinzipien scheint auf den ersten Blick geradewegs in die Katastrophe zu führen.

Aus Frankreichs Süden bis an die Loire vorgedrungen

Wie auf weinkenner.de bereits berichtet, breitet sich die Flavescence dorée, eine aus Amerika eingeschleppte, nach dem Muster der Malaria von einem Insekt durch Stiche übertragene, für die Rebe tödliche bakterielle Infektion, bereits seit 1949 im französischen Südwesten und Süden aus und hat mittlerweile Norditalien, die Schweiz, die Steiermark und die Loire erreicht. Wo sie auftritt, werden die Blätter der Rebstöcke fahlgelb, die Trauben vertrocknen und die Pflanzen sterben ab. Auch die anfangs des 20. Jahrhunderts aus Amerika zur Bekämpfung der Reblaus eingeführten resistenten Unterlagsreben bieten keinen Schutz. Mehr als die Hälfte der französischen Rebfläche ist in unterschiedlichem Ausmaß von der Kalamität betroffen.

Eine neue Reblauskatastrophe?

Befallene Rebstöcke
Befallene Rebstöcke

Fachleute vergleichen die von der Flavescence dorée ausgehende Gefahr schon mit der Reblauskatastrophe. Da es gegen die Krankheit selbst kein Gegenmittel gibt, bleibt nur die indirekt wirksame Bekämpfung des Überträgers, einer eigentlich recht hübsch aussehenden kleinen Heuschrecke. Nachdem bereits 20 Hektar Rebland im Departement Saône-et-Loire gerodet werden mussten, reagierte die Präfektur in Beaune im Juni letzten Jahres mit der Anweisung, die Weinberge vorsorglich mit einem Insektizid zu spritzen, das die Population so weit wie möglich vernichten, wenigstens aber im Zaum halten soll. Gelingt dies nicht, bleibt nur noch das Ausreißen der Stöcke. Die jährliche Ausbreitungsquote in einer befallenen Parzelle wird mit dem Faktor 10 angegeben – und halb Burgund lebt vom Wein. Eine Katastrophe, die sich da am Horizont abzeichnet.

Frankreichs Winzer spritzen am meisten

Der Winzer Giboulot hat nun mit seiner Weigerung zu spritzen einen Tsunami ausgelöst. Zwischen 500 und 1.000 Anhänger hatten sich vor dem Tribunal in Dijon versammelt, das seinen Fall verhandelte. Eine Internet-Petition zu seinen Gunsten fand bis zum Prozesstag mehr als 470.000 Unterstützer. Die Menschen sind sensibilisiert.

Das Gefühl einer zunehmenden Gefährdung durch den Einsatz der Agrar-Chemie hat massiv zugenommen, und  Frankreich liegt international beim Einsatz von Pestiziden mit mehr als 110.000 Tonnen jährlich in Europa an erster Stelle, weltweit nach den USA und Japan auf Platz 3. Erst 2010 wurde ein Gesetz erlassen, das den Einsatz bis 2018 auf die Hälfte reduzieren soll.

Die Amerikanische RebzikadeVerkompliziert wird die Situation noch durch den Umstand, dass zur Bekämpfung der Insekten mit dem Wirkstoff Pyrévert ein biologisch zugelassenes Mittel zur Verfügung steht. Es wird durch eine Firma in Isle-sur-la-Sorgue aus Chrysanthemen hergestellt und gilt als sehr wirksam. Giboulot weigert sich jedoch, es einzusetzen. Zum einen ist es unspezifisch. Das heißt, es schädigt auch andere Insekten, etwa Bienen. Dadurch würde das bei ihm in 30jähriger, mühevoller Arbeit hergestellte biologische Gleichgewicht im Weinberg durcheinander gebracht. Schädlinge wie die Rote Spinnmilbe, die bisher biologisch durch Raubmilben niedergehalten wurde, hätten dann im Weinberg keine natürlichen Feinde mehr, was eine Kette weiterer Maßnahmen auslösen würde.

Angst, das biologische Gleichgewicht zu zerstören

Weinberge von Emmanuel GiboulotZum andern aber weist Giboulot darauf hin, dass es in seiner Region weit und breit keine Nachweise für die Flavescence dorée gebe. Er sähe folglich keinen Anlass, derart massiv in die Natur einzugreifen.

Bestärkt kann er sich fühlen durch ein Dossier des INRA, des Nationalen Instituts für Agrarforschung. Es wies im Mai 2013 darauf hin, dass der Kampf gegen die Überträger der Krankheit „umweltbelastend, teuer und den Kampf gegen die Reduktion der Pestizide konterkarierend“ sei, und „dass alle obligatorischen Bekämpfungsmaßnahmen die Bio-Winzer mit enormen Problemen konfrontieren“ würden. Denis Thiery, Direktor der INRA in Bordeaux und derjenige, der die von der Flavescence dorée ausgehende Gefahr mit der Reblauskatastrophe verglichen hatte, stellt klar: „Pyrevert, selbst wenn es natürlichen Ursprungs ist, ist für die Umwelt schädlich. Es ist ein Nervengift, das Insekten schädigen kann, aber auch Vögel, andere Tiere und, je nach den gebrauchten Dosen, sogar die Winzer.“

Das Ausland beobachtet den Fall genau

Inzwischen haben sich auch in Übersee die Kritiker gerührt. Die New York Times wies im Vorfeld des Prozesses im Januar darauf hin, dass einer aktuellen Studie zufolge 90 Prozent der französischen Weine durch Pestizide belastet seien. Und dann der Wink mit dem Zaunpfahl: „The law requiring such use in Burgundy is not only bad policy, it is terrible publicity for French wine.“ Da geht es nun auch ums Geld, denn Imagefragen sind immer auch Fragen der Position auf den Absatzmärkten.

Diese Kritik hat die burgundischen Winzer alarmiert, denen immer wieder vorgeworfen wird, die chemische Keule allzu unbedenklich zu schwenken. Die 1988 nach eingehenden Bodenanalysen getroffene Einschätzung des angesehenen Mikrobiologen Claude Bourgignon aus Dijon, dass ein Kubikmeter Boden der Sahara mehr Bodenleben aufweise als ein Kubikmeter Boden an der Côte d’Or, hat für Nachdenklichkeit gesorgt und schmerzt immer noch sehr, zumal Bourgignon kein Leichtgewicht ist. Er berät Produzenten in Spanien, der Schweiz, Italien und Frankreich, darunter Weinikonen wie die Domaine de la Romanée Conti, die Leflaive und Angelo Gaja.

Giboulot: Notfalls würde auch ich spritzen

Emmanuel GiboulotClaude Chevalier, Präsident der Weinhandelsorganisation BIVB, stellte daher im Zusammenhang mit dem Hochkochen der „Affäre Giboulot“ markig fest: „Burgund verschmutzt nicht die Umwelt. Wir versuchen uns gegen eine schwere Rebenkrankheit zu schützen.“ Er möchte Giboulot nicht als „Märtyrer“ sehen. Aber auch er hält die systematische Kontrolle der Parzellen und die sofortige gezielte Reaktion für das wirksamste Gegenmittel gegen die Flavescence dorée – aber offenbar nicht die großflächige Anwendung von Pestiziden. Und er fügt hinzu:  „Die BIVB engagiert sich bereits seit 5 Jahren auf dem Feld der nachhaltigen Entwicklung, und wir werden in dieser Richtung weiterarbeiten, denn das ist die Richtung der Natur.“

Die Worte scheinen eine Brücke zu bauen, denn auch Giboulot ließ – zuletzt im Gespräch mit weinkenner.de – verlauten, dass er seine Reben gespritzt hätte, wenn die Krankheit wirklich in der Nähe seiner Rebflächen aufgetreten wäre. Noch aber ist er nicht bereit, die Arbeit mehrerer Jahrzehnte – er  hat 1985 umgestellt – aufs Spiel zu setzen. Es bleibt spannend in Burgund. Am 7. April soll in Dijon das endgültige Urteil ergehen.

In Deutschland noch nicht angekommen

Die deutschen Bio-Winzer können in dieser Situation nur die Luft anhalten. Zwar ist nach Auskunft des Spezialisten Peter Schwappach von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Deutschland weder die amerikanische Rebzikade noch die Flavescence dorée aufgetreten, und Pflanzgut aus Befallsgebieten unterliegt strengen Auflagen. Aber die Behörden sind alarmiert, denn die Goldgelbe Vergilbung gilt als Quarantänekrankheit, und das mögliche Auftreten der Zikade wird mit einem Überwachungsprogramm kontrolliert. Die Schweiz und Österreich sind ja auch nicht wirklich weit entfernt, und der Klimawandel hat schon mehrfach zu Einwanderungen geführt, die man früher nicht für möglich gehalten hätte.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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