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Weinviertel: Die wiedergewonnene Ehre des Grünen Veltliner (Teil 2)

Retz liegt weit draußen im Niemandsland nahe der tschechischen Grenze, wo die Landschaft ein einziger Hügelteppich ist, der sich bis zum Horizont zieht.

Sonnenblumenfelder, Kürbisäcker, Obstgärten, Kornfelder soweit das Auge reicht, dazwischen Weinberge, die sich wie ein sanft gewellter Dünenteppich über das Land legen. Rolling hills, nennen Amerikaner so eine Landschaft poetisch.

Retz – größter Marktplatz Österreichs

Marktplatz von RetzRetz selbst ist eine Kleinstadt von 4.000 Einwohnern – aber alles andere als ein gesichtsloses Städtchen. Es hat einen richtigen Stadtkern mit einem Marktplatz, der der größte Österreichs sein soll. Umstanden ist dieser Marktplatz von alten, prunkvollen Bürgerhäusern, die inzwischen zwar in die Jahre gekommen sind, aber immer noch ein leuchtendes Vorbild für manchen Gegenwarts-Architekten sein könnten. Angesichts der Renaissance-, Barock- und Biedermeierfassaden fühlt man sich „wie auf einer südländischen Piazza“, findet der Bürgermeister. So Unrecht hat er nicht. Leider fehlt für die südländische Piazza das geschäftige Treiben. Meistens verlieren sich ein paar Touristen auf dem Platz. Ansonsten pfeift nur der Wind über ihn.

Windmühle auf dem Kalvarienberg
Windmühle auf dem Kalvarienberg

Retz – das war mal eine Stadt der Händler und Handwerker. Heute ist es eine Stadt der Pendler, die jeden Morgen anderthalb Stunden mit Zug oder Auto nach Wien zur Arbeit fahren und jeden Abend anderthalb Stunden zurück.

Die Bauern, vor allem die Weinbauern, leben draußen in den Dörfern und treten im Stadtbild kaum in Erscheinung. Wäre da nicht dieses gigantische, mehrstöckige Tunnellabyrinth unter der Stadt, in dem die Weinhändler einst jenen Wein lagerten, dem die Stadt ihren früheren Reichtum verdankte, würde ein Großteil der Touristen wegbleiben. Die alte Windmühle auf dem Kalvarienberg vor der Stadt wäre dann die einzige Sehenswürdigkeit.


Die dritte und letzte Folge von „Weinviertel: Die wiedergewonnene Ehre des Grünen Veltliner“ mit den Weingütern Setzer und Roman Pfaffl erscheint in den nächsten Tagen.


Weingut Studeny, Obermarkersdorf


Herbert StudenyDer Wein macht heute nicht mehr reich, ist aber immer noch die Quelle des Wohlstands vieler Menschen im Retzer Land. Studeny in Obermarkersdorf  war das erste Weingut, das ich besuchte. Ein alter Betrieb mit neuem Keller und modernem Degustationsraum, der von dem 36jährigen Herbert Studeny geleitet wird. Ein bedächtiger Mann, der nach der Weinbaufachschule im Elsaß, in Kalifornien und Australien gearbeitet hat, bevor er das elterliche  Weingut übernahm.

Studeny bewirtschaftet 18 Hektar Reben und erzeugt saubere, gradlinige und leichte Weine ohne Schnörkel, die von ihrer Würze und Frucht leben. Bestes Beispiel dafür ist der süffige, aber äußerst gepflegte Weinviertel DAC classic für rund 7 Euro. Sein Basis-Veltliner ist ein kühler, vor Frische sprühender Wein mit weiniger Säure und kräftigem Pfefferl, das für Spannung sorgt. Studenys zweiter Grüner Veltliner heißt Atschbach. Er kommt von einer Urgesteins-Einzellage, ist mineralischer und reifer mit Anklängen von Birne und weißem Pfeffer und kostet etwa einen Euro mehr.

Studeny plädiert für Frische und Frucht

Studeny, Obmann der Winzervereinigung „Weingüter Retzer Land“, macht keinen Hehl daraus, dass für ihn der Grüner Veltliner des Weinviertels eher für Frische und Frucht steht. Ihm und seinen Kollegen ist nicht verborgen geblieben, dass in dem kühlen Retzer Klima auch andere Sorten gedeihen: Welschriesling, Weißburgunder, Chardonnay, Riesling und Sauvignon blanc zum Beispiel.

Sein in Österreich inzwischen bekanntester Wein ist – keine Überraschung – der Sauvignon blanc Sündlasberg. Auch einige rote Sorten hat er mittlerweile im Anbau. Natürlich gibt es auch eine DAC Reserve vom Grünen Veltliner bei ihm, aber nur in sehr guten Jahren, 2011 zum Beispiel. Sie kommt dann von der Lage Nussberg, hat mindestens 13,5 Vol.% Alkohol und besitzt Reifepotenzial. Nach fünf oder zehn Jahren kann dieser Wein das Niveau großen Veltliner von der Donau erreichen.

Bezug: Wein & Co, WeinUnion, Galeria Kaufhof, Vinoteck, Downunder Weinkeller, Wein Wiessner, Weinwelt, Schwaarzeseelen u.a.


 

Weingut Zull, Schrattenthal


Phillip ZullDas Weingut bewirtschaftet 18 Hektar und befindet sich in Schrattenthal, ein paar Kilometer südlich von Retz. Ein Bauerndorf mit den fürs Weinviertel charakteristischen, eng aneinander gebauten, einstöckigen Bauernhäusern, hinter deren Fassade sich versteckte Innenhöfe auftun, die ihrerseits von einer Scheune abgeschlossen werden. In so einem Bauernhaus ist auch das Weingut Zull untergebracht. Allerdings hat die Familie das Haus modernisiert und herausgeputzt. Der Eingang ist verglast, der Innenhof begrünt, und da, wo früher die Scheune war, befindet sich jetzt ein schicker Degustationsraum. Dort können sich Besucher von der Qualität der Weine überzeugen, die in ganz Österreich einen hervorragenden Ruf genießen. Der Falstaff, Österreichs bestes Weinmagazin und wichtigster Weinführer des Landes, zollt dem jungen Philipp Zull, 38, höchsten Respekt: „charaktervolle Weine mit Brillanz und großem Lagerpotential …“ Wir haben auf weinkener.de schon vor zwei Jahren über dieses Weingut berichtet.

Nicht zum Sammeln, sondern zum Trinken da

Rolling Hills im Retzer Land
Rolling Hills im Retzer Land

Das mit dem Lagerpotenzial muss allerdings in die richtige Relation gesetzt werden. Zulls einfachen Grünen Veltliner mit dem bunten Etikett kann man eigentlich nicht früh genug trinken: Je frischer, desto besser schmeckt er. „Lust & Laune Grüner Veltliner“ hat Zull ihn passend genannt (€ 5,90). Der Weinviertel DAC Grüner Veltliner – der nächst höhere im Sortiment – ist ebenfalls ein Wein, der bei längerer Lagerung nicht unbedingt besser wird, sondern eher die Gefahr läuft, müder zu werden. In den ersten drei Jahren trinkt er sich jedoch vorzüglich (€ 7,90). Einzig der Grüner Veltliner Äußere Bergen, ein Lagen-Wein, verträgt eine längere Lagerung. Aber auch er verlangt sie nicht zwingend (€ 11,90). „Meine Weine sind nicht zum Sammeln, sondern zum Trinken da“, formuliert Zull die Botschaft, die von seinen Grünen Veltlinern ausgeht. Ich gebe ihm Recht.

Ungestümes Temperament des Grünen Veltliners

An den Zull’schen Weinen, speziell am Äußere Bergen, schätze ich das ungestüme Temperament, die Ecken und die Kanten, die frische Säure, das bisweilen wüste Pfefferl, das sie an den Tag legen. Auch das Spitzengewächs ist, würde ich sagen, kein Wein für den Wiener Opernball (obwohl es dort, wie der letzte gezeigt hat, auch recht wüst zugeht), aber einer, der am Gaumen richtig Druck macht, dabei viel Finesse entwickelt und nie langweilt.

Die größte Überraschung, die mich bei Zull erwartete, war jedoch der Pinot Noir. Dieser Wein, so mein Eindruck, profitiert extrem vom kühlen Klima des Retzer Landes. Wenn es stimmt, dass einen guten Pinot Noir drei Dinge ausmachen: Frucht, Frucht, Frucht – dann ist Zulls Wein ein sehr guter Wein (€ 18,00).

Bezug: Wein & Co

 

Weingut Prechtl, Zellerndorf


Innenhof des Weinguts PrechtlDas Weingut der Familie Prechtl ist ein Anziehungspunkt im Retzer Land. Im Garten ihres alten Hakenhofs ist kaum ein Tisch zu finden, um den nicht irgendwelche Gäste sitzen und ratschen –  jedenfalls im Sommer und ganz besonders am Samstag. Viele sind gar nicht wegen des Weins gekommen, sondern wegen des guten Kuchens, des selbstgerührten Eises beziehungsweise eines der roten Herzerl, Kaffeetassen oder Kerzenständer, die in dem gutseigenen Sommerladen angeboten werden. Prechtl ist nämlich nicht einfach nur ein Weingut. Es ist zusätzlich ein Café und eine Deko-Boutique.

Grüner Veltliner im Mittelpunkt

Franz und Petra PrechtlDoch ohne den Wein gäbe es vermutlich weder das eine noch das andere. Und Wein, das heißt bei den Prechtls Grüner Veltliner. Während Petra Prechtl für den Laden („alles, was man nicht wirklich braucht“) und die Gastronomie zuständig ist, kümmert sich Gatte Franz um den Wein.

Für den Zwei-Meter-Mann mit der tiefen Stimme und dem rollenden R gibt es wenig Zweifel, dass der „Grüne“, wie er ihn nennt, der Top-Wein des Weinviertels ist. Entsprechend klar steht er in seinem Gut im Mittelpunkt. Riesling, Sauvignon blanc, Zweigelt, Blaufränkisch – sie ergeben zwar auch gute Weine, besitzen aber keinen speziellen Weinviertler Charakter, sagt er.

Das Weingut bewirtschaftet 10 Hektar Reben, die um das Dörfchen Zellerndorf herum auf Löss- und Urgesteinsböden liegen. Zellerndorf ist eine kleine Marktgemeinde, für deren Einwohner das Kürbisfest der Höhepunkt des Jahres ist. Aus dem „Bluza“, wie sie den Kürbis nennen, werden dann Suppe, Gulasch, Rohkost und sogar süße Kipferl gemacht.

Viele Varianten des typischen Weinviertler Weins

Prechtls Rebfläche ist weit über die Hälfte mit Grünem Veltliner bestockt. Ihn gibt es in verschiedenen Varianten. Der klassische Weinviertel DAC als leichter, saftiger Vertreter mit schönem Säurebiss (€ 6,50), die Alte Rebe als ebenfalls leichter, aber etwas dichterer Wein sowie die beiden Lagenweine Ried Altenberg mit feinen mineralischen Noten und Ried Längen als eleganter und sehr pfeffriger Vertreter seiner Art. Letztere zwei gefallen mir wegen ihrer Gaumenfreundlichkeit am besten. Sie fließen leicht und locker über die Zunge und hinterlassen doch deutliche Spuren, besonders der Ried Längen, der mit seiner exotischen Note, die an Blutorange und Ananas erinnert, einer der erfolgreichsten Grünen Veltliner des Weinviertels ist (€ 9,00).

Prechtls schönster Wein aber ist nach meiner Meinung der Leitstatt, ein üppiger, von reifer Birne und Papaya geprägter, gleichwohl mineralisch-eleganter Wein (€ 13,50). Er reift  im großen Akazienholzfass und liegt lange auf der Feinhefe. Als Weinviertel DAC Reserve kommt er in punkto Opulenz den großen Kremser Reserve-Weinen nahe,  wäre da nicht dieses pikante, unverwüstliche Pfefferl, das ihn als typischen Weinviertler auszeichnet.

Bezug: Linke Weine, Cabernet & Co., K&M Gutsweine, Wein & Co


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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