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Ein Alpenwein wird neu verortet: Südtiroler Vernatsch Cup 2012

Während die Weinsnobs um jedes Fläschlein Lagrein Riserva von Josephus Mayr, Quarz von Terlan, St. Valentin Sauvignon von St. Michael-Eppan, Riesling von Castel Juval und Sylvaner von Peter Pliger wie die Löwen kämpfen, verlagert sich das Interesse der Südtiroler selbst wieder auf einen Wein, den viele schon tot gesagt haben: den Vernatsch. Dieser hellrote, süffige Wein aus jener Sorte, die in Deutschland Trollinger, in den Alpen Vernatsch heißt, erfreut sich in den Gasthöfen und Wirtshäusern des Etschtals wieder zunehmender Beliebtheit. Mit seiner unkomplizierten Art entspricht er oftmals mehr der Befindlichkeit der Menschen als dunkler Lagrein oder teurer Merlot.

Während deutsche Gourmet-Touristen, oft mit Gambero Rosso bewehrt die Restaurants betretend, in den Weinkarten nach den berühmten Etiketten suchen, bestellen die Einheimischen entschlossen einen St. Magdalener, einen Kalterersee, einen Meraner oder einen der zahlreichen anderen Vernatsch-Weine, die in Südtirol wachsen. Zu einer Brotzeit, einer Kaminwurzen, zu Schlutzkrapfen, Speckknödel oder auch zu einer Pizza passt dieser hellrote Wein viel besser als die hochfliegenden Drei-Gläser-Weine.

Neuverortung in der Genussarchitektur der Gegenwart

Eine Retromode? Mitnichten. Denn mit den genussfeindlichen Tropfen aus der Literflasche, mit denen Südtiroler Kellereien jahrzehntelang die Menschen diesseits und jenseits der Alpen quälten, haben die neuen Vernatsch-Gewächse nicht einmal mehr die Farbe gemein. Statt in müdem Blassrot funkeln sie erdbeerfarben oder kirschrot im Glas.

Nach dem beispiellosen Niedergang der Vernatsch-Rebe (ihre Fläche ist in den letzten 30 Jahren von 75 auf 25 Prozent geschrumpft) werden die Weine jetzt wieder neu entdeckt. Vor allem junge Weinbauern wie Christian Plattner vom Waldgrieshof oder junge Kellermeister der Genossenschaften wie Andreas Prast (Kellerei Kaltern), Gerhard Sanin (Erste & Neue), Harald Schraffl (Kellerei Nals Margreid) und Gerhard Kofler (Kellerei Girlan) verstehen es, diesen alten Südtiroler Wein in der Genussarchitektur der Gegenwart neu zu verorten. Statt nichtssagender, dumpfer Plörre machen sie aus der viel gescholtenen Sorte einen knackig-fruchtigen, teilweise sogar säurebetonten Wein, der zwar unkompliziert zu trinken, aber nie langweilig ist.

Sieger VernatschCup 2012
obere Reihe v.l.n.r.: Stefan Filippi (Kellerei Bozen), Gerhard Sanin (Erste & Neue), Andreas Prast (Kellerei Kaltern), Othmar Donà (Kellerei Kurtatsch), Wolfgang Tratter (Kellerei St. Pauls)  | Untere Reihe v.l.n.r.: Franz Graf Pfeil (Ansitz Kränzel), Harald Schraffl (Kellerei Nals Margreid), Christian Plattner (Ansitz Waldgries), Florian Gojer (Glögglhof)

Auch gestandene Kellermeister, deren Ehrgeiz bisher auf Blauburgunder, Gewürztraminer oder andere Prestigeweine Südtirols gerichtet war, verspüren plötzlich den Reiz, aus dem Massenträger Vernatsch mehr zu machen, als in der Vergangenheit möglich schien. Stefan Filippi (Kellerei Bozen-St. Magdalener) und Othmar Donà (Kellerei Kurtatsch) gehören in diese Kategorie.

Auch passionierte Weinbauern sind dabei

Und dann gibt es noch einige passionierte Weinbauern, die ihre Trauben nicht bei der Genossenschaft abliefern, sondern selber keltern. Sie lassen ihren Vernatsch-Pergeln eine Pflege zukommen wie andere ihren Burgunderreben. Etwa Johannes Pfeifer vom Pfannenstielhof, mitten im Gewerbegebiet Bozens liegend: Seine St. Magdalener sind eine Klasse für sich. Gleiches gilt für Franz Gojer vom Glögglhof. Er erzeugt zusammen mit seinem Sohn Florian einen St. Magdalener, der nach einem Jahr Flaschenreife erkennbar burgundische Züge trägt.

Sieger VernatschCup 2012Sicher, ein Vernatsch, egal ob vom Kalterer See oder aus der Bozner Leiten, ist immer ein relativ einfacher, tanninarmer Wein. Aber die besten Exemplare sind feinfruchtig und herzhaft. Neben dem Großvernatsch, der die größten Trauben mit den dicksten Beeren hervorbringt und der deshalb die Weinberge Südtirols dominiert, wird zunehmend auf den kleinbeerigen Tschaggele-Vernatsch zurückgegriffen. In St. Magdalener werden dem Vernatsch auch kleine Anteile Lagrein und Blauburgunder zugemischt, wodurch sie an Feinheit und auch an Struktur gewinnen. Eine Spezialität ist der Grauvernatsch, der nahezu farblose, aber sehr saftige Weine hervorbringt.

Einmal im Jahr zur Bozner Weinkost (die in diesem Jahr vom 18. bis 20. Mai stattgefunden hat) trifft sich eine Jury aus einheimischen Önologen, Sommeliers und Fachjournalisten, um die besten Weine aus dieser alpenländischen Sorte zu küren. Zwei Tage lang degustieren und diskutieren sie im 1500 Meter hoch gelegenen Vigilius Mountain Resort, einem fünf-Sterne-Designhotel, das nur per Seilbahn erreichbar ist und auf der gegenüber liegenden Talseite von Meran liegt. Danach geben sie bekannt, welches ihrer Meinung nach die besten Vernatsch-Weine des aktuellen Jahrgangs sind.

Die Liste der diesjährigen Siegerweine

In der Kategorie Kalterersee

  • 2011 Südtirol Kalterersee Auslese klassisch, Kellerei Kurtatsch
  • 2011 Südtirol Kalterersee Auslese classico Greifenberg, Kellerei Kaltern

Kategorie Meraner und Vinschgauer Vernatsch

  • 2011 Südtirol Meraner Hügel, Ansitz Kränzel (Graf Pfeil)

in der Kategorie Südtiroler Vernatsch und Südtiroler Grauvernatsch

  • 2011 Südtiroler Vernatsch Missianer, Kellerei St. Pauls
  • 2011 Südtiroler Edelvernatsch Pfeffersburger, Kellerei Nals Margreid

in der Kategorie St. Magdalener

  • 2011 Südtirol St. Magdalener Gröbnerhof, Kellerei Erste & Neue
  • 2011 Südtirol St. Magdalener classico mit Schutzzeichen, Kellerei St.Magdalena
  • 2011 Südtirol St. Magdalener classico, Glögglhof (Franz Gojer)

Kategorie „Der andere Vernatsch“

  • 2010 Südtirol St. Magdalener classico Ansitz Waldgries, Ansitz Waldgries (Christian Plattner)
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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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