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Domenico Clerico ✝

Normalerweise vermelden wir auf weinkenner.de nur kurz, wenn bekannte Winzer sterben. Bei Domenico Clerico ist es anders. Er gehörte zu denen, die für den Aufstieg des Barolo in den letzten 30 Jahren mitverantwortlich waren. Es liegt aber auch daran, dass der Verfasser dieser Zeilen den Aufstieg dieses Weins journalistisch und menschlich eng begleitet hat. Er könnte unzählige Episoden erzählen, in denen Clerico eine heroische, komische, manchmal auch tragisch-komische Rolle spielte. So erinnert er sich noch genau, wie Clerico, damals schon weit über 40, in den Pfirsichbaum hinter dem Haus geklettert und herunter gefallen war, sich den Arm gebrochen hatte und trotzdem bester Laune war, weil es ihm gelang, trotz des Gipses eine Zigarette in den Fingern zu halten. Er war ein Wilder, schwer zu bremsen und immer gut gelaunt. Sein Charme war rustikal, seine Herzlichkeit legendär, sein Temperament mitreißend und gefürchtet zugleich. Als er noch Kind war, nannte ihn sein Vater „wildes Flugzeug“. Das blieb er irgendwie. Ohne irgendeinen Verband sah man ihn selten.

Brief an seinen Vater

Flasche Clerico
Flasche Clerico

Clerico kam aus kleinsten bäuerlichen Verhältnissen. Jahrgang 1950, hatte er in seiner Kindheit und Jugend erlebt, was Hunger ist. Davon erzählte er häufig. Den Hof seiner Eltern wollte er nicht übernehmen. Er wurde Verkäufer für Olivenöl. Doch als es im Piemont zu gären begann, entschied er sich anders. Inspiriert von den neuen Ideen seiner Winzerkollegen Elio Altare, Enrico Scavino, Giorgio Rivetti, Marco Parusso, sattelte er um. 1976 übergab sein Vater ihm den Betrieb mit zwei Hektar Reben und zwei Hektar Pfirsichbäumen. In einem Brief an seinen Vater schrieb er damals: „Lieber Papa, es ist für mich eine große Ehre, den Hof, den du in deinem arbeitsreichen Leben aufgebaut hast, weiterzuführen zu dürfen. Ich bitte dich zu akzeptieren, dass ich ihn nach eigenen Vorstellungen führe. Mit dem allergrößten Respekt vor dem, was du geschaffen hast und mir jetzt übergibst, möchte ich dir mitteilen, dass ich künftig nur noch Wein produzieren möchte. Ich möchte mit deiner Hilfe und der meiner Frau Giuliana allen Leuten zeigen, dass ich große Weine, die die Menschen schätzen, erzeugen kann, denn das Land, auf dem wir leben, besitzt einen Wert, den wir noch nicht richtig begriffen haben …“

Seine Weine sorgten immer für Diskussionen

Seine ersten Weine waren Dolcetto und Barbera. Doch ein Jahr später kaufte er eine kleine Parzelle im Anbaugebiet des Barolo. Es folgten Erwerbe in den Barolo-Lagen Ginestra, Pajana, Mosconi, zuletzt in Serralunga d’Alba. Heute besitzt sein Weingut 21 Hektar Rebfläche, fast alles Barolo-Rebland.

Für Diskussionsstoff sorgte das, was er aus den Trauben machte, regelmäßig. Clerico gehörte zu denen, die als erste Rotofermenter  einsetzten und die Maischegärung auf wenige Tage verkürzten – ein Sakrileg für traditionelle Barolo-Erzeuger. Er baute seinen Barolo in Barriques und Tonneaux aus statt in den alten Fässern aus slawonischer Eiche. Seine Barolo waren untypisch dunkel in der Farbe und weich im Tannin. Manch einer insinuierte, er würde heimlich Cabernet Sauvignon dazu mischen. Dabei war das Geheimnis seiner Weine die Arbeit im Weinberg. Clerico fühlte sich in den Reben am wohlsten. Wer seine Hände anschaute mit ihren schrundigen Fingern und den vom Umgang mit Holz geschwärzten Innenflächen, der wusste, dass er keinen Gentleman-Winzer vor sich hatte.

Sein Wunsch: den Namen Barolo hoch halten

Die Menschen, die er seinem Vater zu beglücken versprochen hatte, fing er schon nach wenigen Jahren ein – weniger in Italien, mehr in Deutschland, der Schweiz, den USA und anderen Ländern. Der Name Clerico wurde zum Inbegriff eines nach modernen önologischen Standards produzierten Barolo. Dem handwerklichen Erfolg folgte der wirtschaftliche. Doch Clerico hob nie ab. Als er schon längst nicht mehr auf hohe Gambero Rosso- und Parker-Wertungen angewiesen war, sagte er: „Du kannst meine Weine kritisieren, wie du willst, aber vergiss nie, den Namen Barolo hoch zu halten.“

Eine gigantische neue Cantina gebaut

Der neue Weinkeller von Clerico
Der neue Weinkeller von Clerico

Der Tumor in seinem Kopf war ihm vor einigen Jahren in zwei dramatischen Operationen entfernt worden. Kaum dass er sich erholt hatte, baute er eine gigantische 10-Millionen-Cantina. Er wollte damit ein Signal setzen und selbst den Namen des Barolo hoch halten. Was er sich in den Kopf gesetzt hatte, das tat er. Und sein Wille war eisern – außer beim Rauchen. Die E-Zigarette hielt nur zur Beruhigung seiner Umgebung in der Hand. Stolz zeigte er dem, dem er vertraute, die Packung Marlboro in der Jackentasche. Verschmitzt war er immer, und an Humor mangelte es ihm nie. Das letzte Mal sah man sich vor anderthalb Jahren. Nach einer Probe seiner neuen Barolo-Jahrgänge machte er einen Champagner auf und schenkte mit den Worten ein: „Trink das, das schmeckt besser.“

Es war das letzte Glas, das wir zusammen tranken. Der Krebs hat ihn wieder eingeholt. Nun wird Giuliana, Clericos Frau, das Weingut zusammen mit zwei Neffen weiterführen.

Die Weine von Domenico Clerico gibt es bei www.superiore.de, www.gute-weine.de, www.elenaaltare.com

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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