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Der Weindoktor übernimmt… – Was die Gäste des „Tantris“ trinken

Meine Verordnung: Was auch immer ich ihnen empfehle.

Nur ein kleiner Scherz! Natürlich träumt jeder Sommelier davon, wie ein Jedi die Gedanken seiner Gäste beeinflussen und über jede Situation absolute Kontrolle ausüben zu können. Das nachfolgende Rezept wird leider allzu oft angewendet:

–    1 Teil völlige Realitätsferne
–    3 Teile unverfrorene Arroganz
–    1 Schuss Irrsinn
–    Vermische alle Zutaten und serviere sie eiskalt.

Die Notwendigkeiten des Geschäfts im Auge zu behalten (siehe auch: Bestandsmanagement), während man den rein emotionalen Aspekt erfüllt, jedem Gast ein unvergessliches Erlebnis zu bereiten – das sind zweifellos die obersten Prioritäten. Zwischendurch gibt man den mehr künstlerischen Neigungen nach, indem man die bereitwilligen (und hoffentlich dankbaren) Gäste durch schöne neue Geschmackswelten führt; vieles davon hätte der Gast wahrscheinlich niemals auf eigene Faust entdeckt. Es ist eine komplizierte Jongliernummer für den Sommelier, alle drei Erfordernisse miteinander in Einklang zu bringen und die „Goldene Mitte“ zu finden.

Im „Tantris“ und auch in anderen Restaurants gibt es verschiedene Wege, wie sich der abendliche Alkoholgenuss angehen lässt. Wir bieten ein umfangreiches Degustationsmenü mit mehreren Gängen an, von denen jeder einzelne ein einzigartiges  Geschmacksprofil besitzt. Viele unserer Gäste erachten dazu eine „Weinbegleitung“ als ideal. Sie schätzen die Möglichkeit, Weine zu trinken, die normalerweise nicht glasweise ausgeschenkt werden, darunter oftmals Raritäten oder ältere Jahrgänge. Doch die Gäste können sich nicht nur auf erlesene, seltene und interessante Weine einstellen, sondern auch darauf, dass diese exakt mit den von ihnen gewählten Gängen harmonieren. Ganz abgesehen von den persönlichen Gesprächen mit dem Sommelier-Team und der Gelegenheit für den Mitarbeiterstab, für den Gast eine wirklich interaktive Situation zu schaffen, in deren Verlauf herumgescherzt, diskutiert und Neues vermittelt werden kann. Dies ermöglicht nicht nur einen voyeuristischen Blick in die unverstellte Wesensart der Servicemitarbeiter, sondern erlaubt dem Sommelier, einfach er selbst zu sein, vielleicht sogar ein bisschen anzugeben und nicht zuletzt Spaß an den von ihm betreuten Tischen zu haben.

Mehr als zwei meiner prägenden Anfangsjahre als Sommelier habe ich im „Alinea“ in Chicago verbracht – ich hatte also das Glück, mein Talent, Wein und Essen kunstvoll zusammenzubringen, in einem der besten und innovativsten 3-Sterne-Restaurants der Welt verfeinern zu dürfen. Aufgrund solcher Referenzen haben viele unserer Gäste Vertrauen in unsere Arbeit und überlassen uns die Führung – durchaus zufrieden damit, sich einfach mal zurückzulehnen, sich zu entspannen und die „Show“ zu genießen.

Für diejenigen, die gerne eine oder auch drei Flaschen Wein während ihres Menüs probieren möchten, gibt es eine Vielzahl von Optionen. Eine generelle Empfehlung: Ich finde, dass Weißweine von der Loire wunderbar zur Küche von Chefkoch Hans Haas passen. Die Chenin Blancs aus Anjou, Savennieres und Montlouis-sur-Loire besitzen einen ähnlichen und doch völlig individuellen mineralischen Charakter und eine Säurestruktur, wie sie unsere Gäste bei ihren Lieblingsrieslingen schätzen. Pithon-Paillé, Marc Angeli und Xavier Weisskopf  kommen sehr gut an – um einige zu nennen.

Für etwas schwerere Speisen sind meiner Ansicht nach die Weißen aus Norditalien und Nordwest-Spanien die spannendste Wahl – unsere Kundschaft scheint dem ebenfalls zuzustimmen. Es ist ziemlich einfach, etwas zu übersehen – auch  wenn es sich direkt unter der eigenen Nase befindet. Und genau das ist das Problem mit norditalienischen Weißweinen in München. Zu den reichhaltigeren Fischgerichten aus unserer Küche sind Weißweine wie Pieropan’s Soave “La Rocca” einfach atemberaubend. Köstlich und kraftvoll, ohne dabei Eleganz zu opfern. Doch auch andere Weiße aus Friaul sind nicht nur hochwertig, sondern bieten zudem Aromen wie nirgends sonst auf der Welt. Die faszinierende Verflechtung von Kulturen – von Slowenien bis Georgien – sowie die Vermischung von Traditionen – von ultra-modernen bis zu fast vergessenen Praktiken der Weinherstellung in Lehmamphoren – liefern eine wahre Fundgrube an versteckten Aromen, die entdeckt werden wollen. Von eher radikalen Vertretern der „alten Schule“ wie Gravner und Vodopevic über gemäßigte Produzenten wie Meani bis hin zu grundverschiedenen, modernen Weinmachern wie Bastianich – fast alles ist möglich in Friaul.

Wenn ein Gast nach Grünem Veltliner fragt, er sich aber in der Stimmung befindet, etwas Neues auszuprobieren, empfehle ich ihm augenblicklich Galicien. Albarino ist eine absolut faszinierende Rebsorte. Wenn sie im frischen Stil vinifiziert wird, ähnelt sie fast einem Sauvignon Blanc mit seiner bissigen Säure und seinem saftigen Zitrusfruchtcharakter. Wächst sie an zweihundert Jahre alten Rebstöcken in bestimmten Regionen von Rias Baixas, so erinnert diese Traubensorte an die besten Smaragd-Veltliner aus der Wachau: voll mineralischem Charakter, anmutig, aber dezenter; dunklere Obstqualitäten und ein dichterer, tieferer Ton mit öligerer Konsistenz. Die besten und spritzigsten Beispiele habe ich bei Fefiñanes gefunden, auch eine etwas cremigere „Hefeabzug“-Variante („finas lias“ oder „sobre lias“). In Bezug auf den erstgenannten Stil halte ich Pazo de Señorans “Sélección de Añada” für ziemlich unvergleichlich.

Wie mir jetzt beim Niederschreiben auffällt, handelt es sich bei vielen der Weine nicht gerade um die „üblichen Verdächtigen“. Aber sei’s drum. Wenn irgendjemand Wert auf eine Plauderei über Vorhersehbarkeit und mehr mit dem unrasierten, verwuschelten, verrückt angezogenen, halbitalienischen/halbenglischen, in Kanada geborenen, in Chicago aufgewachsenen, perfekt „Dinglisch“ sprechenden, rock’n’rollenden Sommelier des „Tantris“ legt – dann nur zu! Rufen Sie mich einfach morgens mal an.

Den englischen Originaltext lesen Sie hier:

The Wine Doctor Is In

What the Tantris Guests Normally Drink …

My Prescription: Whatever I tell them to.

Just kidding. Of course, every sommelier dreams of having this “Jedi Mind Trick” effect on their clientele; wielding absolute control over every situation, however this is one recipe which is, unfortunately, all too often followed:

–    1 part, complete detachment from reality
–    3 parts, unabashed arrogance
–    1 dash lunacy.
–    Combine all ingredients, serve ice cold.

Balancing the necessary trappings of business (see: inventory management) while fulfilling the purely emotional aspect of building unforgettable experiences for each and every guest, are certainly top priorities. Meanwhile, indulging one’s more artistic inclinations by leading the willing (and hopefully grateful) guests, through brave new worlds of taste. Many of which, the guest may otherwise never discover when left to their own devices. It’s an elaborate juggling act, of sorts, to maintain the constant course of these three necessities without collision, however somewhere in the tangent of these three impetus lies the “Golden Mean” of a sommelier’s sum-total purpose.

At Tantris, and any restaurant for that matter, there are several ways with which to approach the evening’s imbibing. With our large tasting menu, with several different courses, each with unique and different flavor profiles, textures, etc, many guests find a wine begleitung the ideal situation. The ability to taste wines which are not normally open by the glass, often rarities, of older vintages, etc. Not only does it give the opportunity to taste fine, rare, or just frankly interesting wines, the guest is ensured a perfectly matched drinking experience with every course. Not to mention, plenty of face time with the sommelier team, and the opportunity for the staff to build a truly interactive experience for the guest; joking, discussing, and perhaps even teaching, in the process. This provides the most voyeuristic glimpse into the purest spirit of the restaurant’s service, while allowing the  sommelier to truly be themselves, perhaps even show off a little, and ultimately, have fun with their tables.

Having spent over two of the most crucial years of my young career at Alinea restaurant in Chicago, I was fortunate to have honed my wine-pairing talents in what is considered one of the absolute premier wine pairing restaurants worldwide. With those credentials on my sleeve, many of our clients have the confidence in our work to surrender themselves completely; quite content to simply sit back, relax, and enjoy the show.

For those who prefer to tuck in to a bottle or three during their meal, there are a multitude of options. As a general recommendation, I find the white wines of the Loire quite complimentary to the cuisine of Chef Hans Haas, while also being close to the more obvious local preferences toward all things German and white. The Chenin Blancs of Anjou, Savennieres, and Montlouis-sur-Loire, I find, have a very similar, yet certainly individual, mineral character and acid structure to what our customers already love about their favorite Rieslings. Pithon-Paillé, Marc Angeli, and Xavier Weisskopf, are just a few of the best, and most well received, examples.

For something a little richer, I find that the whites of Northern Italy and North-West Spain to be some of the most exciting, and our customers seem to agree. It’s quite easy to overlook something when it’s right under one’s nose, and this is precisely the problem with Northern Italian whites in Munich. For the richer fish courses from our kitchen, whites such as Pieropan’s single vineyard Soave “La Rocca” are simply stunning. Rich and powerful, without sacrificing elegance. Yet others, from Friuli, offer fantastic value, and often, completely different flavors than one would find anywhere else in the world. The fascinating integration of cultures, from Slovenien to Georgian, and mixture of traditions from ultra-modern to almost forgotten practices of winemaking in Clay Amphorae, provide a veritable treasure trove of hidden flavors to discover. From more radical old-schoolers like Gravner and Vodopevic, to more moderate producers such as Meani, and on to much more radically modern winemakers such as Bastianich, almost everything is possible in Fruili.

When a customer inquires about Gruner Veltliner, however finding themselves in the mood for something new, I immediately bring them to Galicia. Albariño is an utterly fascinating grape; when made in a fresh style, it almost resembles Sauvignon Blanc in its snappy acidity and juicy citrus fruit character. When made from two-hundred year old vines, in certain parts of Rias Baixas, this grape can behave almost exactly like a top Smaragd Gruner Veltliner from the Wachau; loaded with mineral character, lovely but more subdued, darker orchard fruit qualities, and a denser, deeper hue with oiler consistency. I find the best fresh examples from Fefiñanes, which also includes a slightly creamier “hefeabzug” version (‘finas lias,’ or ‘Sobre Lias,’ in Spanish) and from the former style, I find Pazo de Señorans ‘Sélección de Añada’ to be fairly incomparable.

Now, I realize that many of these wines may not be the ‘usual suspects,’ but then again, if anyone would care to have a chat regarding matters of predictability with the unshaven, scruffy-haired, crazy-suited, half Italian/half English, Canadian-born/Chicago-bred, perfect-‘Dinglish’-speaking, rock ‘n’ rolling, Sommelier of Tantris……..well, just take two, and call me in the morning.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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