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Rote Weihnacht: 5 Bordeaux für anspruchsvolle, aber arme Rotweintrinker

Einmal im Jahr bekomme ich von Händlern, die sich auf Bordeaux spezialisiert haben, eine Auswahl von Weinen zugeschickt, die nach ihrer Meinung ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis aufweisen. Keine klassifizierten Gewächse, sondern Crus Bourgeois, einfache Bordeaux AC oder Bordeaux Supérieurs aus einer der zahlreichen Satelliten-Appellationen um Bordeaux. Ich probiere die Weine langsam und sorgfältig, oft über mehrere Tage. Manchmal lasse ich die Flaschen bis zu einer Woche offen stehen, um zu sehen, ob und wie und wie der Inhalt sich entwickelt. Eine erste Auswahl von fünf Weinen hatte ich bereits Dezember-Heft der Zeitschrift DER FEINSCHMECKER veröffentlicht. Im Vorwort schrieb ich: „Nirgendwo auf der Welt gibt es derzeit so hohe Qualitäten für so wenig Geld wie in Bordeaux – wenn man abseits der berühmten Châteaux sucht.“

Anspruchsvoller Trinkgenuss auch für Leute, die knapp bei Kasse sind

In Bordeaux, so mein Eindruck, ist die Qualitätsdichte auch in der Eingangsstufe mittlerweile so hoch, dass ich mich immer öfter frage, ob man 100 Euro für ein klassifiziertes Gewächs ausgeben muss, wenn man dafür sechs Flaschen eines bestechend guten, aber nicht berühmten Weins bekommen kann. Nicht dass ich meine, die namenlosen seien so gut wie die berühmten. Aber der Unterschied ist nicht so groß wie die Preisdifferenz. Ich denke an die vielen Eltern, die zu Weihnachten mal wieder ihr Konto für die Kinder plündern mussten, an die Wieder-Singles, deren Budget plötzlich auf Kante genäht ist, an die Gentrifizierungs-Opfer, die gerade eine Mieterhöhung schlucken müssten, an die Frauen, die ihre Kreditkarten schon jetzt total gestrippt haben, an all die tariflosen Werktätigen, die trotz Maxi-Leistung nur Minilöhne bekommen – sollen sie zu Weihnachten auf dem Trockenen sitzen?

Teure Qualität zu finden ist leicht, preiswerte eine Kunst

Die fünf Weine, die ich hier vorstelle, haben eines gemeinsam: Sie müssen nicht jahrelang gelagert werden, bis sie sich dem anspruchsvollen Gaumen erschließen. Entweder sind sie stilistisch so gehalten, dass sie auch im jungen Stadium schon mit Genuss getrunken werden können. Oder sie sind schon gereift. Bordeaux gehört zu den Rotweinen, von denen auch ältere Jahrgänge noch zahlreich am Markt sind.

Das Schöne ist: Man macht die Flasche auf und serviert den Wein, etwa zum Lammrücken, zum Rehfilet, zur knusprigen Gänsebrust – oder auch zum Karpfen, wenn man ihn etwas kühler auf den Tisch bringt. Der Winter ist lang. Viele Festtage stehen bevor, an denen zu Hause gekocht wird. Und wer zufällig einen Kamin hat, wird zu Weihnachten auch nicht mit einem Glas Milch in der Hand davor sitzen wollen.

Bordeaux Empfehlungen zu Weinachten

2015 Château Peyrou, AC Castillon – Côtes de Bordeaux

Peyrou

Diesen Wein einen Geheimtipp zu nennen, entspräche nicht der Wahrheit. Die Spürnasen unter den Weinhändlern haben ihn längst entdeckt – und sind begeistert. So dicht, so konzentriert, so ausdrucksvoll sind nur wenige Weine aus den Satelliten-Appellationen um St. Emilion. Der Peyrou kommt aus Castillon. Die Weinberge liegen nur wenige hundert Meter hinter der Grenze zum berühmten Nachbarn. „Ein kleiner, großer Wein“ schreibt der Händler, der mir den Peyrou empfohlen hat. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Zu einem Grand Cru fehlt es diesem reinsortigen Merlot vielleicht noch ein bisschen an Tiefe und Komplexität. Dafür bietet er ein Feuerwerk an Frucht, an Tabakwürze, an Extraktsüße, an Schmelz. Er ist prädestiniert für alle Weintrinker, die die unkomplizierte, heitere Seite von Bordeaux kennenlernen wollen, ohne Gefahr zu laufen, ins Banale, Oberflächliche abzudriften. Übrigens ist es eine Frau, der dieses Vier-Hektar-Weingut gehört: Cathérine Papon-Nouvel, eine ausgebildete Önologin und Biodynamie-Verfechterin.

Für: 17,50 Euro

Auf: www.amazon.de


2015 Château La Verrière, Bordeaux Supérieur

La Verriere

Ein reicher, fast üppiger, tiefdunkler Wein, wie man ihn in dieser Preisklasse nicht erwartet und sehr selten findet. Das Schöne an ihm ist, dass man die Flasche aufmacht und ihn sofort trinken kann. Natürlich liegt das an dem Jahrgang 2015, der so perfekte Trauben hervorgebracht hat, dass – wie Alain Bessette, der Besitzer des Château, sagt – es schwer war, schlechte Weine zu machen. Es liegt aber auch am Anbaugebiet, aus dem dieser Wein kommt: Entre-Deux-Mers. Es ist vor allem für Weißwein bekannt, obwohl rote Rebsorten deutlich in der Mehrzahl sind. Besonders Merlot. Sie ist in dem La Verrière zu 85 Prozent enthalten (Rest: Cabernet Sauvignon). Auf den sandigen Böden ergibt sie Weine, die sich mehr durch Frucht als durch Tannin auszeichnen. Folge: weniger langlebig. Aber schlechter? Nur für Leute, für eigentlich gar keinen Wein trinken, sondern eine Messe zelebrieren wollen. Alle anderen werden ihren Spaß an diesem satten, samtweichen Wein haben.

Für: 7,95 Euro

Auf: www.vandermeulen-wein.de


2014 Château Le Pin Beausoleil. Bordeaux Supérieur

Le Pin Beausoleil

Ein Bilderbuch-Bordeaux, den man glatt in eine Blindprobe mit klassifizierten St. Emilions schmuggeln könnte, ohne dass die Teilnehmer es merkten. Ein „heimlicher Edelstein“ hat ein amerikanischer Kritiker über den Le Pin Beausoleil treffend geschrieben: ein extrem dichter, konzentrierter Wein mit seidiger Textur, der glatt und elegant über die Zunge rollt, auch wenn er noch jung ist. Maximal 25 Hektoliter/Hektar geben die 75 Jahre alten Rebstöcke her, mit denen der Weinberg dieses Château bestockt ist. Das ist mengenmäßig das Niveau eines Premier Cru. Le Pin Beausoleil liegt zwar nur 15 Kilometer südlich von St. Emilion, aber die Hügelwelt zwischen Dordogne und Garonne ist vinologisches Niemandsland. Der Wein kann daher nur als einfacher Bordeaux Supérieur auf den Markt kommen. Michael Hallek, Medizinprofessor aus Köln, ist das egal – und seiner deutschen Fanggemeinde auch. Er hat das Anwesen 2004 zusammen mit seiner Frau gekauft. Mit Hilfe des berühmten Önologie-Beraters Stéphane Dérenoncourt (u. a. Rol Valentin, Canon-La-Gaffelière, Domaine de Chevalier) schafft er es immer wieder, geniale Weine in diesem unbekannten Winkel Bordeaux’ zu produzieren. Ich war schon von den 2009ern und 2010ern hingerissen – und bin es jetzt wieder. 2014 war ein sehr gutes Jahr, in dem die Trauben voll ausreifen konnten (60% Merlot, 20% Cabernet franc, Rest Cabernet Sauvignon und ein bisschen Malbec). Der Wein dürfte sich locker noch zehn Jahre auf der Flasche verfeinern. Aber mit seiner Eleganz brilliert er jetzt schon jetzt.

Für: 22,90 Euro

Auf: www.ungerweine.de


2010 Bernard Magrez „L’Egregore“ Cuvée d’Exception, Blaye Côtes de Bordeaux AC

Egregore

Bernard Magrez ist in Bordeaux kein Unbekannter. Er besitzt über ein Dutzend Châteaux, darunter so berühmte wie Pape Clément, La Tour Carnet, Fombrauge und Haut Peyraguey. Sein Ehrgeiz ist es, in bestimmten Unterzonen weniger berühmter Appellationen von Bordeaux eine kleine Menge Wein zu erzeugen, der das Niveau klassifizierter Gewächse erreicht. Vom Egregore 2010 wurden zum Beispiel nur 30000 Flaschen gefüllt. Aber der Inhalt dieser Flaschen ist ziemlich spektakulär: ein kraftvoller, reicher Wein von enormer Tiefe, der für manch bekanntere Appellation Ehre einlegen würde. Er ist so dicht gewoben wie Brüsseler Leinen, so filigran wie chinesische Seide. Der grosse Jahrgang 2010 gibt ihm eine Süsse und Beerigkeit mit, die es leicht machen, ihn jetzt schon zu geniessen. Doch Vorsicht: Mit 15 Vol.% ist der Egregore ein richtiges Geschoss. Er wächst in einer kleinen, nach Süden ausgerichteten Parzelle von Blaye und besteht zu 95% aus Merlot, 5% Cabernet Sauvignon – alles alte Reben. Schon diese „Kurzbiografie“ des Wein macht klar, dass es sich hier um ein Schnäppchen handelt, das man in dieser Qualität nur bei einem Fachhändler findet, der Weine bewusst zurückhält, um sie in perfektem Reifezustand anbieten zu können.

Für: 28,60 Euro

Auf: www.alpinawein.de


2008 Château Doyac, Cru Bourgeois, Haut-Médoc AC

Doyac

Dieser Wein (80 Prozent Merlot, 20 Prozent Cabernet Sauvignon) ist zehn Jahre alt und erreicht jetzt langsam in seine beste Trinkreife. Wer reifen Bordeaux liebt (oder ihn mal probieren möchte), trifft mit dem Doyac voll ins Schwarze. Fleischig-streng auf der einen, elegant und süß auf der anderen Seite – ein typischer Rotwein aus dem kühlen nördlichen Haut-Médoc. Und was heißt reif? Das Tannin beginnt gerade mürbe zu werden. Aber der Wein weist keine Spur von Unfrische, gar von Oxydation auf. Die Reben stehen auf Kalk- und Sandböden nahe den Ufern der Gironde. Nebenan weiden Kühe. Das Château ist auch kein Schloss, sondern ein bescheidener Bauernhof, den ein Banker namens Max de Pourtalès 1998 gekauft hat. Er hängte seinen Job an den Nagel und konzentrierte sich fortan ganz auf den Wein. Er ordnete die gesamte Produktion neu, stellte auf Bio um (ab 2019 ist Doyac sogar biodynamisch zertifiziert). 2008 gelang Pourtalès ein großer Wurf, obwohl der Jahrgang am linken Ufer nicht besonders großartig ausfiel. Der französische Weinführer Dussert-Gerber erklärt den 2008er zu seinem Coup de Coeur unter den kleinen Bordeaux – zu seinem „Herzenswein“. Man könnte auch sagen: zum besten des Jahrgangs. Der Wein ist noch immer dunkler Rubin in der Farbe, das Bouquet ist verschwenderisch-voll mit viel Würze, auf der Zunge Aromen von Pflaumen, Humus, Leder. Weine von dieser Klasse und in diesem Reifezustand findet man nur noch ganz wenige am Markt – und zu diesem Preis.

Für: 9,90 Euro

Auf: www.bacchus-vinothek.com

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4 Kommentare

  1. C’est si parfait – Kompliment! Und die Bdx-Einschätzung “mein Ein­druck, ist die Qua­li­täts­dich­te auch in der Ein­gangs­stu­fe mitt­ler­wei­le so hoch, dass ich mich immer öfter fra­ge, ob man 100 Euro für ein klas­si­fi­zier­tes Gewächs aus­ge­ben muss, wenn man dafür sechs Fla­schen eines bestechend guten, aber nicht berühm­ten Weins bekom­men kann.”, muss man einfach unterstreichen – auch als Rhône-Fan.
    Ich würde eventuell ergänzen: Cambon la Pelouse 2015 , Haut Médoc, 15,50 € (CB-Weinhandel) und Ch. Penin, Les Cailloux 2015, Bordeaux Sup., 14,95 (Van der Meulen)

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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