Nach Ostern werden wieder Tausende von Händler und Kritikern nach Bordeaux pilgern, um den neuen Jahrgang kennenzulernen und zu verkosten. Die En Primeur-Woche Anfang April ist immer ein großes Spektakel, das weltweit Aufmerksamkeit erregt und wichtige Rückschlüsse auf die Preisentwicklung des Weinmarkts allgemein und des Bordeauxmarkts im Besonderen gibt.
Diesmal steht der Jahrgang 2012 auf dem Prüfstand. Der klimatische Verlauf war alles andere als ideal. Er war geprägt von einem Mangel an Feuchtigkeit von der Blüte bis weit in den September hinein. Viele Reben litten unter Trockenstress. Doch am Ende der Reifeperiode wurde es hektisch. In den letzten Tagen vor Lesebeginn setzte Regen ein, der vielerorts für Fäulnis sorgte. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Lese. Wer über ein gutes Terroir verfügte beziehungsweise penibel auslas, dürfte sehr zufrieden mit seinen Weinen sein. Doch nicht überall gab es strahlende Gesichter. Vor allem am Linken Ufer, also im Médoc und im Haut-Médoc sind die spätreifen Sorten nicht mehr ganz reif geworden. Ihnen fehlte das letzte Quäntchen Sonne vor der Lese. Die Parole dürfte deshalb heißen: zurück zur Normalität.
Zurück zur Normalität – aber auch beim Preis?
Der Jahrgang 2012 wird auf jeden Fall im Schatten der „Jahrhundertjahrgänge“ 2009 und 2010 stehen. Sie haben die Preise für die Weine in einsame Höhen getrieben. Ob die Bordeaux-Chateaux für die 2012er die vom Handel geforderten Preisabschläge realisieren werden, ist fraglich. Zumindest ist die Begleitmusik, die vor der Präsentation des Jahrgangs 2012 angestimmt wird, von keinem Misston getrübt. Das heißt: Beim Preis gibt es vermutlich kein Zurück zur Normalität, sondern höchstens ein paar Schönheitskorrekturen.
Der in Bordeaux lebende Engländer Andrew Black hat vier namhafte Vertreter der Chateau-Seite nach ihrer Meinung über die Qualität des 2012er Jahrgangs befragt.
Pierre-Olivier Clouet, Chateau Cheval Blanc
Pierre-Olivier Clouet ist Technischer Direktor dieses Grand Cru Classé „A“ in Saint Emilion. Das Chateau besitzt 37 Hektar Weinberge, grösstenteils auf lehmigen und kieshaltigen Böden, zu einem kleineren Teil auf Sand. Sie sind mit 60 Prozent Cabernet franc und 40 Prozent Merlot bestockt. Der Wein ist mit rund 900 Euro pro Flasche einer der teuersten Bordeauxweine überhaupt.
Andrew Black: Würden Sie sagen, dass der Jahrgang 2012 im jetzigen Stadium Ihren Erwartungen entspricht?
Pierre-Olivier Clouet: Ohne Zweifel. Seit Beginn der malolaktischen Gärung beobachten wir eine immer größere aromatische Präzision des Weins.
Andrew Black: Die Produzenten loben vor allem die aromatische Ausdruckskraft der 2012er Weine. Aber wie präsentiert sich der Cheval Blanc auf der Zunge?
Pierre-Olivier Clouet: Sehr dicht. Das überrascht allerdings nicht, wenn man an die Trockenheit während des Reifezyklus und an die niedrigen Erträge denkt, die wir auf Cheval Blanc haben.
Andrew Black: Wie sind Sie mit den Tannin zufrieden?
Pierre-Olivier Clouet: Das Tannin ist nicht nur dicht, sondern auch konzentriert und lang. Überhaupt sind die 2012er Bordeaux tanninbetonte Weine, wobei die Terroirs, die Cheval Blanc besitzt, die phenolische Entwicklung fördern bis zur vollen Reife des Tannins. Das war in 2012 aber nicht überall der Fall.
Andrew Black: Ist 2012 mit 2008 und 2011 vergleichbar?
Pierre-Olivier Clouet: 2008 und 2011 waren klassische Bordeauxjahrgänge, und der 2012er gehört in die gleiche Kategorie, da bin ich mir sicher. Er ist besser als der 2011er, besitzt aber nicht ganz den Charme des 2008ers.
Andrew Black: Sie lieben den 2008er?
Pierre-Olivier Clouet: 2008 hat viele Vorzüge. Der Jahrgang ist floreal, fein, minzig, frisch, leicht und seidig.
Andrew Black: Vor allem die Merlot scheint gut gelungen?
Pierre-Olivier Clouet: Wir sind begeistert von der Merlot. Sie macht sich phantastisch. Sie wird beim Cheval Blanc für das Bouquet verantwortlich sein, während der Cabernet den Gaumen bringt.
Andrew Black: Werden Sie die Merlot im finalen Blend übergewichten?
Pierre-Olivier Clouet: Wir werden mal mit 50/50 anfangen und dann ein Finetuning machen.
Andrew Black: War die Cabernet franc reif in 2012?
Pierre-Olivier Clouet: Auf Cheval Blanc ja. Wir haben frühreife Böden und niedrige Hektarerträge. Terroirs mit kühleren Böden hatten dagegen Probleme.
Andrew Black: Wie würden Sie den Jahrgang mit einem Wort beschreiben?
Pierre-Olivier Clouet: Komplexität ist der Begriff, der mir zuerst einfällt. Der Reifeverlauf war nämlich von Parzelle zu Parzelle verschieden. Unser Bestreben war es, jede der 45 Parzellen individuell ausreifen zu lassen. Die Assemblage wird diesmal viel Spass machen.
Stéphane Derenoncourt, Domaine de l’A
Der Selfmade-Önologe Stéphane Derenoncourt ist einer der einflussreichsten Berater der neuen Generation französischer Önologen, denen Châteaux wie Pavie-Macquin, La Mondotte oder Petit Village ihren Aufstieg verdanken. Mit seinem zehnköpfigen Team berät er rund 50 Châteaux in Bordeaux und in aller Welt. Er selbst besitzt die Domaine de l’A in Côtes de Castillon, einer Satelliten-Appellation von Saint-Emilion, deren Wein mit rund 30 Euro immer einer der besten in seiner Preisklasse ist.
Andrew Black: Nachdem die malolaktische Gärung nun beendet ist: können Sie bereits ein Urteil über den Jahrgang 2012 abgeben?
Stéphane Derenoncourt: Nein, es ist ein sehr heterogener Jahrgang. Ich habe eine Menge verkostet. Was ich sagen kann ist: Wenn der Wein gut ist, ist er sehr eindrucksvoll.
Andrew Black: Man spricht davon, dass die Weine eine sehr gute aromatische Qualität besitzen. Aber was ist mit dem Gaumen?
Stéphane Derenoncourt: Die besten Weine besitzen viel Feinheit und ein gutes Mouthfeeling. Dank der niedrigen Erträge als Folge der Trockenheit wirken die Weine auch sehr dicht.
Andrew Black: Wie stehen die 2012er da im Vergleich zu den 2010ern und 2009ern?
Stéphane Derenoncourt: Der Vergleich ist schwierig. 2009 und 2010 waren sehr warme Jahrgänge. Wenn überhaupt, ist 2012 dichter an 2010 als an 2009. Einige Chateaux des Rechten Ufers werden in 2012 nach meiner Meinung mit einem genauso guten Wein wie 2012 herauskommen.
Andrew Black: Also ist 2012 besser als 2007, 2008 und 2011?
Stéphane Derenoncourt: Die Weine sind eindeutig seidiger, dank der Trockenheit.
Andrew Black: Hat 2012er das Potenzial für eine lange Flaschenlagerung?
Stéphane Derenoncourt: Nach meiner Meinung ist es ein Jahrgang, den einzukellern sich lohnt.
Peter Sisseck, Chateau Rocheyron
Im Jahre 2010 hat der in Spanien lebende (und arbeitende) Önologe Peter Sisseck das Chateau Rocheyron gekauft, einen Grand Cru in Saint-Emilion. Zusammen mit seinem spanischen Partner Silvio Denz (Besitzer von Clos d’Agon in Catalunya sowie zahlreicher kleiner Bordeaux-Chateaux) hat er den 7,4 Hektar-Besitz renoviert und erzeugt dort einen ehrgeizigen, in Deutschland noch wenig bekannten Wein (aus 70 Prozent Merlot und 30 Prozent Cabernet franc). Sein Preis liegt bei etwa 100 Euro pro Flasche.
Andrew Black: Wie würden Sie den Jahrgang 2012 bewerten?
Peter Sisseck: Es wird Sie vielleicht überraschen, wenn ich sage, dass 2012 für mich und für viele andere Bordeaux-Winzer ein sehr spezieller Jahrgang war. Das müssen der Markt und die Kritiker nicht unbedingt so sehen. 2012 ist nicht 1900, 1929 oder 1947. Aber er wird in die Geschichte eingehen als ein sehr spezieller Jahrgang.
Andrew Black: Wenn es nicht die Qualität des Jahrgangs war, was macht dann das Spezielle aus?
Peter Sisseck: Um in 2012 einen guten Wein zu erzeugen, musstest du alles anwenden, was du gelernt hast – nicht nur im Keller, sondern vor allem im Weinberg. Du musstest dein Terroir kennen. Du musstest dein ganzes Wissen, dein Können, deine Erfahrung abrufen, um das Beste aus den Reben herauszuholen. Du konntest nicht mogeln.
Andrew Black: Können Sie konkret werden?
Peter Sisseck: Man musste zum Beispiel mit der sommerlichen Trockenheit umgehen. Zu wissen, wie man den Reben helfen kann Wasser zu finden, war sehr wichtig. Und bei der Vinifizierung musstest du äußerst vorsichtig sein, um Überextraktion und vegetale Noten zu vermeiden, vor allem am Ende der Maischegärung.
Andrew Black: Die Winzer konnten die Lese diesmal nicht vorziehen und hatten keine Chance, vor dem Einsetzen der Fäulnis zu ernten. Damit sind spät gelesene Weine Kandidaten für vegetale Weine oder nicht?
Peter Sisseck: Wir haben auf Rocheyron spät gelesen und hatten überhaupt keine Fäulnis gehabt. Wir haben mit 2012 unseren besten je erzeugten Wein im Keller.
Andrew Black: Sie haben Rocheyron aber auch erst vor drei Jahren erworben. Wie wird der Jahrgang 2012 am Ende werden?
Peter Sisseck: Er ist kein 2005er, kein 2009er, kein 2010er. Das waren Freak-Jahrgänge. Bis wir sie genießen können, wird es 20 Jahre und mehr dauern. Aber es gibt sehr viele Jahrgänge in Bordeaux, die man kurz- und mittelfristig trinken kann. 2012 wird dazu gehören.
Vincent Priou, Chateau Beauregard
Vincent Priou ist Direktor dieses für Pomerol-Verhältnisse großen Chateau. Seine Weinberge umfassen 17,5 Hektar. Sie sind zu 70 Prozent mit Merlot und zu 30 Prozent mit Cabernet franc bestockt. Der Wein ist mit rund 35 Euro pro Flasche einer der Preiswertesten dieser Appellation und gemessen an seiner Qualität einer mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis.
Andrew Black: Was ist Ihr erster Eindruck von Merlot und Cabernet franc?
Vincent Priou: 2012 ist zweifellos ein Merlot-Jahr auf Beauregard. Wir haben einige überraschend gute Partien geerntet. Schwieriger ist es, eine Aussage über Cabernet franc im jetzigen Stadium zu treffen. Aber was die Assemblage angeht, bin ich zuversichtlich, dass wir nicht weit unter unserem normalen 30-Prozent-Anteil bleiben werden.
Andrew Black: Aber Cabernet franc ist in 2012 nicht so eindrucksvoll wie in den vorhergehenden Jahrgängen?
Vincent Priou: Er ist nicht so outstanding wie Merlot.
Andrew Black: Die Qualität des Jahrgangs 2012 macht auf dem Rechten Ufer also die Merlot aus?
Vincent Priou: Ja. Sie ist es, die die intensive Aromatik, die Frische, die Dichte bringt.
Andrew Black: Und was ist mit dem Tannin?
Vincent Priou: Auf Beauregard war es reif. In Pomerol ist das Tannin überwiegend weich und seidig, sehr vielversprechend. Ich bin optimistisch, was die Eleganz des Weins angeht, die wir immer schon anstrebten. Wir müssen jetzt abwarten, wie die Menge des Tannins sich mit der hohen Säure verträgt. Ob es vielleicht zu einer gewissen Strenge kommt…
Andrew Black: Hohe Säure?
Vincent Priou: Die Säure ist allgemein hoch in 2012. Das ist das Charakteristikum des Jahrgangs. Sie sorgt für eine angenehme Frische und und garantiert ein gutes Alterungspotenzial.
Andrew Black: Können Sie 2012 mit den vorhergehenden Jahrgängen vergleichen?
Vincent Priou: Dieser Jahrgang ist eindeutig nicht vergleichbar mit dem opulenten 2009er und dem dichten, machtvollen 2010er. Aber er ist auf einem hohen Niveau.
Andrew Black: Besser als 2011?
Vincent Priou: Besser hinsichtlich Reife und Tanninstruktur. Für Beauregard ist es auf jeden Fall ein willkommener, klassischer Jahrgang, weil unser ganzes Streben in Weinberg und Keller sowieso auf Eleganz abzielt. Wir wollen keinen Powerwein.