Zwei Weine von Biondi-Santi habe ich gestern verkostet: den Brunello di Montalcino 2015 und die Riserva 2012. Das war insofern spannend, als es die ersten Jahrgänge sind, die von den neuen Besitzern des Weinguts auf den Markt gebracht worden sind. Brunello-Liebhaber in aller Welt sind neugierig, ob die neuen Eigentümer die glorreiche Geschichte der Biondi-Santi weiterschreiben und welche Änderungen sie gegebenenfalls vornehmen. Spannend ist die Frage auch deshalb, weil die neuen Eigentümer Franzosen sind: die in Paris ansässige EPI Holding der Familie Descours (weinkenner.de berichtete). Im Portfolio der Holding befinden neben Industriebeteiligungen die Luxusschuhmarke J. M. Weston und die Champagner-Marken Piper-Heidsieck und Charles Heidsieck.
Die Preise sind der historischen Bedeutung des Weinguts angepasst
Das Weingut umfasst 25 Hektar Weinberge. Produziert werden rund 80 000 Flaschen, davon etwa 10 000 Flaschen Riserva (nur in guten Jahren und nur von Rebstöcken, die mindestens 25 Jahre alt sind). Der große Rest entfällt auf den Basis-Brunello und auf den Rosso di Montalcino. Die Preise für die Weine sind der historischen Bedeutung des Weinguts angepasst: 170 Euro für den Brunello di Montalcino, 500 Euro für die Riserva, 60 Euro für den Rosso di Montalcino. Die Franzosen haben nicht die Absicht, an den Preisen etwas zu ändern. Sie haben ein komplett italienisches Management installiert mit Giampiero Bertolini an der Spitze, der vorher Sales- und Marketingdirektor bei Frescobaldi war. Auf ihn wartet eine Herkules-Aufgabe, was damit zusammenhängt, dass die Zeit auf der Tenuta Greppo – so die offizielle Bezeichnung des Weinguts – irgendwie stehen geblieben ist. Jahrzehntelang hatten die Biondi-Santi vor allem die glorreiche Vergangenheit beschworen, statt sich der schwierigen Gegenwart zu stellen. Ein riesiger Investitionsstau entstand.
Die siegreiche Squadra Azzura stieß mit Brunello von Biondi-Santi an
Der Name Biondi-Santi genießt, speziell in Italien, bis heute höchsten Respekt. Der Brunello di Montalcino ist der international bekannteste Rotwein Italien, und der „Erfinder“ war einer der Ihren. Ein gewisser Bonus ist den Weinen dieses Gutes daher immer sicher. Kein Zufall, dass die siegreiche Fußball-Nationalmannschaft Italiens zwei Tage nach dem EM-Triumph im römischen Grand Hotel Parco dei Principi mit einem Biondi-Santi-Brunello angestoßen hat. Der Mythos lebt also, auch unter den neuen Besitzern. Bevor ich detailliert zu den Weinen komme, möchte ich noch ein paar Dinge richtig stellen, die sich auf den Brunello im Allgemeinen und Biondi-Santi im Besonderen beziehen.
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Die Legende von der Sangiovese Grosso-Traube
Ein grosser Teil dessen, was über den Brunello di Montalcino in Zeitschriften, Händlerprospekten oder im Internet publiziert ist, ist unrichtig oder wenigstens verwirrend. Etwa die Behauptung, der Brunello di Montalcino werde aus Sangiovese Grosso gewonnen. Tatsächlich gibt es keine Rebsorte dieses Namens. Die Rebsorte heißt Sangiovese. Da die Sangiovese eine Sorte mit hoher genetischer Varianz ist, gibt es von ihr zahlreiche Mutationen, Varianten, Klone. Sie haben keinen speziellen Namen, sondern nur Registriernummern. Keine dieser Spielarten heißt Sangiovese Grosso, keine wird exklusiv (oder auch nur besonders häufig) in Montalcino angebaut. Wahr ist: In Montalcino werden die gleichen Sangiovese-Klone angebaut wie im Chianti Classico, im Chianti und in anderen Sangiovese-Appellationen der Toskana. Im Produktionsstatut des Brunello di Montalcino heißt es entsprechend, der Wein müsse ausschließlich aus „Sangiovese“ erzeugt werden – egal welcher Spielart. Woher kommt dann die Bezeichnung Sangiovese Grosso? Der Sangiovese-Klon von Biondi-Santi basiert auf einer massalen Selektion, die Clemente Biondi-Santi, der „Erfinder“ des Brunello, im 19. Jahrhundert vorgenommen hatte. Er war es, der seinen Klon „Sangiovese Grosso“ und seinen Wein „Brunello“ nannte. Wissenschaftlich heißt der Klon BBS 11. Biondi-Santis Weinberge sind bis heute mit ihm bestockt, weswegen das Weingut immer die hauseigene Bezeichnung Sangiovese Grosso benutzt – auch unter den neuen Besitzern. Einige andere Weinberge in Montalcino sind ebenfalls mit BBS 11 bestockt – die meisten aber nicht.
Die Legende von der jahrhundertealten Tradition
Eine andere fragwürdige Behauptung lautet, der Brunello di Montalcino habe eine jahrhundertealte Tradition. Außer Biondi-Santi füllte vor hundert Jahren kein einziges Weingut einen Wein dieses Namens ab. Und auch Biondi-Santi nannte seinen Wein erst ab 1888 so. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es bei Biondi-Santi überhaupt nur drei weitere Jahrgänge dieses Weins: 1891, 1925 und 1945. Jahrhundertealt ist der Weinbau allgemein in Montalcino, das stimmt. Aber wo in Italien ist er das nicht? Es war einfacher Bauernwein, der dort erzeugt wurde: ein Lebensmittel, kein Genussmittel. Zwar gab es zwischen den beiden Weltkriegen den einen oder anderen bauernschlauen Produzenten, der seinen Weinen Brunello nannte, um vom Renommé und den hohen Preisen der Biondi-Santi zu profitieren (die Familie hatte es versäumt, den Namen schützen zu lassen). Aber die Plagiate verschwanden meist ebenso schnell, wie sie erschienen waren. Die eigentliche Geburtsstunde des Brunello di Montalcino fällt auf das Jahr 1960, als das Gebiet DOC-Status erhielt und der Name des Weins offiziell festgelegt wurde.
Der Mythos der Langlebigkeit des Brunello di Montalcino
Irreführend ist auch die Behauptung, dass ein Brunello di Montalcino besonders alt werden könne – ein Mythos, der sich hartnäckig hält, sich aber nach meiner Erfahrung (und der vieler anderer Kritiker) nicht aufrecht erhalten lässt. Nimmt man zum Beispiel den großen Jahrgang 2001, von dem es einst hieß, die Weine besäßen das ewige Leben: Viele 2001er Brunello sind jetzt schon verblüht. Sie sind braun-orange in der Farbe, unfrisch in der Nase, spannungslos am Gaumen. Bei Robert Parker werden heute gerademal drei von 139 getesteten Weinen dieses Jahrgangs als frisch (early) eingestuft, alle anderen als old oder mature – egal wie hoch sie anfänglich bepunktet wurden. Beim Jahrgang 2011 ist Parker zufolge weit über die Hälfte der Weine bereits mature – also bereits nach zehn Jahren. Andere Sangiovese-Weine guter Erzeuger aus dem Chianti Classico oder dem Chianti Rufina stehen nach zehn, 20 Jahren Flaschenreife wesentlich besser da. Und Lungarottis 1990er Torgiano Riserva „Vigna Monticchio“ aus Umbrien ist frischer als fast alle Brunello. Ich will hier kein Brunello-bashing betreiben. Ich trinke die Weine aus Montalcino selbst gerne – aber nicht unbedingt die alten.
Geduld haben und warten – so lautete das Narrativ bei Biondi-Santi
Der Mythos der Langlebigkeit geht allein auf Biondi-Santi zurück. Seine Weine sind die große Ausnahme. Das hat damit zu tun, dass der „Stil“ von Biondi-Santi immer darin bestand, die Trauben als erste zu lesen und Weine mit wenig Extrakt, niedrigem Alkohol und hoher Säure zu produzieren. Viele Jahrgänge in den 1970er und 1980er Jahren wiesen Säurewerte von 7,5 Promille auf. Entsprechend schwer genießbar waren die Weine in jungen Jahren. Aber Franco Biondi-Santi, der letzte Vertreter dieser toskanischen Weindynastie, war diesbezüglich unbeirrbar. Kunden gegenüber gab er immer die Parole „Warten“ aus, und zwar mindestens 25 Jahre. Sein Wein brauche Zeit zum Reifen, die Weintrinker müssten mehr Geduld aufbringen, so lautete sein Narrativ. Ein zweischneidiger Rat: Wein, der nicht aus physiologisch reifen Trauben gekeltert wird, wird in der Flasche nicht besser. Er behält seine Frische, bleibt aber karg und tanninhart. Und so schmecken viele Biondi-Santi-Brunello auch heute, nach Jahrzehnten, noch. Bestätigt wurde der Mythos der Langlebigkeit durch wenige geniale Riserve wie 1955, 1964, 1983, die sich lange gehalten und auf der Flasche enorm verfeinert haben. Sie kamen allesamt aus warmen Jahrgängen, in denen trotz früher Lese vollreifes Lesegut eingebracht werden konnte. Was aber war mit den weniger guten Jahrgängen? Sie enttäuschten. Die Kritiker lobten zwar den „klassisch-traditionellen“ Stil Biondi-Santis (wie die Sprachregelung lautet), gaben den Weinen am Ende aber oft nur 90 oder 92 Punkte – weit weniger als anderen Brunellos. So kam es, dass sich in den Kellern der Tenuta Greppo zuletzt große Mengen an unverkauftem Brunello stapelten. Der Legende zufolge „wartete“ Dottore Franco geduldig auf die Reife seiner Weine. In Wirklichkeit wartete er ungeduldig auf Kundschaft, die aber nicht kam. Sicher, der hohe Preis hat bei der Vermarktung eine Rolle gespielt. Einen amerikanischen Importeur gab es zuletzt nicht mehr. Dabei ist die USA der mit Abstand wichtigsten Brunello-Markt der Welt.
Die Erben haben das Weingut nach wenigen Jahren verkauft
Franco Biondi-Santi, der „Dottore“, ist 2013 gestorben. Er wurde 91 Jahre alt. Sein Sohn Jacopo hat das Weingut ein paar Jahre lang weitergeführt und dabei einige Änderungen am „klassisch-traditionellen Stil“ vorgenommen, ohne den Mythos zu beschädigen. 2017 verkauften er und seine Schwester dann die Tenuta Greppo. Jacopo widmet sich seitdem ganz seinem eigenen Maremma-Weingut Castello di Montepò. Allerdings sollte nicht unterschlagen werden, dass die Biondi-Santi-Brunello sich in den letzten Jahren vor dem Tod von „Dottore“ deutlich verbessert zeigten. Ob an den Stellschrauben gedreht wurde oder die Klimaerwärmung dazu beigetragen hat, ist für Außenstehende schwer zu beurteilen. Aber Jahrgänge wie 2006, 2007 und 2010 spielen zweifellos ganz oben in der Brunello-Liga mit – zumindest die Riserve.
Auch die neuen Besitzer wollen die Biondi-Santi-DNA bewahren
Natürlich gehen auch die Franzosen mit dem historischen Erbe der Biondi-Santi behutsam um. Offiziell wollen sie die DNA bewahren. Faktisch drehen sie jeden Stein um und scheuen sich nicht, Änderungen vorzunehmen, wo sie nötig sind. Erst einmal haben sie wissenschaftliche Bodenuntersuchungen veranlasst, eine metergenaue Parzellierung der Weinberge vorgenommen, separate Vinifizierungen eingeführt, wozu wiederum viele neue Holzfässer kleinerer Größe (20 Hektoliter) angeschafft wurden, aus slawonischer und erstmals auch aus österreichischer Eiche. Die alten Holzfässer waren teilweise hundert Jahre alt und viel zu groß für ein Feintuning bei der Assemblage. Inzwischen wurden auch sechs Hektar neue Weinberge zugekauft. Der Plan, einen neuen Keller zu errichten, reift ebenfalls schon in den Köpfen.
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Die Weine
2012 Brunello di Montalcino Riserva, Tenuta Greppo di Biondi-Santi
Zu den Weinen. Die Brunello di Montalcino Riserva 2012 ist der letzte Wein, der unter der Verantwortung von Franco Biondi-Santi vinifiziert wurde. Um es vorweg zu sagen: Der Wein ist einer der Großen des Jahrgangs: transparentes Granatrot in der Farbe, Iris, Veilchen, Süßlakritz, Pfeffer im Bouquet, am Gaumen leichtfüßig mit gut verschmolzenem Tannin, ebenso frisch wie druckvoll am Gaumen, im Gegensatz zu vielen Riserve vom Beginn der Nullerjahre durchaus schon zugänglich. Kurz: eine Riserva, die zwar immer noch „klassisch-traditionell“ ist, aber eine bessere Balance aufweist als viele frühere Weine und sich insofern schon Stück von der alten Stilistik entfernt hat. Das ist insofern nicht verwunderlich, als Jacopo, der Sohn, zu diesem Zeitpunkt Einfluss auf technische Entscheidungen genommen hat, etwa auf den Lesezeitpunkt. Die Lese begann am 10. September, was zwar früh ist. Aber 2012 war ein heißes Jahr, in dem praktisch alle Weingüter früher gelesen haben als normal. Daniele Cernilli, einer der führenden italienischen Weinkritiker, hat der 2012er Riserva von Biondi-Santi 100 Punkte gegeben – aus Respekt vor der grande personaggio des „Dottor Franco“, wie er bei der Verleihung der Urkunde anmerkte. Von der Perfektion ist diese Riserva meiner Meinung aber doch noch ein ganzes Stück entfernt. Mit 96 Punkten wäre sie richtig eingeordnet – so wie es die meisten anderen Weinkritiker tun.
Preis: ca. 550 Euro
Bezug: www.ludwig-von-kapff.de, www.superiore.de, www.selection-widmer.ch
2015 Brunello di Montalcino, Tenuta Greppo di Biondi-Santi
Der 2015er ist der beste Basis-Brunello, die ich seit langem getrunken habe. Das hat sicher auch mit dem grandiosen Jahrgang zu tun, der (neben dem 2010er) der beste des bisherigen Jahrhunderts ist – aber nicht allein damit. Biondi-Santi ist es gelungen, dass sich in diesem Wein alles spiegelt, was dieser Jahrgang mitbringt. Der Wein besitzt Klasse und Rasse. Er ist „klassisch-traditionell“ spontan vergoren und drei Jahre im großen Holzfass gereift, ohne karg oder knochig zu sein. Die Farbe ist Rubinrot, das Bouquet geprägt von Veilchen, Brombeeren, Dörrpflaumen, Thymian, getrocknetem Lorbeerblättern. Am Gaumen sorgt die reichlich vorhandene Extraktsüsse für sanfte, weiche Texturen und eine gewisse Opulenz. Das Sangiovese-Tannin gibt dem Wein Biss und hält ihn zusammen, bleibt jedoch im Hintergrund. Den ganzen Wein durchzieht eine ungeheure Frische. Dabei ist die Säure anders als früher nicht übertrieben hoch. Die Lese begann erst am 21. September – für Biondi-Santi-Verhältnisse spät. Der Alkoholgehalt liegt denn auch mit 14,5 Vol.% deutlich höher, als man es von den Weinen dieses Gutes gewohnt ist. Für mich ist das der einzige Wermutstropfen in dem Wein: Der Alkohol ist nicht perfekt eingebunden. Trotzdem bin ich mit vielen anderen Kritikern einig: Dieser Wein ist sehr, sehr gut gelungen. 96 Punkte.
Preis: ca. 170 Euro
Bezug: www.ludwig-von-kapff.de, www.lieblings-weine.de, www.gute-weine.de, www.mair-mair.com, www.selection-widmer.ch
Danke für den interessanten Artikel. Wenn die Langlebigkeit ein Mythos ist: Wann vermuten sie denn die Spitzenjahrgänge 2015 und 2016 auf ihrem Höhepunkt?
Ich schätze, in zehn bis 20 Jahren. Aber das Schöne ist, dass sie auch jetzt schon mit Genuß zu trinken sind.