Im November nahm Aldi Nord einen 2006er Barolo für 7,99 Euro ins Angebot. Zu einem so niedrigen Preis war dieser noble Rotwein aus dem Piemont bislang noch nie angeboten worden – weder in Italien noch bei den beiden europäischen Billignationen Deutschland und Niederlande. Normal sind Barolos nicht unter 30 Euro zu haben. Spitzen-Erzeuger wie Altare, Aldo Conterno, Vietti, Clerico, Parusso und Pira kosten zwischen 45 und 70 Euro. Die Lagen-Riserve von Bruno Giacosa und Giacomo Conterno liegen um die 200 Euro pro Flasche – für gewöhnliche Weintrinker unerschwinglich. Umso sensationeller der Aldi-Preis. Für 7,99 Euro ermöglicht der Discounter Neugierigen auch ohne dickes Portemonnaie den Zugang zu diesem Wein, der in der ganzen Welt einen Ruf wie Donnerhall besitzt.
Doch kaum war Aldi mit dem Wein raus, konterte Lidl mit einem Barolo für 6,66 Euro. Das wiederum ließ die Einkäufer von Aldi Nord nicht ruhen. Sie senkten den Preis ihres Barolo auf 6,49 Euro. So steht er jetzt in den knapp 2900 Filialen zwischen Flensburg, Essen und Jena auf der Palette. Wir haben beide Weine verkostet. Die Opulenz, die noble Frucht, das reiche Tannin – also das, was die Größe des Barolo ausmacht – haben beide nicht. Aber sie sind technisch ohne Fehl und Tadel und schmecken nach Nebbiolo (das ist die Traube, aus der der Barolo gewonnen wird) – auch wenn sie von den Top-Weinen des Anbaugebiets Lichtjahre entfernt sind.
Wie kommt es dazu, dass ein Barolo zu einem solchen Preis angeboten werden kann? Wir sprachen mit Andrea Ferrero, dem Direktor des Schutzkonsortiums Barolo in Alba. Er bedauert die niedrigen Preise, betont aber, dass die Keller im Anbaugebiet voll seien und allein in den letzten drei Monaten 30 Prozent mehr Barolo abgefüllt wurde als im letzten Jahr. Die Existenz von Billig-Barolos ist ihm bekannt: „Sie sind auch in Italien aufgetaucht und werden meist über die Shops der Autobahn-Tankstellen verkauft.“
Die Ursachen für die Barolo-Baisse liegen tiefer. In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Weinberge in Produktion gegangen. Viele Winzer haben Dolcetto-Reben rausgerissen und Nebbiolo-Reben gepflanzt – und zwar in Lagen, die zweit- oder drittklassig sind. Sie spekulierten auf einen anhaltenden Barolo-Boom. Irrtum: Die Weltwirtschaft kriselt, die Nachfrage sinkt, das Angebot steigt. Statt 6 Millionen Flaschen Barolo (wie bis 2004) wurden 2010 genau 11,5 Millionen Flaschen produziert. „75 Prozent des Weins wird von unseren Winzern selbst gefüllt und vermarktet“, beschwichtigt Ferrero. „Nur die Restpartien landen auf dem freien Markt.“
Die Folge: Die Preise sank ins Bodenlose. Für ein Kilo Barolo-Trauben aus drittklassigen Lagen zahlten die beiden Genossenschaften Terre del Barolo und Terra da Vino dieses Jahr nur noch 1,60 Euro. Leidtragende sind, neben den Weinbauern, die die Misere ausgelöst hatten, die Genossenschaften – und damit indirekt die italienischen Steuerzahler. Nach den vorgeschriebenen drei Jahren Reife im Keller mussten die Genossenschaften die Restpartien der 2005er und 2006er Jahrgänge für drei Euro pro Liter anbieten, um ihre Tanks leer zu kriegen.
Auf diesen Moment hatten die Handelskellereien nur gewartet, etwa die Firma Arione in Canelli, die den Aldi-Barolo liefert: eine Industriekellerei außerhalb des Produktionsgebiets, bekannt dafür, dass sie süßen Moscato d’Asti fassweise aufkauft und als Asti abfüllt. Diesmal ist sie auf Barolo umgestiegen. Er versprach mehr Gewinn. Eine Überschlagsrechnung verdeutlicht das: Wenn man 3 Euro pro Liter Barolo zugrunde legt, 30 Cents für Glas, Korken, Etikett drauflegt und 1,50 Euro für das Handling, Logistik und Marge hinzurechnet, dann könnte diese Handelskellerei die 0,75-Liter-Flasche für knapp 4 Euro netto anbieten – vielleicht sogar für mehr. Die Rechnung müsste also aufgegangen sein. Auch für Aldi und den Zwischenhändler muss am Ende ein hübsches Sümmchen übrig geblieben sein, jedenfalls dann, wenn man von einem Endverkaufspreis von 7,99 Euro ausgeht.
Bei 6,66 Euro wird die Kalkulation allerdings schon knapper, bei 6,49 Euro erst recht. Lidl wird mit seinem Barolo nicht reich geworden sein, der ebenfalls von einer Handelskellerei stammt. Sie verbirgt sich hinter den Buchstaben A. VI.P. und hat ihren Sitz in Cossano Belbo. Auch bei Aldi dürfte die Marge nach der Preissenkung zusammengeschmolzen sein. Beide Discounter sind das Opfer des beinharten Wettbewerbs untereinander geworden. Inzwischen haben die Preise für Fass-Barolo wieder angezogen. Derzeit liegen sie bei über 4 Euro pro Liter. Bei Aldi Süd kostet der Weihnachts-Barolo jetzt schon wieder 9,99 Euro, allerdings eine 2004er Riserva. Wer ihn liefert? Die Genossenschaft Terra da Vino, diesmal unter ihrem eigenen Namen!
Übrigens: Aldi und Lidl haben noch andere Weine mit noblem Namen in ihrem Vorweihnachts-Sortiment. Darüber mehr am Wochenende.