Freitag, Oktober 4, 2024
8.7 C
München
spot_img

Appassimento Weine: Den Früchten den Saft abgedreht

Appassimento Weine sind beliebt wie nie zuvor. Zu den berühmtesten Weinen dieser Gattung zählen der „Amarone della Valpolicella” oder „Recioto della Valpolicella” aus der italienischen Region Venetien. Längst sind Recioto und Amarone aber nicht mehr die einzigen Weine dieser anspruchsvollen Rotweinart, doch ihre Herkunft beziehen alle aus dem Prozess des „appassire“, was „verdorren, welken oder dahinschwinden” bedeutet. Aus dem Ur-italienischen übersetzt bezieht sich der Zustand des Appassimento auf das Dahinwelken schöner Dinge wie Blumen, Frauen und eben auch auf Weintrauben. Doch was bedeutet „Appassimento” eigentlich bei Weinen?

Appassimento Verfahren: eine althergebrachte Herstellungsmethode von Rotweinen

Denn es ist genau dieses Vorgehen, das einen Appassimento prägt und das „Rosinieren“ der Trauben ist so alt wie die Kunst des Weinmachens. Allerdings nahmen unsere Vorfahren aus der Antike das Antrocknen oder Verwelken der Trauben schon in Angriff, wenn die Beeren noch am Rebstock hingen: Sie drehten die Stiele leicht ein, mit dem Effekt, dass die Feuchtigkeitszufuhr unterbunden war und die Früchte zu schrumpfen begannen – also zu Rosinen wurden.

Damals in Karthago…

Der punische Schriftsteller Mago, der im zweiten Jahrhundert v. Chr. in Karthago (nahe dem heutigen, nordafrikanischen Tunis) lebte, soll dieses Vorgehen schon in seinem Lexikon über die Landwirtschaft beschrieben haben. Obwohl das 28-bändige Werk nur noch in Zitaten existiert, ist das „appassire“ dennoch überliefert.

…und dann in Venetien

Etwa 250 Jahre später berichtete der römische Gelehrte „Plinius der Ältere“ von einem „vinum reticum“, den er in Verona verköstigt hatte. Er war voll des Lobes über die Vollmundigkeit, die feurig rubinrote Farbe, die ausgewogene Süße und den bedeutsamen Alkoholgehalt. Dass es sich dabei um den Vorfahren des heutigen Recioto handelte, darf angenommen werden. Und dass „die Appassimenti“, die aus rosinierten Trauben zubereiteten Weine ihren Ursprung in der Region um Verona haben, auch das dürfte damit bewiesen sein.

Ursprünglich waren sie ausschließlich Süßweine mit sehr hohem Alkoholgehalt, der auf natürliche Weise beim Vertrocknen der Trauben zustande kam. Dass diese Effekte heute nicht mehr ganz so ausgeprägt sein sollen, das entspricht unserem Zeitgeist, der sich auf wunderbar geschmackvolle Weise in beispielsweise den drei DOCG-Weinen Recioto della Valpolicella, Recioto die Soave und Recioto die Gambellara offenbart.

Weintrauben trocknen unter dem Dach
Weintrauben werden zum Trocknen auf Dachböden aufgehängt

Appassimento in der Antike: Passum als begehrtes Handelsobjekt

Ein weiterer Grund des „appassire“ war die Haltbarkeit der getrockneten Trauben. Schließlich wurde schon in der Antike ausführlich Handel betrieben. So auch mit dem „Passum“, einem Wein aus dem antiken Kreta. Er galt als ein begehrtes Exportgut in die Länder nördlich der Alpen, wo es aufgrund des kühlen und feucht-nebligen Klimas nicht möglich war, die Rebstock-Methode direkt im Weinbau anzuwenden. Schimmel- und Fäulnisbildung wären die Folgen gewesen, also musste man die Beeren auf andere Weise trocknen oder verwelken lassen.

Appassimento heute: Rosinieren auf Schilfmatten und Stroh

Seit damals hat dieses Verfahren sich im Grundsatz nicht verändert. So werden nur die besten Trauben sorgsam gesammelt und in gut belüfteten, warmen Lagerräumen auf Gestellen, Gras- oder Schilfmatten oder Stroh sorgfältig getrocknet. Je nach dem, welchen Süßungsgrad man erreichen will, nimmt dieses Prozedere bis zu drei oder sogar vier Monate in Anspruch. Bei der Verdunstung des Wassers verlieren die Früchte bis zur Hälfte ihres Gewichts, während Fruchtzucker und Säure erhalten bleiben. Je länger das Rosinieren andauert, desto höher wird die Konzentration der Geschmacksstoffe.

Weintrauben trockenen auf Strohmatten um Strohwein zu werden
Strohwein verdankt seinen Namen dem Verfahren, bei dem die Weintrauben auf Stroh(matten) getrocknet werden.

Für einen leicht erhöhten Alkoholgehalt reicht ein „appassire“ von sieben bis zwölf Tagen – nun kann man sich ausmalen, von welcher Intensität die Weine dieser „metodo classico“ sind. Für diese wurden meist nach alter Sitte die klassischen venetischen Traubensorten Corvina, Sangiovese, Rondinella und Corvinone verschnitten, wenngleich nicht selten auch andere Traubensorten Eingang in die Cuvée fanden. Da sind der Phantasie, beziehungsweise dem Mut und der Innovationskunst des jeweiligen Kellermeisters keine Grenzen gesetzt – maßgeblich ist die Intensität des Appassimento.

Amarone: Ergebnis des Appassimento

Nicht anders verhält es sich mit dem anderen klassischen Appassimento, dem Amarone. Der erste seiner Art sollte eigentlich auch ein Recioto werden, doch geht die Sage, dass der zuständige Kellermeister beim Abfüllen des Weins ein Fass vergessen hatte. Bis ihm das Manko auffiel war der darin befindliche Appassimento weiter vergoren. War dadurch trockener im Ausbau und hatte einen leicht bitteren Geschmack angenommen – „amarone“.

Amarone della Valpolicella

Das war in den 1930er Jahren, seither ist der Amarone della Valpolicella (DOCG) weltberühmt und gilt neben dem Barolo, dem Brunello di Montalcino oder den großen Bolgheri Rosso (Superiore Grattamacco oder Sassicaia) als einer der größten Rotweine Italiens. Als „Classico“, „Valpantena“ oder „Riserva“.

Maßgebliche Rebsorten für den Amarone della Valpolicella

Die dafür zugelassenen Rebsorten sind Corvina- und die Corvinone Veronese, sowie die Rondinella und bis vor etwa 30 Jahren auch die Molinara. Diese aber wurde ersetzt durch die seither in der Provinz Verona nun auch offiziell zugelassenen Rebsorten Sangiovese, Croatina, Cabernet Franc, Negrara und Oseleta.

Doch dies nur der Vollständigkeit halber, denn dass die immer größer werdende Schar der Weinliebhaber die Zauber der Appassimenti entdeckt haben, liegt in deren Geheimnissen verborgen. Im Bukett der Aromen dunkler Beerenfrüchte, reifer Kirschen und saftiger Pflaumen. In der feinen Würze angenehmer Röstnoten, getragen von samtigen Tanninen und intensiv-fruchtigen Abgängen. In einem rubin-feurigen, samtig schimmernden Purpurrot und in ihrer Präsentation.

WEintrauben hängen zum trocknen um zu Appassimento Wein zu werden

Appassimento Weine sind pure Sinnlichkeit…

…und eine Hommage an die Leidenschaft wahren Weingenusses. Doch nicht nur die Vorfahren in der Antike erfanden richtige Weinwunder. So ist gerade derzeit die Lust der Weinmacher*innen auf das Ausprobieren der alten Methoden unübersehbar. Die Reihe hervorragender Appassimenti, die sich neben den klassischen Recioto und Amarone Weinen aufgetan hat, spricht diese genießerische Sprache. Heute schon Legenden sind der Montefalco Sagrantino Passito aus Umbrien, der Passito di Pantelleria oder der Malvasia della Lipari und auch in den Weinkellereien des Trentino und der Toskana lagern so manche Schätze dieser sehr besonderen Wein-Art.

Der deutsche Appassimento: Strohwein / Striehween

So ist es selbstverständlich, dass nicht nur in Italien, sondern auch andernorts Weine aus „rosinerten“ Trauben produziert werden. In Frankreich „Vin de paille“ und „Passerillé“ und in der Schweiz der „Flêtri“. In Südtirol und Österreich sind es „Strohweine“ oder auch „Schilfwein“ genannt – getreu der Methode auf Schilfmatten oder in Stroh. Auch im Weingut Stein in Bullay an der Mosel hat der Strohwein eine lange und berühmte Tradition. Da jedoch europäische Verordnungen selbst in diese Lebensinhalte vordringen mussten, durfte Ulrich Stein seinen Strohwein nicht Strohwein nennen. Daraus entstand der „Striehween“ – unverwechselbar nicht nur des Namens wegen.

Wenn Sie nun der deutschen Trockenbeerenauslese auch einen Platz in diesem Genussparadies geben wollen – bitte! Sie passt auf jeden Fall dazu. Geschmacklich, da die Methode des Ausbaus ja eine andere, wenngleich ähnliche ist. Doch das ist wieder eine andere Geschichte. Wie auch die des Ripasso und des Doppio Passo…

Mehr zum Thema Primitivo Doppio Passo lesen Sie hier:

[post_preview_link headline=“Alles über Doppio Passo“ url=“https://www.weinkenner.de/doppio-passo/“ /]
- Anzeige -spot_img

2 Kommentare

- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img