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Der Jahrgang 2018 in Bordeaux: „Trauben so schwarz wie Kaviar“

Um in der Fussballsprache zu bleiben: 2018 bestand aus zwei Halbzeiten. Die erste war verregnet, die zweite gnadenlos trocken – mit der Ausnahme von ein oder zwei Regenschauern Anfang September. Was bedeutet das für die Weine? Während die Experten noch diskutieren, zeigen sich die Châteaubesitzer bereits ziemlich angetan von den Jungweinen, einerseits von ihrer Frische, der Aromaausprägung, ihrer Säure, andererseits von der überschwänglichen Tanninstruktur. Werden diese beiden Seiten des Jahrgangs 2018 einen ähnlich harmonischen Wein ergeben wie 2016?

Andrew Black, ein in Bordeaux lebender, englischer Weinjournalist, hat neun Winzer und Châteaubesitzer nach den ersten Eindrücken nach der Lese gefragt.

Vincent Priou
Vincent Priou

Vincent Priou, Château Beauregard (Pomerol)

„Erst in der zweiten Juliwoche wurde das Wetter besser. Aber ab da hatten wir endlos Sonne. Nur am 9. und 10. September hat es bei uns kurz geregnet. Das hat vor allem der Cabernet franc gut getan… Das Erfreuliche war, das die pH-Werte stabil blieben, während wir auf die Tanninreife warteten. Mein Eindruck ist, dass 2018 ein Jahrgang mit viel Frische, aber auch mit gutem Körper und reifem Tannin ist.“

(eine Flasche Château Beauregard – junger Jahrgang – kostet rund 40 Euro)

 

Frédéric Faye
Frédéric Faye

Frédéric Faye, Château Figeac (St. Emilion)

„Wir haben diesmal nicht zu stark entlaubt. Wir wollten die Trauben vor der Sonne schützen. Dadurch haben wir die Frische erhalten…Die Kerne in den Beeren begannen schon Ende August/Anfang September braun zu werden, während die Schalen noch unreif waren. Wir mussten also warten. Doch am Ende waren auch die Schalen perfekt reif…Merlot ist phantastisch, und Cabernet Sauvignon genial: purer Kaviar…Wir registrieren nicht nur hohe Alkoholgehalte, sondern auch einen grossen Tanninreichtum. Das heisst: Wir müssen die Extraktion sehr sensibel angehen. Wenn wir überextrahieren, kriegen wir Blockbuster…Unsere Gärtemperaturen haben wir daher niedriger als gewöhnlich gehalten…Ausserdem haben wir eine sechstätige Kaltmazeration vorgeschaltet, um die frische Frucht zu erhalten. Vergleiche mit 2003 und 2009? Oh nein! Eher mit 2010 und 2016.“

(eine Flasche Château Figeac – junger Jahrgang – kostet rund 200 Euro)

Peter Sisseck
Peter Sisseck

Peter Sisseck, Château Rocheyron (Grand Cru St. Emilion)

„Die Apfelsäure war niedrig, der Alkohol ist hoch, und die pH-Werte sind gut. Wir haben also kein Problem mit zu niedriger Säure, wie man in einem sonnigen Jahr erwarten könnte. Und ein tanninstarker Jahrgang ist 2018 auch…Ich würde sagen: mehr als vielversprechend…Wenn wir unsere Analysedaten betrachten, gibt es in 2018 Ähnlichkeiten mit 2016. Aber die Qualität ist noch besser, glaube ich.“

(eine Flasche Château Rocheyron – junger Jahrgang – kostet rund 130 Euro)

Pierre Olivier Clouet
Pierre Olivier Clouet

Pierre Olivier Clouet, Chateau Cheval Blanc (Grand Cru „A“ St. Emilion) 

„Ich kann nicht erklären, weshalb in einem sonnenreichen, sehr warmen Jahr mit einer langen Trockenperiode Weine von solcher Frische und puren Frucht entstehen. Wir können Vermutungen anstellen. Aber genau wissen wir es nicht. Wissenschaftlich ist es nicht erklärbar, weshalb 2016 und 2018 diese Charakteristik aufweisen. Es ist ein Mysterium. Ich glaube, es hat etwas mit den Böden zu tun…Alle drei Sorten, Merlot, Cabernet franc und Cabernet Sauvignon, werden in 2018 in unseren Erstwein eingehen. In welchen Anteilen, dafür ist es noch zu früh. Aber eins kann ich zu diesem Zeitpunkt sagen: Der Anteil des Erstwein wird in 2018 hoch sein.“
(eine Flasche Château Cheval Blanc – junger Jahrgang – kostet rund 800 Euro)

Pauline Vauthier
Pauline Vauthier

Pauline Vauthier, Château Ausone (Grand Cru „A“ St. Emilion)

„Wir sollten uns bei der Einordnung des Jahrgangs nicht täuschen. Wir hätten mehr Regen im Sommer gebraucht als gefallen ist…Trotzdem: Das Tannin ist reif. Der Alkohol liegt bei 13,5 Vol.% – Ausone macht nie alkoholreiche Weine. Alles okay. Das einzige Problem könnte die Säure sein. Die Werte sind nicht ideal. Aber für ein abschliessendes Urteil ist es noch zu früh. Während der Gärung kann viel passieren…Ich sehe 2018 als einen sehr guten, vielleicht auch exzellenten Jahrgang an. Aber ihn mit 2016 vergleichen, würde ich nicht.“

(eine Flasche Château Ausone – junger Jahrgang – kostet rund 1200Euro)

Guillaume Thienpont
Guillaume Thienpont

Guillaume Thienpont, Vieux Chateau Certan und Le Pin (Pomerol)

„Der Reifezyklus der Trauben war in 2018 ähnlich wie der in 2016. Mit einem wichtigen Unterschied: Der Regen kam 2016 etwas früher als in diesem Jahr. Dadurch dauerte die Reifeperiode damals etwas länger. So sind in 2016 einige sensationelle Weine entstanden… Mich erinnert 2018 eher an 2005, da gab es auch die lange Trockenheit im Sommer…Ich habe noch nie so gesundes Lesegut auf den Sortiertischen gesehen wie in diesem Jahr.“

(eine Flasche Château Vieux Château Certan – junger Jahrgang – kostet rund 270 Euro, eine Flasche Le Pin rund 2000 Euro)

Marielle Cazaux
Marielle Cazaux

Marielle Cazaux, La Conseillante (Pomerol)

„Die 2018er Trauben sind genauso aromatisch wie die 2016er. Wenn man durch den Gärkeller geht, schlägt einem der Duft von schwarzen Johannisbeeren und Kirschen entgegen…Die Sonne war natürlich sehr wichtig für diesen Jahrgang. Aber ich würde 2018 nicht als einen Solaire-Jahrgang beschreiben, wie wir in Bordeaux sagen. Solaire-Jahrgänge haben sehr reife Aromen und hohe pH-Werte, wie etwa 2009. Wenn die pH-Werte niedriger sind, wie in 2018, sprechen wir eigentlich nicht von einem Sonnenjahrgang.“

(eine Flasche La Conseillante – junger Jahrgang – kostet rund 230 Euro)

Mickaël Obert
Mickaël Obert

Mickaël Obert, Château Gazin (Pomerol)

„Eine Besonderheit des Jahrgangs bestand darin, dass die Beeren so dicke Schalen hatten. Deshalb musste man sehr genau darauf achten, den richtigen Lesezeitpunkt zu treffen. Wer zu früh gelesen hat, wird unreifes, grünes Tannin in seinem Wein finden. Wer zu spät las, kriegt marmeladige Noten. Das Zeitfenster dazwischen war relativ klein…Die einzelnen Beeren waren diesmal etwas leichter als im langjährigen Durchschnitt. Sie wogen nur 1,3 Gramm statt 1,5 Gramm. Dadurch ist auch die Menge des Weins in 2018 geringer als normal.“

(eine Flasche Château Gazin – junger Jahrgang – kostet rund 90 Euro)

François Despagne
François Despagne

François Despagne, Château Grand Corbin-Despagne

„2018 war wieder mal ein schwieriger und fordernder Jahrgang, mit gutem Ausgang allerdings. Er wäre für uns noch befriedigender, wenn die Ernte etwas grösser ausgefallen wäre. Durch den vielen Regen im Frühjahr haben wir viel verloren. Besonders die jungen Rebstöcke haben unter dem Wasserstress gelitten…Durch die kleinen Beeren haben wir später nochmal Mengeneinbussen erlitten. Dafür haben wir einen sehr konzentrierten Most bekommen…Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass wir es mit Sorgfalt und Respekt vor der Natur einen superben Jahrgang im Keller haben.“

(eine Flasche Château Grand Corbin-Despagne – junger Jahrgang – kostet rund 30 Euro)

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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