Cannubi ist ein langgezogener Südhang, der direkt hinter den letzten Häusern des 700-Seelen-Dorfes Barolo beginnt und in östlicher Richtung gegen die Stadt Alba verläuft. Die Weine aus dieser Lage sind besonders opulent, aber auch besonders fein. Sie zeichnen sich durch weiches, süßes Tannin und eine geradezu orientalische Fülle an Aromen aus: würz- und zitrusduftig, erdig und lakritzig, jodig und mit Eisennoten. Allein der Name „Cannubi“ auf dem Etikett – und der Wein steigt im Wert.
Das Problem ist, dass dieser Südhang fast einen Kilometer lang ist und wellenförmig verläuft. Nicht jede Parzelle ist gleich gut. Einige sind mehr nach Südosten, andere nach Südwesten gerichtet. Das Herzstück der Lage Cannubi umfasst nur 15 Hektar. Aber weil die benachbarten Lagen teilweise genauso gut sind wie das Herzstück, werden sie traditionell zu Cannubi dazugerechnet. Genau genommen sind es vier Lagen: S. Lorenzo, Valletta, Boschis, Muscatel. Bis 2010 durften sie unter den Bezeichnungen Cannubi S. Lorenzo, Cannubi Valletta, Cannubi Boschis und Cannubi Muscatel auf dem Etikett erscheinen.
Alles Cannubi oder nicht?
Unter den knapp 20 Cannubi-Winzern ist nun ein Streit entbrannt. Einige von ihnen möchten auf das Etikett ihres Barolo einfach nur Cannubi schreiben, obwohl sie in einer der vier Nachbarzonen, nicht aber im Herzstück der Lage begütert sind. Speziell das Weingut Marchesi di Barolo macht sich für die neue Etikettenbezeichnung stark. Es ist eines der großen Barolo-Weingüter mit jährlich 1,5 Millionen Flaschen. Sein Barolo ist von ausgezeichneter Qualität. Aber nur ein winziger Teil kommt aus der Lage Cannubi. Der größte Teil der Trauben des entsprechenden Weins kommt aus der Lage Muscatel. Auf dem Etikett des Weins steht aber nicht Cannubi Muscatel, sondern nur Cannubi.
Ernesto Abbona, Besitzer von Marchesi di Barolo, besteht mit zwei anderen Weingütern (G. B. Burlotto, Francesco Rinaldi) auf dem Recht, den Namen Muscatel wegzulassen. Er ist der Meinung, dass diese und die anderen Doppelbezeichnungen den Verbraucher nur verwirren. Außerdem verweist er auf das 2010 modifizierte D.O.C.G.-Statut des Barolo, das festschreibt, dass ein Wein wahlweise unter der Doppelbezeichnung oder schlicht als „Cannubi“ auf den Markt kommen darf.
Ein Barolo des Jahrgangs 1904 als Beweisstück
Abbona ist sich sicher, auf dem Boden geltenden Rechts zu handeln. Zum Beweis der Richtigkeit seiner Position kann er eine Flasche Barolo des Jahrgangs 1904 vorweisen, auf dessen Etikett „Cannubi“ steht, obwohl der Wein schon damals nachweislich aus der Lage Muscatel kam. Historisch sei es also durchaus üblich gewesen, den Namen auf den gesamten Hügelzug auszuweiten, folgert er. Dieses Beweisstück hatte Abbona dem Comitato Nazionale Vini im Rom präsentiert, das für die italienischen D.O.C.G.-Bestimmungen zuständig ist.
Nun wird es kompliziert. Das Comitato Nazionale Vini sah sich nicht in der Lage, aus der Ferne eine Entscheidung in der Causa Abbona zu treffen. Es erbat sich den Rat des Consorzio Tutela di Barolo, also des in Alba ansässigen Schutzkonsortiums, in dem die Barolo-Winzer organisiert sind. Dieses Schutzkonsortium lud die betroffenen Cannubi-Winzer zu einer Aussprache ein. Es folgte eine chaotische Veranstaltung, in der es weniger um die Sache als um verletzten Stolz, den Vorwurf der Anmaßung und Wahrung der Besitzstände ging.
Einheitliche Meinungsbildung war nicht möglich
Teilweise meldeten sich Winzer zu Wort, die gar nicht hätten eingeladen werden dürfen, weil sie nur Pächter in der Lage Cannubi waren, aber keine Grundbesitzer. Zu einer einheitlichen Meinungsbildung kam es jedenfalls nicht.
So folgte das Comitato Nazionale Vini schlussendlich der Argumentation Abbonas. In einem Beschluss vom September 2010 wurde im D.O.C.G.-Statut festgelegt, wahlweise die Doppelbezeichnung oder einfach nur Cannubi „tout court“ auf das Etikett zu schreiben – also Cannubi ohne den Namen der Nebenlage.
Diese Entscheidung rief Empörung unter vielen Barolo-Winzern hervor. Vor allem jene, die Reben in der Kernlage Cannubi besaßen, fühlten sich brüskiert. Elf von ihnen (Damilano, Drocco, Einaudi, Brezza, Serio & Battista Borgogno, Sandrone, Camerano, Fontana, Carretta, Scarzello, Mascarello) taten sich zusammen und legten beim Regionalen Verwaltungsgericht (TAR) in Rom Widerspruch gegen den Beschluss des Comitato Nazionale Vini ein. Sie pochten darauf, dass sich nur die Weine aus dem Herzstück auch Cannubi nennen dürfen.
Sprecherin der 11: Maria Teresa Mascarello
„Wir wollen glaubwürdig bleiben und nicht aus kommerziellen Überlegungen heraus eine Lage größer machen, als sie historisch ist“, begründete Maria Teresa Mascarello ihre Haltung, die Tochter der (2005 verstorbenen) Barolo-Legende Bartolo Mascarello und Sprecherin der 11. „Die Grenzen der Lage Romanée-Conti werden auch nicht per Verwaltungsbeschluss erweitert.“
Inzwischen ist der Streit zu einem Kleinkrieg geworden, in dem es nicht mehr nur um historische Wahrheiten und Prinzipien geht. Es geht auch um handfeste materielle Interessen. Ein Hektar Weinberg in der Lage Cannubi hat einen Marktwert von mindestens 500.000 Euro. In den Nebenzonen wird deutlich weniger für Grund und Boden gezahlt. Wer weiß, dass die vier Nebenzonen zusammen 19 Hektar ausmachen, kann sich leicht ausrechnen, wie groß der Wertzuwachs wäre, wenn diese das Recht erhielten, sich Cannubi „tout court“ zu nennen.
Unabhängiges Gericht gibt den 11 Gegenklägern Recht
Am 4. Juni 2012 hat das Verwaltungsgericht in Rom nun sein Urteil gesprochen. Es hat den elf Gegenklägern Recht gegeben. Die Bezeichnung Cannubi „tout court“ darf nicht auf die Unterzonen angewendet werden. „Der Beschluss ist umso wertvoller, als hier ein unabhängiges Gericht und kein politisches Komitee geurteilt hat“, sagt Maria Teresa Mascarello. „Für uns ist die Entscheidung ein Sieg.“
Was die Entscheidung für die Barolo-Trinker bedeutet? Wenig. Sie sind in der Regel nicht mit der Klein-Geografie des Anbaugebiets vertraut. Vertraut sind sie dafür mit den Weinen. Sie lieben ihren Brezza oder Scavino, ihren Chiarlo oder Pira, ihren Borgogno oder Mascarello. Maria Teresa Mascarello, die sich so vehement für den korrekten Gebrauch der Lagenbezeichnungen einsetzt, verzichtet übrigens wie ihr Vater konsequent auf deren Nennung auf dem Etikett ihres eigenen Barolo, obwohl sie sowohl im Herzstück Cannubi einen Hektar Reben besitzt als auch in der Nebenlage San Lorenzo.
Ähnlich ist die Situation bei Giuseppe Rinaldi, dessen Barolo unter Kennern ebenfalls hohes Ansehen genießt. Der größte Teil der Trauben für diesen Wein kommt aus der Lage Cannubi S. Lorenzo. Doch eine Lagenbezeichnung trägt der Wein nicht.
Auch die Nachbarzonen bringen bestes Lesegut hervor
Anders der Barolo von Sandrone. Er heißt Cannubi Boschis, kommt also aus einer der vier Nachbarzonen (aus dem Herzstück von Cannubi stammt nur ein kleiner Teil von Sandrones Trauben). Der Wertschätzung des Weins tut das keinen Abbruch – er ist der teuerste aller Cannubi-Barolo. Das zeigt, dass auch die Unterzonen Spitzen-Lesegut liefern, wenn die Winzer ordentlich arbeiten. Die echte Klassifikation wird also vom Markt gemacht, und die korrespondiert nicht immer mit der Herkunft der Trauben.
Übrigens ist der Streit durch den Gerichtsbeschluss ebenso wenig beigelegt wie der daraus entstandene Kleinkrieg unter den Cannubi-Nachbarn. Ernesto Abbona und seine Mitstreiter wollen sich, so hört man, mit der Niederlage nicht abfinden. Sie planen, das höchste Gericht anzurufen.
Und noch etwas: 2008 war ein großer Jahrgang für den Barolo, nicht nur in der Lage Cannubi.
Die Lagen-Karten stammen von Alessandro Masnaghetti und sind über den Internetshop der Zeitschrift Merum zum Preis von jeweils 7 Euro erhältlich.
Bartolo Mascarello soll geklagt haben. Ist der leider nicht schon seit Jahren tot.
Mit besten Grüssen
W. Meier