Donnerstag, Oktober 10, 2024
13.2 C
München
spot_img

Lugana „Le Creete“ von Ottella: der etwas andere Weiße vom Gardasee

Einfach ist es nicht, den Weg zu den Brüdern Francesco und Michele Montresor zu finden. Autobahnabfahrt Peschiera, dann erstmal vorbei an einer Schlange stinkender Dieseltrucks, die vor der Zahlstelle warten, danach diverse Kreisverkehre mit unübersichtlichen Schilderwäldern, irgendwann ein Linkskabbieger und dann weiter über gewundene Nebenstraßen und -sträßchen. Wem es in dem Straßenlabyrinth südlich des Gardasees gelingt, das Schild mit der Aufschrift „Ottella“ nicht zu übersehen, landet irgendwann tatsächlich auf dem gleichnamigen Weingut: ein stilvoller, alter Veroneser Landsitz, in charakteristischem Altrosa gestrichen und mit mannshohen Kletterrosen an der Fassade. Trotzdem befallen den Ankommenden Zweifel, ob er wirklich am Ziel ist. Denn gleich nebenan verläuft die Autostrada Venezia-Milano – kein Ort, der den Gedanken an guten Wein aufkommen lässt.

Die Autobahn durchschneidet die Weinberge

Weingut Ottella
Weingut Ottella

Doch die Weinberge existierten längst, bevor die Autobahn gebaut wurde. Dass sie sich ausgerechnet durch die Reben hinter dem Haus fressen würde, war nicht vorherzusehen. Verkehrsplaner neigen nicht zu Sentimentalitäten. Aber Reben leiden, soweit man weiß, nicht unter Lärm. So kommt es, dass einer der besten Weißweine des Gardasees an einem ziemlich unromantischen Ort wächst.

Der Wein heißt Le Creete und ist ein Lugana D.O.C. Die drei Buchstaben bedeuten, dass der Wein innerhalb der Grenzen des Anbaugebiet für den Lugana gewachsen und im Einklang mit den Vorschriften erzeugt worden ist. Eine Minimalaussage ohne großen Informationswert. Denn das Anbaugebiet ist groß, und die Trauben für den Le Creete kommen aus einer kleinen, besonderen Lage, die nicht repräsentativ für das ganze Anbaugebiet ist.

Großzügige Vorschriften für den Lugana D.O.C.

Auch wurden die Vorschriften für den Lugana D.O.C. vom Gesetzgeber recht großzügig gestaltet, damit möglichst viele Winzer ihre Weine unter diesem Namen auf den Markt bringen können. Die Vorschriften zu unterbieten und die Qualitätsschraube anzuziehen, ist allerdings nicht verboten. Francesco und Michele Montresor legen für ihren Le Creete zum Beispiel strengere Qualitätskriterien an, als das D.O.C.-Statut sie vorschreibt. Das Resultat: ein Wein, der sich deutlich abhebt von der Masse der Lugana. Er kostet zwar ein paar Euro mehr. Aber die sind gut angelegt, findet Francesco, der ältere der beiden Brüder. „Qualität hat ihren Preis, aber das Schöne ist: man schmeckt sie auch.“

Der Lugana genießt unter deutschen Italienfreunden einen Ruf wie Donnerhall. Viele Restaurants glauben, ohne ihn nicht auszukommen. Italienische Ristoranti haben mindestens einen, oft zwei Lugana auf ihrer Weinkarte. Ob Spaghetti vongole, Penne all’arabiata, Scampi vom Grill oder 4-Jahreszeiten-Pizza – der Weiße vom Gardasee passt sich nahezu jedem Gericht brav an. Viel Eigengeschmack besitzt er eh nicht, und Emotionen ruft er selten hervor – nicht einmal ablehnende: ein zwar korrekter, aber harmloser Wein, der sich perfekt eignet, um gepflegte Langeweile zu verbreiten.

Salzig-würziger Geschmack

Trebbiano di Lugana
Trebbiano di Lugana

Der Le Creete hat mit Langeweile nichts zu tun. Der 2011er, der gerade auf den Markt gekommen ist, duftet wie reifer Apfel und Zitrusfrüchte, ist cremig und druckvoll am Gaumen und hat einen Geschmack, den Francesco und Michele als „salzig-würzig“ bezeichnen würden. Klingt komisch, schmeckt aber genial. Richtig gut ist jetzt der 2010er. Er verströmt einen feinen Birnen-Ingwer-Duft und hat eine mineralisch-rauchige Note entwickelt. Während die meisten Lugana des letzten Jahres schon müde sind, blüht dieser 2010er jetzt richtig auf.

Um zu verstehen, weshalb nicht jeder Lugana die Klasse eines Le Creete hat, muss man ein wenig ausholen. Lugana heißt der Küstenstreifen am Südufer des Gardasees. Dort wird die Sorte Trebbiano di Lugana angebaut, aus der der Wein gekeltert wird. Trebbiano ist die in ganz Italien am häufigsten anzutreffende weiße Traubensorte. Vom Gardasee bis nach Sizilien wird sie angebaut. Der größte Teil des Weins, der aus ihr gewonnen wird, ist jedoch von ziemlich schlichter Art.

Schillernde Rebsorte

Allerdings ist Trebbiano nicht Trebbiano. Die Sorte hat sich im Laufe der Jahrhunderte genetisch verändert. Durch wilde Einkreuzungen und Mutation sind aus der Massensorte Trebbiano in Teilen Italiens „Klone“ entstanden, die mit der Mutterrebe nur noch wenig zu tun haben. Folglich ist auch der Wein ein anderer. In den Marken, also der Region um die Adria-Städte Ancona und Pescara, hat die neue Trebbiano-Spielart sogar einen eigenen Namen: Sie heißt Verdicchio und wird als eigenständige Sorte angesehen, obwohl sie genetisch zur großen Familie der Trebbiano-Gewächse gehört.

Der Trebbiano di Lugana ist zum Beispiel der Verdicchio-Traube ähnlicher als jenem Trebbiano, der auf Sizilien, in der Emila Romagna oder in Venetien wächst. Viele Lugana-Winzer möchten das Trebbiano-Erbe deshalb möglichst aus dem Namen tilgen. Sie nennen die Sorte „Turbiana“ oder einfach „Lugana“.

Nur auf Lehmböden gute Qualitäten

Michele und Francesco Montresor
Michele und Francesco Montresor

Wie sie an den Gardasee gekommen ist, weiß niemand genau. Nachweisbar ist lediglich, dass sie in Sirmione, Desenzano und Peschiera immer die besten Weine ergeben hat, weshalb man 1967, als die D.O.C. für den Lugana eingeführt wurde, festgelegt hat, dass der Wein zu mindestens 90 Prozent aus ihr gewonnen werden muss. In den benachbarten Anbaugebieten kann weit weniger oder gar kein Trebbiano di Lugana in den Weißweinen sein.

Die Böden an der Südseite des Gardasees enthalten einen hohen Anteil an kalkhaltigem Lehm. Dieser Lehm ist nichts anderes als Gletscherschutt, der nach der Eiszeit dorthin verfrachtet wurde. Er enthält viele wertvolle Mineralien. Sie prägen den Wein geschmacklich. Der höchste Lehmanteil befindet sich in den seenahen Gemeinden, also in Sirmione, Peschiera und Teilen von Desenzano. Auf deren 400 Hektar Rebflächen wachsen die besten Weine.

Ausweitung des Anbaugebiets

Doch die Winzer im Hinterland mochten nicht einsehen, dass ihre Weine weniger gut sein sollen. Sie drängten darauf, am Erfolg des Lugana teilzuhaben. So wurde das Anbaugebiet auf 1100 Hektar ausgeweitet. Seitdem darf auch in seefernen Gemeinden wie Pozzolengo und Lonato, deren Böden mehr Sand oder Stein als Lehm enthalten, Lugana produziert werden. Tatsächlich kommt die große Masse der Lugana-Weine heute von dort.

Zurück zum Weingut Ottella: Es befindet sich in San Benedetto, einem Ortsteil von Peschiera. Dort befindet sich der größte Teil der 30 Hektar Weinberge. Deshalb ist auch der Basis-Lugana von Ottella ein Wein, der deutlich über dem Niveau der meisten Lugana liegt. Die Trauben für den Le Creete kommen aus einer besonders guten Lage bei San Benedetto mit einem hohen Anteil an kalkhaltigem Lehm – daher der „salzig-würzige“ Geschmack und die Fähigkeit, seine Frische in der Flasche zu bewahren.

Neue Mode: Lugana lieblich

Im Weinberg Le Creete
Im Weinberg Le Creete

Francesco und Michele führen das Weingut in der fünften Generation. Das Geheimnis ihrer Weine sind nicht nur die guten Lagen. Während es das D.O.C.-Statut erlaubt, bis zu 12.500 Kilogramm Trauben pro Hektar zu ernten, ernten sie nur 9000 Kilogramm. Handlese ist selbstverständlich. Die Vergärung des Le Creete erfolgt nach einem kurzem Schalenkontakt, der Ausbau findet in Edelstahltanks und großen Holzfässern statt.

Übrigens sind alle Ottella-Weine trocken. Die um sich greifende Mode, den Wein mit ein paar Gramm Restzucker auf lieblich zu trimmen, lehnen Francesco und Michele strikt ab. „Wir wollen keinen Modewein machen, sondern suchen nach dem optimalen Ausdruck der Rebsorte auf unseren Böden“, sagt Francesco.

Er ist Präsident des Schutzkonsortiums des Lugana D.O.C., der Interessenvertretung aller Lugana-Winzer und -Weingüter. Die Qualität und den Ruf des Lugana hoch zu halten, ist ihm ein Herzensanliegen. Bruder Michele hat eine andere Mission. Er engagiert sich gegen „Berlusconismus“ in seiner Region. Überhaupt sind Bildung und Kultur für die Familie Montresor wichtige Werte. Der Vater besitzt eine bemerkenswerte Sammlung moderner Kunst. Die Mutter ist eine hoch respektierte Gastgeberin, die ihre Gäste nach traditionellen Rezepten der Gegend bekocht.

Übrigens: Die ersten Lugana-Weine gelangten wahrscheinlich im Kofferraum nach Deutschland. Inzwischen kann man den Kofferraum wieder das Gepäck benutzen. Die Weine werden regulär importiert und sind in ganz Deutschland erhältlich – auch die von Ottella.

 

- Anzeige -spot_img

2 Kommentare

- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img