Während der Wein noch in den Tanks gärt, wird über den neuen Jahrgang in Bordeaux schon wild spekuliert. Auf Château Ausone in St. Emilion hält man den 2020er für definitiv besser als die beiden Vorgängerjahrgänge, die bekanntlich mit Superlativen überhäuft worden waren. Beim Nachbarn Cheval Blanc ist man vorsichtiger. Dort hält man 2020 für einen sehr guten, aber keinen herausragenden Jahrgang. Auf Vieux Château Certan und La Conseillante, beide in Pomerol, vergleicht man den 2020er mit dem 2016er, der seinerzeit als großer Jahrgang gefeiert worden war. Am linken Ufer ist man nicht ganz so enthusiastisch, macht aber keinen Hehl daraus, dass die Erwartungen auch in diesem Jahr in Richtung eines sehr guten Jahrgangs gehen. Das Gespräch mit Frédéric Faye führte der in Bordeaux ansässige englische Weinjournalist Andrew Black am 5. Oktober, vier Tage, nachdem die letzte Traube eingebracht worden war.
Andrew Black Figeac begann dieses Jahr als einer der ersten mit der Lese, wie schon 2019. Warum so früh?
Frédéric Faye Wir starteten am 4. September in den jungen Merlot-Anlagen und endeten am 1. Oktober mit den alten Cabernets. Die Menge ist etwas höher als im Vorjahr…
Andrew Black …das ist überraschend. Die Nachbarn von Château Figeac sprechen von bis zu 30 Prozent Minderertrag in 2020.
Frédéric Faye Nicht bei uns. Die Blüte war in 2020 problemlos vonstatten gegangen, während wir in 2019 Probleme mit dem Verrieseln hatten. Damit waren die Voraussetzungen für eine Normalernte schon mal gegeben. Und was die Trockenheit im Sommer betrifft: Vergessen Sie nicht, dass unter dem Kiesbett unserer Weinberge Adern von blauem Lehm verlaufen, die Wasser speichern und die Rebstöcke auch in Trockenperioden mit Feuchtigkeit versorgen. Die meisten unserer Reben litten nicht unter Trockenstress, außer den jungen Merlot-Anlagen. Deshalb haben wir dort schon so früh geerntet.
Andrew Black Was können Sie zur Qualität des Jahrgangs 2020 sagen? Man spricht von hohen Tanninwerten…
Frédéric Faye 2020 ergibt aromatische, geschmeidige Weine. Sicher, die Tanninkonzentration ist hoch. Deshalb vinifizieren wir auch mit großer Sorgfalt. „Sanfte Extraktion“ heißt die Parole. Obwohl 2020 wieder ein heißes année solaire war, wie wir sagen, macht der Wein einen ganz anderen Eindruck. Er ist das Gegenteil von dem, was man erwarten könnte: Er ist von Frucht und Frische geprägt.
Andrew Black Das erinnert an 2016?
Frédéric Faye Im Moment fällt mir ein Vergleich schwer. Was ich jetzt sagen kann, ist, dass unser Merlot sogar besser als letztes Jahr ist. Und für Cabernet franc und Cabernet Sauvignon bin ich auch zuversichtlich. Für ein abschliessendes Urteil ist es jedoch noch zu früh.
Andrew Black Wie kommt es, dass die Weine trotz der warm-heißen letzten Jahrgänge so viel Frische zeigen und nicht schwer und marmeladig ausfallen?
Frédéric Faye Erstens scheinen sich die Reben an das warm-heiße Klima mit den trockenen Sommern zu gewöhnen. Zweitens haben wir unsere Weinbergsarbeit an die neue Situation angepasst. Wir gestalten die Laubwand so, dass die Trauben vor Sonneneinstrahlung geschützt werden. Und wir dünnen nicht zu stark aus. Eine etwas größere Menge bedeutet mehr Frische und Aroma.
Andrew Black Was ist der Unterschied zwischen 2020 und 2019?
Frédéric Faye Der Hauptunterschied ist, dass 2020 eine dichtere mid palate hat, also einen dichteren Kern.
Andrew Black Es gibt unterschiedliche Angaben über den Alkoholgehalt der 2020er. Man spricht von niedrigeren Werten als normal…
Frédéric Faye Unser Merlot liegt zwischen 13,8 und 14 Vol.%, was etwas niedriger als im Vorjahr ist. Die Cabernets liegen dafür etwas höher, so um die 14 Vol.%..
Andrew Black In Bordeaux scheint es keine kleinen Jahrgänge mehr zu geben. Wie kommt das?
Frédéric Faye Das Klima hat sich in den letzten 6 bis 7 Jahren verändert. Es ist nicht nur heißer und trockener geworden. Es gibt auch mehr Spätfröste, häufigere plötzliche Kälteeinbrüche und mehr Starkregen. Wenn die Winzer mit diesen extremen Bedingungen zurecht kommen und ihre Weinbergsarbeit entsprechend umstellen, gibt es die Chance, jedes Jahr große Weine zu bekommen. Aber man muss mehr Zeit in die Weinbergsarbeit investieren, und das kann sich nicht jeder leisten.
Andrew Black Wie frustierend war es für Sie, dass in diesem Jahr wegen des Lockdowns keine en primeur-Präsentation stattfinden konnte?
Frédéric Faye Es war nicht so schlimm, wie Sie denken. In Gesprächen mit den Négioçiants und Importeuren haben wir schnell gemerkt, dass ein großes Interesse am 2019er bestand, auch schon vor Bekanntgabe der Preissenkungen. Vor allem von Seiten der privaten Konsumenten haben wir sehr positive Signale bekommen. Nachdem die Kampagne mit den Preissenkungen dann erfolgreich angelaufen war, hat auch Figeac sich entschlossen mitzumachen.
Andrew Black Trotz der Preissenkungen?
Frédéric Faye Wir haben die Angelegenheit sehr sorgfältig en famille diskutiert und dann den Entschluss gefasst, dass auch wir mit einer substantiellen Preissenkung in den Markt gehen, nämlich mit einem Abschlag von 31 Prozent auf den Preis des 2018ers.
Andrew Black Wie lange hat es gedauert, bis der Jahrgang verkauft war?
Frédéric Faye Insgesamt 25 Minuten. Aber man muss dazu sagen, dass die Käufer auf den Figeac gewartet hatten. Sie wussten vom Preisnachlass und mussten nicht lange überlegen.
Andrew Black Haben Sie die gesamte Produktion angeboten?
Frédéric Faye 91 Prozent. Ich sehe keinen Anlass, einen Teil der Produktion zurückzuhalten, um ihn eventuell später zu einem höheren Preis auf den Markt zu bringen. Der en primeur-Markt funkioniert. Wir werden unsere Weine auch weiterhin dort anbieten.
Andrew Black Ich habe gehört, dass die 2019er anderer Châteaux ebenfalls weggingen wie warme Semmeln. Glauben Sie, dass das für ganz Bordeaux gilt?
Frédéric Faye Nur ein kleiner Teil der Châteaux verkauft so schnell und so leicht – vielleicht 40 Châteaux insgesamt. Figeac gehört zu diesen happy few.
Andrew Black Man spricht davon, dass eine Marktkorrektur auch ohne die Covid-Pandemie gekommen wäre, aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation.
Frédéric Faye Wahrscheinlich, aber nicht in dem Ausmaß.
Andrew Black Sie haben die starke Nachfrage von Privatkunden erwähnt. Woher wissen Sie, dass die 2019er auch wirklich bei den Privatkunden ankommen und nicht nur bei den Spekulanten?
Frédéric Faye Weil die Négioçiants einen hervorragenden Job machen und ihre Allokationen auf viele kleine Märkte aufteilen. Damit wird verhindert, dass Spekulanten große Mengen wegschnappen. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass private Weintrinker Zugang zu den 2019ern bekommen.
Danke vielmals für dieses interessante Interview, dass sie geführt haben. Gibt tolle Einblicke in die ganze Breite des Tun’s und Handeln’s eines Top-Gutes. Bin extrem gespannt auf das Offering für die 2020er Weine.