2009 Riflessi Rosso – Analyse eines “Frauenweins”

Gerhard Strunz, Italienweinhändler aus Garmisch-Partenkirchen, hat weinkenner.de eine Flasche Rotwein geschickt und gebeten ihn zu probieren. Jens Priewe ist der Bitte nachgekommen und hat einen perfekt gemachten Wein zu einem sensationell guten Preis von sechs Euro vorgefunden. Geschmeckt hat er ihm jedoch nicht. Und kaufen würde er ihn nie. „Wusste ich“, schmunzelt Strunz durchs Telefon. „Diesen Wein kaufen praktisch nur Frauen, und zwar kartonweise.“

Ger­hard Strunz, Ita­li­en­wein­händ­ler aus Garmisch-Partenkirchen, hat weinkenner.de eine Fla­sche Rot­wein geschickt und gebe­ten ihn zu pro­bie­ren. Jens Prie­we ist der Bit­te nach­ge­kom­men und hat einen per­fekt gemach­ten Wein zu einem sen­sa­tio­nell guten Preis von sechs Euro vor­ge­fun­den. Geschmeckt hat er ihm jedoch nicht. Und kau­fen wür­de er ihn nie. „Wuss­te ich“, schmun­zelt Strunz durchs Tele­fon. „Die­sen Wein kau­fen prak­tisch nur Frau­en, und zwar kartonweise.“

Der Rifles­si Rosso gehört zu jenen Wei­nen, über die auch Ita­li­en­ken­ner nicht zwangs­läu­fig stol­pern. Er kommt aus der wein­bau­lich unauf­fäl­ligs­ten Regi­on Ita­li­ens, näm­lich aus Lati­um. Das Anbau­ge­biet heißt Cir­ceo. Eben­so unbe­kannt das Wein­gut: Azi­en­da Agri­co­la Sant’Andrea. Im Gam­be­ro Rosso, dem wich­tigs­ten ita­lie­ni­schen Wein­füh­rer, ist es zwar auf­ge­führt. Der Rifles­si Rosso wur­de aber nur mit einem Glas aus­ge­zeich­net, der nied­rigs­ten Wertung.

Riflessi RossoEin dun­kel­ru­bin­ro­ter, pflau­men­fruch­ti­ger Wein, der zu hun­dert Pro­zent aus Mer­lot­trau­ben gewon­nen wur­de, aber im Gegen­satz zu den berühm­ten Mer­lots der Welt fast tan­nin­los ist. Ein per­fekt gemach­ter, aber völ­lig span­nungs­lo­ser Wein, der schmu­se­weich am Gau­men liegt und spä­tes­tens nach dem zwei­ten Glas nur noch lang­weilt. Sagt der Kritiker.

„Ein Wein, der nicht nach den Kri­te­ri­en der Wein­kri­ti­ker gemacht ist“, kon­tert Ger­hard Strunz, Wein­händ­ler aus Garmisch-Partenkirchen, den sie wegen sei­ner Ita­li­en­af­fi­ni­tät „Gerar­do“ nen­nen. Er hat die­sen Wein vor drei Jah­ren unter größ­ten Beden­ken ins Sor­ti­ment genom­men, nicht ahnend, das er sich zu einem ech­ten Best­sel­ler ent­wi­ckeln wür­de. Mehr noch: zu einem Schlüs­sel­wein. „Und der Clou ist, dass die­ser Wein fast nur von Frau­en gekauft wird. Sie kom­men in den Laden, fra­gen gezielt nach die­sem Wein und neh­men ihn kar­ton­wei­se mit.“

Tobias StrunzStrunz ist ein Wein­händ­ler von altem Schrot und Korn. Er ist stolz auf sei­ne Baro­lo, sei­ne Ama­ro­ne, die tos­ka­ni­schen Roten, die er im Kel­ler hat. Aber er hat gemerkt, dass vie­le Kun­den etwas ganz ande­res als sol­che Pres­ti­ge­wei­ne wol­len: ein­fa­che­re, unkom­pli­zier­te Wei­ne, die den Gau­men umschmei­cheln und kei­ne lang­at­mi­gen Erklä­run­gen benö­ti­gen. Wei­ne, die nicht wie ein Fremd­kör­per auf der Zun­ge las­ten, son­dern aus­sa­ge­kräf­tig sind und geschmei­dig über den Gau­men gleiten.

Dass der Rifles­si Rosso ein Wein ist, auf den die Frau­en flie­gen, ahn­te Gerar­do nicht. Er wur­de selbst über­rascht vom Erfolg die­ses Wein beim weib­li­chen Publi­kum. Zufall? Glaubt er nicht. Der nied­ri­ge Preis von sechs Euro? „Erleich­tert bestimmt die Kauf­ent­schei­dung. Aber war­um grei­fen dann nicht auch Män­ner zu?“

Funk­tio­nie­ren­de Mund­pro­pa­gan­da unter Frau­en in einer Klein­stadt wie Garmisch-Partenkirchen? Wenig wahr­schein­lich: „Dadurch dass wir auch online ver­kau­fen, haben wir Kun­den in ganz Deutsch­land, sogar in ganz Euro­pa. Etwa in Öster­reich, in der Schweiz, in den Nie­der­lan­den. Auch unter die­sen Kun­den sind es fast nur Frau­en, die den Rifles­si Rosso bestellen.“

GerardoFür die wun­der­sa­me Anzie­hungs­kraft die­ses Wein auf Frau­en hat „Gerar­do“ eine Theo­rie: „Vie­le Frau­en mögen kein Tan­nin. Sie lie­ben sanf­te Wei­ne mit mil­der Säu­re und viel Frucht. Der Rifles­si Rosso ist so ein Wein. Er stand nur kurz auf der Mai­sche und wur­de teil­wei­se nach der maçe­ra­ti­on car­bo­ni­que, also nach der Beaujolais-Methode, ver­go­ren. Dadurch ist er so geschmei­dig und fruchtbetont.“

Mögen Frau­en kein Tan­nin? Jenes Ele­ment, das nach Exper­ten­mei­nung einen guten Bor­deaux, einen guten Baro­lo, einen guten Mer­lot aus­macht? Auch Tobi­as Strunz, „Gerar­dos“ 31jähriger Sohn glaubt, dass vie­le Frau­en mit dem oft pel­zi­gen, sprö­den Tan­nin in jun­gen Rot­wei­nen nicht klar kom­men. Er war übri­gens ver­ant­wort­lich für die Auf­nah­me des Rifles­si Rosso ins Sor­ti­ment: „Ein rich­ti­ger Frau­en­wein, der beim weib­li­chen Publi­kum sehr gut ankommt, da er über etwas Rest­sü­ße und eine gerin­ge Bit­ter­keit verfügt.“

Strunz gesteht, dass er sich anfangs geschämt hat für den Wein. Inzwi­schen sagt er: „Ich kann mit dem Wein leben.“ Sogar von dem Wein leben – für einen Wein­händ­ler nicht ganz unwich­tig (www.gerardo.de).

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