Eigentlich sollte es eine Weinprobe zu sechst werden. Doch dann begannen die Semesterferien – und weg waren de lieben Mittrinker. Zurück blieben nur der Diplom-Biologe Michael, damals noch 29, der Biologiedoktorant Marco, 28, die Master-Studentin Lisa, 25, sowie die Zootierpflegerin Ramona, 30. Alle sind an der Universität Kaiserslautern beschäftigt.
An einem warmen August-Sonntag trafen sich die Vier zum Grillen im Hof der Uni und bruzzelten Würstchen, Rindermedaillons und Gemüsespieße. Für den Wein hatten sie sich von zu Hause große Spiegelau-Kelche mitgebracht. Der Weißwein stand auf Eis, die Roten waren vorgekühlt und befanden sich in einer Kühlbox, damit sie angesichts der sommerlichen Temperaturen nicht zu warm wurden.
Casillero del Diablo – erfolgreichster chilenischer Brand
Die Weine, die wir von weinkenner.de den jungen Akademikern zur Verkostung gegeben hatten, kamen von der größten Kellerei in Chile: Concha y Toro. Die Menge der Flaschen, die die Kellerei jedes Jahr füllt, liegt im zweistelligen Millionenbereich. Ihr Sortiment ist in zahlreiche „Marken“ untergliedert: einfache, mittelklassige, hochpreisige Weine. Die Marke Casillero del Diablo ist ein weltweit hoch erfolgreicher Premium-Brand, der sich durch ein ausgezeichnetes Preis-/Leistungsverhältnis auszeichnet.
Die Chilenen sind Trikotsponsor des Premier-League-Vereins Manchester United, in England auch „die roten Teufel“ genannt. Die Spieler tragen den Schriftzug des Weins auf der Brust. Casillero del Diablo bedeutet „Teufelskeller“.
Die Weine sind in Deutschland sowohl über Weinfachhandlungen als auch im gehobenen Lebensmittelhandel wie EDEKA, Galeria Kaufhof etc. erhältlich. Sie kosten zwischen 6,45 und 8,50 Euro pro Flasche, die Reserva Privada rund 12 Euro.
Übrigens: Alle Flaschen, die wir nach Kaierslautern geliefert haben, waren von Vorder- und Rückenetikett sowie Kapseln befreit. Es sollte ja eine Blindprobe sein. Um Voreingenommenheit und Vorurteile zu vermeiden, sollte niemand wissen, woher die Weine kommen.
2011 Chardonnay Reserva
Der Chardonnay wird von allen vier Testern als süffiger, aber nicht sonderlich interessanter Wein empfunden. Michael erkennt, dass es sich bei ihm um „einen jungen Chardonnay“ handelt. „Der Geruch verspricht etwas Warmes, Schweres, Fruchtiges“, glaubt Ramona, findet aber, dass sich dieser Eindruck im Geschmack nicht adäquat wiederfindet. Lisa beschreibt den Wein als „mild, neutral und etwas langweilig“. Marco findet ihn „ausgewogen, aber nicht aussagekräftig“. Keiner würde für den Wein mehr als vier Euro ausgeben.
Kommentar von Jens Priewe: Handwerklich ist der Wein perfekt. Die typische tropical fruit-Nase: Ananas, Banane, ein wenig Zitrus. Durchaus lecker. Was viele Übersee-Chardonnays so unattraktiv macht, ist hier vermieden: keine Röstaromen, keine „nussigen“ Noten, kein Petrolton. Stattdessen Frische. Wer diesen Chardonnay gut kühlt und dann zu Scampi, Wokgemüse oder Geflügelgeschnetzeltem trinkt, kann seinen Spaß an ihm haben. Langweilig ist der Wein insofern, als er einem Typus von Chardonnay entspricht, den es in Südafrika, Australien, Kalifornien häufig in ähnlicher Stilistik gibt. Aber für 6,99 Euro kann es keine Terroir-Weine geben. Wem Chardonnay nicht gerade zu den Ohren raushängt, müsste mit diesem Wein eigentlich auf seine Kosten kommen.
Weininfo: Chardonnay ist die wichtigste weiße Rebsorte in Chile. Sie wird in einem kleinen Küstenstrich direkt am Pazifischen Ozean angebaut, wo die kühlen Nebelschwaden und Seewinde dafür sorgen, dass sich die heißen Tagestemperaturen nachts rapide abkühlen. Dadurch erhält der Wein seine Frische. 35 Prozent wurde in französischen Barriques vergoren, 65 Prozent in Stahltanks (6 bis 8 Monate). Danach wurden beide Partien miteinander verschnitten.
2011 Merlot Reserva
Die Meinung über diesen Wein ist einhellig positiv: „Schmeckt nach Brombeere, ist rund und stimmig“, meint Marco. „Gute Harmonie von Duft und Geschmack“, attestiert ihm Michael und findet, dass er wie 9,50 Euro schmeckt. Ramona lobt die „schwere Süße sowohl im Geruch als auch im Geschmack“. Für Lisa ist dieser Merlot „auf jeden Fall besser als Wein 3 und 4 der Probe“ (das sind Cabernet Sauvignon und Carmenère). Sie vermutet, dass er um die 8,10 Euro kostet. Auch im Glas gefällt er ihr gut („farblich schön“).
Kommentar von Jens Priewe: Ein bemerkenswert dichter Wein, in der Farbe dunkel mit blau-roten Reflexen, relativ konzentriert, erdig-fleischige Noten, eigentlich noch zu jung zum Trinken. Er ist anspruchsvoll, keineswegs gefällig, vor allem nicht marmeladig. Für rund 7 Euro bietet er, finde ich, viel Wein für wenig Geld.
Weininfo: Der Merlot wächst auf dem Talgrund des Colchagua Valley und Cachapoal Valley, rund 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile. Aus diesen beiden Tälern kommen einige der besten Rotweine Chiles. Dieser Wein reifte zu 40 Prozent im Stahltank und zu 60 Prozent in kleinen Barriques aus französischer und amerikanischer Eiche (8 Monate). Danach wurden beide Partien miteinander verschnitten.
2010 Cabernet Sauvignon Reserva
Der Cabernet Sauvignon, eigentlich Chiles Paradewein, kann die vier jungen Weinliebhaber nicht zufrieden stellen. „Riecht sehr gut, geschmacklich aber enttäuschend“, sagt Lisa. „Riecht wie ein Bordeaux, hat aber wenig Geschmack“, pflichtet ihr Marco bei. Michael meint: „Wird nach drei Stunden wesentlich weicher, ist aber immer noch relativ flach und kurz im Abgang.“ Er und Ramona würden für den Wein nicht mehr als 3 Euro ausgeben. Lisa bleibt bei „langweilig“.
Kommentar von Jens Priewe: In Deutschland ist dieser Wein ein Bestseller. Doch im Jahrgang 2010 ist dieser Cabernet Sauvignon wenig eindrucksvoll: schon in der Nase streng mit dominanter Eukalyputs-Note, am Gaumen schwach, unpräzise, wenig nachhaltig. Insgesamt recht locker gewoben. Ein Wein, der, weil schon gut entwickelt, auf den ersten Schluck „lecker“ schmecken mag, doch dann ziemlich sang- und klanglos hinter den Papillen verrinnt.
Weininfo: Die Trauben für den Cabernet Sauvignon stammen aus dem gesamten Central Valley Chiles. So heißt die trockene Hochebene, die sich von der Hauptstadt 400 Kilometer südlich bis nach Cùrico hinzieht. Auch dieser Weine reifte zu 40 Prozent im Stahltank und zu 60 Prozent in kleinen Barriques, allerdings ausschließlich aus würziger amerikanischer Eiche (8 Monate). Danach wurden beide Partien miteinander verschnitten.
2010 Carmenère Reserva
Die Begeistung für den Carmenère hielt sich bei der Gruppe in Grenzen. „Riecht alkoholisch und schmeckt säuerlicher als die Nummer 4“, schreibt Lisa, die am wenigsten mit diesem Wein anfangen kann und ihn mit einem ☹ abstraft (Nummer 4 war der Cabernet Sauvignon). Aber auch die anderen finden, dass der Wein nach dem Öffnen der Flasche eine „dominante Schärfe“ (Michael) aufweist, an „rote Paprika“ erinnert (Ramona). Am Ende des Abends, als der Rest der Flasche noch einmal nachverkostet wird, ist der Eindruck etwas besser. „Angenehm weich“ findet Marco den Wein jetzt. Für ihn riecht er „wie ein Cabernet nach Blaubeeren und Lavendel“. Und Michael schreibt: „Gewinnt mit der Zeit. Säure und Pfeffer werden deutlich dezenter.“
Kommentar von Jens Priewe: Für mich ist dieser Carmenère der beste Rotwein der Probe, wenngleich ich zugeben muss: auch der schwierigste. Erst sechs, sieben Stunden nach Öffnen der Flasche hat er sich gefunden. Ein kompakter, muskulöser Wein, im Gegensatz zu vielen chilenischen Carmenères nicht nach altem Leder und Marmelade schmeckend, sondern frisch, fruchtbetont, blitzsauber. Macht richtig Druck am Gaumen, bringt viel Tannin mit, hat Potenzial für weitere Jahre.
Weininfo: Carmenère ist eine ursprünglich aus Bordeaux stammende, dort aber seit etwa 1900 praktisch gar nicht mehr angebaute rote Rebsorte, die ihre neue Heimat in Chile gefunden hat. Sie wird vor allem im Cachapoal Valley und im warmen Colchagua Valley angebaut, wo sie jedes Jahr voll ausreifen kann und intensive, charakterstarke, „typisch chilenische“ Weine ergibt. Der Camenère reifte zu 40 Prozent im Stahltank und zu 60 Prozent in Barriques aus amerikanischer Eiche (9 Monate). Danach wurden beide Partien miteinander verschnitten.
2010 Cabernet Sauvignon–Syrah Reserva Privada
Haben sich die vier Freunde gegenseitig beeinflusst? Für alle ist die Reserva Privada der beste der gesamten Probe. „Milder, ausgewogener Geruch von Rosen und reifem Apfel“ notiert Ramona auf ihrem Probenzettel. Marco findet ihn „komplex“ und bescheinigt ihm geschmacklich „warmen Schmelz, nahe am Tempranillo“. Ein Rioja? Mit 13 Euro taxiert er ihn wie eine gute Reserva. Genauso wie Michael, der sogar bereit wäre, 15 Euro für diesen Wein zu bezahlen: „Mein Favorit unter den Weinen.“ Lisa sagt kurz und knapp: „Schmeckt richtig guuut! ☺.“
Kommentar von Jens Priewe: Dunkler, herrlich wärmender Wein mit würziger, leicht nach Vanille und Minze duftendem Bouquet, geschliffener Frucht, leider noch etwas verschlossen. Doch durch das weiche, perfekt verschmolzene Tannin ist er schon jetzt gut antrinkbar. Mit 14,5 Vol.% gehört er sicher zu den Schwergewichten unter den Rotweinen Chiles. Doch man muss ja nicht eine ganze Flasche auf einmal trinken. Ein, zwei Glas reichen, damit das Steak schmeckt. Selbst der grüne Pfeffer, der in Chile wächst und mit dem das Steak bei meinem Besuch auf dem Weingut vor vielen Jahren gewürzt war, konnte diesem Wein nichts anhaben…
Weininfo: Der überwiegende Teil des Weins (65 Prozent) ist aus Cabernet Sauvignon-Trauben aus Pirque gewonnen, einer der besten, wärmsten Weinlagen Chiles, gelegen an der südlichen Peripherie von Santiago de Chile. Die Syrah-Trauben kommen aus Peumo, einer Lage im kühleren Cachapoal Valley. Beide Partien reiften 14 Monate in Barriques aus französischer Eiche, bevor sie miteinander verschnitten wurden.