„Weg mit den elektrischen Rebscheren!“
Mit diesem Befehl vom Winter 2011, begann eine neue Ära der Weinbergsarbeit im Würzburger Juliusspital. Peter Rudloff, der Weinbergsmeister, hatte die Parole ausgegeben: „Wir haben uns für den schonenden Rebschnitt entschieden, und für den braucht man keine Elektroscheren.“
Stattdessen wurden die alten, mit der Kraft der Hände funktionierenden Scheren wieder herausgeholt, um die Reben zu gestutzt. Rudloff gesteht: „Meine Leute waren von der Anweisung anfangs nicht begeistert. Aber bald haben sie gemerkt, daß sie durch dünnes, junges Holz mühelos auch mit den traditionellen Rebscheren kommen.“
Schonend für die Rebe, schonend auch für die menschliche Hand
Schonender Rebschnitt? Seit Jahrhunderten werden die Rebstöcke, nachdem sie abgeerntet sind, beschnitten. Die Triebe, an denen die Trauben hingen, werden entfernt. Beim Guyot-Erziehungssystem wird gar der ganze Rebschenkel abgeschnitten. Ohne den winterlichen Beschnitt würde der Rebstock im nächsten Jahr zu viele Triebe mit zu vielen Trauben entwickeln.
Wo genau die Schnitte gesetzt werden, dafür gibt es feste Regeln (siehe Erziehungssysteme). Der Winzer lernt sie an der Weinbauschule oder während der Winzerlehre. Um die Handmuskeln zu entlasten, hat sich die elektrische Rebschere durchgesetzt, vor allem bei Rebanlagen, die nach dem Guyot-System oder verwandten Erziehungssystemen angelegt sind. Da sind zwar nur wenige Schnitte nötig. Aber das „alte“ Holz, auf dem die Triebe wachsen, ist relativ dick. Entsprechend viel Kraft ist nötig, um den Schnitt auszuführen.
„Die Reben sind äußerlich gesund, aber von innen krank“,
„Damals haben wir im Juliusspital unsere gesamte Arbeit in Keller und Weinberg überprüft und überlegt, ob wir noch auf dem richtigen Kurs sind“, erinnert sich Rudloff. Dabei kamen die Verantwortlichen zu dem Schluß, daß manchen Weinen der letzte Kick, anderen der Spannungsbogen fehlte. Einer der Vorschläge, um dieses Manko zu beheben, war die Umstellung auf den Schonenden Rebschnitt: „Die Reben sind äußerlich gesund, aber von innen krank“, hat Rudloff festgestellt, nachdem er mehrere Stöcke durch MRT (Magnetresonanztomografie) geschickt hatte. Ursache: falsche Schnitttechnik.
Beim Schonenden Rebschnitt werden die Schnitte so angesetzt, dass die Leitungsbahnen im Inneren des Holzes nicht beschädigt werden. „Die Leitungen der Rebe müssen frei bleiben, damit der Saftfluss gewährleistet ist“, erläutert Rudloff. „Dazu schneiden wir nur junges Holz, maximal einjähriges. Und für das junge Holz braucht man keine elektrischen Scheren. Eine normale Rebschere reicht. Mit ihr lässt sich der Schnitt viel präziser setzen.“
Das tote Holz zwingt den Saftfluß zu Umwegen
Den Sinn des sanften Rebschnitts versteht man erst, wenn man sich eine Rebe genauer anschaut. Würde man sie nicht beschneiden, würde sie in die Höhe klettern wie eine Liane. Deshalb muss der Winzer Winter für Winter den größten Teil des Holzes wegschneiden. Leider kann die Rebe – anders als ein Baum – ihre Wunden nicht verschließen. Sie harzt nicht. Die Wunden trocknen einfach aus.
Da die Gefäße, die den abgeschnittenen Trieb versorgt haben, nicht mehr gebraucht werden, vertrocknen auch sie. Unter der Schnittstelle bildet sich ein dunkelbrauner Kegel aus totem Holz, der in das gesunde Holz hineinragt und die Leitungsbahnen blockiert. So entsteht bei konventionell geschnittenen Reben im Lauf der Jahre ein faustgroßer Knoten, aus dem Jahr für Jahr die neuen Fruchtruten wachsen.
Dieser Knoten ist durchsetzt von trockenen Stellen. Das heißt: die Rebe muss ihren Saftfluss jede Saison neu organisieren. Sie muss Umwege suchen oder sich durch verengte Leitungsbahnen zwängen. Das kostet Kraft und Energie. Nicht selten werden die jungen Triebe dabei unterversorgt.
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Die Erfinder kommen aus dem Friaul
Propagiert und praktiziert wird der sanfte Rebschnitt von zwei Italienern aus dem Friaul: Marco Simonit und Pierpaolo Sirch. Ihnen gehört das Unternehmen „Simonit&Sirch – Pruning Guys“, was so viel heißt wie „Rebschnitt-Typen“. Sie und ihre Mitarbeiter arbeiten inzwischen auf Châteaux wie Latour, Pichon-Lalande, d’Yquem, Haut Bailly.
Simonit begann sich irgendwann zu fragen, welche Auswirkung der Rebschnitt auf die Anatomie der Reben hat. Er ging mit alten, abgestorbenen Rebstöcken zu einem Zimmermann, ließ das Holz in der Mitte durchsägen und entdeckte unter den verheilten Schnitten die vertrockneten Kegel. Daraufhin fuhr er viel in Europa herum, besuchte Weinberge und sprach mit Winzern.
Die gesundesten Reben fand er an Orten, an denen die Intensivierung des Weinbaus der 1970er Jahre vorübergegangen war. Denn die traditionelle Schnitttechnik, die er propagiert, ist keineswegs seine eigene Erfindung. Das Wissen um den richtigen Fluss der Säfte in der Rebe war früher Allgemeinwissen unter Winzern. Die zunehmende Technisierung und Mechanisierung der Arbeit im Weinberg – beispielsweise elektrischen Rebscheren – ließen dieses Wissen langsam in Vergessenheit geraten.
Wenn Simonit eine Rebe sanft schneidet, verfolgt er damit zwei Ziele. Zum einen fügt er der Pflanze so wenig Verletzungen wie möglich zu. Zum anderen vermeidet er große Schnitte und schneidet nur junge, ein oder zwei Jahre alte Triebe beziehungsweise Fruchtruten. Er strebt danach, dass sich statt eines Kopfes zwei seitliche Äste bilden, auf denen die Triebe wachsen. Die Saftströme können unter den Schnittwunden hindurch in die Triebe und von dort in die Blätter und Trauben fließen.
Auch für den Kampf gegen Esca geeignet
Für die Rebstöcke hat diese Schnitttechnik gleich mehrere positive Effekte:
- eine gleichmässigere Blüte
- eine einheitliche Traubenreife
- konstantere Erträge
- längeres Leben
Dazu kommt eine grössere Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit – ein wichtiger Gesichtspunkt in Zeiten globaler Erwärmung.
„Klimatisch nähern wir uns in Deutschland dem Süden Europas,“ warnt Rudloff.
„Und wenn die Leitungsbahnen im Rebstamm frei sind, fungiert das Holz als Speicher. Bei großer Hitze kann das Wasser, das dort gespeichert ist, die Rebe kühlen und eine Zeit lang versorgen.“ Auch andere Weingüter in Deutschland praktizieren inzwischen den Schonenden Rebschnitt: Gunter Künstler, Bürklin-Wolf, Odinstal, Heitlinger und Würzburger Bürgerspital zum Beispiel. In Österreich haben Winzer wie Jurtschitsch und Fred Loimer die Schnitttechnik der Italiener übernommen.
Ebenso wichtig kann der Schonende Rebschnitt für die Bekämpfung einer der gefährlichsten Rebkrankheiten sein, die von Südeuropa kommend zunehmend auch die nördlich der Alpen liegenden Weinberge befällt: Esca.
Die pathogenen Pilze dringen über die Schnittwunden ins Holz ein und führen innerhalb weniger Jahre zum Absterben der Rebe. Schonender Rebschnitt – das beteuern zahlreiche Winzer südlich der Alpen – ist in der Lage, die Ausbreitung von Esca zu bremsen.