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Österreich im Pet Nat-Fieber: Funky unterm Weihnachtsbaum

Pet Nat steht für Pétillant Naturel. Gemeint sind damit Weissweine, die noch gärend auf die Flasche gezogen wurden und dort ihre Gärung beenden. Da die Flasche mit einem Kronkork verschlossen ist, kann das CO2 nicht entweichen. Es bleibt im Wein gelöst. Im Gegensatz zur klassischen Flaschengärung – etwa Champagner – wird der Wein in der Regel weder entheft („degorgiert“) noch wird ihm Dosage (Zucker) hinzugefügt. Er ist also mehr oder minder trüb. Und das Tollste: Er wird mit Kronkork verschlossen. Man braucht für ihn also keinen Korkenzieher, sondern nur einen Flaschenöffner.

Die meisten Pet Nats sind Perlweine

Pet Nats sollen bewusst anders schmecken als Sekte. Sie enthalten keine Süß-Dosage, wie sie den Winzersekten (und auch dem Champagner) vor der Verkorkung fast immer hinzugefügt  wird. Und sie sind gänzlich ungeschwefelt. Die meisten sind Perlweine – schäumen also nur schwach. Sie entwickeln nur 2,5 Atmosphären Druck. „Sprudler“ nennen viele österreichische Pet Nat-Produzenten deshalb ihre Produkte – nicht abwertend, sondern durchaus stolz.

Kann sein, dass ein Pet Nat etwas strange schmeckt

Auf die junge Winzergeneration übt die Idee eines natürlich vergorenen und versekteten Weins eine große Faszination aus.  Sie haben die Idee, nicht nur im Weinberg, sondern auch im Keller so natürlich wie möglich zu arbeiten und auf alle herkömmlichen Weinbehandlungsmittel zu verzichten, also auch auf jegliche Schönungsmittel,. Auf Reinzuchthefen verzichten sie sowieso. Aber wenn ein Wein mit wilden Hefen vergoren wird und hinterher noch monatelang auf diesen Hefen liegt (bei Stillweinen werden die Hefen nach Ende der Gärung weggefiltert), kann es sein, das der Wein etwas strange schmeckt. Und genau das tun viele Pet Nats. Ich habe Pet Nats getrunken, die nach Senfkörnern, nach Mehlstaub und nach Gurkenwasser schmeckten – für Harmonieliebhaber nicht einfach, schon gar nicht Weihnachten

Jede Flasche schmeckt anders

Pet Nats werden gern als funky bezeichnet.  Zu deutsch: abgefahren. Jede Flasche schmeckt ein bisschen anders, weil die Hefen in ihr anders arbeiten. Die wenigsten Pet Nat sind knochentrocken. Die meisten weisen eine leichte Restsüße auf, weil die Gärung aus irgendwelchen Gründen stehen geblieben ist, bevor das letzte Gramm Zucker umgewandelt wurde. Warum das passiert ist, wissen auch die Winzer nicht. Die Natur hat es so gewollt. Vielleicht ist das der Grund, warum junge Weintrinker so sehr auf Pet Nat stehen. Sie lieben das Unberechenbare, das Verrückte, das Abenteuer. Wer braucht schon Champagner, wenn es Pet Nat gibt? fragen sie.

Für die Méthode Ancestrale braucht es keine Technik

Erfunden wurde der Pétillant Naturel in Frankreich. Wahrscheinlich waren die ersten Champagner schlichte Pet Nats. Méthode Ancestrale hiess diese Urform der Flaschengärung. Auch Méthode Rurale genannt. Nachdem die Méthode Traditionelle, wie die klassische Flaschengärung seit der Witwe Cliquot heißt, ihren Siegeszug angetreten hat, verschwand die Méthode Ancestrale fast völlig vom Bildschirm. Erst in den letzten Jahren wurde sie in Frankreich wieder entdeckt und erlebt jetzt eine Wiederauferstehung. Einer der Hauptgründe ist, dass praktisch keine Technik nötig ist, um die Weine auf diese Weise zum Schäumen zu bringen. Man braucht keine Fülldosage (liqueur de tirage), kein Rüttelpult, kein Eisbad, keine Filter.  Und zum Trinken braucht es keine steife Etikette. „Funky unterm Weihnachtsbaum“ heißt die Devise.

Österreich wurde von der Pet Nat-Welle mehr erwischt als Deutschland

Von Frankreich aus verbreitete sich Pet Nat nach Spanien, Italien, Kalifornien – und nach Österreich. Österreich wurde von der Pet Nat-Welle sehr viel stärker erfasst als Deutschland. Winzer wie Josef Maier vom Geyerhof und Christina Hugl aus Krems, Christoph Hoch und Matthias Hager aus dem Kamptal, Michael Gindl aus dem Weinviertel, Lichtenberger & Gonzales aus dem Neusiedlersee-Hügelland – sie alle sind schon früh auf der Pet Nat-Welle geritten. Inzwischen hat die Welle auch renommierte Winzer wie Toni Hartl, Claus Preisinger, Gerhard Pittnauer, Helmuth Renner, Jurtschitsch und andere erfasst. Und: Der österreichische Gault Millau hat bereits 2017 den ersten Pet Nat-Kongress veranstaltet.


Die Weine

2017 The Experimental Wine, Artisan Wines (Neusiedlersee)

Experimentell ist dieser Pet Nat auf jeden Fall, auch kühn. Wenn man den Kronkork löst, sieht man im Flaschenhals noch die Hefe. Entsprechend trüb ist der Wein im Glas. Doch hinter den Hefeschlieren verbirgt sich ein sehr gelungener, sauberer Wein aus Sauvignon-Trauben, der, auch wenn er nicht schäumte, mit Genuss getrunken würde. Hinter Artisan Wines verbrirgt sich das Weingut Franz Schneider aus Halbturn. Mehr als ein paar hundert Flaschen Pet Nat produziert es nicht.

Preis: 15 Euro ab Weingut www.artianwines.at

 

Kalkspitz, Christian Hoch (Krems)

Dieser Pet Nat aus Grünem Veltliner (und anderen Trauben) könnte aus dem Kleiderschrank von Omas Wintergarderobe kommen: Er schmeckt nach Mottenkugeln und Jod. Gewöhnungsbedürftig also, was der „verrückte Österreicher“ und Demeter-Winzer Christian Hoch da auf die Flasche gebracht hat. Doch wer sich auf den Wein einlässt, bemerkt auch Positives: die Leichtigkeit, die schöne Säure, die schnörkellose Art, den kompromisslos trockenen Geschmack: ein wilder, ungezähmter Perlwein, der Gegenentwurf zum kommerziellen Weinmachen.

Preis: 17,03 Euro

www.weinco.at

 

2017 Pet Nat 360°, Geyerhof (Krems)

Das Ökoweingut Geyerhof war eines der ersten in Österreich, das einen Wein nach der Méthode Ancestrale versektete. Der 360° Pet Nat aus dem Jahrgang 2017 ist ein fülliger, cremiger Prickler aus reifen Grüne Veltliner-Trauben. Er ist fast goldgelb in der Farbe und leicht restsüß (zumindest die Flasche, die ich verkostet habe), mäßig prickelnd und ohne sichtbaren Hefetrub. Kochapfel, Quitte, Honigmelone, Zimt habe ich notiert.

Preis: 23,50 Euro ab Weingut

www.geyerhof.at

 

2018 „Funky“ Pet Nat Brut Nature, Weingut Landauer-Gisperg (Thermenregion)

„Funky“ passt perfekt bei diesem Pet Nat: ein stark hefebetonter Schäumer, knochentrocken und ohne Frucht aus einem Bio-Weingut aus Tattendorf in der Thermenregion, als vegan deklariert. Besitzt Rasse, ist wild, aber mitreissend und alles andere als ein Gaumenschmeichler.

Preis: 13,50 Euro ab Weingut www.winzerhof.eu

 

2018 In a Hell Mood, Rennersistas

Dieser Pet Nat ist strange:  Kochapfel, Nüsse, Backhefe, alte Kuchen. Man muß ihn sich erarbeiten. Die Rebsorten sind wahrscheinlich Chardonnay, Weissburgunder und Welschriesling. Genaues wird nicht mitgeteilt. Die Rennersistas, das sind Stefanie und Susanne Renner aus Gols im Burgenland. Der Name ihres Pet Nat nimmt Bezug auf den Vornamen ihres Vaters Helmuth, dem Inhaber des renommierten Pannobile-Weinguts Renner. Er lässt die Töchter gewähren – und konzentriert sich seinerseits auf konventionellen Sekt.

Preis: 20,90 Euro

www.8greenbottles.de

 

2017 Grüner Veltliner Pet Nat, Christina Hugl (Kamptal)

Handwerklich sauberer, gekonnt gemachter Pet Nat aus Grüner Veltliner-Trauben, leicht prickelnd mit Noten von Hefe und Apfel, entfernt an einen Cider erinnernd, jedoch frischer. Dieser Pet Nat ist degorgiert, mit einer kleinen Dosage versehen und mit einem Pilzkorken samt Agraffe verschlossen, wie ein richtiger Sekt: ein „ordentlicher“ Pet Nat. Die junge ChristianaHugl hat sich ganz auf schäumende Weine spezialisiert. Allein 5 Pet Nats produziert sie. „Sprudel“ nennt sie sie.

Preis: 18 Euro über das Weingut www.christinahugl.at

 

2018 Pet Nat P „Bambule!“, Judith Beck (Neusiedlersee)

„Bambule“ heisst Aufruhr. Doch so aufrührig, wie Judith Beck meint, ist ihr Pet Nat gar nicht (das P steht für die Sorte Pinot Noir). Im Gegenteil: ein milder, fast artiger Perlwein, geschmacklich eine Mixtur von Apfel und Hefe, ohne Schlieren, fast trocken, nicht geschwefelt, nicht geschönt, vegan. „Laß die Leute reden“ bekundet das enfant terrible der burgenländischen Weinszene ihr Desinteresse am Für und Wider des Pat Nat. Doch eigentlich kann man nur Gutes über den Ihren sagen.

Preis: 19,90 Euro

www.8greenbottles.de

 

2018 Pet Nat Rosé, Toni Hartl (Neusiedlersee Hügelland)

Höchst origineller Perlwein, der auch den Gaumen von Mainstream-Geniessern zu befriedigen weiß: keine schrägen Hefeschlamm-Aromen, sondern feiner kandierter Apfel mit einem Hauch von Walderdbeeren. Die deutlich vernehmbare Restsüsse steuert ihren Teil zum Genuss bei (laut Weingut soll der Wein trocken sein). Die Farbe Rosa habe ich übrigens nicht erkennen können. Der Wein aus meiner Flasche leuchtet in schönstem Goldgelb. Und naturtrüb war das, was der Flasche sprudelte, die ich hatte, auch nicht. So ist das eben beim Pet Nat: Nichts ist so, wie der Winzer sagt. Der Wein macht, was er will.

Preis: 14,90 Euro

www.weinshop24.cc

 

2018 Pet Nat “Rosenquarz“, Birgit Braunstein (Neusiedlersee-Hügelland)

Dieser Rosé zeigt sich in schönsten Erdbeerrot und lässt kaum ahnen, dass er ein Pet Nat ist. So sauber, so homogen, so ausgewogen ist er, dass er auch als leckerer Sekt durchgehen könnte. Aus Zweigelt und Blaufränkisch gekeltert, schmeckte meine Flasche wie durchgegoren. Trotz (oder wegen) der relativ hohen Säure ist dieser Rosenquarz ein delikater, saftiger Perlwein. Ein lupenreiner Pet Nat ist er allerdings nicht. Er wurde vor der Freigabe degorgiert. Trub sucht man deshalb in ihm vergeblich.

Preis: 23,97 Euro

www.weinco.de

 

2018 Pitt Nat Rosé, Gerhard Pittnauer (Neusiedlersee)

Dieser Pet Nat ist mit sicherer Hand erzeugt, weshalb er in feinstem Altrosa  erstrahlt ohne Hefetrub oder sonstiges Depot und auch sonst sehr sauber und harmonisch über den Gaumen läuft: eine milde, leicht perlende Cuvée aus Blaufränkisch, Merlot und Syrah mit deutlich schmeckbarer Himbeernote, gefällig, leicht restsüß mit hefigem Nachhall.

Preis: 18,70 Euro

www.weinfurore.de

 

Pet Nat, Gut Oberstockstall (Wagram)

Das ist der mit Abstand der beste und interessanteste österreichische Pet Nat, den ich verkostet habe. Aus dem Weingut Oberstockstall im Anbaugebiet Wagram stammend und aus Zweigelt-Trauben gewonnen, präsentiert er sich zwiebelfarben wie ein blasser Rosé, leicht schlierig, fast durchgegoren (deshalb auch 12,5 Vol.% Alkohol), von urwüchsiger Aromatik mit viel Schießpulver, Rosenpaprika, Gummibärchen –  eine bizarre, aber höchst delikate Mischung. Die wilde Hefe liegt noch auf dem Flaschenboden: Beweis dafür, dass dieser Pet Nat nicht degorgiert und nicht geschwefelt wurde. Eine Meisterleistung von Fritz Salomon und seiner Frau Birgit.

Preis: 15 Euro ab Weingut www.gutoberstockstall.at

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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