Nachverkostet – 1964 Erbacher Marcobrunn Riesling Auslese Cabinet

Etikett 1964 Erbacher Marcobrunn Riesling Auslese
Noch bis weit in die 1970er Jahre hinein rümpfte man über deutsche Weine die Nase. Heute hat sich der Wind gedreht. Riesling wird wieder geschätzt - nicht nur von den Deutschen, sondern in aller Welt. Jens Priewe fand diesen Wein zufällig in einer dunklen Ecke seines Kellers und war begeistert über den Inhalt der Flasche.

Beson­ders ist an die­sem Eti­kett eigent­lich nur, dass es 44 Jah­re alt ist. Es kleb­te auf einer Fla­sche, die ich in mei­nem Wein­kel­ler gefun­den hat­te. Bes­ser: Es kleb­te nicht mehr, son­dern lag lose auf der Fla­sche. Wäh­rend man heu­te autoad­hä­si­ve Eti­ket­ten benutzt (zu Deutsch: selbst­kle­ben­de), wur­den die Eti­ket­ten damals mit was­ser­lös­li­chem Leim bestri­chen und auf die Fla­sche geklebt. Im Lau­fe der Jah­re wird der Leim­film brü­chig, dann fällt das Eti­kett ab.

Kann man so einen alten Wein noch trin­ken? In die­sem Fall: ja. Er schmeck­te sogar sehr gut. Kei­ne Spur von Essig. Nicht ein­mal eine klei­ne Unfri­sche beim Rie­chen. Die Far­be bern­stein­gelb (mit einem grün­li­chen Schim­mer). Der Geschmack liegt zwi­schen Quit­ten­ge­lee und Bie­nen­wachs, zwi­schen Oran­ge­scha­len und Kara­mell­bon­bon. „Geil“ ent­fuhr es mei­ner nicht son­der­lich wein­in­ter­es­sier­ten Toch­ter. Die kräf­ti­ge Rest­sü­ße, die der Wein gehabt haben muss, hat­te sich fast ver­braucht. Er schmeck­te nahe­zu tro­cken. Oder täusch­te das? Viel­leicht war die Säu­re noch so kräf­tig, dass die Süße so wenig durch­kam?  Jeden­falls ein pracht­vol­ler Wein von einer der bes­ten Riesling-Lagen, die wir in Deutsch­land haben: dem Erba­cher Mar­co­brunn im Rheingau.

Ich hat­te den Wein vor 20 oder mehr Jah­ren ein­mal bil­lig auf einer Auk­ti­on erwor­ben. Er befand sich in einem gemisch­ten Lot mit ande­ren Wei­nen die­ser Art. Ich ver­mu­te, dass er etwa 15 Mark gekos­tet hat. Höchs­tens. Damals rümpf­te man über deut­sche Wei­ne die Nase. Heu­te ist so ein Wein ein Schatz. Scha­de, dass ich den Besu­chern von weinkenner.de nur von dem Wein erzäh­len, sie ihn nicht pro­bie­ren las­sen kann. Irgend­wann schaf­fen wir es viel­leicht, auch den Wein­ge­schmack zu digi­ta­li­sie­ren und ihn übers Inter­net zu ver­brei­ten. Aber dann mache ich mir eine kos­ten­pflich­ti­ge Homepage!

Der Freund, mit dem ich den Wein genoss, woll­te wis­sen, ob es sich um eine Aus­le­se oder einen Kabi­nett­wein han­de­le. Auf dem Eti­kett sind bei­de Aus­drü­cke zu lesen. Die Ant­wort: Es ist eine Aus­le­se. Der Begriff Cabi­net (mit „C“ und nur einem „t“ am Ende) bedeu­te­te damals, dass es sich um die bes­te von meh­re­ren Aus­le­sen han­delt, die das Wein­gut pro­du­ziert hat. Nach 1971, als das neue Deut­sche Wein­ge­setz ver­ab­schie­det wur­de, ver­schwand der Aus­druck Cabi­net mit „C“ von den Etiketten.

Übri­gens: Heu­te kos­tet eine sol­che bes­te Aus­le­se vom jüngs­ten Jahr­gang 28 Euro – die hal­be Flasche!

Kommentar hinzufügen

Antwort schreiben

Partner

Unser Newsletter