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Hilfe! Künstliche Intelligenz jetzt auch im Weinkeller!

Wenn das, was auf der Consumer Electronic Show (CES) vor einer Woche in Las Vegas vorgestellt wurde, Wirklichkeit wird, geht die Infantilisierung der Welt in die nächste Runde. Jedenfalls beim Wein. Coravin ist dabei, eine neue App zu entwickeln, die „einzigartige Weinerlebnisse Glas für Glas inszeniert – abgestimmt auf Speisen, Filme, Musik, besondere Stimmungen und Anlässe“.

Der passende Wein zu deiner momentanen Stimmung

Wer Coravin ist, ist bekannt. Die US-amerikanische Firma hat ein System entwickelt, mit dessen Hilfe du Wein einer Flasche entnehmen kannst, ohne den Korken zu ziehen. Durchaus revolutionär. Wir haben auf weinkenner.de darüber berichtet. Aber jetzt kommt die Coravin Moments App dazu. Wenn du sie auf dein Smartphone lädst, sagt sie dir, welcher Wein zu deiner Stimmung passt. Ein Algorithmus rechnet aus, was am besten schmeckt zu Wiener Schnitzel oder zu einem Hummus-Falafel-Wrap. Sie lässt dich wissen, welchen Wein du zu Joe Cockers „Knockin’ on Heaven’s Door“ oder Beethovens „Pastorale“  trinken solltest. Oder welche Flasche du aus dem Keller holen musst, wenn du „Black Mirror“, „Lovesick“ oder andere Netflix-Serien streamst. Geil. Und wenn du mal wieder nichts im Keller hast, dann sagt dir die App trotzdem, was dazu passen würde. Denn sie ist intelligent, intelligenter als Du.

„Bereichernde Erlebnisse“

„Wir leben in einer Zeit, in der einzigartige und bereichernde Erlebnisse mehr geschätzt werden als materielle Dinge“, erklärt Frederic Levy, der CEO von Coravin. Für ihn selbst gilt das mit dem Materiellen allerdings nicht ganz so eindeutig. Denn das neue Coravin Eleven Modell, das im Herbst 2018 auf den Markt kommen soll, gibt es leider nicht umsonst. Es kostet 999 Euro. Ab Herbst kannst du dir dann auch die Coravin Moments App herunterladen, wenn du ein iPhone hast. Besitzer von Android-Smartphones sind von den „einzigartigen, bereichernden Erlebnissen“ vorerst noch ausgeschlossen.

Das denkende Weinregal

Wer es noch smarter mag, kauft sich das Weinregal Caveasy, das auch in Las Vegas auf der CES zu besichtigen war. Jeder Flaschenplatz in diesem Regal ist mit einem Modul versehen, das erkennt, ob der Platz leer oder belegt ist. Toll, nicht wahr? Du kannst in deinem Fernsehsessel sitzen bleiben, in Ruhe die Tüte Chips leer essen und brauchst dich nicht in den Keller bewegen, um zu kontrollieren, ob der vorgeschlagene Wein da ist oder nicht.

Caveasy Weinregal

Das intelligente Regal sagt es dir. Es ist – man ahnt es schon – über Bluetooth mit deinem Smartphone verbunden. Natürlich musst du das Etikett deiner Weine vorher fotografiert haben, damit dein bestes Stück weiß, in welchem Fach der Wein liegt. Das Blöde ist nur, dass es noch keine Drohne gibt, die dir die Flasche – wenn sie denn vorhanden ist – aus dem Keller ausfliegt und in den Schoß legt, wenn Du vor deinem Laptop oder vor der Glotze sitzt. Du musst dich also selbst in den Keller bemühen. Dort wird es dir allerdings nicht schwer gemacht, die Flasche zu finden. Das entsprechende Flaschenfach leuchtet schon auf, wenn du kommst. Auch dafür sorgt die App.

Caveasy weiß alles

Bleibt nur zu hoffen, dass du nach dem Regalkauf noch etwas Geld übrig hast für die Bestückung. Zwei Racks kosten nämlich 199 Dollar, und in jedes Rack passen nur fünf Flaschen. Ziemlich überschaubar also. Notfalls würdest du, wenn du noch halbwegs normal im Kopf bist, die gesuchte Flasche auch ohne dein Smartphone finden. Aber wenn du zehn Racks kaufst und bestückst, wird es schon etwas schwieriger, den Überblick zu behalten. Doch keine Angst. Die App sagt dir genau, woher der Wein kommt, aus welchen Rebsorten er besteht, welches Weingut ihn erzeugt hat. Caveasy weiß alles.

Frag einfach, wenn die Firma Indiegogo im Februar zur Ambiente nach Frankfurt kommt, nach einem Earlybird-Rabatt. Dann zahlst du weniger, und das Verhältnis zwischen Regalinvestition  und Weininvestition klafft nicht mehr ganz so weit auseinander, wie sonst zu befürchten wäre.

Besser als Amazons Alexa

Die Caveasy-App kann übrigens noch sehr viel mehr. Sie registriert zum Beispiel genau die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit in deinem Keller. Sie macht dir, ähnlich wie die Coravin-App, auch Vorschläge, welcher deiner Weine zu Pizza passt oder zu Sushi. Und wenn sie dir einen Wein vorschlägt, den du nicht im Keller hast, sagt sie dir, wo du ihn bestellen kannst. Kalter Kaffee, wirst du jetzt vielleicht sagen. Das macht Alexa von Amazon schon lange. Stimmt. Alexa bestellt dir sogar automatisch den gewünschten Wein, wenn du das willst. Und Lieferando liefert ihn zu dir nach Haus. Krass. Aber die Caveasy App kann noch etwas, was Alexa nicht kann. Wenn ein Wein trinkreif ist, löst sie auf deinem Handy Trinkalarm aus. Woher sie das weiß? Keine Ahnung. Auf deinem Smartphone erscheint jedenfalls entsprechendes Symbol.

Künstliche Intelligenz nur bei vollem Akku

Ich finde, die CES ist eine hochinteressante Messe. Sie zeigt, dass der Trend, menschliche Intelligenz outzusourcen, immer weiter geht. Du musst nur mit deinem Smartphone umgehen können, um die Segnungen der künstlichen Intelligenz  zu erfahren. Du musst dir nicht mehr die komplizierten Weinnamen merken. Du brauchst keine Etiketten zu studieren. Du verwechselt nie mehr Jesuitengarten mit Frühlingsplätzchen. Du kannst dich, solange der Akku deines Smartphones voll ist, ganz auf die App verlassen. Und wenn der Strom mal ausfällt, wie in Las Vegas der Fall, hast du deinen Reserve Charger in deiner Messenger Bag. Eigentlich brauchst du dein Hirn nur noch, wenn du dein Smartphone mal verlegt hast. Aber dann rufst du dich mit deinem zweiten Handy einfach selbst an, und schon weißt du, wo es liegt.

Schrumpft das Gehirn?

Aus der Primatenforschung wissen wir, dass das Gehirn eines Lebewesens in der Evolution mit seinen Aufgaben gewachsen ist. Umgekehrt gilt wahrscheinlich auch, dass das Gehirn schrumpft, je weniger Aufgaben es hat. Je mehr Speicherkapazität dein Smartphone hat und je schneller dessen Prozessoren arbeiten, desto stärker schrumpft dein Gehirn. Klingt platt, könnte aber stimmen.

Wo kommt die künstliche Intelligenz her?

Ich frage mich nur, woher all die künstliche Intelligenz kommt, über die mein Smartphone verfügt. Ich weiß keineswegs genau, wann der beste Trinkzeitpunkt eines Weins ist. Ich weiß gar nicht, was der beste Trinkzeitpunkt ist. Aber vielleicht unterschätze ich all die Caveasys und Coravins. Vielleicht kennen sich die Leute dahinter viel besser aus, als ich dachte. Frederic Levy zum Beispiel, der CEO von Coravin, kennt sich mit Flüssigem sehr gut aus. Vor seinem Job bei Coravin war er bei Nespresso.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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