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Grosse Gewächse 2017: Die Nahe hebt ab

Grosse Naheweine im frühen Stadium zu verkosten, ist immer schwierig. Auch die 2017er GG sind teilweise noch sehr verhalten. Prinz Salm hat sich deshalb entschlossen, seine GG vom Wallhausener Felseneck erst ein Jahr später freizugeben. Gut Hermannsberg  hat sich schon länger entschieden, nur drei GG des aktuellen Jahrgangs zum 1. September freizugeben und drei weitere ein Jahr länger auf der Hefe stehen zu lassen. Auch Caroline Diel gesteht ihrem Burgberg ein Jahr Kellerreife mehr zu und präsentiert jetzt ihren 2016er. Die anderen VDP-Weingüter bleiben noch im alten Rhythmus.

Die Weingüter:


Ende gut, alles gut. Aber auch die Ortsweine nicht vergessen

Dass der Jahrgang 2017 (von den Mengeneinbussen durch Frost und teilweise Hagel abgesehen) an den 2016er mit einer unglaublichen Finesse nicht ganz heranreicht, ist von mehreren Kritikern geschrieben worden. Ich schliesse mich dem an, füge aber hinzu, dass sich die Nahe-Weine des Jahrgangs 2017 trotz dieser Einschränkung immer noch auf sehr, sehr hohem Niveau bewegen. Das Frühjahr war warm und (ein bisschen zu) trocken, der August und September dagegen ziemlich feucht.

Wer nicht penibel auslas, hat nur bescheidene Qualitäten ernten können. Für die Winzer war die Lese extrem arbeitsaufwendig und nervenaufreibend. Ich habe gehört, dass bis zu fünf Lesedurchgänge nötig waren, um gesunde Trauben für die GG zu ernten. Bei aller Zufriedenheit über die Qualität der Topweine sollte nicht vergessen werden, was ich von mehreren Kollegen und Winzern gehört habe: dass 2017 ein Jahrgang vor allem der Ortsweine ist. Ich konnte diese Meinung nicht überprüfen, da in Wiesbaden nur die GG angestellt waren. Aber vielleicht überprüfen es die Leser einmal selbst.

Kruger-Rumpf, Joh. Bapt. Schäfer, Diel, Prinz Salm: brav bis begeisternd

Trotzdem: die GG von der Nahe, die bis jetzt freigegeben wurden, sollten in keinem Keller fehlen. Fangen wir an der unteren Nahe an. Höchst erfreulich die drei GG Weine von Kruger-Rumpf: der zitrusfruchtige Pittersberg (93), der herzhaft-mineralische Dautenpflänzer (92) und der kraftvolle Burgberg (93). Allerdings darf man keine Angst vor Säure haben.

Etwas stiller und hintergründiger, aber nicht weniger begeisternd die beiden GG von Joh. Bapt. Schäfer: das reiche, aber sehr präzise Goldloch (93) und das elegantere Pittermännchen (92). Beide Weine stehen – wie übrigens immer mehr GG – einen halben Tag auf der Maische, bevor sie angären.

Diels GG vom Pittermännchen ist subtiler und geschliffener (93), während das Goldloch einen (gekonnten) Spagat zwischen süssem Fruchtschmelz und reifer, schiefriger Säure macht (93). Den grössten Spannungsbogen besitzt das 2016er GG vom Burgweg, das – um einen gewagten Vergleich anzustellen – wie ein gotischer Dom dasteht: reich verziert und mächtig nach oben strebend (94). Dieser Wein ist definitiv besser und zukunftsträchtiger als das 2011er GG vom Burgweg, das im September auf der VDP- Auktion in Bad Kreuznach unter den Hammer kam und nur vergleichsweise schlappe 150 Euro erlöste (Magnumflasche).

Etwas weniger balanciert war Prinz Salms nicht ganz trockenes 2016er GG vom Felseneck in Wallhausen – eher untypisch für dieses Weingut, das sonst mit knochentrockenen Weinen aufwartet (90). Die anderen GG von Felix und Victoria Salm Salm werden erst nächstes Jahr präsentiert. Übrigens trägt jeder Jahrgang dieses Weinguts neuerdings einen Bibelspruch auf dem Etikett.

Dönnhoff: zwei neue Grosse Gewächse

Weingut Dönnhoff

An der mittleren Nahe richten sich alle Augen auf die Weine von Cornelius Dönnhoff, der seit 2007 für Weinberg und Keller des Familienweinguts verantwortlich ist. Die hohen Erwartungen werden auch in 2017 nicht enttäuscht. Die gesamte GG-Kollektion ist höchst gelungen, ja überragend. In der Spitze wie (fast) immer die Hermannshöhle mit reicher Substanz und gleichzeitig feinziselierter Frucht, reifer Säure, unendlich lang, ja theatralisch (97+).

Die grösste Überraschung war für mich allerdings ein anderer Wein: das GG Felsenberg „Felsentürmchen“, das zwar nicht ganz die Dichte der Hermannshöhle aufweist, aber von extremer Eleganz ist: hochmineralisch, dabei puristisch-karg. Grandios. Ob es eine Restsüße oder die Extraktsüße ist, die den Wein etwas abrundet, kann ich nicht beurteilen. Aber der Spannung tut das keinen Abbruch (95).

Ein „Knaller“ ist auch das zum ersten Mal abgefülltes GG aus dem Höllenpfad, dem Kernstück  des Roxheimer Mühlenbergs: tief, vielschichtig, vibrierend, extrem subtile Frucht – ein Monument von Wein, aber nicht erschlagend, sondern leuchtend wie der Buntsandstein dieser Lage in der Abendsonne (95).

Der Krötenpfuhl aus Bad Kreuznach, der in 2017 ebenfalls zum ersten Mal als GG auf den Markt kommt, zeigt tropische Fruchtnuancen und ähnelt in seiner Würzigkeit dem nahegelegenen Kahlenberg, der bei Dönnhoff „nur“ eine Erste Lage ist (93).

Abgerundet wird Dönnhoffs GG-Parade durch ein kühles, spannungsgeladenes Dellchen aus Nordheim (94).

Halt: Fast hätte ich das GG von der Oberhäuser Brücke vergessen, das in 2017 zum zweiten Mal (nach 2015) gefüllt wurde. Die Lage, direkt an der Nahe gelegen und ein Monopol der Dönnhoffs,  ist die kühlste und feuchteste des Familienbesitzes. In der Vergangenheit wurde sie wegen der Botrytis-Anfälligkeit der Trauben meist für fruchtsüße Weine oder für TBAs und Eisweine benutzt. 2017 aber war das Lesegut kerngesund. Das GG, das dort entstand, ist ein Ausnahmewein, der im Glas eher schwebt als schwappt: extrem üppig, reif, extraktsüß auf der einen Seite, auf der anderen ist es der „grünste“ aller Dönnhoff-Rieslinge mit viel Kräuterwürze und sogar einigen Granny Smith-Aromen. Der Wein mag polarisieren, mich elektrisiert er (97). Er wurde im September in Bad Kreuznach auf der VDP Auktion für 150 Euro pro 0,75-Flasche versteigert.

Dr. Crusius: Hang zu Reife und Gefälligkeit

Nicht ganz so dramatisch empfinde ich die Weine von Dr. Crusius. Sicher, sie besitzen Substanz, Dichte und Reife, neigen aber meiner Meinung nach dazu, ins Gefällige abzudriften.

Das gilt in 2017 vor allem für den Felsenberg (90), der allzu glatt über den Gaumen läuft. Etwas rassiger und damit spannender die Kupfergrube (92), mehr noch der Mühlberg (93), während der Parade-Riesling aus der Traisener Bastei aufgrund seiner Fülle und hohen Reife wie immer das explosivste GG dieses Weinguts darstellt.

Wenn ich diesem Wein trotzdem nur 92 Punkte gebe, dann aus einem eher persönlichen Grund: Ich bin kein Freund hochreifer Weine. Andere, die solch „warme“ Rieslinge schätzen, mögen bitte meine Wertung vergessen.

Schäfer-Fröhlich: Am Bouquet sollt ihr sie erkennen

Das Gegenstück zur Crusius-Kollektion sind die sechs GG von Schäfer-Fröhlich: alle packend, elementar, eher mit kühler als mit überreifer Frucht, (mit einer Ausnahme) keines mit mehr als 12,5 Vol.% Alkohol. Und – man muss es erwähnen – alle mehr oder minder „stinkig“: bei SF, wie das Weingut kürzelhaft genannt wird, werden die Weine nicht nur spontan vergoren, sondern bleiben auch sehr lange auf der wilden Vollhefe liegen. Den daraus resultierenden Schiesspulvergeruch muss man akzeptieren – oder auf sie verzichten. Dafür  müssen die Weine nur minimal geschwefelt werden und besitzen dennoch jahrelang eine vibrierende Frische, die nur wenige andere GG aufweisen. Trotzdem: Mein Eindruck bei der frühen Verkostung der 2017er ist, dass sie nicht ganz an die Klasse der 2016er heranreichen.

Am deutlichsten wird das am Stromberg, dem kargsten und mineralischsten aller GG, das normalerweise an Eleganz nicht zu toppen ist, diesmal aber etwas durchhängt und nicht ganz die Ausdruckskraft hat wie in den Vorjahren. Mit 94 Punkten ist er aber immer noch ein herausragender Wein.

Der Felsenberg ist zwar geschmeidig, aber die Säure steht hier doch sehr im Vordergrund (92).

Bei der Kupfergrube könnte eventuell die Nase rebellieren. Doch hinter dem schrägen Bouquet verbirgt sich allerbeste Substanz: Rauchsalz, Kafirblätter und schotige Pikanz (93).

Beim Felseneck aus Bockenau, Tim Fröhlichs bester Lage, ist die Säure dagegen perfekt verwoben: ein sehr kompletter Wein, der auch im jungen Stadium schon erkennen lässt, wie genial die vielen Facetten so gebündelt werden, dass der Wein genau auf der Mitte der Zunge landet. Nur wahrhaft grosse Lagen können einen solchen Wein hervorbringen (96+).

Bleiben die beiden GG aus Monzingen, wo die Nahe nur noch schmales Füßchen ist und der kühle Hunsrück schon ziemlich nahe rückt. Dort ist SF in zwei grossen Lagen begütert: Halenberg und Frühlingsplätzchen. Beide GG sind begeisternd, der ungeheuer vielschichtige Halenberg (95) noch einen Tick mehr als das Frühlingsplätzchen (94).

Emrich-Schönleber: nicht ganz so bezwingend wie sonst

Die Weine von Emrich-Schönleber kommen aus den gleichen Monzinger Lagen, sind aber nach meinem Empfinden nicht ganz so bezwingend wie in den Vorjahren.

Das Frühlingsplätzchen ist der stoffigere, zugänglichere Wein, der im Moment mehr Begeisterung auslöst. Allerdings ist er ein wenig monothematisch: die Frucht steht im Vordergrund, das mineralische Element ist weniger ausgeprägt. Dadurch fehlt es etwas an Spannung (92+).

Auch im Halenberg finde ich eher verdeckte als ausgeprägte Mineralität, jedoch mehr Tiefe, mehr Feinstrahligkeit und die zartere Frucht (94). Auf längere Sicht sind beide Weine jedoch sichere Bank. Es gibt in 2017 noch ein drittes GG, das bei der Vorpremiere in Wiesbaden nicht gestellt war:

Auf der Ley. Der Wein stammt aus den ältesten Parzellen sowohl im Frühlingsplätzchen als auch im Halenberg. Er wird nur in Magnumflaschen gefüllt und wird ausschliesslich versteigert (wie Dönnhoffs Brücke und Diels Burgberg). Bei der VDP Auktion im September in Bad Kreuznach wurde die Magnumflasche für 230 Euro zugeschlagen.

Gut Hermannsberg: Konstanz auf höchstem Niveau

Und was ist mit Gut Hermannsberg? Unter der Regie von Karsten Peters zeigt das Weingut eine geradezu unheimlich Konstanz – und zwar auf höchstem Niveau. Sechs GG wurden präsentiert, und bei keinem tauchte der leiseste Zweifel auf, dass es sich tatsächlich um „Grosse“ Gewächse handelt (was bei manch anderem GG durchaus der Fall war). Allerdings stammten nur drei GG aus dem Jahrgang 2017:

Rotenberg, Steinberg, Felsenberg. Letzter ist für mich am spektakulärsten mit seiner rauchigen Mineralität und der mitreissenden Säure (94).

Aber auch der Rotenberg ist ein riesiger Wein, der vor allem mit seiner fast schon pikanten Quarzporphyr-Würze begeistert (93+).

Das GG vom Steinberg ist der kompletteste und derzeit am leichtesten zu trinkende Wein, wohl auch, weil er so extrem pur ist (92).

Die anderen drei GG stammten aus dem Jahrgang 2016. Sie wurden ein Jahr länger zurückgehalten und kommen erst jetzt auf den Markt. Extrem geschmeidig, ja finessereich ist die Kupfergrube, gewachsen im kühlsten Teil einer warmen, steilen Terrassenlage – für mich der beste trockene Wein des Gutes (94+).

Die Bastei ist die wärmere Lage, was bedeutet, dass das GG von dort reif und rund wirkt und mit satter Frucht ausgestattet ist, aber nicht ganz die Finesse der Kupfergrube hat (93).

Am wenigsten eindrucksvoll wirkt zum jetzigen Zeitpunkt der Hermannsberg. Dabei ist er richtig schön zu trinken – fast zu schön für einen Wein mit viel Entwicklungspotenzial. Unter diesem Aspekt würde ich ihm nur 91 Punkte zugestehen. Doch weil Experten, die berufener sind als ich, wissen, dass die grosse Zeit dieses Weins erst nach ein paar Jahren kommt, füge ich ++ hinzu.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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