Vor einem Jahr hatten wir uns in Assmannshausen, dem alten Winzerdorf am Rhein, verabredet und erstmals die Spätburgunder dieses Jahrgangs probiert: den einfachen Pinot Noir, die Cuvée Max und die beiden raren Lagenweine vom Assmannshauser Höllenberg und vom Rüdesheimer Schlossberg. Alle vier Weine waren damals schon auf der Flasche, aber noch nicht im Handel. Das war gut so. Denn sie brillierten nicht. Sie beeindruckten nur durch ihre Verschlossenheit. „Sie haben komplett zugemacht“, entschuldigte sich Kesseler. Er hatte Recht. Ein Genuss waren sie nicht.
Nicht nur Frucht
Die Entschuldigung war überflüssig. Denn wenn die Weine zu diesem Zeitpunkt schon genussreif wären, wäre 2007 kein grosser Jahrgang. Zumindest nicht im Sinne August Kesselers. Denn Spätburgunder – das bedeutet für ihn nicht einfach Frucht, Frucht, Frucht. Seine Weine sollen Tiefe, Spannung, Glanz besitzen. Und Tannin. Natürlich nicht wie ein Cabernet Sauvignon. Aber als ein feines Gerüst im Hintergrund, das alles zusammenhält. Und wenn ein Wein all das besitzt, was einen guten Pinot Noir ausmacht, ist noch nicht so früh trinkreif.
50 Dollar für ein Glas Höllenberg
Im November traf ich August Kesseler wieder in München. Wir aßen zusammen Mittag. Ich trank Wein, er Wasser. Die Höllenberg- und Schlossberg-Weine waren immer noch verschlossen. Ich hatte sie kurz vor unserem Treffen noch einmal probiert. Sie wirkten unspektakulär, fast banal. Wer sie naiv getrunken hätte, wäre von ihnen nicht sehr beeindruckt gewesen. Er wäre vermutlich schockiert gewesen zu erfahren, daß eine Flasche dieser Weine 60 bzw.75 Euro kostet und daß Weinbars im Amerika 50 Dollar für sie verlangen – pro Glas. Kesseler zeigt Verständnis: „Meine Weine sind nicht billig, ich weiß. Aber sie sind rar, nicht nur in der Menge. Spätburgunder, die das Potenzial haben sich 20 Jahre zu verfeinern, gibt es selten.“
Cuvée Max schon antrinkbar
Viel besser schmeckte zu diesem Zeitpunkt die nur halb so teure Cuvée Max, ein Spätburgunder von jungen Reben aus dem Assmannshäuser Höllenberg. Dieser Wein deutete bereits an, was die besondere Qualität des Jahrgangs 2007 ausmacht: geschliffene Frucht, zarte Würze, ein (für einen Spätburgunder) kräftiger Körper, eine feine, reife Säure. Nur das Tannin im Hintergrund war noch etwas stielig. Wer nicht grundsätzlich einen Bogen um deutsche Rotweine macht, bekommt mit der 2007er Cuvée Max einen herrlich saftigen, untypisch dichten und – pardon – gänzlich undeutschen Spätburgunder, der von allem traditionellen Geruchsbeiwerk wie Veilchen-, Mandel-, Zimt- und Bonbonnoten befreit ist: der gekonnteste unter den Spätburgundern modernen Stils aus dem Rheingau.
Zum Einstieg Pinot Noir
Der Basis-Spätburgunder zeigt sich sogar noch zugänglicher. Kesseler hat ihn einfach Pinot Noir genannt: kein Einstiegswein im herkömmlichen Sinne, sondern eine gehobene Qualität, die, obwohl unter 20 Euro kostend, Frucht, Feuer und Finesse des Spätburgunders exemplarisch zum Ausdruck bringt. Im Keller wird dieser Wein ähnlich wie die grossen Spätburgunder behandelt. Die Trauben kommen jedoch (überwiegend) von einer einfachen Dorflage (Assmannshauser Frankenthal). „Der Pinot Noir ist die Visitenkarte des Weinguts“, erklärt Kesseler. „Um die knapp 30 000 Flaschen von ihm gut hinzukriegen, kämpfen wir genauso wie um die 2000 Flaschen vom Höllenberg.“
In Assmannshausen verwurzelt
Im Kesselerschen Weingut, das eingeklemmt zwischen den schroffen Klippen des Höllenbergs und der Bahnlinie liegt, die Assmannshausen durchschneidet, findet man jede Menge leerer Flaschen berühmter französischer Burgunderweine. Kesseler weiß also, wie Musigny, ein Chambertin, ein Romanée Conti schmecken. „Aber ich schiele nicht nach Frankreich. Ich bin in Assmannshausen verwurzelt“, sagte er mit seiner leisen, sanften Stimme. „Und ich glaube, daß aus der Pinot Noir in Assmannshausen ebenfalls Weine entstehen können, die für Burgunder-Liebhaber auf der anderen Seite des Ozeans von gleichem Interesse sind wie ein Vosne Romanée oder ein Chambolle Musigny. Voraussetzung: Sie sind handwerklich gut gemacht und haben Charakter…“
„Ein Pinot Noir muß glänzen“
Die Weinbergs- und Kellerarbeit ist überall auf der Welt ein Garant für handwerkliche Qualität. Kesseler nennt sein Weingut deshalb eine „Manufaktur“. Gelesen wird händisch, und zwar in kleinen Kistchen. Ein Maischewagen ist tabu. Die Erträge werden niedrig gehalten.45 Hektoliter sind das Maximum. Die Trauben werden entrappt, ein paar Tage kaltmazeriert und dann in offenen Stahlfermentern vergoren. Das Umstoßen der Maische erfolgt ebenfalls per Hand. Danach reifen alle Weine rund 18 Monate in kleinen Burgunder-Piècen aus französischer Eiche. Während dieser Zeit werden sie zweimal umgezogen und nur, wenn sie danach immer noch trüb sind, mit Eiweiss geschönt. Am Ende wird der Wein gefiltert und auf Flasche gezogen: „Ich finde, ein Pinot Noir muß glänzen. Auch optisch.“
Keine Glorifizierung
Assmannshausen ist seit 1000 Jahren berühmt für seinen roten Wein. Geglänzt hat dieser immer, allerdings anders als heute: hellrot, blumig-parfümiert, dünn – daran war er jahrzehntelang zu erkennen. Oft war er auch noch restsüß. Kesseler fällt es deshalb schwer, den Assmanshäuser Wein pauschal zu glorifizieren. Er hat selbst erst lernen müssen, wie man dem Höllenberg seine Glut entzieht und wie man die Trauben im Keller behandeln muß, um einen Wein zu bekommen, der nicht nur im Ort, sondern in der Welt gern getrunken wird.
Könner ohne Diplom
Als sein Vater 1977 starb, war er 19, hatte gerade Abitur gemacht und wollte studieren. Er musste das Weingut übernehmen, das damals 2,5 Hektar umfasste und das er in wenigen Jahren auf 20 Hektar erweiterte. Später schrieb er sich noch einmal in Geisenheim ein, um Weinbau und Önologie zu studieren – zu spät. Sein Ehrgeiz zielte längst darauf, einen guten Spätburgunder und nicht einen guten Abschluß zu machen. Er brach das Studium ab.
Kampfansage an die Burgunder
Der Ehrgeiz brannte in ihm. Als kesser Dreissiger begann er seinen Wein in kleinen Eichenholzfässern auszubauen. In der Öffentlichkeit tönte er, er wolle „den Franzosen zeigen, was ein Burgunder ist“. Im Manager Magazin ließ er sich ablichten, wie er eine Flasche französischen Weins mit den Händen zerbrach. Heute erinnert er sich an diese Zeiten nur noch ungern. Doch die Weine, die er damals erzeugte und von denen er nicht wußte, wie sie sich einst entwickeln würden, waren tatsächlich kolossal. Wer das Glück hat, heute noch eine unausgetrunkene Flasche 1990er Assmannshauser Höllenberg*** im Keller zu haben, kann es nachprüfen: ein grandioser Wein, den keine Firnis trübt und der mit seinem malzig-fruchtigen Aromenfülle besser als mancher grosse Wein von der Côte de Nuits dasteht.
Kellergeheimnis
Was ist das Geheimnis der Langlebigkeit? „Es gibt bei mir zwei Geheimnisse im Keller. Das eine betrifft das Filtern. Das andere Geheimnis ist, daß ich den Weinen, wenn sie durchgegoren sind, nach alter Assmannshauser Art eine minimale Menge angegorenen, also noch süßen Spätburgunders zusetze. So zwei bis vier Gramm pro Liter Wein. Der Zucker hilft, die Weine zu konservieren, und er verhindert, daß sie mit den Jahren austrocknen.“
Serie großer Weine
32 Jahrgänge hat Kesseler inzwischen vinifiziert, manchmal mit enttäuschenden, meist mit erfreulichen Ergebnissen. Die letzten Jahrgänge gehören zweifellos in die Kategorie erfreulich. Seiner 2006er Cuvée Max haben die Kritiker angesichts des insgesamt schwierigen Jahrgangs höchsten Respekt gezollt (die Lagenweine wurden nicht gefüllt). Seine 2005er sind durch die Bank grosse Weine, seine 2004er schon Legende (und komplett vom Markt verschwunden). Und im schwierigen 2003er Jahr hat zumindest der Rüdesheimer Berg Schloßberg einen denkwürdigen Wein hervorgebracht.
Die Mannschaft
Kesselers Ehrgeiz ist ungebrochen. Aber er ist disziplinierter geworden. Er hat ein Team von Mitarbeitern um sich aufgebaut, das auf der gleichen Wellenlänge ist wie er. Da ist Matthias Himstedt, der Kellermeister, dessen Leidenschaft ganz dem Spätburgunder gilt: „Er würde, wenn der Wein dadurch besser wird, sogar auf der Maische schlafen“, sagt Kesseler über ihn. Oder gebürtige Ungar Endre Kása, der sich vor allem um den Riesling kümmert. „Der fährt abends nicht den direkten Weg nach Hause, sondern macht einen Umweg, um noch einen letzten Blick auf die Reben werfen zu können.“ Schliesslich Kesselers Frau Beate, die „Juristin“, wie er sie tituliert. Die Staatsexaminierte kennt sich nicht nur mit Paragrafen, sondern auch mit den Zahlen aus – nicht ganz unwichtig für einen erfolgreichen mittelständischen Kleinbetrieb. Und für frische Blumen im Haus sorgt sie auch.
Noch wurzelechte Reben
Das eigentliche Kapital sind natürlich die Weinberge. Von den 20 Hektar Rebfläche, die zum Weingut gehören, sind die Hälfte mit Riesling, die andere Hälfte mit Spätburgunderreben bestockt: meist alte französische Klone („Vougeot-Klon“), die schon früh in Assmannshausen gepflanzt und dann sukzessive vermehrt worden waren, teilweise vegetativ als wurzelechte Reben. Die Trauben dieses Klons sind kleinbeerig, relativ dickschalig, kompakt und ohne Schultern – also eigentlich ideal für hochwertige Weine, wenn sie nicht gleichzeitig fäulnisanfällig wären. In den niederschlagsreichen deutschen Weinanbaugebieten kann das zum Problem werden. Siehe den Jahrgang 2006. Aber Kesseler wehrt ab: „Risiko muß eingehen, wer mit Pinot Noir arbeitet.“